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Klausur Nebenbestimmungen gem.§ 36 VwVfG

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A. Sachverhalt

K betreibt mit seiner Ehefrau ein Mietwagenunternehmen. K ist dafür bekannt, dass er gerne während seiner Arbeitszeit alkoholische Getränke zu sich nimmt. Während einer Beförderungsfahrt wird der K von der Polizei angehalten. Der stark nach Alkohol riechende K wird zu einer Blutprobe auf das Revier mitgenommen. Er hat einen Blutalkoholwert von 1,5 Promille. In einem ordnungsgemäßen Verfahren wird K für ein Jahr der Führerschein entzogen. Als die Ehefrau des K die Genehmigung für die Betreibung eines Mietwagenunternehmens stellt, wird ihr die Genehmigung erteilt, mit der Bedingung ein Fahrtenbuch über sämtlche Fahrten im Unternehmen zu führen. Desweiteren wird ihr verboten, den K als Fahrer einzusetzen. Die Genehmigung wir der Ehefrau des K ohne Rechtsmittelbelehrung und als Durchschrift an den K zugestellt. Die Ehefrau des K verzichtet auf die Einlegung jeglicher Rechtsmittel. Nach 13 Monaten erhebt K gegen den Bescheid Klage. Er macht mehrere Grundrechtsverletzungen geltend und meint die Auflagen sind nicht verhältnismäßig.

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Verwaltungsrechtsweg § 40 I 1 VwGO

Genehmigung und Auflage richten sich nach dem VwVfG sowie dem PBefG. Beide Gesetze enthalten Normen, welche ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen und/oder verpflichten. Damit liegt nach der modifizierten Subjektstheorie eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Diese ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und eine andere Rechtswegzuweisung ist nicht ersichtlich. Damit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Zulässigkeit

Die Klage müßte weiterhin zulässig sein.

1. Statthafte Klageart

Die Statthaftigkeit der Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehr gem. § 88 VwGO. Die Ehefrau erhält die Genehmigung für das Betreiben des Mietwagenunternehmens. Ihr wird zusätzlich vorgeschrieben den K nicht als Fahrer einzustellen. K wendet sich demnach gegen den dem VA beigefügten Zusatz, nicht als Fahrer tätig werden zu dürfen. Um dagegen vorgehen zu können bieten sich grundsätzlich sowohl die Verpflichtungsklage auf Erlass einer neuen Genehmigung ohne den Zusatz an, sowie die isolierte Anfechtungsklage gegen den Zusatz. Vereinzelt wird vertreten, dass die isolierte Anfechtungsklage stets unstatthaft ist, da Nebenbestimmungen untrennbare Bestandteile des HauptVA sind. Folglich wäre nur die Verpflichtungsklage einschlägig. Eine andere Ansicht unterscheidet nach  Art der Nebenbestimmung, d.h. zwischen selbständigen und unselbständigen Nebenbestimmungen. So sind Bedingung, Befristung, Widerrufsvorbehalt integrierte unselbständige Bestandteile des VA, Auflage und Auflagenvorbehalt hingegen eigenständige Regelungen, die isoliert anfechtbar sind. Die Auflage ist als Ge- bzw. Verbot ein selbständiger VA, der auch selbständig vollstreckbar ist. So kann sichergestellt werden, dass der VA keinen völlig anderen Inhalt als von der Behörde intendiert bekommt. Wieder andere differenzieren nach der Art des HauptVA. So wird die Anfechtungsklage bei gebundenen VAs bejaht, bei ErmessensVA hingegen abgelehnt. Dafür spricht, dass die Behörde bei gebundenen VA keinen Ermessenspielraum hat und der ordnungsgemäße Rechtszustand vom Gericht ohne Verzögerung hergestellt werden kann. Nach heute zutreffender Ansicht des BVerwG und des Schrifttums sind sämtliche Nebenbestimmungen als Bestimmungen neben der Hauptregelung isoliert anfechtbar. Der Wortlaut „soweit“ in § 113 I 1 VwGO lässt die Teilaufhebung eines VAs zu. Folgerichtig müssen auch Teilanfechtungen möglich sein. Im Gegensatz zu einer Inhaltsbestimmung eines VA geht § 36 VwVfG gerade von einer Trennbarkeit von HauptVA und Nebenbestimmung aus („Ein VA…der mit einer Nebenbestimmung…versehen werden“). Daher müssen Nebenbestimmungen prinzipiell auch isoliert anfechtbar sein. Zudem ist dem Betroffenen nicht zuzumuten mit einer erneuten Verpflichtungsklage das schon Erreichte zur Disposition zu stellen. Eine isolierte Aufhebbarkeit darf nur nicht offenkundig und von vornherein ausgeschlossen sein. Aus diesem Grund ist auch die isolierte Anfechtung einer modifizierenden Auflage ausgeschlossen, da sie als Inhaltsbestimmungen einzuordnen ist und damit nicht vom HauptVA trennbar ist. Probleme können sich aber ergeben, wenn ein RestVA verbleibt, der so von der Behörde nie gewollt war oder rechtswidrig ist.

Fraglich ist demnach wie das Verbot den K als Fahrer einzustellen einzuordnen ist. Die Ehefrau erhält die von ihr beantragte Genehmigung. Insofern handelt es sich nicht um ein aliud, womit die modifizierende Auflage ausscheidet. Es könnte sich aber um eine Inhaltsbestimmung handeln. Dazu müsste der Zusatz nur die Reichweite des HauptVA bestimmen ohne dass ihm ein eigener Regelungsgehalt zukommt. Hier könnte die Vorschrift einen bestimmten Fahrer nicht einzustellen den Umfang der Genehmigung eingrenzen. Allerdings wird die Genehmigung unbedingt erteilt. Es wird nur eine zusätzliche Regelung hinzugefügt, die die Genehmigung als solche nicht beeinträchtigt. Es könnte sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die Rechtslage handeln. Gem. § 21 I Nr. 2 StVG ist es Haltern von Kfz untersagt Personen ohne Führerschein fahren zu lassen. Auch hier wird der Ehefrau untersagt, den K, der nicht im Besitz eines Führerscheins ist als Fahrer einzustellen. Insofern wäre diese Untersagung also nur ein Verweis auf die geltende Rechtslage. Jedoch wurde dem K der Führerschein nur für 1 Jahr entzogen, das Verbot aber unbefristet erteilt. Damit hat der Zusatz einen eigenständigen Regelungsgehalt und ist nicht lediglich ein Hinweis auf die Rechtslage. Man könnte annehmen, dass die Genehmigung nur so lange besteht, wie sich die Ehefrau an das Beschäftigungsverbot hält. Ab Eintritt dieses Ereignisses würde die Genehmigung dann erlöschen. Dies würde auf eine auflösende Bedingung schließen lassen. Die Bedingung suspendiert jedoch, was dazu führen würde, dass der VA mit Eintritt des ungewissen Ereignisses unwirksam wird. Dies ist hier aber von der Behörde nicht gewollt. Die Ehefrau erfüllt die Voraussetzungen gem. § 13 PBefG für den Betrieb des Unternehmens und verliert sie nicht durch den Verstoß gegen das Beschäftigungsverbot. Natürlich muss die Behörde bei Zuwiderhandeln dagegen vorgehen, dies hat aber grundsätzlich keine Auswirkung auf die ursprünglich erteilte Genehmigung. Somit käme noch die Auflage in Frage. Dies ist gem. § 36 II Nr. 4 VwVfG eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Sie kann selbständig angefochten, erstritten und vollstreckt werden. Die Ehefrau soll es Unterlassen K als Fahrer einzustellen. Diese Vorgabe wird dem eigentlichen HauptVA, der Genehmigung hinzugefügt. Ferner ist die Auflage nur dann zu erfüllen, wenn von dem HauptVA Gebrauch gemacht wird. Der HauptVA, also die Genehmigung, ist nämlich widerrufbar, wenn die Ehefrau die Auflage nicht innerhalb einer ihr gesetzten Frist erfüllt. Trotz der Selbständigkeit der beiden Regelungen riskiert der Begünstigte damit den Verlust des begünstigenden VA. Die Auflage erscheint deshalb vorliegend am geeignetsten das von der Behörde Gewollte durchzusetzen. Demzufolge ist hier eine Auflage richtige Nebenbestimmung.

Zu prüfen ist weiterhin die Trennbarkeit von HauptVA und Nebenbestimmung. Hierzu kommt es entscheidend darauf an, ob die Nebenbestimmung in der Weise abtrennbar ist, dass der VA als solcher noch bestehen bleiben kann, wenn die Nebenbestimmung aufgehoben wird. Hier ist zu fragen, ob die Genehmigung auch ohne das zusätzliche Verbot bestehen bleiben kann. Nach Aufhebung des Verbotes hat der HauptVA jedoch noch einen selbständigen Regelungsgehalt. Die Genehmigung kann getrennt von der Auflage bestehen. Belastung und Begünstigung stehen nebeneinander und sind nicht ineinander verwoben.

Zuletzt muss geklärt werden, ob es sich um eine Ermessensentscheidung oder um einen gebundenen VA handelt. Auf die Frage des Ermessens, sowie die Rechtmäßigkeit der verbleibenden Begünstigung ist im Folgenden noch einzugehen.

Statthaft ist damit die isolierte Anfechtungsklage.

2. Klagebefugnis

K müsste gem. § 42 II VwGO klagebefugt sein. Zwar wurde die Genehmigung mit den Zusätzen an die Ehefrau des K gerichtet. Allerdings enthält sie das Verbot K als Fahrer einzustellen und eine Durchschrift des an die Ehefrau gerichteten Bescheides wird auch dem K zugestellt. Damit ist auch K Adressat der Belastung. Er müsste geltend machen in einem subjektiv öffentlichen Recht verletzt zu sein. Laut Sachverhalt macht er mehrere Grundrechtsverletzungen geltend. In Frage kämen die Grundrechte aus Art. 12 I, 14 I, 2 I GG. Eine Rechtsverletzung ist daher möglich.

3. Klagefrist

Die Klage müsste gem. § 74 I VwGO innerhalb eines Monats erhoben werden. K erhebt aber erst nach 13 Monaten Klage. Allerdings fehlt dem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung, was gem. § 57 II VwGO dazu führt, dass die Klage innerhalb eines Jahres erhoben werden kann. Aber auch dann ist K noch einen Monat zu spät dran. Folglich wurde die Klagefrist nicht gewahrt. Die Klage des K ist damit unzulässig.

– Hilfsgutachten –

III. Begründetheit

Die Klage des K ist begründet, soweit die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und im materiellen Sinne vom VA teilbar ist, also wenn der RestVA weder rechtswidrig noch sinnlos ist.

1. Rechtmäßigkeit der Nebenbestimmung

Eine Ansicht sieht bei der Aufhebung der Nebenbestimmung bei Ermessensentscheidungen das Problem, dass durch die gerichtliche Überprüfung ein unzulässiger Eingriff in den Ermessensspielraum der Behörde erfolgt. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Aufhebung dennoch möglich. Allein entscheidend ist, ob der VA ohne die Nebenbestimmung rechtmäßig und sinnvoll ist. Begründet wird dies damit, dass die Behörde den VA stets nach den §§ 48, 49 VwVfG zurücknehmen oder widerrufen kann. Die Literatur hält dem entgegen, dass der VA bei Rechtmäßigkeit nur nach § 49 VwVfG widerrufen werden kann, dessen strenge Voraussetzungen aber in der Regel wohl nicht vorliegen werden. Somit wird der Spielraum der Behörde doch wieder in unzulässigerweise Weise beschränkt. Für die Rechtsprechung spricht aber, dass das Gericht auch im Rahmen der §§ 44 IV, 47 VwVfG prüft, wie die Behörde entschieden hat, insofern also auch kein unzulässiger Eingriff in das Ermessen vorliegt.

a) Ermächtigungsgrundlage

Ein VA, auf den ein Anspruch besteht, darf gem. § 36 I VwVfG mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie die Erfüllung gesetzlicher Voraussetzungen sicherstellen soll. Fraglich ist, ob es sich bei der Genehmigung nach § 13 I PBefG um einen gebundenen VA oder um einen ErmessensVA handelt. Der Betrieb eines Taxengewerbes ist nach §§ 2, 46 PBefG an die Erteilung einer Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 13 PBefG gebunden. Es handelt sich hierbei um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. § 13 PBefG gewährt als Ausfluss des Art. 12 I GG, § 1 GewO dem Einzelnen ein subjektives Recht auf Erteilung der Genehmigung bei Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen. Entgegen dem Wortlaut „darf erteilt werden, wenn“ in § 13 I PBefG, der auf ein Ermessen schließen lässt, liegt ein gebundener VA vor. Somit käme hier die Zulassung mittels Rechtsvorschrift in Frage. Nach § 15 III PBefG kann die Genehmigung zum Betrieb eines Mietwagenunternehmens unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden.

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Auflage ist somit § 15 III PBefG.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Für die formelle Rechtmäßigkeit gelten die allgemeinen Vorschriften über VAs. Die Zuständigkeit der Behörde für die Erteilung einer Genehmigung und damit auch für die Erteilung von Auflagen nach dem PBefG ergibt sich aus § 11 I, II Nr. 2 PBefG. Eine Anhörung des K gem. § 28 VwVfG vor Erlass der Nebenbestimmung fand nicht statt. Da die Nebenbestimmung gleichzeitig mit dem VA erteilt wurde, ist zu fragen, ob eine Anhörung vor Erlass des VA erfolgte. K wurde mangels Angaben im Sachverhalt nicht zuvor angehört. Die Anhörung kann aber gem. § 45 I Nr. 3 VwVfG nachgeholt werden. Auch kann die erforderliche Begründung gem. § 45 I Nr. 2 nachträglich erfolgen. Vom Vorliegen der übrigen formellen Voraussetzungen ist auszugehen.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Die Genehmigung kann gem. § 15 III PBefG unter einer Auflage erteilt werden, sofern sich diese Nebenbestimmung im Rahmen des Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen hält. Fraglich ist, ob die Erteilung einer Auflage im vorliegenden Fall rechtmäßig und die Ermessensausübung verhältnismäßig war.

aa) Voraussetzungen der Genehmigungserteilung § 13 BPefG

Gem. § 13 I Nr. 1 PBefG darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebes gewährleistet sind. Fraglich ist, wie es sich auf den Betrieb auswirkt, dass K keine Fahrerlaubnis mehr hat. § 21 I Nr. 2 StVG untersagt es dem Halter eines Kfz zuzulassen, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Die Ehefrau ist Halterin der Fahrzeuge des Mietwagenunternehmens und als solche verpflichtet, niemanden fahren zu lassen, der keinen Führerschein besitzt. Andernfalls würde die Sicherheit des Betriebes erheblich gefährdet und zudem gegen das StVG verstoßen. Damit kann die Behörde dem VA gem. § 15 III BPefG eine Auflage hinzufügen, um die Einhaltung des § 13 I Nr. 1 PBefG sicherzustellen.

bb) Ermessen

Nach § 15 III BPefG steht es im Ermessen der Behörde der Genehmigung eine Auflage oder Bedingung hinzuzufügen. Zu fragen ist, ob das Ermessen im vorliegenden Fall fehlerfrei angewendet wurde, insbesondere ob kein Fall der Ermessensüberschreitung vorliegt. Die Auflage müsste deshalb verhältnismäßig sein.

(a) Legitimes Ziel und Geeignetheit

Mit der Auflage müsste ein legitimes Ziel verfolgt werden. Die Behörde fügt die Auflage hinzu, um die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen gem. § 13 I Nr. 1 PBefG sicherzustellen. Damit verfolgt sie einen legitimen Zweck. Ferner müsste die Auflage geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen. Dem K wird verboten als Fahrer tätig zu werden. Das Verbot ist geeignet die Sicherheit des Betriebs zu gewährleisten.

(b) Erforderlichkeit

Die Auflage müsste erforderlich sein. Aufgrund des drohenden Verstoßes gegen § 21 I Nr. 2 StVG ist eine solche Maßnahme auch notwendig.

(d) Angemessenheit

Die Auflage müsste auch angemessen sein. Dies wäre der Fall, wenn die von der Auflage zu schützenden Interessen und Rechtsgüter gegenüber den durch die Auflage beeinträchtigten Rechtsgüter von größerem Gewicht sind. Zu prüfen ist, welche Rechtsgüter des K durch die Auflage beeinträchtigt sein könnten.

(aa)  Art. 12 GG

K könnte durch die Auflage in seinem Grundrecht aus Art. 12 I GG verletzt sein, da er seinem Beruf nicht mehr in gewünschter Weise nachkommen kann. Die Fahrertätigkeit des K fällt unzweifelhaft in den Schutzbereich des Art. 12 I GG. Weiterhin ist zu fragen, ob ein Eingriff vorliegt. Voraussetzung dafür  ist, dass der ergriffenen Maßnahme eine objektive oder subjektive berufsregelnde Tendenz innewohnt. Nach der Drei-Stufen-Theorie muss zwischen den drei verschiedenen Eingriffsebenen unterschieden werden. Dies ist deshalb von Bedeutung, da das BVerfG unterschiedliche Anforderungen an die Rechtfertigung des jeweiligen Eingriffs festgelegt hat. Einen Eingriff auf erster Stufe stellt eine Regelung bezüglich der Berufsausübung dar. Diese Regelung dürfte die Tätigkeit nicht schlechthin verbieten, sondern lediglich das “ Wie“ der Ausübung regeln. Der Ehefrau des K wird jedoch unbefristet untersagt ihren Mann als Fahrer einzusetzen. Das gänzliche Fahrverbot betrifft daher nicht die Ausübung des Berufs. Die zweite Stufe nimmt auf subjektive Zulassungsvoraussetzungen Bezug. Dies sind Voraussetzungen, die für die Wahl eines Berufes oder den Verbleib im Beruf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten des Berufsbewerbers vorschreiben. Die Behörde untersagt dem K als Fahrer tätig zu werden. Zurückzuführen ist diese Untersagung auf die fehlende Fahrerlaubnis des K. Allerdings fehlt diese Bezugnahme in der Auflage. Die Behörde hat dem K das Verbot nicht befristet erteilt, also nicht bis zu dem Zeitpunkt in dem er die Fahrerlaubnis wieder zurückerwirbt. Ein Anknüpfen an persönliche Eigenschaften ist demnach nicht ersichtlich. Deshalb kann es sich bei der Auflage nur um einen Eingriff auf dritter Stufe handeln, der objektive Zulassungsvoraussetzungen betrifft, die den Verbleib im Beruf an Voraussetzungen binden, die mit der Person des Bewerbers nichts zu tun haben. Solche Eingriffe sind jedoch nur zulässig, wenn sie dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zu dienen bestimmt sind. Im Ergebnis kann aber dahingestellt bleiben, ob es sich um einen Eingriff auf zweiter oder dritter  Stufe handelt, da in keinem Fall der Eingriff dem Schutz wichtiger Rechtsgüter dient. Natürlich ist es geboten ein Fahrverbot zu erteilen, allerdings nur bis zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis. Eine darüberhinausgehende Beeinträchtigung ist nicht gerechtfertigt. Somit ist das unbefristete Beschäftigungsverbot in jedem Fall unverhältnismäßig. Damit ist K in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG verletzt.

(bb) Art. 14 GG

K könnte zusätzlich in seinem Grundrecht aus Art. 14 I GG verletzt sein. Ihm ist es untersagt beliebig mit den in seinem Eigentum stehenden Fahrzeugen umzugehen. Auch hier ist eine Einschränkung möglich, aber wiederum unverhältnismäßig, da keine Befristung hinzugefügt wurde. Insofern kann K neben Art. 12 auch die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 14 geltend machen.

Somit ist die Auflage nicht angemessen.

2. Ergebnis

Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Auflage liegen nicht vor. Die Klage des K ist damit begründet.

Anmerkungen

siehe auch Prüfungsschema zu Art. 14 I 1 GG, „Klausur zur Berufsfreiheit

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Nebenbestimmungen gem.§ 36 VwVfG auf unserer Website Jura Individuell.


Klausur Klage auf Erteilung Baugenehmigung

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A. Sachverhalt

Der in der kreisfreien bayrischen Stadt B lebende alleinstehende A erhielt vor vier Jahren eine Baugenehmigung für die Errichtung eines zweigeschossigen Hauses, um darin eine Pension mit insgesamt 35 Einzelzimmern zu betreiben. Da sich seit der Fertigstellung des Gebäudes im Sommer 2002 die erhofften Übernachtungen nicht einstellten, beabsichtigt er nunmehr, im Erdgeschoss des Hauses eine Tanzbar mit Striptease-Aufführungen sowie im Obergeschoss ein Spielkasino einzurichten.

Nachdem A den Antrag auf Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung bei der zuständigen städtischen Baubehörde gestellt hat, verweigert diese jedoch durch den mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 22.08.2005 die Erteilung einer Baugenehmigung unter Hinweis auf die Lage des Gebäudes: Es liege zwar im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der die Zahl der Vollgeschosse auf zwei festsetze. Jedoch befände sich in der unmittelbaren Umgebung des Gebäudes des A in erster Linie eine Bebauung mit Mehrfamilien-Wohnhäusern, die bislang nur von mehreren überwiegend kleinen handwerklich geprägten Gewerbe- und wenigen Einzelhandelsbetrieben sowie einer Gaststätte durchsetzt sei. Obendrein sei mit einer übermäßigen Lärmbelästigung der Anwohner gerade während der Nachtzeit zu rechnen.

A, der sich bereits seit dem 20.08.2005 wegen eines Herzinfarktes im Krankenhaus befand und nach zweimonatigem Krankenhausaufenthalt wieder genesen nach Hause zurückkehrt, erhebt unter Hinweis auf seinen unverhofften Krankenhausaufenthalt (eine entprechende Bescheinigung des behandelnden Krankenhauses fügt er bei) noch am Tag seiner Rückkehr gegen den vorgefundenen Ablehnungsbescheid schriftlich Klage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht. Er ist der Auffassung, sein Gebäude unterscheide sich äußerlich überhaupt nicht von der übrigen vorhandenen Bebauung. Auch treffe der bestehende Bebauungsplan überhaupt keine Aussagen über die Art der baulichen Nutzung, weshalb er die Genehmigungsversagung durch die Baubehörde auch nicht rechtfertigen könne. Im Übrigen seien die behördlichen Bedenken hinsichtlich der Belästigungen der Anwohnerschaft unbegründet, da er alle ihm möglichen Vorkehrungen treffe, um eine von seinem Hause ausgehende unzumutbare Lärmentwicklung zu vermeiden. Es würden insbesondere schalldichte Fenster und Türen installiert. Obendrein sei dafür gesorgt, dass auch die Lärmentwicklung an den Zugängen durch automatisch schließende Türen auf das Unvermeidbare reduziert würde. Überdies würden die das Etablissement besuchenden Gäste durch vor dem Gebäude gut sichtbar angebrachte Schilder aufgefordert, namentlich in der Nachtzeit Rücksicht auf die Nachbarschaft zu nehmen. Ferner sei der zu dem Haus gehörige Parkplatz von ausreichender Größe, um die Fahrzeuge selbst bei hohem Gästeaufkommen aufnehmen zu können. Noch dazu liege dieser auf der den nahen Wohngebäuden abgewandten Seite und würde durch eine zwei Meter hohe massive Mauer eingerahmt. Demgegenüber schlüge die zugegebenermaßen nicht vollständig vermeidbare Geräuschentwicklung auf der unmittelbar an den Wohngebäuden vorbeiführenden öffentlichen Zufahrtstraße durch das An- und Abfahren von Kraftfahrzeugen der Besucher doch kaum mehr nennenswert zu Buche.

Wie wird das Verwaltungsgericht über die Ende Oktober 2005 eingelegte Klage entscheiden ?

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Nach § 40 I 1 VwGO müsste der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sein. Nach der Sonderrechtstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Eine Norm ist öffentlich-rechtlich, wenn sie ausschließlich einen Hoheitsträger besonders berechtigt und/oder verpflichtet. Man spricht insofern auch von der modifizierten Subjektstheorie. Gestritten wird um die Erteilung einer Baugenehmigung. Demnach stehen die BayBO und das BauGB im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Es fehlt an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit und eine anderweitige Rechtswegzuweisung ist auch nicht ersichtlich. Mithin ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

B. Zulässigkeit

Die Klage müßte zulässig sein.

I. Statthafte Klageart

Die Statthaftigkeit richtet sich nach dem klägerischen Begehr gem. § 88 VwGO. A beantragt eine Baugenehmigung bei der Stadt B. Die Baugenehmigung (vgl. Art. 68 I 1 BayBO) ist ein VA i.S.d. Art. 35 S.1 BayVwVfG mit Legalisierungs- und Gestattungswirkung, der im Rahmen einer Verpflichtungsklage geltend gemacht werden kann. Damit ist die Verpflichtungsklage gem. § 42 I Alt.2 VwGO in Form der Versagungsgegenklage statthaft.

II. Klagebefugnis

A müsste gem. § 42 II VwGO klagebefugt sein. Dann müsste er geltend machen in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Ihm könnte gem. Art. 68 I 1 BayBO i.V.m. Art. 14 GG ein Anspruch auf die Baugenehmigung zustehen. Durch die Verweigerung der Erteilung ist eine Rechtsverletzung möglich. Er ist somit klagebefugt.

III. Vorverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO

Ein Vorverfahren ist entbehrlich, da kein Fall des Art. 15 I, II BayAGVwGO gegeben ist.

IV. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt 1 VwGO Beteiligten-, und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO Prozessfähig. Die Beteiligtenfähigkeit der Stadt B ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2. VwGO. Sie wird gem. Art. 38 I, 34 I 2 BayGO von ihrem Oberbürgermeister vertreten und ist damit gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

V. Frist

Die Klage muss gem. § 74 I 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des VA erhoben werden. Die Bekanntgabe richtet sich nach Art. 41 BayVwVfG. Nach Art. 41 II BayVwVfG gilt ein durch die Post übermittelter VA als am dritten Tag bekanntgegeben. Hierbei handelt es sich um eine Bekanntgabefiktion. Dies wäre folglich der 25.8.05. A erhebt aber erst am 20.10.05 seine Klage zum Verwaltungsgericht. Damit ist die Frist abgelaufen und A kann nicht mehr klagen. Etwas anderes könnte sich aber daraus ergeben, dass A zwei Monate im Krankenhaus verbringen musste und außerstande war seine Verwaltungsangelegenheiten zu regeln. Nach § 60 VwGO könnte A bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Dann müsste er ohne Verschulden verhindert gewesen sein die gesetzliche Frist des § 74 I 2 VwGO einzuhalten. A lag infolge eines Herzinfarkts im Krankenhaus, womit ihm kein Verschulden zur Last fällt. Auch ist nicht davon auszugehen, dass A schon eher hätte auf den Bescheid reagieren können, da es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt. Dies kann er zudem mit einem ärztlichen Attest belegen.  Gem. § 60 II 1 VwGO müsste der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Laut Sachverhalt erhebt A am Tag seiner Rückkehr aber lediglich Klage gegen den Ablehnungsbescheid. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellt A jedoch nicht, was dazu führen könnte, dass er endgültig nicht mehr gegen den Bescheid vorgehen kann. Nach § 60 II 2 und 3 VwGO kann aber innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung, hier die Klageerhebung, nachgeholt werden ohne dass es eines zusätzlichen Antrags auf Wiedereinsetzung bedarf. Damit wird A Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

C. Begründetheit

Die Klage des A wäre begründet, wenn der Bescheid rechtswidrig ist und er durch die Ablehnung der Baugenehmigung in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt wurde, § 113 V 1 VwGO. Zudem müsste die Klage gegen den richtigen Klagegegner gerichtet sein.

I. Passivlegitimation

Nach § 78 I Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen die Stadt zu richten, da Städte und somit Gemeinden ihre eigenen Rechtsträger sind.

II. Rechtmäßigkeit der Ablehnungsbescheides

1. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Ablehnungsbescheid müßte formell rechtmäßig ergangen sein.

a) Zuständigkeit

Die Stadt B ist gem. Art. 53 I 1, 54 I BayBO i.V.m. Art. 37 I 2 BayLKrO und Art. 9 I BayGO als untere Bauaufsichtsbehörde zuständig für die Erteilung der Baugenehmigung.

b) Verfahren

A müsste vor Erlass des VA gem. Art. 28 I BayVwVfG angehört worden sein. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Allerdings kann die fehlende Anhörung gem. Art. 45 I Nr. 3 BayVwVfG noch bis zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden.

2. Materielle Rechtmäßigkeit

Der Ablehnungsbescheid müßte weiterhin auch materiell rechtmäßig ergangen sein. Dies wäre nicht der Fall, wenn der A einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hätte.

a) Rechtsgrundlage

Grundlage für den Anspruch des A ist Art. 68 I 1 BayBO i.V.m. Art. 14 I GG.

b) Genehmigungspflichtigkeit

Nach Art. 55 I BayBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung. Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen, Art. 2 I 1 BayBO . A hat eine Baugenehmigung für eine Pension erhalten und möchte nun statt dieser eine Tanzbar, sowie ein Spielkasino einrichten. Dabei handelt es sich um eine relevante bzw. wesentliche Änderung der Nutzung der Räumlichkeiten, sodass A dafür eine Baugenehmigung braucht. Andere Gestattungsverfahren nach Art. 56 BayBO sind nicht einschlägig. Ebenso liegt kein Fall der Art. 57, 58 BayBO vor.

c) Genehmigungsfähigkeit

Der Anlage dürften gem. Art. 68 I 1 BayBO keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Dieser Prüfungsmaßstab wird im vorliegenden Fall, da kein Sonderbau i.S.d. Art. 2 IV BayBO vorliegt, durch Art. 59 BayBO eingeschränkt. Dabei handelt es sich um das einfache Genehmigungsverfahren. Dann müsste die bauliche Anlage mit den bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB übereinstimmen.

Es müsste sich um eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 I BauGB handeln. Der Begriff der baulichen Anlage deckt sich weitestgehend mit dem des Landesrechts in Art. 2 I BayBO. Hinzukommen muss aber eine städtebauliche Relevanz. Dies wiederum bemisst sich nach § 1 V, VI BauGB. Erforderlich ist das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung. Die Nutzungsänderung einer Pension in eine Tanzbar, sowie ein Spielkasino erfordert eine städtebauliche Überprüfung, da es sich nicht lediglich um eine Bagatellanlage handelt. Folglich liegt eine Anlage i.S.d. § 29 I BauGB vor.

Das Gebäude liegt gem. § 30 I BauGB im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Fraglich ist, ob es sich dabei um einen qualifizierten oder einen einfachen Bebauungsplan handelt. Um einen qualifizierten handelt es sich, wenn mindestens zu den Bereichen Art und Maß der baulichen Nutzung, überbaubare Grundstücksflächen, örtliche Verkehrsflächen  Festsetzungen getroffen wurden. A führt in seiner Klagebegründung an, dass der Plan keine Aussagen über die Art der baulichen Nutzung enthält. Das Fehlen einer Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung bedeutet, dass die Klassifizierung des Gebietes nach der BauNVO in Wohngebiet, Gewerbegebiet oder ähnliches fehlt. Deshalb erfüllt der Bebauungsplan die Vorgaben des § 30 I BauGB nicht und ist deshalb als einfacher Bebauungsplan nach § 30 III BauGB einzustufen. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich sodann nach den §§ 34 und 35 BauGB. Hier käme die Zulässigkeit nach § 34 BauGB in Betracht. Dazu müsste das Vorhaben zunächst innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegen. Darunter ist jede Bebauung zu verstehen, die trotz vorhandener Baulücken den Eindruck von Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit erweckt, nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Maßstab ist die bereits vorhandene Bebauung. In dem fraglichen Bereich befinden sich hauptsächlich Mehrfamilienwohnhäuser, daneben bestehen mehrere kleine handwerkliche geprägte Gewerbebetriebe. Ferner gibt es vereinzelt Einzelhandelsbetriebe, sowie eine Gaststätte. Es handelt sich also um eine Vielzahl von Bauten, die dicht nebeneinander angesiedelt sind und Geschlossenheit, sowie Zusammengehörigkeit vermitteln. Auch wenn unter den Wohnhäusern Gewerbebetriebe zu finden sind ändert dies nichts an der siedlungsähnlichen Struktur. Damit liegt das Gebäude des A im Innenbereich gem. § 34 BauGB.

Weitere Voraussetzung ist, dass sich das Bauvorhaben hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entspricht aber die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach Art. 34 II BauGB. Fraglich ist also wie das fragliche Gebiet zu klassifizieren ist. Ein reines Wohngebiet gem. § 3 BauNVO scheidet aus, da neben den Wohnhäusern Gewerbe- und Einzelhandelsbetriebe existieren. Eventuell kommt ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO in Betracht. Zulässig wären hier u.a. Wohngebäude, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe. Damit wären die Mehrfamilienwohnhäuser, die Gaststätte erfasst und die handwerklich geprägten Gewerbebetriebe erfasst. Die wenigen Einzelhandelsbetriebe könnten unter die Ausnahmevorschriften des § 4 III BauNVO fallen, schließen ein allgemeines Wohngebiet damit nicht aus. In Frage käme aber auch die Einordnung unter § 6 BauNVO als Mischgebiet. Diese dienen sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Auch hier wären Wohngebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank-und Speisewirtschaft, sowie sonstige Gewerbebetriebe grundsätzlich zulässig. Damit wären ohne Ausnahme alle vorkommenden Bauten erfasst. Damit ist das Vorhaben des A unter die Kategorie Mischgebiet einzuordnen, da beim allgemeinen Wohngebiet die Wohnbebauung dominieren müsste, was aber hier nicht eindeutig festgestellt werden kann. Das Gewerbe ist vorliegend zwar nicht über die Maßen ausgeprägt, dennoch wird die Einordnung als Mischgebiet dem Gebietscharakter am ehesten gerecht.

Fraglich ist demzufolge, ob die Tanzbar und das Spielkasino in einem Mischgebiet zulässig wären. Dabei könnte es sich um Vergnügungsstätten i.S.d. § 6 II Nr. 8 BauNVO handeln. Das Vorhaben erfüllt jedenfalls die Voraussetzungen des § 4a III Nr. 2 BauNVO. Jedoch sind Vergnügungsstätten nur in Teilen des Gebiets zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen Wohn- und Gewerbegebiet ist hier nicht möglich, da die Wohnbebauung von Einzelhandelsbetrieben und Gewerbebetrieben durchsetzt ist. Aber auch wenn man von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Vergnügungsstätte ausgeht könnte sich eine Unzulässigkeit aus § 15 I S.1 BauNVO im Einzelfall ergeben. Die Anlage dürfte nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Geprägt wird das Mischgebiet in erster Linie durch die Bebauung mit Mehrfamilienwohnhäusern. Das Gebäude des A fügt sich in die es umgebenden Bauten rein optisch ein. Die Geschosszahl ist auf zwei festgelegt, was auch auf die bauliche Anlage des A zutrifft. Mit der Nutzungsänderung wird keine dominierende Stellung erzielt, sodass der Umfang der Nutzungsänderung aus diesem Gesichtspunkt zulässig ist. Ein Unterschied ergibt sich aber daraus, dass nur Einzelhandelsgewerbe und Handwerksbetriebe vorhanden sind. So könnte die Nutzungsänderung in eine Bar und ein Kasino zu einer Strukturveränderung führen. Durch die Zulassung der Vergnügungsstätte könnte es zur Verdrängung anderer Nutzungen kommen, was zum Schutz des vorhandenen Gewerbes unterbunden werden müsste. Allerdings kann die Zulassung einer einzigen Vergnügungsstätte nicht solche Folgen haben. Eine Unzulässigkeit ergibt sich in dieser Hinsicht nicht.

Insbesondere ist weiterhin § 15 I 2 BauNVO zu berücksichtigen. Unzulässig ist die Nutzungsänderung des A, wenn Belästigungen oder Störungen von ihr ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebietes im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Mögliche Belästigungen bzw. Störungen können sich gerade aus dem durch den Betrieb der Vergnügungsstätte entstehenden Lärm ergeben. Es ist zu erwarten, dass sich Besucher der Bar oder des Kasinos zeitweilig vor dem Eingang im Außenbereich des Gebäudes aufhalten. Gerade Raucher werden von Zeit zu Zeit nach draußen gehen um dort ihrem Bedürfnis nachgehen zu können. So kann aber auch das Kommen und Gehen der Gäste Störungen verursachen. Es ist in jedem Fall mit erhöhtem Lärm besonders in der Nachtzeit zu rechnen. Um dem zu entgegnen hat A Schilder an gut sichtbaren Stellen angebracht, die die Gäste auffordern Rücksicht auf die Nachbarschaft zu nehmen. Die Wirksamkeit dieser Schilder ist jedoch fraglich. Gerade betrunkene Gäste werden die Schilder nicht ernst nehmen oder ihnen Folge leisten. Viele Gäste werden den Schildern schon erst gar keine Beachtung schenken. A könnte um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen zusätzlich Ordnungsleute zur Verfügung stellen. Aber auch dadurch kann es wiederum zu lautstarken Diskussionen und Unruhe kommen, sollten bspw. alkoholisierte Gäste Widerstand leisten. Die Lärmentwicklung, die vom Gebäude ausgehen kann hat A weitestgehend eingedämmt, da er automatisch schließende Türen, sowie schalldichte Fenster und Türen installiert hat. Damit kann sichergestellt werden, dass keine unzumutbaren Beeinträchtigungen auftreten. Problematisch ist aber der Parkplatz in unmittelbarer Nähe zum Kasino. A führt an, dass der Parkplatz ausreichend groß ist um auch eine große Anzahl von Gästen aufnehmen zu können. Dadurch wird sicherlich dafür gesorgt, dass kein unnötiger Lärm durch herumfahrende, nach Parkplätzen suchende Autofahrer entsteht. Die Nähe zu den Wohngebäuden ist dennoch nicht unproblematisch. Der Parkplatz liegt auf der den Wohngebäuden abgewandten Seite und wird durch eine hohe massive Mauer eingerahmt. Aufgrund dessen ist eine unzumutbare Lärmentwicklung eher nicht anzunehmen. Die Zufahrtsstraße führt allerdings unmittelbar an den Wohngebäuden vorbei, sodass es zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen gerade in der Nacht kommen kann. Dieser An- und Abfahrtsverkehr findet zwar auf einer öffentlichen Straße statt, dennoch steigt die Zahl der vorbeifahrenden Autos was sich gerade zur Nachtzeit besonders deutlich bemerkbar macht. Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Art von Etablissement oftmals ein bestimmtes Klientel anzieht, was dazu führen kann, dass sich Bewohner durch deren Anwesenheit eingeschüchtert fühlen. Im Ergebnis überwiegen die Beeinträchtigungen die A durch das Kasino und die Bar verursacht. Die Nutzungsänderung ist demnach unzulässig.

Die Nutzungsänderung ist daher nach § 15 I 2 BauVNO unzulässig. Damit ist das Vorhaben bauplanungsrechtlich genehmigungsunfähig. A hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung. Der Ablehnungsbescheid der Stadt B war rechtmäßig. Die Verpflichtungsklage des A ist unbegründet.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Klage auf Erteilung Baugenehmigung auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Langfristiges Aufenthaltsverbot

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A. Sachverhalt

In der kreisfreien Stadt S etablierte sich Anfang der 90er Jahre in der Umgebung des Hauptbahnhofes eine offene Drogenszene mit mehreren hundert Personen. Nachdem sich die Verantwortlichen der Stadtverwaltung zunächst dafür entschieden hatten, dieses Phänomen zu tolerieren, vollzogen sie im Herbst 2000 eine Kehrtwende hin zu einer repressiven Drogenpolitik. Ursache hierfür war, dass in den letzten Jahren zuvor die Zahl der Drogentoten, der Laden- und Einbruchdiebstähle, sowie der Übergriffe auf Passanten stark zugenommen hatte. Auch kam es des Öfteren zu Verletzungen von Kindern durch benutzte Spritzen, die von den Drogenabhängigen weggeworfen worden waren, zu agressiver Bettelei und Straßenprostitution. Die Szene in S hatte sich außerdem zu einem Anziehungspunkt für Abhängige aus der gesamten Region entwickelt. Der Polizeipräsident der Stadt S verabschiedete deshalb ein neues Konzept, das die Zerschlagung der offenen Drogenszene, insbesondere durch den verstärkten Ausspruch von Platzverweisen sowie langfristigen Aufenthaltsverboten gegenüber Szenemitgliedern vorsieht. Am 10. Januar 2002 traf eine Streife der Polizei auf den in S wohnhaften, arbeitslosen A, der sich zusammen mit mehreren Drogenabhängigen in einer Grünanlage am Hauptbahnhof aufhielt. A verbringt seit Jahren täglich mehrere Stunden zusammen mit Freunden in der Szene. Er ist selber nicht drogenabhängig, jedoch bereits zweimal wegen gewerbsmäßigen Handels mit Betäubungsnitteln zu längeren Haftstrafen verurteilt worden. Bei seiner letzten Festnahme war eine geringfügige Menge Heroin bei ihm gefunden worden; das diesbezügliche Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. In den Monaten zuvor waren bereits wiederholt Platzverweise gegen ihn verhängt worden. A wurde mitgeteilt, es sei beabsichtigt, gegen ihn ein befristetes Aufenthaltsverbot für das Bahnhofsviertel auszusprechen. Diese Verfügung werde man auch für sofort vollziehbar erklären. A reagierte auf die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme nicht. Am 30.01.2002 stellte deshalb der Polizeipräsident von S dem A eine Verfügung zu, in der er ihm gegenüber ein ganztägiges, bis zum 31.07.2002 befristetes Verbot aussprach, sich im Bahnhofsviertel von S aufzuhalten. Die Grenzen der von dem Aufenthaltsverbot erfassten Bereiche wurden in einem beigefügtem Stadtplan markiert. Die Verfügung, die eine ordnungsgemäß begründete Anordnung der sofortigen Vollziehung beinhaltete, enthielt keinen Vorbehalt oder Hinweis, daß Ausnahmen vom Aufenthaltsverbot im Einzelfall gestattet werden könnten. Der Polizeipräsident begründete seine Verfügung im wesentlichen damit, dass A als Dealer zur Verfestigung der Drogenszene beitrage, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, und daß weiter Straftaten von seiner Seite verhindert werden müßten. Am 15.02.2002 legte A hiergegen durch seinen Anwalt Klage ein und läßt beim zuständigen Verwaltungsgericht den Antrag stellen, die aufschiebende Wirkung seiner Klage hinsichtlich des Aufenthaltsverbotes wiederherzustellen. Zur Begründung führt der Anwalt an, das Aufenthaltsverbot entbehre jeder Rechtsgrundlage, da für Eingrffe in das Recht auf Freizügigkeit nur der Bund zuständig sei. Im übrigen fehle es an der hier erforderlichen spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zudem sei die Verfügung unverhältnismäßig. Sein Mandant brauche die Geborgenheit seines Freundeskreises; diese Freunde seien nun einmal allesamt drogenabhängig und gehörten der Szene in S an. Die Verfügung sei außerdem zu unbestimmt, da unklar sei, was genau mit dem Begriff des „Aufenthalts“ gemeint sei. Der Polizeipräsident beantragt, den Antrag abzulehnen. Art.11 GG sei vorliegend überhaupt nicht einschlägig; im übrigen seien landesrechtliche Eingriffe in dieses Grundrecht zum Zwecke der Gefahrenabwehr seit jeher anerkannt. Die Verfügung sei hinreichend bestimmt, da sie dem A ersichtlich jede Form des Betretens des Sperrbezirkes verbiete. Auch sei sie verhältnismäßig: sollte A gegenüber dem Polizeipräsidenten, was bislang nicht geschehen war, einen zwingenden Grund glaubhaft machen, warum er sich in dem Gebiet aufhalten müsse, werde er auf Antrag im Einzelfall eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erhalten. Auf den Zugang zum Hauptbahnhof sei A nicht angewiesen, da -was zutrifft- viele Züge auch im Bahnhof seines Stadtteils halten würden. Seine Freunde könne er auch außerhalb des Verbotsbezirkes treffen.

Die Begründetheit des zulässigen Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist umfassend -ggf. hilfsgutachtlich- zu prüfen.

B. Lösung

I. Begründetheit des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes

Der Antrag nach § 80 V S.1 Alt. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig war.

1. Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde ist § 80 II Nr. 4 VwGO.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung müßte formell rechtmäßig ergangen sein.

a) Zuständigkeit

Zuständig für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist die Behörde, die den VA erlassen hat. Die Zuständigkeit richtet sich demzufolge nach der Zuständigkeit zum Erlass des zugrundeliegenden VA. Den Grund-VA hat hier der Polizeipräsident der Stadt S erlassen. Folgerichtig wäre dann auch er für die Anordnung des sofortigen Vollziehung zuständig.

aa) Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Art. 3 I BayVwVfG. Hier ist Art. 3 I Nr. 3 a) BayVwVfG einschlägig. Die Vorschrift erklärt die Behörde in Angelegenheiten die eine natürliche Person, A, betreffen in dem Bezirk, in dem diese Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat für örtlich zuständig. Dies ist vorliegend die Stadt S. Damit ist die Polizei, bzw. der Polizeipräsident der Stadt S örtlich zuständig.

bb) Sachliche Zuständigkeit

Fraglich ist aber, ob die Polizei auch sachlich zuständig war. Polizei sind gem. Art. 1 PAG alle im Vollzugsdienst tätigen Dienstkräfte. Damit auch der Polizeipräsident. Art. 3 PAG regelt das Verhältnis der Polizei zu anderen Behörden. Hier gilt der Subsidiaritätsgrundsatz. Die Polizei darf ausschließlich im Eilfall tätig werden, demnach wenn die Gefahrenabwehr nicht schon durch eine andere Behörde sichergestellt ist. Die Zuständigkeit ergibt sich ferner, wenn Sicherheitsbehörden der Polizei Weisungen zum Eingreifen erteilen oder wenn aufgrund fehlender technischer Mittel oder Sachkunde einer Behörde das Eingreifen selbst nicht möglich ist. Hier handelt es sich um ein Problem, das sich im Laufe vieler Jahre entwickelt hat und gegen das ohne unmittelbaren Anlass  vorgegangen werden soll. Damit wäre in jedem Fall die Sicherheitsbehörde vorrangig zuständig gewesen. Zuständigkeitsfehler sind weder nach Art. 45 BayVwVfG heilbar, noch nach Art. 46 BayVwVfG, der lediglich auf die örtliche Zuständigkeit Bezug nimmt, unbeachtlich. Damit war der Polizeipräsident sachlich unzuständig, was zur formellen Rechtswidrigkeit führt.

Hilfsgutachten

b) Verfahren

Fraglich könnte sein, ob eine Anhörung i.S.d. Art. 28 I BayVwVfG notwendig ist. Da der Grund-VA eine Belastung für den Adressaten darstellt ist grundsätzlich eine Anhörung geboten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung enthält keine Regelung, weshalb sie kein VA i.S.d. § 35 BayVwVfG ist. Damit wäre Art. 28 I BayVwVfG nur analog anwendbar. Die sofortige Vollziehung ist jedoch in einem Bundesrecht, in § 80 VwGO geregelt. Hier erlässt jedoch eine Landesbehörde den VA. Diese müssen die Verfahrensvorschriften des jeweiligen Bundeslandes einhalten. Art. 30 GG regelt ausdrücklich die Trennung von Landes- und Bundesgesetzen. Das Landesrecht ist demnach ungeeignet Bundesrecht zu ergänzen. Hätte der Gesetzgeber eine solch formelle Regelung gewollt, hätte er sie in § 80 VwGO mitaufnehmen müssen. Eine Analogie scheidet folglich aus.

c) Form

Nach § 80 III VwGO bedarf die Anordnung einer schriftlichen Begründung der sofortigen Vollziehung. Laut Sachverhalt liegt eine ordnungsgemäße Begründung vor.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist materiell rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Aussetzungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Bei einem rechtswidrigen VA besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit, da die Behörde aufgrund Art. 20 III GG keine rechtswidrigen Maßnahmen ergreifen darf. Demnach ist in erster Linie die Rechtmäßigkeit des der sofortigen Vollziehung zugrundeliegenden Aufenthaltverbotes zu prüfen.

a) Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes

Das Aufenthaltsverbot müßte rechtmäßig ergangen sein.

aa.) Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für das Aufenthaltsverbot könnte vorliegend Art. 11 I, II Nr.1 PAG sein. Fraglich ist, ob die Ermächtigungsgrundlage verfassungsgemäß ist. Folglich muss zuerst geklärt werden, ob ein Rückgriff auf die Generalklausel möglich ist. Dies ist zum einen aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes problematisch. Ein Zurückgreifen auf die Generalklausel ist demzufolge gesperrt, wenn Standardmaßnahmen als Spezialregelungen einschlägig sind. Sollte der Platzverweis die Aufenthaltsbefugnis abschließend regeln, ist Art. 16 die speziellere Norm, die den Rückgriff auf Art. 11 PAG ausschließt. Das Aufenthaltsverbot ist in jedem Fall ein schwerwiegenderer Eingriff als der Platzverweis, da das Betreten eines Ortes über einen wesentlich längeren Zeitraum nicht gestattet ist. So stellt sich das Aufenthaltsverbot aber als ein Mehr im Verhältnis zum Platzverweis dar, was bedeuten würde, dass die Generalklausel höhere Voraussetzungen für die Befugnis beinhalten müsste als die Standardmaßnahme. Aus Sicht des Gesetzgebers würde diese Folgerung aber zu einem Wertungswiderspruch führen, da der weniger einschneidende Platzverweis ausdrücklich in einer Standardmaßnahme geregelt wurde, für das etwas weiterführende Aufenthaltsverbot dann aber keine Standardmaßnahme oder Spezialregelung vorgesehen wurde. Nach dieser Ansicht ist auch die Generalklausel keine taugliche Ermächtigungsgrundlage.

Die Generalklausel ist geschaffen worden um atypische Vorgehensweisen zu erfassen und ein polizeiliches Vorgehen zu ermöglichen. Etwas anderes ergibt sich aber wenn atypische Maßnahmen über einen längeren Zeitraum gleichermaßen vorgenommen werden und so zu typischen Maßnahmen werden. Dann ist ein Rückgriff auf die Generalklausel nur in der Übergangszeit, bis der Gesetzgeber zu der Problematik Stellung genommen hat, zulässig. Denn hier besteht für den Gesetzgeber die Pflicht eine rechtsstaatlich einwandfreie Spezialermächtigung zu schaffen. Die Problematik sozialer Brennpunkte, die durch Herumlungern spezieller Gruppierungen zur erhöhten Kriminalität führt, ist jedoch schon über Jahrzehnte bekannt. Der Gesetzgeber hätte also genügend Zeit gehabt auf diese Entwicklung zu reagieren. Er hat jedoch keine Spezialermächtigung geschaffen, wodurch der Rückgriff auf die Generalklausel nicht mehr gerechtfertigt ist.

Andererseits wurde die Generalklausel zur Regelung atypischer Maßnahmen geschaffen, die nicht von den Standardmaßnahmen erfasst werden. Findet sich keine Standardmaßnahme der die Handlungsbefugnis entnommen werden kann ist zu prüfen ob sich eine Befugnis aus Art. 11 ergibt. Gerade im Bereich der Gefahrenabwehr ist den Behörden ein möglichst weites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dies widerspricht auch nicht grundsätzlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, da auch weiter gefasste Generalklauseln überprüfbar, für den Bürger vorhersehbar und bestimmt sein können. Dies kann durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall sichergestellt werden.

Ferner spricht für die Anwendung der Generalklausel, dass die Standardmaßnahmen einen Teilbereich des Ordnungsrechts regeln und nur für diese spezielle Problematik abschließend sind. Der Platzverweis zielt auf eine möglichst schnelle, effektive Gefahrenabwehr, wohingegen ein Aufenthaltsverbot eine länger währende Situation, die zur Gefahrentstehung beiträgt entschärfen soll. Dadurch unterscheiden sich die beiden Regelungen in ihrem Anwendungsbereich bereits grundlegend. Deshalb ist ein Zurückgreifen auf die Generalklausel durchaus möglich.

Im Ergebnis ist gerade im Hinblick auf den letztgenannten Punkt ein Rückgriff auf die Generalklausel zweckmäßig und zulässig. Damit stellen sich aber einige Folgeprobleme.

(a) Eingriff in die Freizügigkeit nach Art. 11 GG

Streitig ist, ob Aufenthaltsverbote in die Freizügigkeit nach Art. 11 GG eingreifen. Freizügigkeit bedeutet die Freiheit an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Von Aufenthalt wird in der Regel nur gesprochen, wenn er von einer gewissen Dauer und nicht nur flüchtig ist. Einige fordern darüberhinaus auch eine Übernachtung oder sogar eine für den Aufenthalt besondere persönliche Relevanz. A hält sich mehrere Stunden täglich in den Grünanlagen des Bahnhofs auf. Die Szene bildet seinen Lebenskreis, da er nur dort unter Seinesgleichen ist und Geborgenheit unter seinen Freunden findet. Da A den Bahnhof nicht nur aufsucht um sich Drogen zu beschaffen oder dem Drogenhandel nachzugehen, ist das Verweilen nicht nur kurzfristig. Ob eine Übernachtung stattfindet kann nicht entscheidendes Kriterium sein. Hält sich jemand nahezu ganztägig an einem Ort auf, kann es nicht darauf ankommen ob er sich zum Schlafen einen anderen Platz sucht. Die hervorgehobene persönliche Bedeutung für A ist maßgebendes Kriterium. Der Schutzbereich des Art. 11 ist damit eröffnet.

Durch das mehrmonatige Aufenthaltsverbot müsste in den Schutzbereich eingegriffen worden sein. Eingriffe in die Freizügigkeit sind Behinderungen oder Beeinträchtigungen des freien Ziehens. Dies ist bei einem halbjährigen Verbot in jedem Fall zu bejahen.

(b) Gesetzgebungskompetenz

Hier stellt sich die Frage ob die Länder überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für Eingriffe in die Freizügigkeit haben. Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 70 GG bei den Ländern. Etwas anderes ergibt sich aber, wenn der Bund ausschließlich zur Gesetzgebung befugt ist. So ist in Art. 73 I Nr. 3 GG die Freizügigkeit als Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung genannt. Demnach könnte es dem Land untersagt sein durch Landesgesetze die Aufenthaltsbefugnis zu beschränken. Nach h. M. ist Regelungsgegenstand dieser Vorschrift jedoch nur die interterritoriale Freizügigkeit, sodass Bewegungen innerhalb des Bundesgebietes durch die Länder geregelt werden dürfen. Art. 73 I Nr. 3GG ist demnach enger auszulegen als Art. 11 GG. Vor allem liegt das Recht der Gefahrenabwehr bei den Ländern. Würde man davon ausgehen, dass die Regelung der Freizügigkeit allein dem Bund obliegt, würde man auch die Gefahrenabwehr dem Bund auferlegen. Das Ergreifen präventiver Gefahrenabwehrmaßnahmen nach allgemeinem Polizeirecht ist aber ausschließlich, schon aus  Praktikabilitätsgründen, Sache der Länder. Der Kriminalvorbehalt in Art. 11 Abs. 2 GG, worunter die Verhinderung strafbarer Handlungen fällt,  unterstützt diese Auffassung. Würde man eine ausschließliche Bundeskompetenz annehmen, so liefe der Gesetzesvorbehalt nach Art. 11 Abs. 2 GG weitgehend leer. Der Landesgesetzgeber ist somit befugt, gefahrenabwehrrechtliche Regelungen zu treffen, wenn diese in Art. 11 GG eingreifen.

(c) Wahrung des Zitiergebots

Für Eingriffe in Art. 11 GG gilt das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG. Das förmliche Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt muss Art. 19 I 2 GG ausdrücklich darauf hinweisen, dass das betreffende Grundrecht eingeschränkt wird. Andernfalls führt dies zur Nichtigkeit des einschränkenden Gesetzes.  Dem Wortlaut des Art. 11 PAG ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Freizügigkeit eingeschränkt werden kann. Sinn und Zweck des Gebots ist, dass die Eingriffe überschaubar bleiben und dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers entsprechen. Das Zitiergebot ist aber restriktiv auszulegen, da es nur sicherstellen soll, dass keine neuen, dem Recht fremde Eingriffsmöglichkeiten geschaffen werden.  Wird nur eine herkömmliche Einschränkung wiederholt ist es nicht erforderlich das eingeschränkte Grundrecht zu nennen. Damit ist die Generalklausel nicht verfassungswidrig.

(d) Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Ermächtigung

Nach der Wesentlichkeitstheorie müssen im Bereich der untergesetzlichen Normsetzung wesentliche Entscheidungen durch das Parlament selbst getroffen werden. Dies soll dem Zweck dienen einen Ausgleich zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zu schaffen. Nach dem Demokratieprinzip müssen aufgrund des Totalvorbehalts alle Entscheidungen durch das Parlament, das vom Volk legitimiert wurde, getroffen werden. Der Grundsatz der Gewaltenteilung geht hingegen davon aus, dass laufende Entscheidungen von der Exekutive getroffen werden. Ein Ausgleich ist demnach, dass zumindest wesentliche Handlungen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Wesentlich sind immer Eingriffe in Grundrechte. Bei einem mehrmonatigen Aufenthaltsverbot handelt es sich um einen nicht unerheblichen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 11 GG. Eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist aber nur dann erforderlich wenn es sich um eine einheitliche Problematik handelt und damit eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. Das Aufenthaltsverbot ist aber eine typische Problematik des Gefahrenabwehrrechts. Die Generalklausel ist für die vielen, unüberschaubaren Einzelfälle die effektivste Lösung. Auch wird immer nur im Einzelfall entschieden, sodass eine pauschale Regelung schon nicht als geeignet erscheint. Damit genügt die Generalklausel für derartige Eingriffe.

bb) Formelle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes

Der Polizeipräsident war wie bereits oben erläutert, gem. § 3 BayVwVfG örtlich zuständig. Allerdings fehlt es auch für den Erlass des GrundVA an der sachlichen Zuständigkeit, da die Behörden vorrangig tätig werden müssen, so Art. 3 PAG. Das Aufenthaltsverbot ist damit formell rechtswidrig.

– Hilfsgutachten-

Da A die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme  nicht wahrnahm, wurde das Anhörungserfordernis des Art. 28 BayVwVfG insoweit erfüllt. Vom Vorliegen der übrigen Verfahrensvoraussetzungen ist auszugehen.

cc) Materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes

Hierzu müssten die Voraussetzungen des Art. 11 PAG vorliegen. A müsste richtiger Adressat der Maßnahme sein und die Verfügung müsste verhältnismäßig sein.

Nach Art. 11 II Nr. 3 PAG kann die Polizei Maßnahmen treffen um Gefahren abzuwehren oder Zustände zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person bedrohen oder verletzen. Die Verfügung müsste ferner im öffentlichen Interesse liegen.

(a) Gefahr

Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage vorliegt, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden eintreten wird. Die grundlegende Problematik ist die, dass durch die sich ausbreitende Drogenszene immer mehr Konfliktquellen entstehen. Es kommt vermehrt zu Übergriffen auf Passanten, Kinder werden durch herumliegende Spritzen verletzt, die Zahl der Diebstähle hat zugenommen und nicht zuletzt stiegen die aggressive Bettelei und Straßenprostitution. Man kann damit von einer permanenten Gefahrenlage für Passanten sprechen. Die Szene an sich ist durch den aktiven Drogenhandel bereits eine Gefahr. Es ist jederzeit zu befürchten, dass erneut gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen wird, sei es durch Konsum oder Verkauf der Drogen. Schließlich sind Passanten gefährdet, die den Bahnhof nutzen wollen. Passanten laufen ständig Gefahr durch herumlungernde Drogenabhängige und Bettler belästigt zu werden und im schlimmsten Fall sogar Überfallen zu werden. Herumliegende Spritzen gefährden die Gesundheit der Kinder, die sich mit Krankheiten infizieren können. Ortsansässige Unternehmen müssen mit Vermögenseinbußen rechnen, da Bürger den Bahnhofsbereich aufgrund der Gefahren meiden. Nicht zuletzt kommt es immer wieder zu Überfällen auf Geschäfte. Es handelt sich jedenfalls um eine Gefahr i.S.d. Art. 11 II Nr. 3 PAG.

(b) Verantwortlichkeit

A müsste Verantwortlicher i.S.d. Art. 7, 8 oder 10 PAG sein. In Frage käme eine Verhaltensverantwortlichkeit nach Art. 7. Nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung ist Verhaltensstörer, wer die unmittelbar letzte Ursache für die Schadensentstehung gesetzt hat. A verbringt mehrere Stunden am Bahnhofsgelände und ist bereits zweimal wegen Drogenhandel verurteilt worden. Es wurden wiederholt Platzverweise erteilt, die ihn aber nicht zur Änderung seines Verhaltens veranlassten. Gerade da er wegen gewerbsmäßigem Drogenhandel verurteilt wurde, bei seiner letzten Festnahme Heroin bei sich hatte und sich keine Verhaltensänderung durch die Platzverweise einstellt, ist er eine potentielle Gefahr für die Rechtsordnung.  Es ist davon auszugehen, dass A wieder straffällig werden wird. Allein danach wäre ein Eingriff in Art. 11 II GG schon gerechtfertigt. Natürlich trägt A auch zur Verschärfung der Situation insgesamt bei. Damit ist er Verhaltensstörer i.S.d. Art. 7 PAG.

(c) Bestimmtheit

Fraglich ist, ob das Aufenthaltsverbot hinreichend bestimmt ist i.S.d. § 37 I BayVwVfG. Es wäre auf jeden Fall zu allgemein ein Verbot aufzuerlegen sich im Bahnhofsbereich nicht mehr aufhalten zu dürfen. Denn es ist für den Adressaten nicht ausreichend deutlich, wohin er nun darf und welche Orte er meiden muss. Der Polizeipräsident hat der Verfügung jedoch einen Stadtplan beigefügt, der die genauen Grenzen markiert. Daraus ist eindeutig ersichtlich, welche Bereiche A nicht betreten darf. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob A diese Gebiete nicht eventuell kurzzeitig durchqueren darf. Es ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Bereiche gänzlich gemieden werden müssen, zumal keine Ausnahmen oder andere Regelungen dem Schreiben beigefügt waren. Daher genügt die Verfügung dem Bestimmtheitsgebot.

(d) Verhältnismäßigkeit

Das Aufenthaltsverbot müsste dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 4 PAG entsprechen. Dann müsste die Maßnahme ein legitimes Ziel verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein. Das Verbot die betroffenen Bereiche zu betreten verfolgt das Ziel die potentielle Gefahr die A darstellt zu unterbinden. Damit liegt ein legitimes Ziel vor. Geeignet ist die Maßnahme, wenn sie tauglich ist, den verfolgten Zweck zu erreichen. Natürlich ist nicht sicher, ob das Verbot hilft, die Gefahr endgültig zu beseitigen. Aber es trägt zur vorübergehenden Entschärfung des Problems bei. Der Zugang zu Drogen und Handel mit Drogen wird in jedem Fall erschwert. Von der Geeignetheit ist damit auszugehen. Das Aufenthaltsverbot müsste ferner erforderlich sein. Unter mehreren gleich geeigneten müsste es das relativ mildeste Mittel zur Zweckerreichung sein. Mildere Mittel wären vorliegend Personenkontrollen oder kurzfristige Platzverweise. Jedoch hat die Vergangenheit gezeigt, dass durch kurzfristige Platzverweise nichts bewirkt werden konnte. Reine Personenkontrollen können am Verhalten des A nichts ändern. Insbesondere ist das Übermaßverbot zu berücksichtigen. Das sechsmonatige Aufenthaltsverbot könnte zeitlich zu lange bemessen sein. Wie schon versucht sind Platzverweise keine geeignete Methode gegen den Aufenthalt im Park vorzugehen. Um die Drogenszene nachhaltig in den Griff zu kriegen, ist ein etwas längeres Aufenthaltsverbot von 6 Monaten sicherlich noch vertretbar.

Schließlich müsste die Maßnahme auch angemessen sein. Dann dürfte sie zum angestrebten Ziel nicht außer Verhältnis stehen. Es scheint notwendig aktiv gegen die offene Drogenszene vorzugehen, da andernfalls die Situation zu eskalieren droht. Gerade im Bereich des Bahnhofs kann es zu einer weiteren Verfestigung und Ausweitung der Drogenszene kommen. Es können durch die offenen, unproblematisch zugänglichen Gegenden immer mehr Menschen in den Drogensumpf geraten. Das Bild des Bahnhofs wird sich nachhaltig ändern, da normale Passanten diese Gegend aufgrund der Kriminalität und der sittlichen Verwerflichkeit des dortigen Handels meiden werden. Deswegen ist es unbedingt nötig, die gewohnten Plätze der Dealer aufzulösen und den Konsumenten die Drogenbeschaffung zu erschweren.

In dem Aufenthaltsverbot sind jedoch keinerlei Befreiungen vorgesehen in der Form, dass A unter bestimmten Umständen die Bereiche betreten darf. Der Polizeipräsident räumt aber ausdrücklich die Möglichkeit ein bei Glaubhaftmachung eines bestimmten Grundes eine entsprechende Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Dies müsste eventuell noch schriftlich in die Maßnahme mitaufgenommen werden. Auch das Argument, dass A nur am Bahnhof in seinem Freundeskreis Geborgenheit finden kann ist nicht zu berücksichtigen. A kann seine Freunde in der gesamten Stadt treffen, nur eben nicht am Bahnhof. Der Zugang zum Bahnhof ist A nicht mehr möglich, was eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung darstellen kann. A kann aber von seinem Stadtteil aus die Zugverbindungen nutzen, sodass er auch in dieser Hinsicht nicht benachteiligt wird. Im Ergebnis ist das Aufenthaltsverbot auch angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig.

 

b) Interessenabwägung

Da das Aufenthaltsverbot rechtmäßig war muß eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Das öffentliche Interesse oder das Interesse eines Dritten an der Anordnung des sofortigen Vollzugs muß hinter dem privaten Aussetzungsinteresse des Einzelnen, hier A, zurückstehen. Hier überwiegt das Vollzugsinteresse, da es für den A keine unzumutbare Beeinträchtigung darstellt für einige Zeit vom Bahnhof fernbleiben zu müssen. Das Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände, insbesondere die Eindämmung der Drogenszene und der steigenden Kriminalität ist höher zu bewerten als das Interesse des A sich am Bahnhof aufhalten zu können. Gerade das schnelle und gezielte Eingreifen der Beamten darf nicht unnötig erschwert werden. Damit überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug auch das Aussetzungsinteresse des A.

4. Ergebnis

Somit ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unbegründet.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Langfristiges Aufenthaltsverbot auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur beiderseitige Unmöglichkeit

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Ausgangsfall

A und B schließen einen Kaufvertrag über einen gebrauchten PKW. Bei A und B handelt es sich um Privatpersonen. Der Kaufpreis soll 3.000 Euro betragen (Marktwert 2.500 Euro). Die Haftung für Mängel wird im Kaufvertrag ausgeschlossen. B überlässt dem A das Fahrzeug, behält sich aber das Eigentum am PKW bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung durch A  vor. Als A das erste mal mit dem PKW auf der Straße fährt, kommt es zu einem Unfall mit einem Totalschaden und der PKW brennt komplett aus, so dass von dem Fahrzeug nichts mehr übrig bleibt. Ursächlich für den Verkehrsunfall waren die abgefahrenen Reifen des Fahrzeugs. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Verantwortlichkeit für den Unfall beide Parteien des Kaufvertrages trifft. Gehen Sie davon aus, dass den B eine Verantwortung in Höhe von 60% trifft, weil dieser den A unter Missachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht darauf aufmerksam machte, dass die Reifen abgefahren waren. Arglist ist ihm jedoch nicht vorzuwerfen. Gehen Sie weiterhin davon aus, dass den A eine Verantwortung in Höhe von 40 % trifft, weil dieser das Fahrzeug vor dem Beginn der Fahrt nicht auf seine Verkehrssicherheit hin geprüft hat. Dies ist allerdings üblich für A.

B verlangt von A die Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 3.000 Euro. A hingegen weigert sich und tritt vom Vertrag zurück mit der Begründung, der B könne ihm nun nicht mehr Eigentum an dem Fahrzeug verschaffen.

Wie ist die Rechtslage?

 

Abwandlung

Nehmen Sie an, der objektive Wert des Fahrzeugs würde 3.000 Euro betragen, der Verkaufspreis hingegen nur 2.500 Euro. A weigert sich erneut den Kaufpreis zu zahlen, allerdings ohne vom Vertrag zurückzutreten. Er verlangt vielmehr von B Schadensersatz, weil ihm ein super Geschäft durch die Lappen gegangen sei.

Wie ist die Rechtslage?

 

Lösung- Ausgangsfall

A) Anspruch des B gegen A auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 3.000 Euro aus § 433 II BGB

Möglicherweise hat B gegen A einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 3.000 Euro aus § 433 II BGB.

I) Entstehen des Anspruchs

Hierfür müsste der Anspruch zunächst einmal entstanden sein. Hierfür ist zunächst Voraussetzung, dass A und B einen wirksamen Kaufvertrag geschlossen haben. Dies kann hier unproblematisch bejaht werden. A und B schlossen einen Kaufvertrag über das gebrauchte Fahrzeug zu einem Preis von 3.000 Euro. Damit ist der Anspruch des B gegen A auf Zahlung von 3.000 Euro zunächst wirksam entstanden

II) Untergang des Anspruches

Möglicherweise ist der zunächst entstandene Anspruch aber wieder untergegangen.

1) Untergang durch wirksamen Rücktritt durch A gemäß §§ 326 V, 346 BGB

Dies könnte gemäß §§ 326 V, 346 BGB der Fall sein, wenn der A wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten wäre.

a) Rücktrittsgrund- Unmöglichkeit der Primärleistung oder Unmöglichkeit der Nacherfüllung?

Der Rücktrittsgrund könnte sich aus §§ 326 V, 275 oder aus §§326 V, 437,439, 275 ergeben. Nach §§ 326 V Hs.1, 275 wäre der A dann zum Rücktritt berechtigt, wenn der A seinerseits gemäß den §§ 275 I-III von seiner Leistungspflicht frei geworden wäre. Nach §§ 326 V, 437,439, 275 wäre der A dann zum Rücktritt berechtigt, wenn dem B die Nacherfüllung unmöglich gewesen wäre. Hier wurde dem A nicht vollständig das Eigentum an dem PKW verschafft. Die Übereignung durch B an A stand vielmehr unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung. Umstritten ist an dieser Stelle ob die fehlende Eigentumsverschaffung durch B an A einen Rechtsmangel darstellt, oder ob allgemeines Leistungsstörungsrecht Anwendung findet, weil die ursprüngliche Leistung durch B an A noch aussteht. Eine Minderansicht in der Literatur geht davon aus, dass die fehlende Eigentumsverschaffung einen Rechtsmangel im Sinne des § 435 BGB darstellt. Dies könnte man zwar auf den Wortlaut von § 435 stützen, der Rechte Dritter eindeutig als Rechtsmangel benennt.

Mit der herrschenden Lehre wird in diesem Fall aber davon ausgegangen, dass die fehlende Verschaffung des vollumfänglichen Eigentums durch B ein Fall der Nichtleistung ist und kein Fall der Schlechtleistung. Der B ist seiner Pflicht zur vollständigen Eigentumsverschaffung noch gar nicht und nicht etwa schlecht nachgekommen. Daher ist hierin kein Rechtsmangel zu sehen. Damit kommt als Rücktrittsgrund nicht etwa die Unmöglichkeit einer etwa zu erbringenden Nacherfüllung in Betracht, sonder als Rücktrittsgrund kommt für A vielmehr §§ 326 V, 275 direkt in Betracht, da es dem B aufgrund des Untergangs des Autos nunmehr unmöglich wurde seiner Primärpflicht auf Eigentumsverschaffung überhaupt nachzukommen. Rücktrittsgrund ist daher wenn überhaupt §§ 236 V, 275 und nicht §§ 326 V, 437,439,275. Die Verletzung der Hauptleistungspflicht kann in soweit nach hier vertretener Ansicht nicht zugleich einen Rechtsmangel der Sache darstellen.

b) Voraussetzungen von §§326 V, 275 BGB

Ein Rücktritt nach §§ 326V, 275 würde aber voraussetzen, dass der B nicht schon erfüllt hat (§ 362 BGB). B hätte dem A um den Kaufvertrag zu erfüllen, Eigentum an dem Fahrzeug verschaffen müssen. Im vorliegenden Fall hat B dem A allerdings noch nicht das vollständige das Eigentum an dem Fahrzeug verschafft. Vielmehr stand seine dingliche Einigung laut Sachverhalt unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung (§§ 929 S.1, 158 I). Auf Grund der Tatsache, dass diese Bedingung noch nicht eingetreten ist, steht die Erfüllung durch B noch aus.

Da es sich bei dem Fahrzeug um einen gebrauchten PKW handelte, ist nun dem B die vollständige Eigentumsübertragung an A vollständig unmöglich geworden, da es sich bei dem PKW um eine Stückschuld handelt. Die Primärleistung ist dem B daher gemäß § 275 I BGB unmöglich geworden. Daher ist der A gemäß § 326 V BGB zum Rücktritt berechtigt gewesen.

c) Rücktrittserklärung

Diesen Rücktritt hat A auch erklärt. Grundsätzlich wäre der Anspruch des B gegen A daher nach §§ 326 V, 346 BGB erloschen.

d) Kein Ausschluss des Rücktritts

Fraglich ist nun aber, wie es sich auf den Anspruch auswirkt, dass auch der A einen nicht unerheblichen Verschuldensanteil an dem Unfall und damit am Untergang des PKW trifft.

aa) Grundsätzlich verschuldensunabhängiges Rücktrittsrecht im Rahmen von § 326 V BGB

Dem Wortlaut des § 326 V BGB zufolge besteht das Rücktrittsrecht des A unabhängig von einem etwaigen Verschuldensanteil des A an der Leistungsstörung. Dem Wortlaut des § 326 V BGB zufolge beeinträchtigt das Verschulden seinerseits daher sein Rücktrittsrecht nicht.

bb) Eventuell Ausschluss des Rücktrittsrechts aber nach § 323 VI BGB

Möglicherweise ist aber das Rücktrittsrecht des A durch § 323 VI BGB ausgeschlossen. Gemäß § 326 V Hs.1 BGB findet der § 323 BGB auch im vorliegenden Fall Anwendung, nur eben mit der Maßgabe, dass die Fristsetzung entbehrlich ist. Der § 323 enthält aber in seinem Abs. VI Alt. 1 eine Ausschlussregelung für den Rücktritt. Diese Ausschlussregelung ist durch den Verweis des § 326 V auf § 323 mit erfasst.

Gemäß dieser Ausschlussregelung des § 323 VI BGB wäre der Rücktritt des Gläubigers dann ausgeschlossen, wenn dieser allein oder weit überwiegend für den Umstand verantwortlich ist, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde. Alleinige oder weit überwiegende Verantwortlichkeit wird man jedoch bei einem Verschuldensanteil von lediglich 40 % nicht annehmen können. Hierfür müsste der Verschuldensanteil des Schuldners, also des B nämlich vollständig hinter dem Verschuldensanteil des A zurücktreten. Hier liegt aber vielmehr ein solcher Fall nicht vor. Es handelt sich vielmehr um einen Fall der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit. Diese hat der Gesetzgeber jedoch mit dem § 323 VI nicht geregelt. § 323 VI betrifft vielmehr ausschließlich den Fall einer Unmöglichkeit, die im Wesentlichen oder allein durch den Gläubiger zu vertreten ist. Dies lässt sich auch aus der Gesetzesgeschichte heraus belegen. Der § 323 VI BGB enthielt zunächst nur den Wortlaut „ überwiegend verantwortlich“ und wurde dann aber vom Gesetzgeber nach dem Diskussionsentwurf der Vorschrift in „weit überwiegend verantwortlich“ geändert. Das zeigt, dass der Gesetzgeber wohl wirklich nur derartige Fälle im Auge hatte, in welchen den Gläubiger ein deutliches Mehr an Verantwortung trifft als den Schuldner.

Der Rücktritt des A ist daher nicht ausgeschlossen. A ist daher wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten. Der Anspruch des B gegen A auf Zahlung der 3.000 Euro ist demzufolge nach §§ 326 V,346 BGB untergegangen, weil sich der Kaufvertrag durch den Rücktritt des A in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat. Der Kaufvertrag kann daher nicht mehr Grundlage des Kaufpreisanspruches des B gegen A sein. Der Käufer wird vielmehr von einer noch nicht erbrachten Leistungspflicht befreit.

III) Ergebnis

Ein Anspruch des B gegen A aus § 433 II BGB besteht daher nicht.

Hinweis:

Zu dem gleichen Ergebnis würden Sie gelangen, wenn der A den Rücktritt vom Kaufvertrag nicht erklärt hätte, denn dann wäre die Gegenleistung bereits nach § 326 I BGB entfallen. Sie können auch bereits oben den Anspruchsuntergang über § 326 I BGB prüfen und die Diskussion im Rahmen von § 326 II S. 1 führen und nicht im Rahmen von § 326 VI. Den wirksamen Rücktritt seitens A können Sie dann auch erst im Rahmen der Folgeansprüche prüfen.

Das oben dargestellte Ergebnis heißt nun keinesfalls, dass gar keine Ansprüche der Parteien bestehen. Der Kaufvertrag wandelt sich lediglich in ein Rückgewährschuldverhältnis um, weshalb im Folgenden sowohl Wertersatzansprüche, als auch Schadensersatzansprüche des B gegen A zu prüfen sind.

B) Anspruch des B gegen A auf Wertersatz wegen Untergang des PKW aus §§ 326 V, 346 II S.1 Nr.3

Möglicherweise hat B gegen A einen Anspruch auf Wertersatz wegen des Untergegangenen Fahrzeuges aus §§ 326 V, 346 II S.1 Nr.3, weil der A dem PKW nicht mehr an B herausgeben kann.

I) Wertersatzansprüche eventuell nicht neben Schadensersatzanspruch möglich?

Eventuell ist ein Wertersatzanspruch gar nicht möglich, weil nebenbei noch ein Schadensersatzanspruch bestehen könnte. Es ist jedoch vielmehr so, dass Wertersatzanspruch und Schadensersatzanspruch nebeneinander bestehen können. Das Geht schon aus § 325 BGB hervor, der ein Nebeneinander von Schadensersatz und Rücktritt zum Ausdruck bringt. Zudem folgt dies aus einem Vergleich mit § 357 IV BGB. Dieser Vergleich zeigt, dass der Gesetzgeber eindeutig aufzeigt, wenn weitere Ansprüche nicht bestehen sollen.

II) Entstehen des Wertersatzanspruchs

Der Wertersatzanspruch ist folglich nicht schon allein deshalb ausgeschlossen, weil evtl. noch ein Schadensersatzanspruch des B besteht. Fraglich ist aber, ob der Wertersatzanspruch entstanden ist. Gemäß § 346 II S. 2 Nr. 3 entsteht ein solcher dann, wenn sich der empfangene Gegenstand verschlechtert hat oder untergegangen ist. Der von A gekaufte PKW ist laut Sachverhalt vollständig ausgebrannt, sodass von ihm nichts mehr übrig ist. Damit ist der Anspruch zunächst entstanden. Der Vertragsgegenstand ist untergegangen.

III) Ausschluss des Wertersatzanspruchs

Möglicherweise ist der Wertersatzanspruch aber ausgeschlossen.

1) Ausschluss gemäß § 346 II S.1 Nr.3 HS. 2

Allerdings ist kein Ausschlussgrund des § 346 II einschlägig, insbesondere nicht der § 346 II S.1 Nr. 3 HS 2 BGB, weil dieser im Bereich des vollständigen Untergangs nicht anzuwenden ist, sondern nur bei einer Verschlechterung des Gegenstandes. Eine solche ist hier aber nicht gegeben. Erwähnenswert ist noch, dass der Wertersatz damit unabhängig vom Verschulden des B entstanden ist.

2) Ausschluss gemäß § 346 III

Eventuell ist der Wertersatzanspruch aber nach § 346 III BGB ausgeschlossen.

a) Ausschluss nach § 346 III S.1 Nr.2

Zunächst kommt ein Ausschluss der Wertersatzpflicht nach § 346 III S.1 Nr. 2 in Betracht. Ein solcher ist nach dieser Vorschrift anzunehmen, wenn der Gläubiger des Wertersatzes die Wertersatzpflicht zu vertreten hätte. Allerdings haben im vorliegenden Beispielsfall sowohl A, als auch B die Wertersatzpflicht zu vertreten. Fraglich ist die Lösung dieser Problematik:

 aa) Lösungsweg 1

Zunächst könnte man schon dann die Wertersatzpflicht entfallen lassen, wenn den Gläubiger der Wertersatzpflicht (also den Verkäufer) auch ein noch so geringer Verschuldensanteil trifft. Diesem bliebe dann allerhöchstens ein Schadensersatzanspruch. Hierbei kann das Mitverschulden über § 254 BGB berücksichtigt werden. Der § 254 BGB findet auf Schadensersatzansprüche ja direkte Anwendung.

bb) Lösungsweg 2

Man könnte allerdings auch annehmen, dass der Wertersatzanspruch bei einem Verschuldensanteil des Gläubigers nicht vollkommen entfällt, sondern nur in Höhe seines Mitverschuldens.  Insofern wird vertreten den § 254 BGB entsprechend anzuwenden.

cc) Streitentscheid

Nach hier vertretener Ansicht ist dem 2. Lösungsweg zu folgen. Zwar bedarf eine analoge Anwendung des § 254 einer besonderen Begründung, da dieser ausdrücklich eigentlich nur auf Schadensersatzansprüche anwendbar ist, allerdings kann diese Norm insofern als Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben angesehen werden. Eine Person, die vollen Wertersatz trotz eigenem Mitverschulden verlangt, verstößt nach hier vertretener Ansicht nach gegen das Verbot des „venire contra factum proprium“. Daher sollte § 254 BGB auch auf den Wertersatzanspruch angewendet werden.

b) Zwischenergebnis

Die Wertersatzpflicht entfällt nicht schon generell nach § 346 III S.1 Nr. 2.

c) Ausschluss nach § 346 III S.1 Nr. 3

Eventuell entfällt aber die Wertersatzpflicht nach § 346 III S.1 Nr. 3. Hiernach wäre die Wertersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Rückgewährschuldner, also der A, diejenige Sorgfalt angewendet hat, die er auch in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt und es sich um ein gesetzliches Rücktrittsrecht handelt. Dies ist deshalb so geregelt, da der Wertersatzschuldner im Falle eines gesetzlichen Rücktrittsrechts mit einem solchen Rücktritt nicht rechnen muss. Laut Sachverhalt war es für den A typisch das Fahrzeug vor Fahrtantritt nicht auf seine Verkehrssicherheit zu prüfen. Es ist nicht anzunehmen, dass der A damit grob fahrlässig handelte und damit die obere Grenze der diligentia quam in suis überschritten ist (§ 277 BGB). § 326 V stellt auch ein gesetzliches Rücktrittsrecht dar.

III) Ergebnis

Die Wertersatzpflicht ist folglich im vorliegenden Fall zwar nicht generell nach § 346 III S.1 Nr.2 ausgeschlossen, aber nach § 346 III S.1 Nr. 3. Dem B bleibt daher lediglich ein Schadensersatzanspruch.

Hinweis zur Höhe des Wertersatzanspruchs

Fraglich ist, in welcher Höhe der Wertersatzanspruch bestehtehen würde, wenn er nicht ausgeschlossen wäre. In der Klausur können sie diesen Prüfungspunkt auch vor dem Ausschluss der Wertersatzpflicht prüfen um ihn mit abzuhandeln. Die vertraglich vereinbarte Gegenleistung fließt gemäß § 346 II S.2 HS 2 in die Berechnung des Wertersatzanspruches mit ein. Diese Regelung macht Sinn, wenn die Gegenleistung die vereinbart wurde unter dem Wert des Vertragsgegenstandes liegt oder diesem Wert entspricht, denn dann soll der Verkäufer nicht mehr im Rahmen des Wertersatzes erhalten, als er eigentlich bezahlt hätte. Nun ist aber fraglich, ob die Norm auch dann Anwendung finden soll, wenn die vereinbarte Gegenleistung über dem eigentlichen Wert des Vertragsgegenstandes liegt. Auf diesem Wege könnte dann ein Verkäufer, der eigentlich zuvor seinen Erfüllungsanspruch verloren hat über den Wertersatzanspruch seinen Verhandlungsgewinn erhalten. Allerdings differenziert der Gesetzgeber nicht danach, ob die vereinbarte Gegenleistung unter oder über dem Wert des Vertragsgegenstandes liegt. Der Gesetzgeber billigt ausschließlich bei Darlehen dem Schuldner zu, nachzuweisen, dass der Wert der Gegenleistung objektiv betrachtet geringer ist, als von den Parteien vereinbart (§346 II S.2 Hs2). Der Gesetzgeber bringt damit zum Ausdruck, dass die Vertragsparteien generell an ihre Preisabsprache gebunden werden sollen. Die Rückabwicklung soll das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nach der Intention des Gesetzgebers nicht beeinflussen (keine Äquivalenzverschiebung). Dies ergibt sich auch aus dem Minderungsrecht. Folglich ist § 346 II S. 2 auch dann maßgeblich, wenn der objektive Wert dem vereinbarten Kaufpreis unterliegt. Demnach würde der Wertersatz, wenn er bestünde 3000 Euro betragen.

C) Anspruch des B gegen A auf Schadensersatz aus §§ 326 V,346 IV,280 II,III,283 BGB

Möglicherweise hat der B gegen den A aber einen Schadensersatzanspruch nach §§ 326 V, 346 IV,280 I, III, 283 BGB. Nach § 346 IV gelten im Rahmen des Rücktritts die allgemeinen Regeln, sodass die Voraussetzungen von § 280 zu prüfen sind.

I) Schuldverhältnis

Ein Schuldverhältnis ist in Form des Rückgewährschuldverhältnisses zu sehen.

II) Pflichtverletzung

Die Pflichtverletzung ist darin zu sehen, dass die Unmöglichkeit der Rückgewähr des Vertragsgegenstandes durch den Unfall mit dem Totalschaden herbeigeführt wurde.

III) Vertretenmüssen

Fraglich ist allerdings, ob A diese Pflichtverletzung zu vertreten hat. A hat die Unmöglichkeit mit zu vertreten, die letztlich die Rücktrittsmöglichkeit auslöste und könnte daher auch die Unmöglichkeit der Rückgewähr zu vertreten haben. Das ist allerdings insoweit ein merkwürdiges Ergebnis, als im Zeitpunkt des Untergangs des Fahrzeuges noch gar kein Rückgewährschuldverhältnis bestand, das Grundlage für eine Pflichtverletzung hätte sein können. Vor der Erklärung des Rücktritts war der A noch gar nicht zur Rückgewähr verpflichtet. Eine Haftung wegen einer Pflichtverletzung des Rückgewährschuldverhältnisses kommt daher erst dann in Betracht, wenn der Rückgewährschuldner weiß oder zumindest wissen muss, dass die Rücktrittsvoraussetzungen gegeben sind. Daher hat der A die Pflichtverletzung nicht zu verschulden.

IV) Ergebnis

Ein Anspruch aus §§ 326 V, 346 IV, 280 I, III, 283 BGB scheidet aus.

D) Anspruch des B gegen A auf Schadensersatz aus §§ 326 V,346 IV,280 I,241 II BGB

Weiterhin kommt ein Schadensersatzanspruch des B gegen A aus §§ 326 V,346 IV, 280 I, 241 II in Betracht.

I) Schuldverhältnis

Das Rückgewährschuldverhältnis ist ein Schuldverhältnis im Sinne von § 280 I BGB.

II) Schuldhafte Pflichtverletzung

A müsste weiterhin eine Pflicht nach § 241 II verletzt haben. Hier ist zu erwähnen, dass den A schon vor der Erklärung des Rücktritts Schutzpflichten gegenüber dem Verkäufer treffen. Dies aber nur aus dem Grund, dass zwischen den Parteien ein Eigentumsvorbehalt vereinbart wurde. Insofern trifft den A die Pflicht mit dem Eigentum des B die ganze Zeit über sorgfältig umzugehen. Das Schuldverhältnis verpflichtet A insofern dazu Rücksicht auf die Rechtsgüter und Interessen des B zu nehmen. Eine solche Pflicht hat der A schuldhaft verletzt, indem er schuldhaft die Unmöglichkeit mit herbeiführte, denn diese Unmöglichkeit führte zu einem Wegfall des Kaufpreisanspruchs und des Eigentums seitens B (es war ja ein Eigentumsvorbehalt vereinbart). Eine schuldhafte Pflichtverletzung ist demnach gegeben. Anders als im Rahmen von § 280 I,III, 283 BGB ist diese Pflichtverletzung auch schon vor der Erklärung des Rücktritts relevant. Die Pflicht mit dem Eigentum des B sorgfältig umzugehen trifft den A insoweit auch schon vor der Erklärung des Rücktritts.

III) Anrechnung des Mitverschuldens

Im Rahmen des Anspruchsumfangs ist allerdings zu beachten, dass sich der B sein Mitverschulden über § 254 BGB anrechnen lassen muss. A muss daher nur 40 % des Schadens ersetzen. Da nicht nur das Integritätsinteresse, sondern auch das Äquivalenzinteresse des B von § 241 geschützt ist, muss der A 40 % des Kaufpreises, also von 3000 Euro zahlen und nicht lediglich 40 % des objektiven Wertes.

IV) Ausschluss des Anspruchs analog § 346 III S.1 Nr. 3

Fraglich ist, ob der Anspruch auf Schadensersatz nicht möglicherweise analog § 346 III S.1 Nr.3 ausgeschlossen ist, weil A ja die eigenübliche Sorgfalt beachtet hat (s.o.).

1) Dafür

Dafür könnte sprechen, dass das Entfallen der Wertersatzpflicht für den A im Prinzip bedeutungslos wäre, wenn dieser nun doch Schadensersatz leisten müsste. Die oben erwähnte Haftungsfreistellung würde insofern wieder umgangen.

2) Dagegen

Jedoch gibt es auch Argumente die gegen eine Analogie sprechen. Dem Wortlaut des § 346 zufolge gilt der Ausschlussgrund ausschließlich für die Wertersatzpflicht des A. Schadensersatzansprüche bleiben hiernach völlig unberührt. § 346 IV verweist auf die §§ 280 ff. ohne eine derartige Privilegierung der Haftung noch einmal aufzugreifen. In der Gesetzesbegründung steht außerdem, dass für die Schadensersatzansprüche ausschließlich die Vorschriften des allgemeinen Leitungsstörungsrechts maßgeblich sind.

3) Streitentscheidung

Insbesondere spricht für letztgenannte Ansicht, dass die Vorschrift des § 346 III S.1 Nr. 3 ohnehin relativ umstritten ist und daher nicht noch ausgedehnt werden sollte. Der Wortlaut der Norm, die Gesetzessystematik und die gesetzgeberischen Motive sprechen ebenso für diese Ansicht. Nach hier vertretener Auffassung fehlt es insbesondere an einer Regelungslücke, die für eine Analogie aber notwendig wäre.

VI) Ergebnis

Ein Schadensersatzanspruch des B gegen A besteht demnach in Höhe von 2.100 Euro.

 E) Gesamtergebnis Ausgangsfall

Aufgrund der Tatsache, dass der Vertragsgegenstand untergegangen ist, hat der A keinen Anspruch auf Übereignung des Fahrzeuges. Den Kaufpreis muss er aber im Gegenzug auch nicht entrichten. Er muss lediglich dem B einen Schadensersatz leisten, der in Höhe von 2100 Euro besteht.

 

Lösung Abwandlung:

A) Anspruch des B gegen A auf Zahlung von 2.500 Euro aus § 433 II BGB

Möglicherweise hat B gegen A zunächst einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 2.500 Euro aus § 433 II BGB.

I) Anspruch entstanden

Hierfür müsste der Anspruch erst einmal entstanden sein. Das ist eindeutig der Fall, da A und B einen Kaufvertrag geschlossen haben.

II) Anspruch nicht untergegangen

Möglicherweise ist dieser Anspruch aber untergegangen.

1) Erlöschen wegen Rücktritt nach § 326 V

Im Ausgangsfall ist der Anspruch aufgrund eines wirksamen Rücktritts durch A erloschen gewesen. In der Abwandlung des Falles hat A allerdings keinen Rücktritt erklärt. Der Anspruch ist daher nicht auf Grund des Rücktritts erloschen.

2) Erlöschen nach § 326 I BGB

Allerdings entfällt die Gegenleistungspflicht des A (Kaufpreiszahlung) schon nach § 326 I BGB auch ohne Erklärung des Rücktritts, wenn der Schuldner nach § 275 I-III BGB von seiner Leistungspflicht frei wird. B muss nicht mehr leisten, da ihm die Leistung nach § 275 I unmöglich geworden ist. Daher entfällt die Gegenleistung grundsätzlich schon nach § 326 I BGB.

Allerdings könnte § 326 II BGB vorliegend anspruchserhaltend wirken, wenn der Käufer für den Umstand auf Grund dessen der Verkäufer nach § 275 nicht zu leisten braucht allein oder weit überwiegend verantwortlich wäre. Dies ist hier jedoch nicht der fall. A trägt lediglich einen Verschuldensanteil von 40 % und ist daher weder allein, noch weit überwiegend in der Verantwortung für das Leistungshindernis. Für einen derartigen Fall müsste der Verschuldensanteil des B völlig hinter den des A zurücktreten, was bei einer Verteilung von 40% und 60 % nicht der Fall ist. Mit dieser Norm wollte der Gesetzgeber nicht den Fall der beiderseits zu vertretenden Unmöglichkeit regeln.

III) Ergebnis:

Der Anspruch des B gegen A ist nach § 326 erloschen. B hat gegen A daher keinen Anspruch auf Zahlung der 2.500 Euro aus § 433 II.

B) Anspruch des B gegen A auf Schadensersatz nach §§ 280 I, 241 II BGB

Möglicherweise hat B gegen a aber einen Schadensersatzanspruch aus § 280I, 241 II. Wie im Ausgangsfall ist dies auch hier der Fall, da A die Pflicht verletzt hat mit dem Eigentum des B sorgfältig umzugehen. Das Mitverschulden des B wird im Rahmen von § 254 berücksichtigt. Daher muss der A lediglich 40% von 2500 Euro zahlen. Das macht 1000 Euro.

C) Schadensersatzanspruch des A gegen B aus §§ 280 I, III, 283 BGB

Unter Umständen hat aber auch der A gegen den B einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 280 I, III, 283 BGB. Dies kommt deshalb in der Abwandlung des Falles in Frage, weil dem A nunmehr ein Günstiges Geschäft entgeht.

I) Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste entstanden sein.

1) Schuldverhältnis

Zwischen den Parteien besteht ein Schuldverhältnis nämlich ein Kaufvertrag.

2) Pflichtverletzung

Auf Grund des Untergangs des Fahrzeuges kann der B seiner Pflicht nicht mehr nachkommen, dem A Eigentum an der Kaufsache zu verschaffen.

3) Vertretenmüssen

Auf Grund seines Verschuldensanteils in Höhe von 60 % hat der Verkäufer, also B den Untergang und die Pflichtverletzung auch zu vertreten.

4) Schaden

Hierdurch entsteht dem A ein kausaler Schaden in Höhe von 500 Euro, da ihm das Günstige Geschäft durch die Lappen geht (Der PKW hatte einen objektiven Wert in Höhe von 3000 Euro)

II) Höhe des Anspruchs

Der A muss sich allerdings sein Mitverschulden über § 254 BGB anrechnen lassen. Er selbst trägt eine Mitschuld von 40 %. Diese werden von dem schaden, also den 500 Euro abgezogen. Der A hat also gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von nur 300 Euro.

C) Gesamtergebnis der Abwandlung

B hat gegen A wie im Ausgangsfall einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1000 Euro. Daran ändert sich in der Abwandlung nichts. Allerdings hat A selbst einen Schadensersatzanspruch gegen den B in Höhe von 300 Euro. Für den A ergibt sich daher nach Saldierung eine Pflicht zur Zahlung von noch 700 Euro.

D) Anmerkung

Zur Problematik Schuldrecht AT siehe auch: Schickschuld, Holschuld, relatives und absolutes Fixgeschäft, Klausur Forderungsabtretung

siehe auch Umfang des SchadensersatzesPflichtverletzung nach § 280 I BGB beim Kauf

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur beiderseitige Unmöglichkeit auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Hypothek – Gutgläubiger Erwerb

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Sachverhalt

A, ein eingetragener Kaufmann kauft bei B am 10.03.2010 einen Bagger zum  Preis von 50.200 Euro durch schriftlichen Kaufvertrag. Darin wird festgehalten, dass der Kaufpreis wie folgt gestundet wird: Am 1.6. 2010 sollen 20.200 Euro gezahlt werden, am 1.9.2010 sollen weitere 20.000 Euro erbracht werden und am 1.12.2010 noch einmal 10.000 Euro. Sollte der Käufer in Verzug geraten, so sieht der Kaufvertrag vor, dass Zinsen in Höhe von 7,5 % zu erbringen sind. Weiterhin wird im Kaufvertrag festgehalten, dass der A dem B eine hypothekarische Sicherheit zu beschaffen hat. Diese Sicherung gibt der F, ein Freund des A, dem B indem der er (F) dem B auf A’s Bitte hin eine Briefhypothek mit Stundungsvermerk bis zum 1.12.2010 an seinem Grundstück über 50.200 Euro bestellt. Die Hypothek wird eingetragen und der Brief wird bereits im März an B ausgehändigt. Im Anschluss übergibt B den Bagger an A.

A gerät nun in Zahlungsschwierigkeiten. Da B allerdings auf die Zahlung der 20.200 Euro drängt überweist der F dem B am 1.6.20120 20.200 Euro im eigenen Namen. Am 25.06.2010 tritt B die Forderung und die Hypothek durch schriftliche Erklärung an den X ab, dem er aus einem Darlehen noch 50.200 Euro schuldet. A hat davon allerdings keinerlei Kenntnis.

Am 29.08.2010 muss der A feststellen, dass der Bagger Mängel aufweist, die ihm so vorher nicht ersichtlich waren. Sachverständige belegen, dass aus diesem Grund der Bagger nur 40.200 Euro wert sei. Dies teilt A dem B mit. Das Schreiben, in dem A das dem B mitteilt und zugleich auch noch mit einer Werklohnforderung gegen den B in Höhe von 20.000 Euro aufrechnet geht diesem am 2.9.2010 zu. Die Werklohnforderung mit der A aufrechnet war ihm am 10.7.2010 von dem Unternehmer U abgetreten worden. A schreibt dem B die Sache habe sich damit erledigt. B zeigt allerdings zunächst keine Reaktion.

Am 3.12. kommt X zu Ihnen in die Kanzlei und fragt, ob und wenn ja in welcher Höhe er von F, A und/oder B Zahlung verlangen kann, da sich allesamt weigern zu zahlen.
Prüfen sie außerdem, ob dem F Ansprüche gegen den B zustehen.

Lösung

Frage 1: Ob und in welcher Höhe hat X Ansprüche gegen die Beteiligten?

A) Ansprüche des X gegen den A

Dem X könnte zunächst Zahlungsansprüche gegen den A zustehen.

I) Anspruch auf Zahlung von 50.200 Euro aus §§ 433 II, 398 BGB

Möglich wäre zunächst ein Zahlungsanspruch aus abgetretenem Recht gegen A in Höhe von 50.200 Euro aus §§ 433, 398. Dafür müsste der Anspruch aber zunächst erst einmal dem B zugestanden haben und dann wirksam an X abgetreten worden sein.

Kaufpreisanspruch B gegen A aus § 433 II

Es ist also zunächst zu prüfen, ob B gegen A ein Anspruch auf Zahlung der 50.200 Euro aus § 433 zustand.

1) Anspruch entstanden

Der Anspruch müsste zunächst wirksam entstanden sein.

a) Wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B

Das wäre der Fall, wenn B mit A einen wirksamen Kaufvertrag über den Bagger in Höhe von 50.200 Euro geschlossen hat. Das ist ganz klar der Fall. Am 10.03.2010 schlossen B und A einen schriftlichen Kaufvertrag über den Bagger. Der Kaufpreis sollte in Raten gezahlt werden, der Kaufvertrag wurde aber wirksam geschlossen.

b) Wirksame Abtretung an X durch B § 398

Weiterhin müsste die Forderung aber auch wirksam an X abgetreten worden sein.

aa) Abtretungserklärung

Dafür müssten sich B und X zunächst über die Abtretung der Forderung in Höhe von 50.200 Euro geeinigt haben. Dies taten sie am 25.06.2010

bb) Form: Schriftliche Abtretungserklärung wegen der hypothekarischen Sicherung

Da die Forderung hypothekarisch gesichert wurde bedurfte die Abtretungserklärung ausnahmsweise der Schriftform vgl. §§ 1154, 398. Aber auch diese Schriftform wurde von B und X eingehalten.

cc) Übergabe des Hypothekenbriefes

Weiterhin müsste auch der Hypothekenbrief übergeben worden sein vgl. § 1154. Auch dies ist geschehen. Die Formalien der Abtretung wurden daher eingehalten.

dd) Höhe der übergegangenen Forderung –  Übergang in Höhe von 20.200 Euro schon zuvor auf F?

Fraglich ist aber, in welcher Höhe die Forderung auf den X übergegangen ist, denn es wäre möglich, dass die Forderung nur in Höhe von 30.000 Euro auf ihn übergegangen ist. Dies aus dem Grund, weil der F zuvor (nämlich schon am 1.6.2010), also vor der Abtretung der Forderung von B an X selbst im eigenen Namen 20.200 Euro an den B überwiesen hat. Gemäß § 1143 geht die Forderung auf den Eigentümer über, sofern dieser nicht auch der persönliche Schuldner der Forderung ist, er aber den Gläubiger befriedigt. F ist nicht der Schuldner der Forderung sondern lediglich der Eigentümer des mit der Hypothek belasteten Grundstückes und zahlte am 1.6.2010 an den B 20.200 Euro. Diese Zahlung erfolgte im Namen des F, da sich dieser von seiner dinglichen Haftung befreien wollte.
Die Stundungsvereinbarung belegt aber, dass dem F gegenüber die Forderung noch gar nicht fällig war. Fraglich ist daher, ob der F überhaupt schon an B zahlen durfte. Die Antwort ist ja. Er ist schon zur Zahlung berechtigt gewesen und zwar gemäß § 1142 I S.1 Hs 2. Es reicht hierfür aus, dass der persönliche Schuldner zur Leistung berechtigt ist. A war sogar zur Zahlung verpflichtet, da die erste Rate ihm gegenüber schon fällig war.
Aus diesem Grund ist die Forderung in Höhe des von F an B gezahlten Betrages (20.200 Euro) zum Zeitpunkt der Abtretung schon gemäß § 1142 I S. 1 Hs.2 auf den F übergegangen. Ausschließlich der verbleibende Rest der Forderung in Höhe von 30.000 Euro konnte durch die Abtretung noch an den X übergehen. Zu bemerken ist noch, dass es einen gutgläubigen Forderungserwerb nicht gibt. Aus diesem Grund konnte X auch nicht die Forderung in Höhe von 50.200 Euro gutgläubig erwerben.

2) Zwischenergebnis:

Der X hatte gegen A aus abgetretenem Recht zunächst einen wirksam entstandenen Anspruch in Höhe von 30.000 Euro.

3) Anspruch erloschen durch Aufrechnung

Eventuell ist der Anspruch, den der X nun gegen den A hatte, aber in Höhe von 20.000 Euro aufgrund der von A gegenüber B erklärten Aufrechnung vom 2.9.2010 erloschen. Eine Aufrechnungslage war gegeben. § 406 besagt, dass der A auch mit einer Forderung gegen B gegenüber dem X aufrechnen kann, obgleich keine Gegenseitigkeit der Forderung gegeben ist. Die Aufrechnung wurde durch A erklärt. Fraglich ist aber, ob die gegenüber B erklärte Aufrechnung auch gegenüber dem X wirkt.

a) § 407 I

Gemäß § 407 I muss der neue Gläubiger (X) einer Forderung ein Rechtsgeschäft gegen sich gelten lassen, das nach der Abtretung zwischen dem bisherigen Gläubiger und dem Schuldner in Ansehung der Forderung vorgenommen wird, es sei denn der Schuldner (A) kannte zu diesem Zeitpunkt die Abtretung. A hatte keinerlei Kenntnis der Abtretung von B an X. Daher muss X die Aufrechnung des A gegenüber B gegen sich gelten lassen. Dadurch erlosch der Anspruch des X in Höhe von 20.000 Euro. Übrig blieben daher zunächst nur noch 10.000 Euro.

b) Zwischenergebnis:

Daher stand dem X nur noch eine Forderung in Höhe von 10.000 Euro gegen A zu.

4) Restlicher Anspruch erloschen durch Minderung §§ 434, 437 N.2, 441

Aber auch die restliche Forderung in Höhe von 10.000 Euro könnte erloschen sein. Dies könnte durch eine Minderung des Kaufpreises durch A geschehen sein gemäß §§ 434, 437 N.2, 441.

a) Sachmangel

Unzweifelhaft weist der Bagger laut Sachverhalt einen Sachmangel auf. Dem Käufer stehen dann Gewährleistungsrechte der §§ 437 ff. zu. Die Sachmängel waren auch bei Gefahrübergang vorhanden und lediglich nicht sofort sichtbar.

b) Minderungserklärung

A hat die Minderung gegenüber B erklärt. Gemäß § 404 bleibt dem Schuldner des Kaufpreises das Minderungsrecht zwar erhalten, er müsste die Minderung allerdings gegenüber dem Zedenten (B) erklären. Das hat A getan.

c) Nachfrist

Auf Grund des Vorranges der Nacherfüllung ist es Voraussetzung einer wirksamen Minderung, dass der Käufer dem Verkäufer zuvor eine angemessene Nachfrist zur Mängelbeseitigung setzt. Eine solche war nicht etwa nach §§441 I S.1, 440 bzw. 323 II entbehrlich. Dies hat der A allerdings nicht getan. Das Recht zur 2. Andienung wurde damit seinerseits unterlaufen.

d) Zwischenergebnis

Der Anspruch (in Höhe von 10.000 Euro) des X ist daher nicht durch eine Minderung erloschen.

5) Anspruch durchsetzbar

Möglicherweise ist der Anspruch des X aber in dieser Höhe nicht durchsetzbar. Dem A könnte die Einrede des nicht erfüllten Vertrages zustehen § 320. Diese Einrede nach § 320 bleibt gemäß § 404 auch wieder gegenüber dem neuen Gläubiger (X) erhalten.

a) Ausschluss von § 320 wegen eingreifen von Gewährleistungsvorschriften?

Ob § 320 aber Anwendung finden kann ist fraglich. Vor der Reform im Kaufrecht galt § 320 nach Gefahrübergang als unanwendbar, sofern Gewährleistungsansprüche der §§ 459 ff. a.F. anwendbar waren. Die damals vorherrschende Gewährschaftstheorie ging davon aus, dass auch mit Lieferung einer mangelhaften Sache Erfüllung eintrete. Für § 320 ist aber Voraussetzung, dass eine Vertragspflicht nicht erfüllt wurde. Daher war § 320 unanwendbar. Nach der aktuellen Rechtslage ist mit der Lieferung einer mangelhaften Sache aber keine Erfüllung mehr gegeben. Damit findet § 320 Anwendung und dies auch nach Gefahrübergang.

b) Voraussetzungen von § 320

§ 320 verlangt, dass der Verkäufer einer im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Leistungspflicht aus dem Kaufvertrag nicht nachkam. Das ist der Fall, weil B zur sach- und rechtsmangelfreien Verschaffung des Baggers verpflichtet war § 433 I S.2, aber mangelhaft leistete. Hierbei handelt es sich um eine Hauptleistungspflicht, die im Synallagma zu der Zahlungspflicht des Käufers steht. Weiterhin war der Anspruch des A gegen B wirksam und fällig. Die Voraussetzungen des § 320 liegen folglich vor. A kann gemäß § 404 auch gegenüber X die Zahlung der restlichen 10.000 Euro verweigern.

B) Ergebnis

X kann von A keine Zahlung verlangen. Zunächst stand ihm zwar aus abgetretenem Recht ein Anspruch in Höhe von 30.000 Euro zu, dieser erlosch aber in Höhe von 20.000 Euro durch die Aufrechnung des A. In Höhe der verbleibenden 10.000 Euro ist der Anspruch auf Grund der Einrede des nicht erfüllten Vertrages nicht durchsetzbar.

C) Ansprüche X gegen F

Möglich wären aber Ansprüche des X gegen F.

Anspruch X gegen F auf Duldung der Zwangsvollstreckung in Höhe von 50.200 Euro aus § 1147

Gegen F könnte X einen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück haben, das mit der Hypothek belastet ist und zwar aus § 1147 in Höhe von 50.200 Euro.

I) Wirksame Bestellung der Hypothek

Die Hypothek müsste dafür zunächst für B wirksam bestellt worden sein und dann auf X übertragen worden sein. Die Hypothek wurde durch F am 25.06.2010 wirksam für B bestellt (Briefhypothek) §§ 1113 I, 1115, 1116 I. Dies geschah zur Sicherung der Kaufpreisforderung.

II) Übertragung auf X

Die Hypothek müsste nunmehr dem X zustehen. Gemäß § 1153 geht eine Hypothek über, indem die durch sie gesicherte Forderung abgetreten wird. Da X die Forderung aus dem Kaufvertrag, wie eben beschrieben, in Höhe von 30.000 Euro abgetreten wurde, ist die Hypothek in der Höhe auf ihn übergegangen (Akzessorietät). Die Form des § 1154 I S.1 wurde beachtet.

III) Erwerben der Hypothek auch im Hinblick auf die 20.200 Euro?

Fraglich ist, ob die Hypothek auch in Höhe der von F bereits gezahlten 20.200 Euro auf X überging, denn der F erwarb durch die entsprechende Zahlung in der Forderungshöhe eine Eigentümerhypothek gemäß § 1143 I S. 1, 1153 I. So sieht es das Gesetz für den Fall vor, in dem der Eigentümer, der nicht gleichzeitig der persönliche Schuldner ist, den Gläubiger befriedigt. Er erwirbt dann nicht nur wie oben erklärt die Forderung in der Befriedigungshöhe, sondern auf Grund der Akzessorietät der Hypothek auch nach §§ 401,412, 1153 die Hypothek. Dies war hier der Fall. Die durch F erworbene Eigentümerhypothek wird nach § 1177 II behandelt wie eine Grundschuld. Wie oben geschildert kam ja ein gutgläubiger Forderungserwerb durch X in dieser Höhe nicht in Frage. Möglicherweise hat er aber die Hypothek in entsprechender Höhe, das heißt auch in Bezug auf die bereits gezahlten 20.200 Euro, gutgläubig erwerben können.

1) Gutgläubiger Erwerb der Hypothek durch X

Dies wäre nach §§ 1138, 892 möglich, da gemäß § 1138 der § 892 auch in Ansehung der Forderung gilt. Die Forderung des B gegen A war auch im Hinblick auf die 20.200 Euro, die der F gezahlt hat, im Grundbuch eingetragen. Kenntnis von der Zahlung hatte der X zum Zeitpunkt des Erwerbes der Hypothek nicht und damit auch nicht von dem Übergang der Forderung in Höhe von 20.200 Euro an diesen.
Tatsächlich bestand die Forderung in Höhe von 20.200 Euro aber nicht mehr zu Gunsten des V sondern zu Gunsten des B (s.o.) Wichtig ist, dass Sie an dieser Stelle Folgendes verstehen: Die Hypothek kann aufgrund ihrer Akzessorietät nicht ohne die ihr zugrunde liegende Forderung übertragen werden. Der Forderungserwerb erfolgte aber durch X nicht gutgläubig (in Höhe von 20.200 Euro), weil es den gutgläubigen Forderungserwerb grundsätzlich nicht gibt. Der § 1153, der besagt, dass ohne die Forderung auch die Hypothek nicht übertragen werden kann, steht aber nun wegen § 1138 doch nicht dem gutgläubigen Hypothekenerwerb entgegen! Der § 1138 bewirkt insofern, dass einfach fingiert wird, dass die Forderung zu Gunsten des B doch noch bestünde. Für eine logische Sekunde wird daher der B doch noch als Inhaber der Forderung angesehen. Dies geschieht um die Hypothek verkehrsfähiger zu machen und entstehende Einschränkungen zu überwinden.
X hat damit zwar nicht die Forderung in Höhe von 20.200 gutgläubig erworben, aber die Hypothek in dieser Höhe schon. F verlor damit seine Eigentümerhypothek, §§ 1138,892.

2) Zwischenergebnis:

Die Hypothek besteht daher zu Gunsten des X zunächst in Höhe von 50.200 Euro.

IV) Anspruch erloschen-Aufrechnungsauswirkung?

Fraglich ist aber, wieder wie sich die Aufrechnung des A gegenüber B auf die Duldung der Zwangsvollstreckung auswirkt bzw. ob der X die Aufrechnung in Höhe von 20.000 Euro gegen sich gelten lassen muss. Wenn man den Akzessorietätsregeln folgen würde, müsste mit dem Erlöschen der Forderung in Höhe von 20.000 Euro durch die Aufrechnung (s.o) auch die Hypothek nach § 1163 I S.2 auf den F als Eigentümer übergegangen sein und dann nach § 1177 I zur Eigentümergrundschuld des F geworden sein. Allerdings kommt an dieser Stelle der § 1156 ins Spiel, der besagt, dass die §§ 406-408 auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Eigentümer und dem neuen Gläubiger in Ansehung der Hypothek nicht anwendbar sind. Im Verhältnis X zu F gilt daher die Forderung weiterhin als bestehend. Die Hypothek geht in dieser Höhe daher nicht auf den F als Eigentümer über. Die Aufrechnung muss daher X nicht gegen sich gelten lassen.

V) Geltenlassen der Einrede gegenüber X gem. § 320?

Eventuell muss X aber die Einrede des § 320 in Bezug auf die Hypothek gegen sich gelten lassen. Grundsätzlich gilt hier § 1137 I S.1, d.h. der Eigentümer kann die Einreden die dem persönlichen Schuldner gegen die Forderung zustehen auch gegen die Hypothek geltend machen. Allerdings macht § 1138 erneut eine Ausnahme davon, da der öffentliche Glaube des Grundbuchs nach § 892 sich auch auf die Einreden erstreckt, die dem Eigentümer nach § 1137 zustehen, sofern diese nicht nach § 1140 in dem Hypothekenbrief eingetragen sind. Hier war die Einrede des § 320 nicht vermerkt und X war bei Hypothekenerwerb gutgläubig. Gegen die Hypothek und damit gegen die Duldung der Zwangsvollstreckung kann sich der F daher nicht auf § 320 berufen.

D) Ergebnis

Der Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung des X gegenüber F besteht in Höhe von 50.200 Euro.

E) Ansprüche des X gegen B

Möglicherweise stehen X noch Ansprüche gegen B zu.

I) Anspruch aus Darlehensvertrag in Höhe von 50.200 Euro aus § 488 I S.2

In Betracht kommt ein Anspruch auf Rückzahlung von 50.200 Euro aus dem Darlehensvertrag § 488 I S.2.

1) Anspruch entstanden

Der Anspruch ist zunächst wirksam entstanden.

2) Anspruch nicht erloschen

Der Anspruch könnte aber erloschen sein, wenn B dem X zur Tilgung des Darlehens die Hypothek am 25.6.2010 nach § 364 I an Erfüllung statt übertragen hat und dieser annahm. Dies wäre aber nicht der Fall, wenn der X die Übertragung nur erfüllungshalber angenommen hätte. Die ursprüngliche Leistung bestünde dann bis zur Erfüllung fort, der Annehmende verpflichtet sich nur dazu, Befriedigung zunächst auf dem anderen Wege zu suchen. Ob hier an Erfüllung statt oder erfüllungshalber angenommen wurde ist im Wege der Auslegung erst zu ermitteln. Es ist wohl davon auszugehen, dass der X nicht das Risiko der Durchsetzbarkeit der Forderung gegenüber einem Dritten übernehmen wollte und dabei seine Forderung aus dem Darlehensvertrag gegen B risikolos aufzugeben. Obgleich eine hypothekarische Sicherung der Forderung gegeben war, sind auch mit einer solchen Risiken verbunden. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass der X die Forderung/Hypothek nur erfüllungshalber annahm. Da der X noch keine Befriedigung aus der erfüllungshalber geleisteten Verbindlichkeit erlangt hat, ist der Anspruch daher nicht schon erloschen.

3) Anspruch durchsetzbar?
Möglicherweise kann X den Anspruch aber nicht durchsetzen, weil dem die Einrede der Stundung entgegensteht. Eine Stundung endet lediglich bei Erfüllung oder mit dem Misslingen der Befriedigung aus der erfüllungshalber geleisteten Forderung. Allerdings kann der B dem X nicht entgegenhalten, der X möge erst Befriedigung durch die Zwangsvollstreckung in das Grundstück des F suchen. Wegen des gutgläubigen Erwerbs ist der X damit ja Prozessrisiken ausgesetzt und seine Rechtsposition in Gefahr. Dem steht der Grundsatz von Treu und Glauben im weg.

II) Ergebnis

X kann von B Zahlung in Höhe von 50.200 Euro aus § 488 I S. 2 verlangen.

III) Anspruch des X gegen B auf Herausgabe § 816 II,818 II

X könnte gegen B einen Anspruch auf Herausgabe von 20.000 Euro aus §§ 816, 818 II haben. Dies wäre der Fall, wenn man in der Aufrechnung des A gegenüber B mit der Werklohnforderung des U eine Leistung an einen Unberechtigten erblicken könnte, die dem eigentlich Berechtigten gegenüber wirksam wäre.

1) Leistung

Eine Leistung ist jede bewusste zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Dadurch, dass B durch die Aufrechnung von A aus seiner Zahlungspflicht aus dem Werkvertrag mit U frei wurde, wurde sein Vermögen gemehrt. Eine Leistung liegt daher vor.

2) B als Nichtberechtigter

Die Kaufpreisforderung gegen A hatte B schon an X abgetreten. Daher war B Nichtberechtigter. Die Leistung war aber aufgrund des § 407 I gegenüber X wirksam.

3) Anspruchsinhalt

X hat daher gegen B einen Anspruch auf das durch die Leistung Erlangte nach § 816 II. Eine Herausgabe in Natura ist nicht möglich, weshalb B dem X zum Wertersatz verpflichtet ist § 818 II. Der Wert beträgt 20.000 Euro.

IV) Ergebnis

X hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 20.000 Euro.

FRAGE 2: Hat F Ansprüche gegen B?

A) Schadensersatzansprüche des F gegen B

F könnte gegen B Schadensersatzansprüche haben.

I) Anspruch aus §§ 687 II,678

Zunächst kommt ein solcher Anspruch in Höhe von 20.200 Euro aus §§ 687 II, 678 in Betracht, wegen einer angemaßten Eigengeschäftsführung durch B.

1) Führung eines fremden Geschäfts

B hat dem X die Hypothek übertragen. Damit führte er ein objektiv fremdes Geschäft, da die Hypothek dem F in Höhe von 20.200 Euro als Eigentümerhypothek zustand.

2) Kenntnis der Tatsachen

B wusste aufgrund der an ihn gerichteten Zahlung durch F auch, dass ihm die Hypothek in dieser Höhe nicht mehr zustand.

3) Schaden des F

Fraglich ist aber, ob F einen Schaden davon trug. Dieser muss die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück in Höhe von 50.200 Euro dulden, obwohl er eigentlich 20.200 Euro schon gezahlt hat. Hätte der B also die angemaßte Eigengeschäftsführung nicht vorgenommen, sähe sich der F nur einer Vollstreckung in Höhe von 30.000 Euro ausgesetzt, da der X dann die Hypothek in der Höhe nicht gutgläubig erworben hätte.

II) Ergebnis und Anspruchsinhalt

Es gilt der Grundsatz der Naturalrestitution. Der F kann von B zunächst verlangen, dass er ihn von dem Anspruch des X gegen ihn in Höhe von 20.200 Euro befreit. Nach der Zwangsvollstreckung kann er dann 20.200 Euro Schadensersatz von B verlangen.

III) Anspruch F gegen B aus § 823

F könnte gegen B auch einen Anspruch aus § 823 haben in Höhe von 20.200 Euro.

1) Verletzung eines absoluten Rechts

Das Hypothekenrecht ist als absolutes Recht im Rahmen von § 823 geschützt. Dieses hat B verletzt, weil er unberechtigterweise verfügt hat. Weitere Probleme sind nicht ersichtlich.

2) Schaden

Der Schaden des F entspricht dem bei § 687 II, 678 bezeichneten.

IV) Ergebnis und Anspruchsinhalt

Daher steht dem F gegen B ein Schadensersatzanspruch zu. Wie oben zunächst im Wege der Naturalrestitution und im Anschluss an die Zwangsvollstreckung in Höhe von 20.200 Euro direkt gegen B.

B) Herausgabeansprüche F gegen B

F könnte gegen B auch Herausgabeansprüche haben.

I) F gegen B aus 687 II S.1, 681 S.2, 667

In Betracht kommt zunächst ein Anspruch aus angemaßter Eigengeschäftsführung. Aus dieser hat F gegen B einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten. Erlangt haben könnte der B die Befreiung seiner Darlehensverbindlichkeit gegenüber X. Allerdings nahm X die Forderung und die Hypothek wie oben geschildert nur erfüllungshalber an, weshalb B nur dann von seiner Verbindlichkeit frei würde, wenn X sich erfolgreich durch Vollstreckung in das Grundstück des F befriedigt hätte. Das ist hier noch nicht geschehen. Nach erfolgreicher Befriedigung wäre ein Anspruch gegen B aber in Höhe von 20.200 Euro gegeben.

II) Anspruch F gegen B aus §§ 816 I S.1, 818 II

Eventuell hat F aber gegen B einen Anspruch auf Herausgabe der 20.200 Euro aus §§ 816 I S.1, 818 II. Dafür müsste B als Nichtberechtigter eine Verfügung vorgenommen haben, die dem F gegenüber wirksam sein müsste.

1) Verfügung des B

B verfügte über die Eigentümerhypothek des F und damit nicht berechtigt in Höhe von 20.200 Euro durch Abtretung der Forderung an X.

2) Wirksam gegenüber F

Auf Grund der Normen §§ 1138, 892 ist diese Verfügung gegenüber F auch wirksam, weil X die Hypothek gutgläubig erwerben konnte.

3) Anspruchsinhalt

Das Erlangte muss der B dem F dann herausgeben. Vollstreckt der X erfolgreich in das Grundstück des F wird B von seiner Darlehensverbindlichkeit auf Grund der Annahme erfüllungshalber befreit und muss dem F Wertersatz leisten.

4) Anspruch aus § 816 I S. 1, 818 II auch im Hinblick auf 10.000 Euro?

Zu prüfen ist, ob ein Herausgabeanspruch hinsichtlich der 10.000 Euro besteht, mit denen A den Kaufpreis minderte. Die Möglichkeit der Minderung hindert weder die Abtretbarkeit der Forderung durch B noch die Berechtigung des B hinsichtlich der Hypothek. Insofern, also im Hinblick auf die 10.000 Euro, war B nicht Nichtberechtigter.
Man könnte allerdings § 816 I S. 1 analog anwenden und zwar insofern, dass F die Einrede, die dem A gegen den B zustand (§§ 434, 437 Nr. 2, 441) nach §1137 der Hypothek entgegenhalten hätte können. Aufgrund des gutgläubigen Erwerbs durch X nach § 892,1138 verlor der F diese Einrede aber. Ein Rechtsverlust durch die Gutglaubensvorschriften sind mit der Situation des § 816 I S. 1 vergleichbar. Der Berechtigte soll dafür einen Ausgleich erhalten, dass er durch die Verfügung eines Nichtberechtigten bei Wirksamkeit gegenüber ihm einen Verlust erleidet. § 816 I S.1 soll daher nach hier vertretener Ansicht analoge Anwendung finden.

Ergebnis:

F kann von B Herausgabe der 20.200 Euro aus § 816 I.S.1, 818 verlangen, sowie der 10.000 Euro aus §§ 816 I S. 1, 818 analog.

Gesamtergebnis:

X kann von A keine Zahlung aus § 433 verlangen.
X kann in das Grundstück des F aus der Hypothek vollstrecken § 1147 in Höhe von 50.200 Euro.
X kann von B die Rückzahlung von 50.200 Euro aus dem Darlehensvertrag verlangen und hat einen Wertersatzanspruch in Höhe von 20.000 Euro.

F hat gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz nach der Zwangsvollstreckung durch X in Höhe von 20.200 Euro aus § 823 und §§ 687 II,678. Er kann weiterhin Herausgabe der 20.200 Euro nach Zwangsvollstreckung durch X aus §§ 687 II,681 S.2, 667 und §§ 816 I S. 1, 818 verlangen. Im Hinblick auf die 10.000 Euro besteht analog §§ 816 I S. 1, 818 ein Anspruch auf Herausgabe.

Anmerkungen

Zu den Themen dieser Klausur sowie zum Schuldrecht AT, Schuldrecht BT (Kaufvertrag, Werkvertrag, Deliktsrecht, GoA,usw.) und Sachenrecht kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Zum Immobiliarsachenrecht siehe auch: Grundschuldklausur, Vormerkungsklausur, Hypothekenklausur, Auflassungsvormerkung

Zu anderen sachrechtlichen Problemstellungen siehe ebenfalls: Anspruchsgrundlagen EBV, Die EBV-Klausur, Klausur im Mobiliarsachenrecht

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Hypothek – Gutgläubiger Erwerb auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur zur Berufsfreiheit

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Fall:

Bundestag beschließt Gesetz ( G 1 ) mit Inhalt: Zeitungsverlage dürfen Tageszeitungen nur mit einer  Auflage bis höchstens 5000 Exemplaren von einer Sorte Tageszeitung täglich herausgeben.

Ist Art.12 I GG verletzt ?

Lösung:

A. Verletzung Art. 12 I GG

I. Schutzbereich

1. Persönlicher Schutzbereich

– Deutsche = Art.18 AEUV auch EU-Bürger

– Art.19 III GG Juristische Personen, die Hauptsitz Verwaltung in Deutschland haben oder, wegen Art.18 AEUV, in den Mitgliedstaaten der EU haben. Juristische Personen im Sinne des Art.19 III GG sind zB GmbH, AG, Verein aber auch OHG und KG und sogar BGB-Gesellschaft, da die letzten drei genannten Vereinigungen zumindest Teilrechtsfähig sind.

2. Sachlicher Schutzbereich

Berufsfreiheit = Beruf = Tätigkeit, dauerhaft, ausgeübt, bezweckt die Erhaltung der Lebensgrundlage, nicht verboten

II. Eingriff

1. Gesetz, Rechtsverordnung, Satzung, Verwaltungsakt (VA),Realhandeln (zB. Wasserwerfer)

2. Mittelbarer Eingriff (nur bei Art.12 GG relevant):

-es muss sich um Eingriff mit „berufsregelnder Tendenz“ handeln = zB. Umsatzrückgang durch amtliche Äußerungen des Ministers („ich kaufe keine Klosteine der Firma X..“)

III. Schranke

1. Durch oder aufgrund eines Gesetzes = vom Wortlaut her ist nur die Berufsausübung beschränkbar, aber Art.12 I GG ist ein „einheitliches Grundrecht“, daher bezieht sich die Schranke sowohl auf die Berufsausübung als auch auf die Berufswahl. Somit muß an dieser Stelle keine Differenzierung zwischen Berufsausübung und Berufswahl vorgenommen werden.

2. Gesetz liegt hier in Form des G 1 vor. Dieses müßte wiederum verfassungsgemäß sein.

a.) Formelle Verfassungsmäßigkeit

aa.) Gesetzgebungskompetenz

-Art.73 GG

-Art.74 GG – Art.72 II GG = Regelung des Gesetze durch den Bund muss erforderlich sein zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse oder zur Wahrung der Wirtschaftseinheit

-wenn die Nummern in Art.72 II GG nicht vorliegen, gilt Art.74,72 I GG. Danach kann der Bund das Gesetz ohne zusätzliche Voraussetzungen erlassen, auch wenn das Land bereits ein Gesetz in diesem Bereich erlassen hat.

-70 GG – Polizei, Schule, Kultur = ausschließlich die Länder – wenn Art.73 und 74 nicht vorliegt, dann immer Art.70

bb.) Verfahren

– Antragsrecht, drei Lesungen, Einspruch oder Verweigerung der Zustimmung durch Bundesrat, Vermittlungsausschuß, Ausfertigung und Verkündung durch Bundespräsidenten

cc.) Ergebnis: Das Gesetz ist formell verfassungsgemäß.

b.) Materielle Verfassungsmäßigkeit

Eine Verletzung der Verfassungsgrundsätze aus Art. 20 I GG, insbesondere eine Verletzung des Bestimmtheitsgebotes, des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes oder des Rückwirkungsverbotes ist nicht ersichtlich. Damit ist das Gesetz insgesamt verfassungsgemäß.

IV. Schranken-Schranke

Das ordnungsgemäß zustandegekommene und damit formell verfassungsgemäße Gesetz als Schranke müsste weiterhin den Anforderungen der Schranken-Schranke genügen. Diese richten sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie bei Art.12 GG nach der Dreistufentheorie.

1. Zu prüfen ist zuerst, ob das G 1 den Anforderungen der Dreistufentheorie entspricht.

[Die Dreistufentheorie besagt, dass Regelungen der Berufsausübung zulässig sind im Interesse des Gemeinwohls. Die Regelung subjektiver Zulassungsvoraussetzungen zu einem Beruf durch den Staat ist zulässig zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter. Die Regelung objektiver Zulassungsvoraussetzungen zu einem  Beruf durch den Staat ist nur zulässig zum Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter.] 

 [Beispiele:

-Staatliche Regelung auf der 1.Stufe: Berufsausübung = Art und Weise, Menge, Gestaltung der Arbeitsweise in den Unternehmen durch den Staat

-Staatliche Regelung auf der 2.Stufe:subjektive Berufszulassungsvoraussetzungen als Regelung der Berufswahl = Erlass von Prüfungsordnungen durch den Staat

– Staatliche Regelungen auf der 3.Stufe:objektive Berufszulassungsvoraussetzungen als Regelung der Berufswahl = Schließen von Firmen, Verbot der Eröffnung von Firmen, Verbot der Berufsausübung durch den Staat]

[Die staatlichen Regelungen der Berufsausübung sind Regelungen auf der 1.Stufe, da diese die geringsten Anforderungen an den Eingriff durch den Staat stellen: Die Regelung der Berufsausübung durch den Staat ist bereits zulässig, wenn die Regelung im Interesse des Gemeinwohls liegt. Staatliche Regelungen der Zulassung zu einem Beruf stellen höhere Anforderungen an die Zulässigkeit solcher Regelungen. Diese Anforderungen stellen somit die 2. und 3.Stufe dar. Betrifft die staatliche Regelung die Zulassungsvoraussetzungen zu einem Beruf, so handelt es sich um Regelungen auf der 2.Stufe. Diese sind zulässig zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter. Es handelt sich um geringere Anforderungen an die Zulässigkeit des staatlichen Eingriffs als bei der 3.Stufe, da hier die Zulassungsvoraussetzungen von den Betroffenen selbst erfüllt werden können und die Zugangsmöglichkeit zu dem Beruf somit vom Betroffenen selber abhängen. Aus diesem Grunde spricht man auch von subjektiven Zulassungsvoraussetzungen. Auf der 3.Stufe sind die Zulassungsvoraussetzungen an den staatlichen Eingriff am Höchsten. Dies deswegen, weil auf der 3.Stufe der Betroffene keine Möglichkeit hat durch eigenes Zutun doch noch den Beruf ausüben zu können. So sind staatliche Regelungen, welche die Ausübung eines Berufes verbieten oder von objektiven, durch den Betroffenen selbst nicht zu beeinflussenden Umständen abhängen nur zulässig, wenn sie dem Schutz eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes dienen.]

[Die Dreistufentheorie kann man im Rahmen der Schranken-Schranke –wie hier- vor der Verhältnismäßigkeit prüfen oder in der Verhältnismäßigkeit bei den Prüfpunkten „Geeignetheit“ oder Zumutbarkeit“. Wo man die Dreistufentheorie in der Klausur prüft, hängt davon ab, wo der Klausurensteller sie gerne geprüft hätte. Wenn nichts gesagt wird, ist der hier vorgeschlagene Weg, die Prüfung vor der Verhältnismäßigkeit, der eigentlich sicherste Weg]

Bei dem G 1 liegt eine Regelung der Berufsausübung vor. Eine Regelung der Berufsausübung ist nur zulässig im Interesse des Gemeinwohls. Eine staatliche Festlegung der Auflagenhöhe liegt im Interesse kleiner Verlage und damit im Interesse des Gemeinwohls. Damit sind die Anforderungen der Dreistufentheorie erfüllt.

2. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a.)  Zweck des Eingriffs muss erlaubt sein

-Zweck des G 1= Berufsfreiheit kleiner Verlage schützen = Zweck ist erlaubt.

[An dieser Stelle immer Fragen, „warum gibt es die Beschränkung ?“]

b.)  Das G 1 als Mittel zur Erreichung des Zwecks (Schutz kleiner Verlage) müsste weiterhin geeignet, erforderlich und zumutbar sein.

aa.) Geeignetheit des Mittels = geeignet ist alles, was der Zielerreichung dient = die Auflagenbeschränkung dient dem Schutz kleiner Verlage und ist damit geeignet

bb.) Erforderlichkeit des Mittels = wenn nicht mildere Mittel ebenfalls zur Zielerreichung führen würden = als mildere Mittel für den Schutz kleiner Verlage würden Marketingmaßnahmen, Zuschüsse, sowie Subventionen in Frage kommen. Damit ist das G 1 nicht das mildeste Mittel. Damit entspricht das G 1 nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist im Folgenden hilfsgutachtlich weiterzuprüfen.

cc.) Zumutbarkeit = weiterhin müßte eine Rechtsgüterabwägung dazu führen, dass das G 1 die Springer-AG unzumutbar beeinträchtigt.

( a ) auf der einen Seite wird der Eingriff vorgenommen zum Schutz kleiner Verlage und schützt damit Art.12 I GG

( b ) auf der anderen Seite ist durch die Auflagenbeschränkung der Art.12 GG der Springer-AG betroffen. Der Eingriff in den Art.12 I GG der Springer-AG würde im Einzelfall schwerer wiegen wie der Grundrechtsschutz der kleinen Verlage, wenn durch deren Schutz es zu weitergehenden Rechtsbeeinträchtigungen bei der Springer-AG führen würde. Dies wäre der Fall, wenn die vom G 1 festgelegte Auflagenbeschränkung etwa dazu führen würde, dass die Springer-AG Insolvenz anmelden oder Arbeitsplätze abbauen müßte. In diesem Fall wäre das zumindest auch ein Eingriff in den Art. 2 I GG der Arbeitnehmer und in den Art.14 GG der Springer-AG. In diesem Fall könnte man von einer im Einzelfall vorliegenden Unzumutbarkeit der Auflagenbeschränkung sprechen. Führt die Rechtsgüterabwägung zwischen dem Rechtsgut, weswegen der Staat den Eingriff vornimmt und dem Rechtsgut, in welches eingegriffen wird dazu, dass der Eingriff unzumutbar ist, dann ist der Eingriff insgesamt nicht verhältnismäßig. In diesem Fall entspricht der Eingriff nicht der Schranken-Schranke und es liegt eine Verletzung des Grundrechtes aus Art.12 I GG vor.

B. Weitere Anmerkungen zur Zumutbarkeit

[im Folgenden einige Anhaltspunkte für die im Rahmen der Zumutbarkeit vorzunehmende Rechtsgüterabwägung]

 Unzumutbar:

-staatlicher Eingriff erfolgt zum Schutz von Interesse, welche nicht vom Grundgesetz gedeckt sind.

-staatlicher Eingriff führt zum Verlust von Arbeitsplätzen

-staatlicher Eingriff hat die Insolvenz/Schließung einer Firma zur Folge

 Zumutbar:

-Firma läuft weiter

-Umsatzrückgang

-Verkürzung der Arbeitszeit 

C. Formulierungshilfen

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn ein Grundrecht verletzt ist. Hier könnte X in seinem Grundrecht aus Art.12 I GG verletzt sein.

Schutzbereich

Dazu müßte der pers./sachl. Schutzbereich von Art.12 I GG eröffnet sein.

Persönlicher Schutzbereich

Ist eröffnet, wenn X Deutscher ist.

Bei Jedermannsrechten: ..ist eröffnet, wenn X jedermann ist

Sachlicher Schutzbereich

Ist eröffnet, wenn die Beeinträchtigung von Art.12 / 2 /….umfasst ist.

Hier erfolgt die Definition des jeweiligen Schutzbereiches:

zB. Art.12 I GG: „Geschützt ist der Beruf. Dies ist jede Tätigkeit, welche auf Dauer angelegt ist und der Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.

Danach erfolgt die Subsumtion: Die Tätigkeit eines Verlages ist eine Tätigkeit, welche auf Dauer angelegt ist und der Erhaltung der Lebensgrundlage dient. Damit handelt es sich bei der Tätigkeit der Springer-AG um einen Beruf.

Durch das G 1 ist die somit vom Schutzbereich des Art.12 I GG umfasste Tätigkeit der Springer-AG betroffen. Damit ist der persönliche und sachliche Schutzbereich des Art.12 I GG der Springer-AG eröffnet.

Eingriff

Der Eingriff in den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechtes muß durch staatliches Handeln erfolgen. Dieses kann in Form eines Verwaltungsaktes (VA), eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung, einer Satzung oder durch Realhandeln (Wasserwerfer) erfolgen.

Ein Eingriff liegt hier in Form des G 1 vor.

Achtung: Besonderheit bei Art.12 I GG: hier kann auch eine Beschränkung durch mittelbare Eingriffe erfolgen.

Schranke

Zu prüfen ist, ob in das Grundrecht eingegriffen werden darf. Bei Art.4 I GG liegt keine ausdrückliche Befugnis zur Beschränkung durch den Staat vor. Hier ist eine Beschränkung durch verfassungsimmanente Schranken zulässig, d.h., Art.4 GG wird durch die Schutzbereiche anderer Grundrechte oder Verfassungsprinzipien beschränkt. Hier kommt als Schranke z.B. die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art.2 I GG von den Autofahrern, den Gasthausbesuchern, etc. in Frage.

Schranke bei Art. 5 II GG :

Allgemeine Gesetze = sind Gesetze, die dem Schutz eines Rechtsgutes dienen müssen, z.B.: das G 1 dient dem Schutz des Art.12 I GG der kleinen Verlage.

Schranke bei Art.12 I GG:

durch oder aufgrund von Gesetzen = „durch“=Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen

„aufgrund Gesetz“= Verwaltungsakte, Realhandeln

Nach dem Wortlaut des Art.12 I GG wäre nur die Berufsausübung durch oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar. Da es sich bei Art.12 I GG um ein „einheitliches“ Grundrecht handelt, ist die Berufsfreiheit insgesamt beschränkbar, also auch die Berufswahl. Aus diesem Grunde ist eine Differenzierung zwischen Berufswahl und Berufsausübung an dieser Stelle der Prüfung noch nicht nötig.

Schranke bei Art.2 II GG:

Aufgrund Gesetz = Verwaltungsakte, welche auf Parlamentsgesetz beruhen.

Schranke bei Art.2 I GG:

Verfassungsmäßige Ordnung = durch und aufgrund Gesetz

Schranken-Schranke

Der Eingriff in Form des Gesetzes, Verwaltungsaktes, der Rechtsverordnung, des Realhandelns müsste weiterhin den Anforderungen der Schranken-Schranke genügen. Diese richten sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (siehe Prüfung oben).

Schlußsatz

–  Der Eingriff entspricht den Anforderungen der Schranken-Schranke. Damit ist keine Grundrechtsverletzung festzustellen.

–  Der Eingriff entspricht nicht den Anforderungen der Schranken-Schranke.

Damit ist das Grundrecht aus Art.12 I GG, Art.2 I GG, etc., verletzt.

D. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

–         Besonderheiten –

  1. Zuständigkeit
  2. Beschwerdefähigkeit = Persönlicher Schutzbereich
  3. Beschwerdegegenstand = Eingriff
  4. Beschwerdebefugnis:

-selbstbetroffen= man darf nicht Grundrechtsbeeinträchtigungen Dritter geltend machen

-gegenwärtige Betroffenheit: Eingriff muss andauern

-unmittelbare Betroffenheit: die angegriffene staatliche Maßnahme muss die Beeinträchtigung des Grundrechtes selbst bereits bewirken, ohne dass weitere staatliche Handlungen für eine Beeinträchtigung erforderlich sind = bei Verwaltungsakten (VA) und Realhandeln immer, bei Gesetz,Satzung,Rechtsverordnung nur, wenn Gebot oder Verbot schon in der Norm geregelt ist („hat sich anzuschnallen“; „ist verboten“). Ansonsten steht in Gesetzen meistens: „die Behörde kann die notwendigen Maßnahmen treffen“ – in diesen Fällen liegt keine unmittelbare Betroffenheit des Beschwerdeführers durch das Gesetz vor, sondern nur durch den aufgrund des Gesetzes ergangenen Verwaltungsakt (VA) oder das aufgrund des Gesetzes ergangene Verwaltungshandeln. Dann ist der Beschwerdeführer erst durch den VA oder das Realhandeln „unmittelbar“ betroffen.

5.Rechtswegerschöpfung = Alle gerichtlichen Instanzen eines Rechtsweges müssen vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde durchlaufen worden sein = steht im Sachverhalt meistens drin mit Formulierungen wie: „nach erfolgloser Rechtswegerschöpfung…“

6. Frist

-Gesetz = 1 Jahr seit Verkündung

– Verwaltungsakte = 1 Monat ab Bekanntgabe

Anmerkungen

Zu dem Thema dieses Artikels und  auch zu Grundrechten sowie  zu allen weiteren öffentlichrechtlichen Themengebieten kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Erfahren Sie mehr zum Verfassungsrecht: „Drei-Stufen-Theorie – Art. 12 GG„, „Staatshaftungsrecht„, „Religionsfreiheit – Schächtungsfall„, „Praktische Konkordanz„, „Religionsfreiheit – Schulgebet„,  „Wahlrechtsgrundsätze„, „Einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG„, „Musteraufbau Verfassungsbeschwerde

Siehe auch Artikel zum Verwaltungsrecht: „Sofortige Vollziehung eines VA„, „Rücknahme von Verwaltungsakten„, „Nebenbestimmungen nach § 36 VwVfG

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur zur Berufsfreiheit auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur zum Vollstreckungsrechtsverhältnis

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Sachverhalt

Am 10.Mai kauft K bei V 200 Lastwagenreifen zu einem Preis von 200.000,-€. Die Reifen werden auch geliefert, und zwar noch ohne jeden Eigentumsvorbehalt. Sie werden aber nicht bezahlt; weil K in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Deswegen schreibt K am 4.Juni an V: „Ich versichere Ihnen, dass Ihre Ware, die noch zu bezahlen ist, unangetastet hier liegt und solange Ihr Eigentum bleibt, bis alles bezahlt ist.“ Darauf antwortet V nicht, zerreißt aber das Mahnschreiben, das er gerade abschicken wollte.

Am 02. Juli erhält K von einem Geschäftsfreund F ein Darlehn von 60.000,-€. In dem schriftlich aufgesetzten Darlehnsvertrag heißt es: „Zur Sicherheit für ein empfangenes Darlehen in Höhe von 60.000,-€  übereignet Herr K Herrn F 200 fabrikneue Lastenwagenreifen, die sich im Lager des Herrn K in D in der X-Straße befinden. Herr K ist verpflichtet, das Lager ordnungsgemäß zu verwalten und weggegebene Stücke zu ersetzen. Herr F wird das Sicherungsgut sofort bei Rückzahlung des Darlehens freigeben. Die Rückzahlung des Darlehns erfolgt am 01.01. des kommenden Jahres in einer Summe. Bei nicht rechtszeitiger Rückzahlung kann Herr F das Sicherungsgut an sich nehmen und frei verwerten.“

K hat aber noch mehr Schulden. Am 19. September  lässt ein weiterer Gläubiger G die Reifen bei K pfänden. Davon erfährt V am 20.Oktober und fordert G am 22.Oktober brieflich unter Hinweis auf sein Eigentum auf, die gepfändeten Sachen freizugeben. Am 25. Oktober meldet sich auch F unter Berufung auf sein Eigentum bei G. Auf diese Hinweise reagiert G jedoch nicht, so dass die Reifen am 29. Oktober, dem schon vor Erhalt der Briefe von F anberaumten Termin, versteigert werden. Der Erflös, der an G ausgekehrt wird, beträgt nach Abzug der Vollstreckungskosten 150.000,-€.

Sowohl V als auch F verlangen unter Berufung auf ihr Eigentum von G Herausgabe des Nettoerlöses. Ist das Verlangen begründet?

Lösung

A. Anspruch des V gegen G auf Schadenersatz in Höhe des Nettoerlöses (150.000,-€)

I. Anspruch aus § 280 I, 241 II BGB (pVV) in Verbindung mit einem vollstreckungsrechtlichen Sonderrecht

V könnte gegen G einen Anspruch auf Herausgabe der 150.000,-€ aus §§ 280 I, 241 II BGB (pVV) des vollstreckungsrechtlichen Sonderrechtsverhältnisses haben.

1. Vollstreckungsrechtliches Sonderverhältnis

Durch die Zwangsvollstreckung entsteht nicht nur eine „gesetzliche Sonderbeziehung gesetzlicher Art“ zwischen dem Vollstreckungsgläubiger und dem Vollstreckungsschuldner, sondern auch zum Eigentümer des Gegenstandes, der verwertet werden soll. Danach ist der Pfändungsgläubiger zur sorgfältigen Prüfung des Freigabeverlangens eines Drittberechtigten verpflichtet. Diese gegebenfalls zum Schadenersatzanspruch verpflichtende Anspruch des Drittberechtigten auf gewissenhafte Prüfung seiner Rechts wird damit begründet, dass das Gesetz auf eine Prüfung der Eigentumsverhältnisse durch den Gerichtsvollzieher verzichtet und damit eine Beeinträchtigung des Drittberechtigten in Kauf nimmt. Gegen die Bejahung einer Verpflichtung des Vollstreckungsgläubigers zur Geltendmachung Rechten Dritter spricht auch der Charackter von § 771 ZPO als prozessuale Gestaltungsklage, da dem Dritten gerade kein Anpruch auf Freigabe der Sache zugestanden wird, sondern lediglich im Falle einer – wie hier erfolgten – Versteigerung der Sache Schadenersatzansprüche ermöglicht werden soll.

Voraussetzung für das Bestehen eines vollstreckungsrechtlichen Sonderrechtsverhältnisses ist zunächst, dass V im Zeitpunkt der Versteigerung Eigentümer der Reifen war. V hat sein Eigentum durch Eingung und Übergabe gemäß § 929 S. 1 BGB übertragen.

V und K könnten jedoch nachträglich einen Eigentumsvorbehalt gemäß §§ 929 S.1, 158 I BGB vereinbart haben. Um die Frage, welche Anforderungen an die Wirksamkeit eines solchen nachträglich vereinbarten Eigentumsvorbehalts zu stellen sind, beantworten zu können, ist zunächst zu klären, welche dogmatische Konstruktion einer solchen Vereinbarung, bei der der Käufer im unmittelbaren Besitz der Sache bleibt zu grunde liegt. Bei diesem Streit haben sich drei Hauptansichten herausgebildet. Der Bundesgerichtshof hat in seine früher Rechtsprechung entschieden, dass bei einer nachträglichen Sicheurngsübereignung zuerst eine Rückübereignung an den Verkäufer stattfinden muss gemäß §§ 929 S.1, 930 BGB  und anschließend der Verkäufer widerum die Sache an Käufer unter Bedingung zurückübereignet (BGH NJW 1953, 217, 218). Nach einer anderen Ansicht will den nachträglichen Eigentumsvorbehalt in eine Sicherungsübereignung umdeuten, da die Anforderungen an die Bestimmtheit des Eigentumsvorbehaltes verhältnismäßig gering sind und die Sicherungsabrede damit ausreicht (Staudinger-Honsell § 455, Rn 15). Eine weitere Ansicht sieht in dem nachträgliche vereinbarten Eigentumsvorbehalt eine Abwandlung des Kaufvertrages  unter gleichzeitiger Berücksichtigung des um die Anwartschaft des Käufers gekürzten Eigentums zu sehen sein, wobei der geänderte Kaufvertrag als Besitzkonstitut dient.(Palandt-Putzo § 449 Rn 21) Schlussendlich sollte man der letzteren Argumentation folgen, da sie einen haftungsrechtlich riskanten Rechtswechsel vermeidet, ohne dabei über eine Umdeutung zu gehen.

Fraglich ist jedoch, ob eine entsprechende Einigung zwischen K und V über den Übergang des Eigentums vorliegt.

Mit dem Schreiben des K an den V vom 4. Juni hat dieser ein Angebot auf die durch die vollständige Kaufpreiszahlung aufschiebende Rückübertragung des Eigentums an den Reifen gemacht. Fraglich ist, ob V dieses Angebot angenommen hat. Grundsätzlich ist die Annahme gegenüber dem Antragenden zu erklären. Da eine Erklärung vorliegend aber nicht erfolgt ist, kommt eine Annahme unter den Voraussetzungen des § 151 S.1 BGB in Betracht. Die Formulierung des Schreibens des K lege nahe, dass dieser eine Annahmeerklärung durch V nicht erwarte. K hat somit auf die Erklärung der Annahme verzichtet. Dies bedeutet aber nicht, dass deshalb überhaupt keine Annahmeerklärung mehr erfolgen muss. § 151 S.1 BGB befreit lediglich vom Erfordernis der Erklärung der Annahme gegenüber dem Antragenden . Ein nach außenrvortretendes Verhalten des Angebotsempfängers, aus dem sich dessen Annahmewillen unzweideutig ergibt, ist hingegen nach wie vor erforderlich. Da es aber hier auf den Ermpfängerhorizont nicht ankommen kann, hat V nach Empfang der Mitteilung des K durch das Zerreißen des Mahnschreibens aus der Perspektive eines obkjektiven Dritten seinen Annahmewillen hinreichend kundgetan. Somit liegt eine Einigung über die Rückübereignung vor. Diese steht unter aufschiebender Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung gemäß §§ 929 S.1, 158 I BGB. Als Übergabesurrogat dient nach dem oben Gesagten der geänderte Kaufvertrag, der ein Besitzkonstitut im Sinne von § 868 BGB darstellt. Somit ist V durch die Vereinbarung des nachträglichen Eigentumsvorbehalt nach § 929, 930 BGB Eigentümer der Reifen geworden.

Zu prüfen ist, ob V sein Eigentum durch die Vereinbarung zwischen K und F am 2. Juli verloren hat. Nach dem Darlehnsvertrag hat K auf F 200 Lastwagenreifen zur Sicherheit für das Darlehn in Höhe von 60.000,-€ übereignet. Fraglich ist, ob hierin eine wirksame Sicherungsübereignung liegt. Da K nicht Eigentümer der Reifen war, die Reifen allerdings im Besitz des K waren, kommt nur ein gutgläubiger Erwerb des Eigentümers vom Nichtberechtigten gemäß § 929 S., 933 BGB in Betracht. Dann müsste zunächst eine wirksame Einigung vorliegen. Dies könnte deshalb zweifelhaft sein, weil der Eigentumsübertragung zugrunde liegende Sicherungsvertrag wegen anfänglicher Übersicherung gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein könnte, mit der Folge, dass ausnahmsweise auch die Übereignung als generell abstraktes Verfügungsgeschäft von der Sittenwidrigkeit erfasst sein könnte. Eine Übersicherung ist zunächst dann gegeben, wenn der Wert der vom Sicherungsgeber gegebenen Sicherung das gesicherte Risiko deutlich übersteigt. Das Bestehen einer “ ursprünglichen “ Übersicherung kann nicht bereits aus der bloßen Gegenüberstellungder Normbeiträge hergeleitet werden, weil auf der einen Seite dem Gläubiger Kosten über den Forderungsbetrag hinaus entstehen können, andereseits der Sicherungswert als der zu erzielende Verwertungserlös nicht nur bei einer Sache unter ihrem Schätzwert, sondern im Prinzip ebenso bei der Forderung unter dem Nominalbetrag liegen kann. Eine ursprüngliche Übersicherung ist zu bejahen, wenn bereits bei Vertragsschluss gewiss ist, dass im noch ungewissenen Verwertungsfall ein auffälliges Missverhältnis zwischen realistischen Wert der Sicherung und der gesicherten Forderung bestehen wird. Für den Fall der sogenannten „nachträglichen“ Übersicherung lässt sich dies nach der Rechtssprechnung des BGH bejahen, wenn der Schätzewert des Sicherungsgutes im Zeitpunkt des Abschlusses des Sicherungsvertrages 150 %  der Darlehnsforderung übersteigt. Teilweise wird wird darüber diskutiert, ob dieser Wert auch auf die anfängliche Übersicherung übertragen werden kann oder ein Prozentaufschlag vorgenommen werden muss.

Das Darlehn hat hier einen Wert von 60.000,-€, während mit den Reifen durch die Versteigerung bereits ein Nettoerlös von 150.000,-€ zu erzielen war. Die zulässige Deckungsgrenze war daher zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sicherungsvertrages auf jeden Fall überschritten; eine ursprüngliche Übersicherung liegt demnach vor. Ob ein Sicherungsvertrag wegen anfänglicher Übersicherung sittenwidrig ist, muss entsprechend den allgemeinen Grundsätzen nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses beurteilt werden. Dabei sind die Wertungen zu berücksichtigen, die sich aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und dem Zweck zu entnehmenden Charackter des Geschäfts ergeben. Von einem Verstoß gegen § 138 I BGB kann ausgegangen werden, wenn der Sicherungsnehmer aus eigensüchtigen Gründen eine Rücksichtslosigkeit gegenüber den berechtigten Belangen des Sicherungsnehmers an den Tag legt, die nach sittlichen Maßstäben unerträglich ist. Zu beanstanden ist in diesem Fällen aber nicht allein der in der Übersicherung liegende unangemessene Vorteil des Gläubigers, sondern dieser Vorteil im Zusammentreffen mit einer unangemessenen Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Schuldners, anderer Gläubiger oder der Allgemeinheit oder auch dann, wenn die Übersicherung des Gläubigers mit unangemessenen Methoden, etwa durch eine nicht hinnehmbare Ausnutzung der ungünstigen Lage des Schuldners, erwirkt worden ist. Etwas anderes wäre nur anzunehmen, wenn der Sicherungsgeber in Kenntnis des Missverhältnisses  einen höherwertigen Gegenstand als Sicherheit anbietet, weil er über einen solchen, der der Höhe der Sicherung angemessener wäre, gerade nicht verfügt. Angesichts der Tatsache, dass K aber noch weitere Schulden hatte und offenbar über weitere Sachen nicht verfügte stellt sich die Übereignung des gesamten Warenbestandes des K als eine erhebliche Einschränkung seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit dar und verstößt demgemäß gegen seine schutzwürdigen Interessen als Schuldner. Der der von K und F geplanten Sicherungsübereignung zugrunde liegende Sicherungsvertrag ist daher wegen  Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig. Ließe man aber nun die Übereignung wegen des Abstraktionsprinzips wirksam sein, so würde dieser sittenwidrige Zustand gerade dinglich manifestiert. Daher ist auch die Einigung über den Eigentumsübergang sittenwidrig und ein gutgläubiger Erwerb des F scheidet bereits aus diesem Grunde aus. Überdies scheitert eine wirksame Eigentumsübertragung im Wege des gutgläubigen Erwerbs bereits an der fehlenden Übergabe der Reifen an F, die gemäß den §§ 929 S. 1, 933 BGB erforderlich gewesen wäre. Demnach hat F nicht das Eigentum an den Reifen erworben. V war also im Zeitpunkt der Versteigerung Eigentümer, zwischen V und G bestand demnach ein volIstreckungsrechtliches Sonderrechtsverhältnis.

2. Schuldhafte Pflichtverletzung des G

Fraglich ist, ob G seine sich aus dem vollstreckungsrechtlichen Sonderrechtsverhältnis ergebende Pflicht, die Interessen des V sorgfältig zu prüfen, verletzt hat. Das erforderliche Verschulden wird im Rahmen des § 280 Abs. 1 BGB grundsätzlich vermutet. V hat nach der Pfändung der Reifen am 22. Oktober G schriftlich unter Hinweis auf sein Eigentum aufgefordert, die gepfändeten Sachen freizugeben. Eine die Schadensersatzpflicht des Vollstreckungsgläubigers begründende Freigabepflicht besteht jedoch nur dann, wenn der Dritte sein Eigentum — etwa

durch Vorlage eines KfZ-Briefes — hinreichend glaubhaft gemacht hat. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Der Vollstreckungsgläubiger handelt nicht bereits dann fahrlässig, wenn er einer bloßen Mitteilung durch den Dritten nicht nachgeht. Vielmehr muss der Nachweis des Dritteigentums so konkret sein, dass dem Gläubiger zugemutet werden kann, ohne prozessuale Klärung des Falles im Wege der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) die Sache freizugeben. Da sich aber das Herausgabeverlangen des V hier in der bloßen Behauptung erschöpfe, Eigentümer der Reifen zu sein, scheidet eine schuldhafte Pflichtverletzung des G und somit auch ein Anspruch des V aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB (pVV) i.V.m. dem volIstreckungsrechtlichen Sonderrechtsverhältnis vorliegend aus.

II. Anspruch aus §§ 990 Abs. 1 S. 2, 989 BGB

Fraglich ist, ob ein Anspruch des V gegen G auf Herausgabe des Nettoerlöses aus den §§ 990 Abs. 1 S. 2, 989 BGB besteht. Dann musste eine Vindikationslage zwischen V und G bestanden haben. Zwar war G als Vollstreckungsgläubiger mittelbarer Fremdbesitzer der vom Gerichtsvollzieher in Gewahrsam genommenen Reifen. Jedoch hätte V als Eigentümer die Reifen nicht nach § 985 BGB herausverlangen, sondern nur mit dem prozessualen Rechtsbehelf der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) gegen die Pfändung vorgehen können, da § 771 ZPO dem § 985 BGB für den Fall der Besitzvorenthaltung, die auf einem hoheitlichen Akt beruht, vorgeht. Wurde man dem Dritten die Möglichkeit der Leistungsklage zugestehen und hatte er damit Erfolg, würde dies bewirken, dass

die Zwangsvollstreckung nicht weiter betrieben werden kann. Aus diesem Grund schließt §771 ZPO in seinem Anwendungsbereich bis zur vollständigen Beendigung der Zwangsvollstreckung materill-rechtliche Klagen als Spezialvorschrift aus.

III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

Ein Anspruch des V gegen G könnte sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. G könnte durch die Versteigerung das Eigentum des V an den Reifen verletzt haben. Voraussetzung ist, dass V das Eigentum durch den Vollstreckungsakt verloren hat. Dann musste die Versteigerung wirksam gewesen sein. Hiergegen könnte sprechen, dass es sich um eine Versteigerung einer schuldnerfremden Sache handelte. Fraglich ist, auf welcher rechtlichen Grundlage die Versteigerung erfolgt. Nach der öffentlich-rechtlichen Theorie ist Grundlage für die Verwertung das Pfändungspfandrecht. Dieses entsteht nach dieser Theorie mit jeder wirksamen Verstrickung der Sache. Die Verstrickung ist aber nur dann nicht wirksam, wenn ein offensichtlicher und schwerer Verfahrensfehler bei der Pfändung vorliegt. Da ein solcher hier nicht ersichtlich ist, wurde die schuldnerfremde Sache wirksam verstrickt und es entstand ein Pfändungspfandrecht, also eine Grundlage für die Verwertung. Nach der gemischt privatrechtlicht-öffentlichen Theorie ist der Verwertungsvorgang öffentlich-rechtlich zu deuten. Danach bildet nicht das Pfändungspfandrecht die Grundlage für die Verwertung der Sache, sondern die mit der Verstrickung entstehende öffentlich-rechtliche Verwertungsbefugnis des Gläubigers. Es kommt also auch nach dieser Auffassung für die Frage der Wirksamkeit der Versteigerung nicht auf die Eigentumsverhältnisse an der Sache an. Da auch für einen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften vorliegend nichts ersichtlich ist, war die Versteigerung der Reifen wirksam und eine Verletzung des Eigentums des V liegt vor. Die Versteigerung erfolgte auch auf Veranlassung des G. Die Wirksamkeit der Zwangsvollstreckung in die schuldnerfremde Sache ändert auch nichts daran, dass sie gegenüber ihrem Eigentümer objektiv rechtswidrig bleibt. Jedoch ist ein schuldhaftes Handeln des G zu verneinen. Ein Anspruch des V gegen G aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet daher aus.

IV. Anspruch aus §§ 687 Abs. 2, 681 S. 2, 667 BGB

Obgleich die Versteigerung für den G ein fremdes Geschäft darstellt, da er nicht Eigentümer der Reifen war, scheitert ein Anspruch des V gegen ihn aus §§ 687 Abs. 2, 681 S. 2, 667 BGB wegen angemaßter Geschäftsführung daran, dass G nach dem oben Gesagten keine positive Kenntnis von seiner Nichtberechtigung hatte, dies aber gemäß § 687 Abs. 2 BGB erforderlich ist.

V. Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB

Fraglich ist, ob V gegen G einen Anspruch auf Herausgabe des Nettoerlöses aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB zustehen kann. Dann müsste die Versteigerung einer Sache eine Verfügung im Sinne des § 816 BGB darstellen. Verfügungen sind solche Rechtsgeschäfte, die die Rechtslage eines Gegenstandes unmittelbar ändern durch Begründung eines Rechts, dessen inhaltliche Änderung, Übertragung oder Aufhebung. Die Eigentumszuweisung im Rahmen der Zwangsversteigerung geschieht aber durch den Gerichtsvollzieher mittels staatlichen Hoheitsaktes und nicht rechtsgeschäftlich. Demnach scheidet ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB aus.

VI. Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB (Eingriffskondiktion)

V könnte jedoch gegen G einen Anspruch auf Herausgabe des Nettoerlöses aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB haben.

1. In sonstiger Weise etwas erlangt

Durch die Versteigerung hat G den Erlös kraft Hoheitsakt in Hohe von 150.000,- € erlangt. G erhält den Erlös damit nicht aufgrund einer Leistung, sondern in sonstiger Weise auf Kosten des Eigentümers.

2. Auf Kosten eines anderen

Diesen Vermögensvorteil musste G unmittelbar auf Kosten des V erlangt haben. Bei der Versteigerung tritt an die Stelle der versteigerten Sache der Versteigerungserlös; die Rechte an der Sache setzen sich demnach im Wege der dinglichen Surrogation gemäß § 1247 S. 2 BGB analog an dem Erlös fort. V ist Eigentümer des Versteigerungserlöses geworden und G hat den Erlös unmittlelbar auf Kosten des V erlangt.

3. Ohne Rechtsgrund

Dieser Eingriff müsste auch ohne Rechtsgrund erfolgt sein. Ein Rechtsgrund für die Erlangung des Versteigerungserlöses durch G könnte sich vorliegend allein aus dem Pfändungspfandrecht gemäß § 804 ZPO als einem materiellen Befriedigungsrecht ergeben. Es ist jedoch umstritten, ob ein derartiges Pfändungspfandrecht entsteht, wenn eine schuldnerfremde Sache gepfändet wird.

 Nach der öffentlich-privatrechtlichen Theorie ist die Entstehung eines Pfändungspfandrechts allein nach dem Zivilrecht zu beurteilen. In Frage kommt allein eine Entstehung gemäß §§ 1257, 1207, 932 BGB kraft guten Glaubens. Dagegen spricht jedoch schon der Wortlaut des § 1257 BGB, der lediglich auf die Vorschriften über ein bereits entstandenes Pfandrecht, nicht aber auf die Entstehungsnormen verweist. Somit ist nach der öffentlich- privatrechtlichen Theorie ein Pfändungspfandrecht des G an den im Eigentum des V stehenden Reifen durch die Pfändung nicht entstanden.

Fraglich ist, ob nach der öffentlich-rechtlichen Theorie ein Pfändungspfandrecht an den Reifen entstanden ist. Nach dieser Auffassung entsteht ein Pfändungspfandrecht an der Sache mit deren wirksamer Verstrickung, also dann, wenn keine wesentlichen Verfahrensmangel vorliegen, unabhängig davon, dass diese nicht im Eigentum des Vollstreckungsschuldners K standen. Jedoch liegt auch nach dieser Auffassung kein Rechtsgrund zum Behalten des Versteigerungserlöses vor, weil kein materielles Befriedigungsrecht an der Sache entsteht. Der Zuschlag bzw. die gerichtliche Eigentumsüberweisung nach § 825 ZPO stellt lediglich einen Rechtsgrund für die Übertragung des Eigentums an der Sache auf den Erwerber dar.

Somit besteht nach beiden Auffassungen kein Rechtsgrund für das Behalten des Versteigerungserlöses durch G.

V hat daher gegen G einen Anspruch auf Herausgabe des Nettoerlöses in Höhe von 150.000,- € aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB.

Das Verlangen des V ist somit begründet.

B. Anspruch des F gegen G auf Herausgabe des Nettoerlöses

Fraglich ist, ob das Verlangen des F gegen G auf Herausgabe des Versteigerungserlöes begründet ist.

Ein Anspruch des F gegen G aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB (pVV) i.V.m. dem vollstreckungsrechtlichen Sonderrechtsverhältnis scheitert ebenso wie Ansprüche aus den §§ 687 Abs. 2, 681 S. 2, 667 BGB, § 823 Abs. 1 BGB und aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. BGB daran, dass F zu keinem Zeitpunkt Eigentümer geworden ist. Ansprüche aus den §§ 989, 990 und § 816 Abs. 1 Satz 1 BGB scheiden aus den gleichen Gründen wie bei dem zur Prüfung der Ansprüche des V Gesagtem aus.

Anmerkungen

Zu den Themen dieser Klausur sowie zum Schuldrecht AT, Schuldrecht BT (Kaufvertrag, Werkvertrag, Deliktsrecht, GoA,usw.) und Sachenrecht kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Erfahren Sie mehr zum Vollstreckungsrecht: „Zwangsvollstreckung wegen Geldforderung in das bewegliche Vermögen„, „Die Zwangsvollstreckung„, „Vollstreckungsklausel – Aufbau und Prüfung„, „Klausurfall – Vollstreckung„, „Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung

siehe auch: „Umfang des Schadensersatzes„, „Anspruchsgrundlagen Delikt„, „Anspruchsgrundlagen GoA

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Klausur zur Forderungsabtretung

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Sachverhalt

Kaufmann K bestellt Anfang Januar 2005 bei der D-GmbH (D) für die Sommersaison modische Jeansanzüge für insgesamt 15.000,-€. L, Leiter der Verkaufsabteilung und Handelsbevollmächtigter der D, faxt an K sogleich „die Auftragsbestätigung“

L verbindet die Anlieferung der Ware Mitte Januar mit einem Kundenbesuch bei K. Er erklärt K, sie könne nach ihrer Wahl Ware bis zu einem Kaufpreisanteil von 5.000,-€ bis zum 10.07.2005 an D zurückgeben, wenn sie sofort 10.000,-€ bar zahle; im Umfang der Warenrückgabe entfalle der Kaufpreis.

In dieser Weise sind K und L in der Vergangenheit wiederholt verfahren. Für rechtzeitig retournierte Ware hat G, der Geschäftsführer der D, an K anteiligen Kaufpreis erstattet.

K händigt L 10.000,-€ gegen Quittung aus. L übergibt G 5.000,-€ und erklärt ihm, er habe K die Kaufpreisforderung in Höhe von 10.000,-€ bis Ende Juni 2005 gestundet. Mit den restlichen 5.000,-€ bezahlt L persönliche Schulden.

Ende Juni 2005 unterzeichnen G un seine Hausbank H einen Vertrag, in dem D „alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen und Rechte gegen K aus der Lieferung der Jeansanzüge, insbesondere die Kaufpreisforderung in Höhe von 10.000-€ auf H zur Sicherung eines laufenden Geschäftskredites überträgt“. L teilt der K schriftlich mit, D habe  „die noch bestehende Restforderung an H abgetreten“.

Da der Verkauf schlecht läuft, schickt K am 05.07.2005 von D im Januar bezogene Ware im Wert von 5.000,-€ an D zurück unter Hinweis auf die mit L getroffene Abrede und unter gleichzeitiger Benachrichtigung der H. D weigert sich, die Ware anzunehmen und schickt sie ungeöffnet an K zurück mit dem schriftlichen Hinweis des G, der K stehe kein Stornorecht zu, die Genehmigung von Stornoabreden habe G sich stets vorbehalten. Der Absatz der deshalb auf Weisung der H an sie zurückgesandten Ware sei allein ihre Angelegenheit.

K widerspricht, veräußert aber die saisonabhängige Ware zu im Schlussverkauf ortsüblichen Preisen für insgesamt 2.000,-€. H hätte die Ware mit Hilfe von D nur als Sonderposten für 1.000,-€ absetzen können.

Hat H gegen K einen Zahlungsanspruch, wenn ja in welcher Höhe?

Lösung

A. Anspruch auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 10.000 Euro gemäß §§ 433 Abs. 2, 398 S. 2 BGB

H kann gegen K einem Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus §§ 433 Abs. 2, 398 S. 2 BGB haben. Zwischen H und K besteht mangels entsprechender Einigung keine unmittelbare vertragliche Beziehung. Ein derartiger Anspruch der H kann sich folglich nur aus von D abgetretenem Recht ergeben. Dies setzt zunächst einem wirksamen Abtretungsvertrag zwischen D und H voraus.

I. Wirksamer Abtretungsvertrag zwischen D und H

Eine Forderung wird nach § 398 S. 1 BGB durch einen Vertrag zwischen bisherigem Gläubiger (Zedent) umd neuem Gläubiger (Zessionar) auf diesen übertragen. D ist als GmbH nach § 13 Abs. 1 GmbHG rechtsfähig, und kann damit Partei des Abtretungsvertrages sein. Von der Rechtsfähigkeit der H kann mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ausgegangen werden. D und H müssen sich gemäß §§ 145, 147 BGB im Hinblick auf den Forderungsübergang geeinigt haben und dieser Einigung dürften keine Wirksamkeitshindernisse entgegenstehen. Eine entsprechende für die Hausbank H wirkende Willenserklärung liegt vor. Mangels anderslautender Sachverhaltsangaben ist davon auszugehen, dass H bei Verschluss Ende Juni 2005 wirksam vertreten worden ist. Für D hat ihr Geschäftsführer G eine eigene Willenserklärung abgegeben. Die hierfür notwendige Vertretungsmacht des G ergibt sich aus seiner Stellung als Geschäftsführer der GmbH nach §§ 35, 36 GmbHG. Rechtshindernde Einwendungen sind nicht ersichtlich, insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte, die eine Abweichung vom Grundsatz der Formfreiheit des Abtretungsvertrags rechtfertigen könnten. Damit haben D und H einem wirksamen Abtretungsvertrag nach § 398 S. 1 BGB geschlossen.

II. Forderungsinhaberschaft des Zedenten D zum Zeitpunkt der Abtretung

Die Abtretung setzt voraus, dass die abzutretende Forderung dem Zedenten im Zeitpumkt der Abtretung (noch) zusteht. Ein gutgläubiger Forderungserwerb ist dem BGB — abgesehen vom der Ausnahmevorschrift des § 405 BGB —fremd. D muss demnach zum Zeitpunkt der Abtretung Inhaber eines wirksamen Anspruchs auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 10.000 Euro gemäß § 433 Abs. 2 BGB gegen K gewesen sein.

1. Anspruch entstanden

Der Anspruch setzt das Bestehen eines Kaufvertrages zwischen D und K und mithin zwei übereinstimmende Willenserklärungen gemäß §§ 145, 147 BGB voraus.

 a) Antrag

In der Bestellung der Jeansanzüge durch K zu einem Gesamtpreis von 15.000 Euro ist ein entsprechender Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrages zu sehen.

 b) Annahme

Fraglich ist, ob dieser Antrag von D wirksam angenommen worden ist. D selbst hat zwar nicht gehandelt, sie muss jedoch die Willenserklärung des L für und gegen sich gelten lassen, wenn sie durch diesen gemäß § 164 BGB wirksam vertreten worden ist. L hat in Form der ,,Auftragsbestätigung“ eine eigene Willenserklärung namens der D abgegeben. L muss darüber hinaus auch mit Vertretungsmacht gehandelt haben. Nach dem Sachverhalt war D Handlungsbevollmächtigter der D. Seine Vertretungsmacht ergibt sich deshalb unmittelbar aus § 54 Abs. 1 HGB. Bezüglich der Wirksamkeit der Bevollmächtigung bestehen keine Bedenken, insbesondere war die D als Kaufmann kraft Rechtsform nach § 6 Abs. 2 HGB i.V.m. § 13 Abs. 3 GmbHG zur Erteilung der Handlungsvollmacht berechtigt. Die dem L erteilte Vollmacht erstreckte sich auf alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Verkauf von Waren für D oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt. Die Vertretungsmacht umfasste daher auch die Abgabe von Willenserklärungen, die auf den Abschluss von Kaufvertragen gerichtet waren und mithin die Annahmeerklärung gegenüber K.

 c) Zwischenergebnis

Damit liegt eine Einigung zwischen D und K vor. Wirksamkeitshindernisse sind nicht ersichtlich. Der Anspruch von D gegen K auf Kaufpreiszahlung in Höhe von 15.000,- Euro aus § 433 Abs. 2 BGB ist Anfang Januar 2005 entstanden.

2. Anspruch untergegangen

Dieser Anspruch darf im Zeitpunkt der Abtretung an H nicht erloschen sein.

a) Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB

Der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises kann in Höhe von 10.000 Euro durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB untergegangen sein, indem K Mitte Januar 10.000 Euro an L aushändigte.

aa) Wirksame Erfüllungshandlung

Fraglich ist zunächst, ob hierin eine wirksame Erfüllungshandlung zu sehen ist. Der Schuldner erfüllt seine Verbindlichkeit, wenn er die geschuldete Leistung in der richtigen Art und Weise an den richtigen Gläubiger bewirkt. Der Vertragsgläubiger D muss sich den Empfang des Geldes durch L zurechnen lassen, wenn dieser als ihr (passiver) Stellvertreter zur Vornahme einer solchen Rechtshandlung berechtigt war. Eine derartige Berechtigung kann sich aus § 54 HGB ergeben. Die Vorschrift erfasst ihrem Wortlaut nach alle Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines derartigen Handelsgewerbes oder die Vornahme derartiger Geschäfte gewöhnlich mit sich bringt.

Damit war L grundsätzlich auch dazu berechtigt Zahlungen, die zum Ausgleich von Forderungen aus Verkäufen der D geleistet werden, in Empfang zu nehmen. Möglicherweise war diese Berechtigung jedoch nach § 55 Abs. 3 HGB eingeschränkt. Demnach dürfen Abschlussvertreter nicht ohne gesonderte Bevollmächtigung Zahlungen entgegennehmen. Voraussetzung ist, dass § 55 HGB auf die vorliegende Fallkonstellation Anwendung findet.

 Hierfür muss L Abschlussvertreter der D gewesen sein. § 55 HGB erfasst zwei Gruppen von Handlungsbevollmächtigten: zum einen diejenigen, die zugleich Handelsvertreter nach § 84 HGB sind (selbständige Abschlussvertreter), zum anderen diejenigen, die damit betraut sind, regelmäßig außerhalb des Betriebes — also außerhalb der Geschäftsräume — des Prinzipals Geschäfte in dessen Namen abzuschließen (angestellte Handlungsbevollmächtigte im Außendienst). Für die Annahme, dass L Abschlussvertreter der D ist, spricht der Umstand, dass er anlässlich eines Kundenbesuchs bei K — und damit außerhalb des Betriebes der D — Geld entgegengenommen hat. Allerdings ist L nach seiner Stellung als Leiter der Verkaufsabteilung prinzipiell für Geschäftsabschlüsse innerhalb des Betriebes zuständig. Handlungsbevollmächtigte, die nur im Einzelfall außerhalb des Betriebes Verkäufe tätigen werden von § 55 HGB nicht erfasst. L fällt damit nicht in den von § 55 HGB geregelten Anwendungsbereich und unterliegt aus diesem Grund auch nicht der Einschränkung nach § 55 Abs. 3 HGB. Die Annahme der 10.000 Euro von K war mithin von seiner Handlungsvollmacht gedeckt. Damit liegt in dieser Übergabe des Geldes an L grundsätzlich eine wirksame Erfüllungshandlung der K.

bb) Kein Ausschluss nach § 266 BGB

Etwas anderes kann sich jedoch aus § 266 BGB ergeben, wonach der Schuldner zu Teilleistungen nicht berechtigt ist. Danach hätte K die geschuldete Leistung nur vollständig erbringen dürfen, also 15.000 Euro zahlen müssen. § 266 BGB stellt indes dispositives Recht dar, so dass die Parteien eine abweichende Vereinbarung dahingehend treffen können, dass § 266 BGB überhaupt nicht oder nur eingeschränkt gelten soll. L hat K angeboten, dass sie abweichend von der ursprünglichen Vertragsabrede zunächst lediglich 10.000 Euro zahlen müsse. Einer derartigen Vertragsänderung steht § 55 Abs. 2 HGB entsprechend den oben dargestellten Überlegungen nicht entgegen, wonach Vertragsänderungen nur von Abschlussvertretern nicht vorgenommen werden dürfen. Das Angebot des L hat K konkludent durch ihre Zahlung angenommen. Somit bestand im Zeitpunkt der Geldübergabe eine wirksame vertragliche Vereinbarung, nach der K zu einer solchen Teilleistung an D berechtigt war. § 266 BGB steht der Erfüllungswirkung folglich nicht entgegen.

cc) Zwischenergebnis

Der Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB ist daher in Höhe von 10.000 Euro durch Erfüllung gemäß §§ 362 Abs. 1, 164Abs. 1 BGB erloschen. D stand somit im Zeitpunkt der Abtretung allenfalls noch ein Anspruch in Höhe von 5.000 Euro gegen K zu. Nur dieser konnte von der späteren Zession an H erfasst werden.

 b) Rücktritt gemäß § 346 Abs. 1 BGB

Fraglich ist jedoch, ob nicht auch diese restliche Kaufpreisforderung in Höhe von 5.000 Euro erloschen ist. Als rechtsvernichtende Einwendung kommt ein Rücktritt der K vom Kaufvertrag nach § 346 Abs. 1 BGB in Betracht.

aa) Rücktrittserklärung nach § 349 BGB

Erforderlich ist hierfür zunächst eine Rücktrittserklärung gemäß § 349 BGB. Der Rücktritt ist grundsätzlich formfrei möglich und muss nicht ausdrücklich, sondern kann auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Entscheidend ist, dass nach Maßgabe von §§ 133, 157 BGB der Wille zum Ausdruck gelangt, dass die beiderseitigen Leistungspflichten gegenstandslos sein sollen. Eine Begründungspflicht besteht nicht. K hat hier die von ihr nicht benötigte Ware fristgerecht vor dem 10. Juli 2004 an D zurückgesandt, was der mit L getroffenen vertraglichen Abrede entsprach. Aus diesem Verhalten lässt sich entnehmen, dass sie sich bezüglich der zurückgesandten Ware nicht mehr an den Kaufvertrag gebunden fühlte und diesen im Umfang des Warenwerts von 5.000 Euro rückabwickeln wollte. Fraglich ist jedoch, ob D auch der richtige Adressat für die Rücktrittserklärung war oder ob der Rücktritt nicht gegenüber dem Zessionar H hatte erklärt werden müssen. Nach der Rechtsprechung soll der Zedent auch nach der Abtretung Erklärungsgegner für die Ausübung von Gestaltungsrechten bleiben, jedenfalls wenn diese aufgrund eines vor der Abtretung vereinbarten Vorbehalts erfolgen. Nach der Gegenmeinung soll der Schuldner zumindest dann, wenn er die Erklärung aus tatsächlichen Gründen nicht wirksam gegenüber dem Zedenten abgeben kann, auch dem Zessionar gegenüber zur Ausübung des Gestaltungsrechts berechtigt sein. Auf eine Entscheidung kommt es nicht an, da K nach beiden Ansichten berechtigterweise jedenfalls gegenüber dem Zedenten D den Rücktritt erklärt hat.

 bb) Rücktrittsgrund

Ein Rücktrittsrecht im Sinne von § 346 Abs. 1 BGB kann sich vorliegend aus der zwischen L und D getroffenen Stornoabrede ergeben. In der Abrede ist nicht ausdrücklich von einem Rücktrittsrecht die Rede. Es genügt jedoch, dass sich ein derartiger Sinngehalt im Wege die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB eindeutig ermitteln lasst. Nach ihrem Sinn und Zweck ist die getroffene Vereinbarung dahingehend auszulegen, dass K durch Rückgabe der Ware bis zu einem Kaufpreisanteil von 5.000 Euro vom Kaufvertrag zurücktreten können sollte. Fraglich ist allein, wie es sich auswirkt, dass sich G die Genehmigung solcher Stornoabreden stets persönlich vorbehalten hat. Ob und inwieweit sich Dritte interne Beschränkungen der Handlungsvollmacht entgegenhalten lassen müssen, regelt § 54 Abs. 2, Abs. 3 HGB. Einschlägig ist § 54 Abs. 3 HGB. Danach gelten sonstige Beschränkungen der Handlungsvollmacht Dritten gegenüber nur bei entsprechender Kenntnis oder Kennenmüssen. K wusste nichts von dem Umstand, dass G sich die Genehmigung von Stornoabreden vorbehalten hatte. Auch waren für sie keine Anhaltspunkte erkennbar, die eine derartige Regelung naheliegend erscheinen ließen. Sie besaß also weder Kenntnis noch ist ihr grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen. Damit steht § 54 Abs. 3 HGB der Wirksamkeit der vertraglichen Abrede zwischen L und K nicht entgegen. K stand ein vertragliches Rücktrittsrecht gemäß § 346 Abs. 1 Var. 1 BGB zu.

cc) Kein Ausschluss des Rücktritts

Weder für einen vertraglichen Ausschluss des Rücktritts noch für ein Eingreifen gesetzlicher Ausschlussgründe wieetwa §§ 323 Abs. 5, Abs. 6 BGB bietet der Sachverhalt hinreichende Anhaltspunkte.

dd) Einwendungserhalt zugunsten von K

H muss den Rücktritt als Einwendung der K grundsätzlich nur dann gegen sich gelten lassen, wenn dieser bereits zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Gläubiger D begründet war, wie sich aus § 404 BGB ergibt. Begründet im Sinne dieser Vorschrift ist eine Einwendung bereits dann, wenn sie im Zeitpunkt der Abtretung ihren Rechtsgrund in dem Schuldverhältnis gehabt hat, aus dem die abgetretene Forderung stammt. Nicht erforderlich ist es, dass die den Einwand auslösende Tatsache bereits vor der Abtretung eingetreten ist. K hatte sich von L ein vertragliches Stornorecht einräumen lassen und damit bereits im Januar 2005 die Grundlage für die spätere Ausübung dieses Rechts gelegt. Es kommt deshalb nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt sie von ihrem Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht hat. Der von H im Wege der Abtretung erworbenen Forderung aus § 433 Abs. 2 BGB haftete also von Beginn an die jederzeit mögliche Ausübung des Rücktrittsrechts durch K an. Damit kann K sich nach § 404 BGB prinzipiell auf den Rücktritt berufen. Etwas anderes kann sich jedoch wegen § 407 Abs. 1 BGB aus dem Umstand ergeben, dass K von L bereits Ende Juni 2005 im Sinne von § 409 BGB über die Abtretung informiert wurde. Nach § 407 Abs. 1 BGB muss der neue Gläubiger ein Rechtsgeschäft, das nach der Abtretung zwischen dem Schuldner und dem bisherigen Gläubiger in Ansehung der Forderung vorgenommen wird, nur gegen sich gelten lassen, wenn der Schuldner von der Abtretung bei der Vornahme des Rechtsgeschäfts keine Kenntnis hat. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass § 407 Abs. 1 BGB das Vertrauen des Schuldners darauf schützt, dass der Zedent nach wie vor Gläubiger der Forderung ist. Die Norm erweitert den Anwendungsbereich von § 404 BGB damit in erster Linie in zeitlicher Hinsicht, da nicht auf den Zeitpunkt der Abtretung sondern auf den der Kenntniserlangung abgestellt wird. Ihrem Schutzzweck nach soll die Norm jedoch in keinem Fall die Rechtsposition des gutgläubigen Schuldners verschlechtern. Das der K von D vor Abtretung eingeräumte Stornorecht kann also durch diese nicht qualitativ beeinträchtigt werden. K könnte H gegenüber mithin einwenden, dass sie vom Kaufvertrag mit D zurückgetreten ist, sofern alle Voraussetzungen eines wirksamen Rücktritts erfüllt sind.

 III. Zwischenergebnis

Der Anspruch von D gegen K aus § 433 Abs. 2 BGB ist in voller Höhe erloschen. H hat gegen K mithin keinen Anspruch auf Zahlung von 10.000 Euro gemäß §§ 433 Abs. 2, 398 S. 2 BGB.

 B. Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro gemäß§§ 280 Abs. 1, Abs. 3,283, 346 Abs. 4, 398 S. 2 BGB

H kann gegen K einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 346 Abs. 4, 398 S. 2 BGB haben. Ein derartiger Anspruch des H kann sich ebenfalls nur aus abgetretenem Recht ergeben. Dies setzt zunächst einen wirksamen Abtretungsvertrag zwischen D und H voraus.

I. Abtretungsvertrag

D und H haben wie gezeigt einen Abtretungsvertrag geschlossen. Fraglich ist, ob die Abtretung nach dem übereinstimmenden Parteiwillen auch mögliche Sekundäransprüche aus dem Vertragsverhältnis zwischen D und K erfassen sollte. Hierfür spricht der eindeutige Wortlaut des Abtretungsvertrages, nach dem „alle gegenwärtigen und zukunftigen Forderungen und Rechte aus der Lieferung“ übertragen werden sollten. Hieraus wird deutlich, dass H auch erst nachträglich entstehende Ansprüche erhalten sollte. Ob auch zum Zeitpunkt der Abtretung noch nicht bestehende Forderungen überhaupt abgetreten werden können, wird unterschiedlich beurteilt. Nach überwiegender Auffassung soll eine solche Vorausabtretung möglich sein. Die Rechtswirkungen der Abtretung sollen danach erst mit dem Entstehen der Forderung eintreten. Dies gelte auch dann, wenn die Entstehung des Anspruchs noch ungewiss sei oder die Person des Schuldners noch nicht im einzelnen feststehe. Die Rechtsprechung erkennt die Abtretung einer solchen Forderung als wirksam an, wenn ihre juristische Entstehungsgrundlage benannt oder der für die Entstehung maßgeblichen Lebenssachverhalt umschrieben wird, sofern sich die Forderung bei ihrem Entstehen danach zuverlässig als der Abtretung unterfallend definieren lässt. D hat H ,,alle“ künftigen Forderungen gegen K aus dem konkreten Vertragsverhältnis abgetreten. Davon ist jedenfalls auch ein etwaiger Schadensersatzanspruch wegen einer Pflichtverletzung erfasst. Die zwischen D und H getroffene Abrede genügt mithin den Anforderungen, die an eine wirksame Vorausabtretung zu stellen sind. Der Abtretungsvertrag ist dementsprechend auch im Hinblick auf einen erst zukünftig entstehenden Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 346 Abs. 4 BGB wirksam.

II. Forderungsinhaberschaft des Zedenten D im Zeitpunkt der Abtretung

D stand – da die Rücktrittserklärung der K erst am 5. Juli erfolgte — zum Zeitpunkt der Abtretung im Juni 2005 kein wirksamer Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 346 Abs. 4, 398 S. 2 BGB gegen K zu. Eine Abtretung ist jedoch — wie gezeigt — auch im Hinblick auf künftige Forderungen prinzipiell möglich. Dies gilt auch dann, wenn die Entstehung des Anspruchs noch ungewiss ist. Da die künftige Forderung bereits bei der Abtretung so genau umschrieben wurde, dass sie spätestens bei ihrer Entstehung nach Gegenstand, Umfang und Person des Schuldners als Einzelforderung individualisierbar war, ist eine tatsächliche Forderungsinhaberschaft der D im Zeitpunkt der Abtretung nicht notwendig. Allerdings muss die Forderung zu einem späteren Zeitpunkt entstanden sein, damit H sie gegenüber K geltend machen kann. Dies ist der Fall, wenn die Voraussetzungen von §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283 BGB vorliegen.

1. Schuldverhältnis

Das maßgebliche Schuldverhältnis im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB ist das durch die Ausübung des Rücktrittsrechts durch K ausgelöste Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff. BGB zwischen K und H.

2. Pflichtverletzung

K muss eine Pflicht aus diesem Rückgewährschuldverhältnis verletzt haben, wobei nach überwiegender Ansicht allein ein objektives Fehlverhalten vorliegen muss. In Betracht kommt die Pflicht der K, die von D erhaltene Ware im Wege der Rückabwicklung des Leistungsaustausches nach § 345 Abs. 1 BGB an H zurückzugeben.

Diese Pflicht hat K nicht erfüllt. Die Erfüllung kann ihr nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden sein. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die geschuldete Leistung für jedermann, also sowohl für den Schuldner als auch für einen Dritten, endgültig unerbringlich ist.Dem steht nach § 275 Abs. 1 BGB die subjektive Unmöglichkeit (Unvermögen) gleich. Beim Verlust der Verfügungsmacht über den geschuldeten Gegenstand aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ist nach allgemeiner Auffassung von Unvermögen auszugehen, wenn feststeht, dass der Schuldner die Verfügungsmacht nicht mehr erlangen und zur Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs auch nicht auf die Sache einwirken kann. K hat die Ware im Schlussverkauf vorbehaltlos nach § 929 S. 1 BGB an Dritte übereignet. Damit ist ihr die Rückübereignung an H subjektiv unmöglich geworden. Sie kann den Leistungserfolg aus dem Riickgewährschuldverhältnis – die Rückgewähr – nicht bewirken und hat daher eine ihr obliegende Pflichtverletzt.

3. Vertretenmüssen

Schließlich muss K die Nichtleistung auch nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu vertreten haben. Dabei ist zu beachten, dass das bloße Ausbleiben der geschuldeten Leistung nicht zugleich der unmittelbare Bezugspunkt des Verschuldensurteils ist. Bezugspunkt für die fehlende Leistungsfähigkeit ist hier die zur eigenhändige Veräußerung der Ware im Wege des Selbsthilfeverkaufs durch K. Nach § 280 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 276 Abs. 1 BGB hat der Schuldner grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Mangels anderslautender Angaben im Sachverhalt kommt allein ein eigenes Verschulden der K in Betracht. Sie hat angenommen, dass sie zu einem eigenhändigen Selbsthilfeverkauf berechtigt sei. Dies entspricht nicht den in §§ 383 ff. BGB statuierten Vorgaben, wonach ein Verkauf nach § 385 BGB eine vorherige Androhung voraussetzt und nur durch einen zu solchen Verkäufen öffentlich ermächtigten Handelsmakler oder durch eine zur öffentlichen Versteigerung befugte Person erfolgen darf. Diese Fehleinschätzung war für K vermeidbar, als Kauffrau hätte sie vorab eine Auskunft über die rechtlichen Voraussetzungen des Selbsthilfeverkaufs einholen müssen. Hierdurch hat sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, mithin ist ihr fahrlässiges Verhalten vorwerfbar. Allerdings sieht § 275 Abs. 1 BGB vor, dass die Haftung für Fahrlässigkeit nur eingreift, sofern nicht durch eine Rechtsvorschrift eine strengere oder mildere Haftung bestimmt ist. Als derartige Haftungserleichterung zugunsten von K kommt vorliegend § 300 Abs. 1 BGB in Betracht. Danach haftet der Schuldner im Falle des Gläubigerverzugs nach §§ 293 ff. BGB nur für grobe Fahrlässigkeit. H muss sich demnach zunächst in Annahmeverzug befunden haben.

 a) Leistungsberechtigung

Gläubigerverzug liegt nur vor, wenn der Schuldner so, wie er die Leistung anbietet, auch leisten darf, also insbesondere am rechten Ort (§§ 269, 270 BGB) und zur rechten Zeit (§ 271 BGB). Dem entgegenstehende AnhaItspunkte sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen. K hat sich bei der Rücksendung der Waren vereinbarungsgemäß verhalten.

 b) Leistungsvermögen

K war weiterhin zur Leistung auch bereit und imstande.

 c) Angebot der Leistung

Der Schuldner muss die Leistung gemäß §§ 294 bis 296 BGB dem Gläubiger oder einem empfangsberechtigten Dritten anbieten. Das Angebot ist ein Realakt und keine Willenserklärung, so dass eine ausdrückliche Erklärung oder ein Zugang beim Gläubiger gemäß § 130 BGB nicht notwendig sind. K hat die Waren an D gesendet. D war als Empfangsvertreterin gemäß § 164 Abs. 3 BGB der H zur Entgegennahme der Waren ermächtigt.

 d) Nichtannahme der Leistung

D weigerte sich hier auf Weisung der H, die von K zurückgesandte Ware anzunehmen und schickte diese ungeöffnet an K zurück. H hat damit die Annahme der Leistung verweigert.

 e) Zwischenergebnis

Damit befand sich H zum Zeitpunkt der Veräußerung der Ware im Annahmeverzug nach § 293 BGB.

 Es greift für K also die Haftungserleichterung des § 300 Abs. 1 BGB ein, so dass sie allein für grobe Fahrlässigkeit einzustehen hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird, insbesondere wenn dasjenige nicht beachtet wird, was sich im konkreten Fall jedem aufgedrängt hätte. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich H mit der Annahme der Ware im Verzug befand, musste K nicht auf den ersten Blick ins Auge fallen, dass sie sich durch den Selbsthilfeverkauf pflichtwidrig verhielt, zumal bei weiterer Lagerung über das Ende des Schlussverkaufs hinaus, eine weiterer Wertverfall der Saisonartikel zu befürchten war. Damit handelte sie jedenfalls nicht grob fahrlässig und hat mithin ihre Pflichtverletzung nicht zu vertreten.

III. Ergebnis

H hat gegen K keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283,346 Abs. 4, 398 S. 2 BGB.

C. Anspruch auf Zahlung von Wertersatz in Höhe von 10.000 Euro gemäß §§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 398 S. 2 BGB

H kann gegen K einen Anspruch auf Wertersatz in Hohe von 10.000 Euro gemäß §§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 398 S. 2 BGB haben. Der Anspruch kann sich unter den oben dargelegten Voraussetzungen nur aus abgetretenem Recht ergeben. Da die entsprechende Zession wie gezeigt wirksam war, kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen des abgetretenen Anspruchs erfüllt sind.

 I. Anwendbarkeit

Fraglich ist zunächst, ob § 346 Abs. 2 BGB neben einem Anspruch aus § 346 Abs. 4 BGB zur Anwendung gelangt. Zum Teil wird angenommen, dass ein Schadensersatzanspruch aus § 346 Abs. 4 BGB dem Wertersatzanspruch vorgehe. Die Gegenmeinung geht von Idealkonkurrenz zwischen beiden Ansprüchen aus. Die Streitfrage kann hier letztlich offen bleiben, da die Voraussetzungen für einen Anspruch von H gegen K aus § 346 Abs. 4 BGB nicht erfüllt sind. Damit kommt § 346 Abs. 2 BGB nach beiden Auffassungen zur Anwendung.

II. Anspruchsvoraussetzungen

Zunächst müssen die Voraussetzungen des Anspruchs erfüllt sein.

1. Wirksamer Rücktritt

K ist — wie oben festgestellt — wirksam vom Kaufvertrag mit D zurückgetreten.

2. Ausschluss der Rückgewähr in natura

Weitere Voraussetzung ist, dass K die erhaltene Ware nicht zurück gewähren kann. Die Rückgabe der Ware ist K wie gezeigt gemäß § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i.V.m. § 275 Abs. 1 BGB durch die vorbehaltlose Weiterveräußerung nachträglich unmöglich geworden.

 3. Kein Ausschluss des Wertersatzanspruchs

Darüber hinaus darf der Anspruch aus § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB nicht nach § 346 Abs. 3 S. 1 BGB ausgeschlossen sein. In Betracht kommt § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB wonach die Pflicht zum Wertersatz entfallt, soweit der Gläubiger die Verschlechterung oder den Untergang zu vertreten hat oder der Schaden bei ihm gleichfalls eingetreten wäre. H muss demnach die Verschlechterung oder den Untergang der Ware gemäß der ersten Variante der Vorschrift zu vertreten haben. Der Begriff des Vertretenmüssens deckt sich hierbei mit dem der ,,Verantwortlichkeit“ in § 326 Abs. 2 BGB. Daher soll der Anspruch auf Wertersatz ausgeschlossen sein, wenn es zu einer nicht vom Schuldner zu vertretenden Verschlechterung oder zum Untergang der Sache kommt, während sich der Rückgewährgläubiger im Annahmeverzug befindet. H befand sich erst nach dem 5. Juli 2005 im Annahmeverzug. Die Frage, ob der bereits zuvor eingetretene saisonbedingte Preisverfall eine Verschlechterung der von K zurückzugewährenden Ware darstellt, muss daher nicht beantwortet werden. Dieser liegt jedenfalls außerhalb des Zeitraums, in dem H eine überwiegende Verantwortlichkeit hätte treffen können. Der Wertersatzanspruch entfällt aber auch, wenn die Ware während des Annahmeverzuges untergegangen ist. Ein tatsächlicher Untergang im Wortsinn liegt jedoch nicht vor, vielmehr ist K durch die Veräußerung lediglich die Rückübertragung rechtlich unmöglich geworden. Die Pflicht zum Wertersatz ist folglich nicht nach § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB entfallen.

III. Anspruchsinhalt

Nach § 346 Abs. 2 S. 2 BGB ist eine vertraglich bestimmte Gegenleistung bei der Berechnung des Wertersatzes zugrunde zu legen. Vertraglich vereinbart war zwischen D und K hier ein Kaufpreis für die verbliebene Ware in Höhe von 5.000 Euro. Fraglich ist, ob im vorliegenden Fall eine abweichende Beurteilung geboten ist, da es sich bei der von K zurückzugewährenden Ware um Saisonartikel handelt, und K aufgrund dieses Umstands nur noch einen Erlös von 2.000 Euro erzielen konnte. Der Zeit- und Verkaufswert modischer Saisonware sinkt zum Ende der Saison infolge üblicher, sich zunehmend steigernder Rabattgewährung erheblich. Auch H hatte nach dem Sachverhalt im Falle der ordnungsgemäßen Rückgabe der Ware diese lediglich zu einem Preis von 1.000 Euro absetzen können. Die starre Zugrundelegung des Gegenwerts im Zeitpunkt des Leistungsaustausches wurde daher zu einem unbilligen Ergebnis zu Lasten von K führen. Um diese Diskrepanz aufzulösen, bietet sich ein Rückgriff auf die parallel gelagerte Konstellation der Lieferung von Ware, die bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs mangelhaft ist, an. In dieser Situation ist allgemein anerkannt, dass sich der Wertersatzanspruch des Verkäufers im Falles des Rückritts in entsprechender Anwendung von § 441 Abs. 3 BGB reduziert. Auf den vorliegenden Fall sind dieser Grundsatz und seine Rechtsfolge insoweit übertragbar, als dass nach der zwischen K und D getroffenen Stornoabrede allein D das Risiko eines saisonbedingten Preisverfalls tragen sollte. Das Risiko eines solchen Preisverfalls fiel daher ebenso in ihren Risikobereich wie das Risiko eines bei Gefahrübergang vorliegenden Sachmangels. Eine strenge Orientierung der Wertersatzpflicht an der vertraglich vereinbarten Gegenleistung verstieße daher letztlich gegen das in § 242 BGB festgeschriebene Gebot von Treu und Glauben. Anstelle des Werts der Gegenleistung hat sich der Wertersatzanspruch deshalb am objektiv erzielbaren Verkaufswert im Zeitpunkt der fristgerechten Rückgabe zu orientieren. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Warenwert noch 2.000 Euro.

IV. Ergebnis

H hat somit gegen K einen Anspruch auf Wertersatz in Höhe von 2.000 Euro aus § 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 398 S. 2 BGB.

D. Anspruch auf Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von 2.000 Euro als rechtsgeschäftliches Surrogat gemäß §§ 285 Abs. 1 BGB analog, 398 S. 2 BGB

H kann gegen K einen Anspruch auf Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe von 2.000 Euro gemäß §§ 285 Abs. 1 BGB analog, 398 S. 2 BGB haben. Der Anspruch kann sich unter den oben dargelegten Voraussetzungen nur aus abgetretenem Recht ergeben. Da die entsprechende Zession wie gezeigt wirksam war, kommt es allein darauf an, ob die Voraussetzungen des abgetretenen Anspruchs erfüllt sind.

 I. Anwendbarkeit

§ 285 BGB ist auf Herausgabeansprüche auf Grund der Ausübung eines Rücktrittsrechts anwendbar, wobei nicht zwischen gesetzlichen und vertraglich vorbehaltenen Rücktrittsrechten unterschieden wird.

 II. Unmöglichkeit der Leistung

Der Anspruch des Gläubigers aus § 285 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass der Schuldner nach § 275 BGB von einer Leistungspflicht frei geworden ist. K ist ihre Rückgabepflicht aus § 346 Abs. 1 BGB aufgrund der vorbehaltlosen Veräußerung der Ware im Schlussverkauf unmöglich geworden.

III. Erlangen eines Ersatzes oder Ersatzanspruchs

K muss weiterhin einen Ersatz oder Ersatzanspruch (so genanntes ,,stellvertretendes commodum“) erlangt haben. Hierunter ist jeder Vermögensvorteil zu verstehen, der wirtschaftlich im Schuldnervermögen an die Stelle der nach § 275 BGB weggefallenen Leistung tritt, wobei es auf eine wirtschaftliche Betrachtung ankommt. Insofern kommt hier allein der von K im Schlussverkauf mittels der Veräußerung der Waren erzielte Erlös in Betracht. Da bei Bekleidungsartikeln im Einzelhandel regelmäßig Bargeschäfte getätigt werden und dem Sachverhalt keine entgegenstehenden Anhaltspunkte zu entnehmen sind, kann angenommen werden, dass die Zahlungsansprüche von K gegen ihre Kunden auch bereits durch Zahlung erfüllt worden sind. Damit hat K als Ersatz den Verkaufserlös in Höhe von 2.000 Euro erlangt.

IV. Kausalität

Den Ersatz muss K ,,infolge“ des Umstands erlangt haben, der zur Befreiung von ihrer Leistungspflicht nach § 275 BGB geführt hat. Erforderlich ist nach dem Wortlaut der Vorschrift also, dass zwischen diesem Umstand und der Erlangung des stellvertretenden commodums ein Kausalzusammenhang besteht. Fraglich ist, wie es sich auswirkt, dass der Erlös, den K erzielt hat, nicht auf der dinglichen Eigentumsverschaffung zugunsten ihrer Kunden, sondern auf den diesem dinglichen Übertragungsakt zugrundeliegenden Kausalverhältnissen beruht. Insoweit hat K – unter Beachtung des Abstraktionsprinzips – den Erlös nicht aufgrund des Umstands erlangt, der ihre Leistungsbefreiung begründet, denn diese war allein Konsequenz der vorbehaltlosen Übereignung. Ob auch ein derartiger Veräußerungserlös (commodum ex negotiatione) von § 285 Abs. 1 BGB erfasst wird, ist umstritten. Im Schrifttum wird die Anwendbarkeit des § 285 BGB auf das commodum ex negotiatione teilweise verneint und statt dessen auf eine Wertersatzpflicht des Schuldners verwiesen. Nach überwiegender Meinung bestehen dagegen keine Bedenken gegen eine zumindest entsprechende Anwendung des § 285 BGB, und zwar selbst dann, wenn die Gegenleistung des Dritten bei weitem den Wert des Gegenstandes übersteigt. Für diese Auffassung lasst sich insbesondere anführen, dass es dem Grundgedanken des § 285 BGB am ehesten entspricht, wenn dem Schuldner ein Gewinn, den er aus einem gegenüber seinem Gläubiger rechtswidrigen Geschäft zieht, nicht verbleibt. Andernfalls waren derartige Vertragsverletzungen für den Schuldner nahezu risikolos, so dass er sogar auf Kosten des Gläubigers spekulieren konnte. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die letztgenannte Auffassung vorzugswürdig. Demnach liegt die erforderliche Kausalität zwischen dem die Leistungsbefreiung begründenden Umstand und der Erlangung des Ersatzes vor.

 V. Identität

Letztlich muss der Schuldner dem Ersatz speziell ,,für“ den geschuldeten Gegenstand erlangt haben, von dessen Leistung er frei geworden ist. K schuldete H nach § 346 Abs. 1 BGB nicht die bloße Übertragung des Besitzes, sondern die Verschaffung des Eigentums an der veräußerten Ware. Den erzielten Erlös erhielt sie von ihren Kunden als ccmmodum ex negotiatione ebenfalls für die Übertragung des Eigentums. Somit liegt die erforderliche Identität von Surrogat und geschuldetem Gegenstand vor.

 VI. Ergebnis

H hat gegen K einem Anspruch auf Herausgabe des Verkaufserlöses in Höhe vom 2.000 Euro aus §§ 285 Abs. 1, 389 S. 2 BGB.

Anmerkungen

Zu den Themen dieser Klausur sowie zum Schuldrecht AT, Schuldrecht BT (Kaufvertrag, Werkvertrag, Deliktsrecht, GoA,usw.) und Sachenrecht kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Siehe zur Problematik BGB AT: „Die Stellvertretung„, „Bestandteile einer Willenserklärung„, „Haftung im Gefälligkeitsverhältnis„, „Schweigen als Willenserklärung„, „Auslegung von Willenserklärungen„, „Wirksamwerden von Willenserklärungen„, „Konkurrenzen BGB -Lösung vom Vertrag„, „Rechtsfolgen des Rücktritts

Erfahren Sie mehr zum Schuldrecht AT: “ Die Aufrechnung„, „Schuldrecht AT-Leistungsstörungen„, „Unmöglichkeit„, „Vertragsschluss – Internetauktion„, „Globalzession„, „Vertreten müssen bei Nacherfüllung

Siehe auch zum Schuldrecht BT: „Anspruchsgrundlagen Deliktsrecht„, „Nacherfüllung beim Kaufvertrag„, „Gewährleistungsrecht Kaufvertrag„, „Rücktritt vom Kauvertrag„, „Pflichtverletzung nach § 280 I beim Kauf

Zum Gesellschaftsrecht: „Anspruchsgrundlagen Gesellschaftsrecht„, „BGB-Gesellschaft

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Klausur Versammlungsrecht (Niedersachsen)

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Sachverhalt

Paula P. (P) ist Studentin der Rechtswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover. Im März 2013 erfährt sie durch einen Flugzettel, der auf dem Campus der Juristischen Fakultät verteilt wird, dass für den 1. Mai 2013 eine Demonstration der N-Partei in Hannover geplant sei. P fühlt sich als überzeugte Demokratin verpflichtet, ein Zeichen gegen diese Demonstration zu setzen. Schon im Jahr 2012 hatte sie mit mehreren Kommilitonen versucht, eine entsprechende Versammlung mit verschiedenen Aktionen und Sitzblockaden zu verhindern – da diese Gegenveranstaltung jedoch ganz spontan organisiert werden musste, gelang es der Polizei innerhalb von kürzester Zeit, P und ihre Freunde wegzutragen, sodass die Demonstration der N-Partei ohne irgendwelcher Beeinträchtigungen durchgeführt werden konnte. Um die Effizienz der Gegendemonstration in diesem Jahr zu steigern, planen die P und ihre Kommilitonen zwei Wochen vor der N-Partei-Versammlung ein Straßentheater, im Rahmen derer das Blockieren und Stören der rechtsextremen Versammlung geprobt werden soll.

P meldet dementsprechend am 01.04.2013 für den 16.04.2013 eine öffentliche Kundgebung unter dem Motto „Antifaschistisches Straßentheater“ und für den 01.05.2013 eine Gegendemonstration zum Aufmarsch der N-Partei an.

Die Sachbearbeiterin der örtlich und sachlich zuständigen Versammlungsbehörde Frau Berta Bolze (B) lässt sich daraufhin die Akte aus dem Vorjahr vorlegen und lädt die P zu einem sog. Kooperationsgespräch ein. Aus diesem Gespräch, der Akte des Vorjahres, aus diversen Zeitungs-berichten sowie aus dem Inhalt der Internetseite der P schließt die Sachbearbeiterin folgerichtig, dass Ziel der von P am 16.4.2013 geplanten Veranstaltung ist, die für den 1. Mai 2013 geplante und bereits genehmigte Versammlung der N-Partei aktiv zu stören bzw. falls irgend möglich, zu verhindern. Die Sachbearbeiterin genehmigt daraufhin zwar am 14.04.2013 das beantragte Straßentheater der P; das Schreiben an P enthält jedoch folgenden Zusatz:

„Probeblockaden jedweder Art und Rollenspiele, deren Inhalt das probeweise Wegtragen von Versammlungsteilnehmern ist, die zu „Übungszwecken“ eine Blockadeaktion simulieren sowie sonstige schauspielerische Aktionen, die Blockadeaktionen darstellen, sind untersagt.“

Bezüglich der für den 1. Mai 2013 geplanten Gegendemonstration zum Aufmarsch der N-Partei hat die Sachbearbeiterin B Hinweise im Internet entdeckt, dass es Planungen der Gruppe der P gibt, die Versammlungsteilnehmer der N-Partei mit Clownskostümen zu provozieren. B befürchtet, dass es gerade aufgrund dieser Kostümierung zu Ausschreitungen kommen könnte und genehmigt die von P beantragte Gegendemonstration für den 1. Mai 2013 mit folgendem Zusatz:

„Pantomimisch-spielerische Aktionen kostümierter Personen (insbesondere mit Clownskostümen) haben einen Abstand von mindestens 200 Metern zur am gleichen Tag durchgeführten Versammlung der N-Partei einzuhalten.“

P ist empört, als sie das Schreiben der Versammlungsbehörde am 15.04.2013 liest. Aus Angst, dass sie, wenn sie die Veranstaltung am 16.04.2013 wie geplant durchführt, mit negativen Folgen für ihr berufliches Fortkommen rechnen muss, sagt sie kurzerhand die ganze Aktion für den 16.04.2013 ab. Dennoch will sie die Angelegenheit nicht auf sich beruhen lassen, da sie fest damit rechnet, dass auch in den kommenden Jahren wieder Aufmärsche der N-Partei in Hannover stattfinden sollen und sie der Auffassung ist, dass es ihr möglich sein muss, sich als Verfechterin der Werte der Verfassung unter relativ realistischen Bedingungen – und seien sie auch nur gespielt – auf eine Bekämpfung solcher Aufmärsche vorzubereiten. Auch will P nicht akzeptieren, dass es ihr und ihren Mitstreitern am 1. Mai 2013 verboten sein soll, Clownskostüme anzuziehen.

Am 18.04.2013 wendet sie sich mit ihrem Anliegen an das Verwaltungsgericht Hannover.

Wie wird das Verwaltungsgericht entscheiden?

Gutachten

Das Verwaltungsgericht Hannover wird über die Klage der P entscheiden, soweit es als Gericht zuständig ist und soweit die Klage der P zulässig und begründet ist.

 A. Verwaltungsrechtsweg

Zunächst müsste der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet sein.

I. Aufdrängende Sonderzuweisung

Eine aufdrängende Sonderzuweisung zum Verwaltungsgericht für die vorliegende Streitigkeit liegt nicht vor.

II. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I 1 VwGO

Insofern richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 I 1 VwGO.

1. Öffentlich-rechtliche Streitigkeit

Erforderlich ist dafür, dass es sich vorliegend um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt. Dieses bestimmt sich zunächst nach der modifizierten Subjektstheorie. Danach ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen einen hoheitlichen Träger einseitig berechtigen oder verpflichten. Zu klären ist damit, welche Normen dem vorliegenden Streit zugrunde liegen. Allerdings existieren zwei verschiedene Bescheide der B, gegen die die P jeweils vorgehen möchte. Hinsichtlich des Streitgegenstandes ist damit zum einen zwischen dem ersten Bescheid, der die Erprobung von Sitzblockaden verbietet, und dem zweiten Bescheid, der die Annäherung mit Clownskostümen an die genehmigte Veranstaltung der N auf 200 Meter beschränkt, zu differenzieren. Obwohl es sich hierbei jedoch um zwei grundlegend verschiedene Bescheide handelt, beinhalten beide Beschränkungen von Versammlungen. Insofern richtet sich der Streitgegenstand beide Male nach § 8 I NVersG. Die Normen des NVersG berechtigen einseitig eine Behörde zur Beschränkung von Versammlungen. Insofern handelt es sich nach der modifizierten Subjektstheorie bei den vorliegenden Streitigkeiten um solche des öffentlichen Rechts.

2. Nicht-verfassungsrechtlicher Art

Weiterhin ist eine doppelte Verfassungsunmittelbarkeit gegeben, da es sich weder um eine Streitigkeit auf dem Gebiet des Verfassungsrechts, noch um eine Streitigkeit zwischen zwei am Verfassungsleben Beteiligten handelt.

3. Keine abdrängende Sonderzuweisung

Eine abdrängende Sonderzuweisung ist überdies nicht erkennbar.

4. Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen des § 40 I 1 VwGO sind erfüllt, so dass der Rechtsweg zum Verwaltungsgericht eröffnet ist.

B. Zulässigkeit

Die Klage müsste aber auch zulässig sein.

I. Statthafte Klageart

Dafür ist zunächst erforderlich, dass eine statthafte Klageart vorliegt. Die statthafte Klageart richtet sich grundsätzlich nach dem Klagebegehren des Klägers, § 88 VwGO. Als problematisch könnte sich hier jedoch erweisen, dass P sich gegen zwei Bescheide wendet. Es ist daher möglich, dass sie hinsichtlich jedes einzelnen Bescheides etwas anderes begehrt, so dass notwendigerweise die beiden Begehren jeweils separat auf ihr Klagebegehren zu untersuchen sind.

1. Bescheid 1 = Erprobung von Sitzblockaden

In dem ersten Bescheid wird der P durch die Sachbearbeiterin B zwar das Straßentheater an sich gewährt, aber lediglich unter der Beschränkung Sitzblockaden unter dem Deckmantel eines Straßentheaters zu erproben. Diese geplante Veranstaltung sollte am 16.04.2013 stattfinden, wurde aber durch die P, wegen zu befürchtender arbeitsrechtlicher Konsequenzen, abgesagt. Die statthafte Klageart ist nun entscheidend davon abhängig, ob sich die P eigenständig gegen die Beschränkung zur Wehr setzen kann.

a) Isolierte Anfechtungsklage von Nebenbestimmungen

Als statthafte Klageart käme beispielsweise eine isolierte Anfechtungsklage von Nebenbestimmungen in Betracht. Erforderlich wäre dann jedoch, dass die vorliegende Beschränkung eine Nebenbestimmung iSd § 36 VwVfG darstellt, der ein Haupt-VA zugrundeliegt. Als Haupt-VA käme lediglich die Genehmigung einer Versammlung in Betracht. Die Voraussetzungen eines VAes richten sich nach § 35 S.1 VwVfG. Danach müsste eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelung eines Einzelfalles mit Außenwirkung vorhanden sein. Ob hinsichtlich der Genehmigung der Veranstaltung an sich aber eine Regelung zugrunde liegt ist äußerst fraglich. Laut § 1 NVersG ist es jedermann gestattet eine Versammlung durchzuführen. Es ist zwar grundsätzlich erlaubt, dass die Behörde eine Versammlung unter gewissen Umständen einschränkt, es obliegt aber nicht der Behörde darüber zu entscheiden, dass überhaupt eine Versammlung stattfinden darf. Eine Versammlung ist damit gar nicht genehmigungsfähig, so dass die B das Zustandekommen der von P geplanten Veranstaltung auch nicht hätte verhindern können. Insofern liegt der „Genehmigung“ der Versammlung keine Regelung zugrunde und es existiert kein Haupt-VA. Dies hat jedoch zur Folge, dass es sich bei den Beschränkungen um keine Nebenbestimmung iSd § 36 VwVfG handeln kann. Eine isolierte Anfechtungsklage gegen Nebenbestimmungen scheidet damit aus.

b) Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK) oder Feststellungsklage

Möglich erscheint aber, dass das Klagebegehren zu einer FFK oder einer Feststellungsklage passen könnte.

aa) Vorliegen eines VAes

Für eine FFK ist zunächst das Vorliegen eines VAes iSd § 35 S.1 VwVfG erforderlich. Dann müsste der „Zusatz“ der B, der gerade keine Nebenbestimmung ist, einen eigenständigen VA darstellen. Es handelt sich bei dem Verbot der Erprobung von Sitzblockaden um eine Beschränkung einer Versammlung durch die B und damit um eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts. Die Einschränkung der Versammlung stellt überdies eine Regelung dar, die nur für den Fall der P gilt und ihr gegenüber bekannt gegeben wurde. Insofern liegen die Voraussetzungen des § 35 S.1 VwVfG vor. Ein VA ist damit gegeben.

bb) Vorherige Erledigung

Weiterhin müsste sich der VA bereits vor dem Ende der Verhandlung erledigt haben. Beispiele für mögliche Erledigungen liefert § 43 II VwVfG. Die P hatte Sorge, dass sie bei Durchführung der Veranstaltung in der von ihr geplanten Weise arbeitsrechtliche Konsequenzen zu fürchten habe und hat die Veranstaltung damit abgesagt. In dieser Handlung ist grundsätzlich eine Rücknahme zu erkennen. Allerdings war die Veranstaltung selbst nicht genehmigungsfähig, so dass auch keine klassische Rücknahme eines etwaigen Antrags in Betracht kommt. Unabhängig davon sollte die Veranstaltung aber bereits am 16.04.2013 stattfinden und die P wendet sich erst am 18.04.2013 an das Verwaltungsgericht. Damit ist bereits eine Erledigung in Form des Zeitablaufs gegeben.

Diese Erledigung fand allerdings nicht erst im Verlauf des Verfahrens, sondern bereits vor Klageerhebung statt. Eine direkte Anwendung des § 113 I 4 VwGO kommt wegen des Widerspruch zum Wortlaut nicht in Betracht. Fraglich ist daher, ob eine analoge Anwendung der FFK oder vielmehr eine reine Feststellungsklage Anwendung finden kann. Würde man im Falle der Erledigung des VAes vor Klageerhebung eine analoge FFK verneinen und stattdessen annehmen, dass in einem solchen Fall die Feststellungsklage eingreife, so würde die statthafte Klageart von dem reinen Zufall des Zeitpunktes der Erledigung abhängen. Dies würde aber dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderlaufen, so dass man auch im Falle der Erledigung vor Klageerhebung zu dem Schluss gelangen muss, dass die einzig richtige statthafte Klageart die FFK ist, allerdings lediglich in analoger Anwendung.

cc) Zwischenergebnis

P kann sich gegen den ersten Bescheid und des darin enthaltenden Verbots der Erprobung von Sitzblockaden mittels einer FFK gem. § 113 I 4 VwGO analog zur Wehr setzen.

2. Bescheid 2 = Annäherungsverbot

Auch der zweite Bescheid ist auf das Begehren der P hin zu untersuchen, § 88 VwGO.

Der zweite Bescheid der B enthält zunächst ebenfalls eine Genehmigung der Versammlung an sich und beschränkt sie in einem weiteren Schritt durch den Zusatz, dass die P an der Veranstaltung zwar grundsätzlich Clownskostüme tragen, sich aber nur maximal 200 Meter an die ebenfalls genehmigte Veranstaltung der N annähern darf.

Auch für diese Veranstaltung gilt grundsätzlich, dass eine Versammlung in der hier vorliegenden Form genehmigungsfrei ist und dessen Stattfinden nicht der Entscheidung der B unterlag. Zu untersuchen ist wiederum, ob der von der B als „Zusatz“ deklarierte Teil einen eigenen VA darstellt und mit welcher Klage sich die P dagegen wehren könnte.

a) Vorliegen eines VAes

Zunächst könnte der vermeintliche Zusatz einen eigenständigen VA iSd § 35 S.1 VwVfG darstellen. Die B hat als Behörde eine einseitige Anordnung getroffen, die eine öffentliche Versammlung im Falle des R beschränkt. Damit sind die Voraussetzungen des § 35 S.1 VwVfG erfüllt und ein VA liegt vor.

b) Keine Erledigung

Desweiteren ist zu klären, ob sich auch dieses Begehren bereits erledigt hat. Allerdings soll die Gegendemonstration erst am 01.05.2013 stattfinden und die P wendet sich bereits am 18.04.2013 an das Verwaltungsgericht. Insofern liegt das begehrte Ereignis in der Zukunft und ist noch nicht erledigt.

c) Anfechtungsklage oder Verpflichtungsklage

Das geplante Ereignis liegt lediglich zwei Wochen in der Zukunft. Insofern erscheint es fraglich, ob die P noch rechtzeitigen Rechtsschutz erhalten kann. Allerdings hat die Behörde keine sofortige Vollziehung des Annäherungsverbotes angeordnet, durch die der Suspensiveffekt der P eingeschränkt wäre. Die P kann damit nach Klageerhebung die Veranstaltung wunschgemäß durchführen, selbst dann, wenn das Gericht über ihre Klage noch nicht entschieden hat. Ein Antrag nach § 80 V VwGO scheidet damit von vornherein aus.

In Betracht kommen allerdings sowohl die Anfechtungs- als auch die Verpflichtungsklage. Eine Verpflichtungsklage würde aber nur dann eingreifen, wenn die P die B durch das Gericht dazu verpflichten möchte, den bisherigen Bescheid aufzuheben und erneut über die Genehmigung der Versammlung, diesmal allerdings ohne den Zusatz, zu entscheiden. Eine Verpflichtung zum Neuerlass ohne Zusatz käme aber nur dann in Frage, wenn ein Grund-VA existieren würde. Die Versammlung an sich ist aber genehmigungsfrei, so dass eine Verpflichtungsklage die Behörde nur verpflichten könnte, nochmals über die Beschränkung nachzudenken und diese gegebenenfalls zu unterlassen. Diese Klage würde den bestehenden VA jedoch nicht beseitigen, so dass sie das Klagebegehren nicht ausreichend durchsetzen kann. Eine Verpflichtungsklage scheidet damit aus.

Übrig bleibt aber die Anfechtungsklage. P wendet sich direkt gegen das Annäherungsverbot und damit gegen einen eigenständigen VA. Wenn dieser VA beseitigt wird, existiert für die P keinerlei Beschränkung mehr. Die Versammlung selbst ist genehmigungsfrei und darf ohne Weiteres sattfinden. Insofern ist hinsichtlich des Annäherungsverbots die Anfechtungsklage iSd § 42 I, 1. Alt. VWGO die statthafte Klageart.

3. Zwischenergebnis

Nach genauer Betrachtung des Sachverhaltes ist festzustellen, dass P zwei unterschiedliche Klagebegehren iSd § 88 VwGO verfolgt. Hinsichtlich des 1. Bescheides ist die statthafte Klageart damit die FFK in analoger Anwendung des § 113 I 4 VwGO und hinsichtlich des 2. Bescheides die Anfechtungsklage gem. § 42 I, 1. Alt. VwGO. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen ist daher zwischen den jeweiligen Klagearten zu differenzieren.

II. Klagebefugnis

Neben der statthaften Klageart ist erforderlich, dass die P klagebefugt ist.

1. Zu § 113 I 4 VwGO analog

Bei der FFK handelt es sich grundsätzlich nicht um eine Feststellung eines erledigten VAes sondern vielmehr um eine Anfechtung eines bereits erledigten VAes. Aufgrund der Nähe zu § 42 I, 1. Alt. VwGO ist daher auch eine Klagebefugnis analog § 42 II VwGO erforderlich. Die Klagebefugnis richtet sich nach der Möglichkeitstheorie. Danach ist die Klagebefugnis gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Kläger in subjektiven Rechten verletzt worden ist. Die P hätte die erste Versammlung nur durchführen können, sofern sie keine Sitzblockaden erprobt. Diese Einschränkung könnte einen rechtswidrigen Eingriff in das aus Art. 8 I GG garantierte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit darstellen. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung besteht, wodurch auch eine Klagebefugnis zu bejahen ist.

2. Zu § 42 I, 1. Alt. VwGO

Hinsichtlich des zweiten Bescheides ist die Anfechtungsklage einschlägig, so dass sich die erforderliche Klagebefugnis hierbei direkt nach § 42 II VwGO richtet. Für die Anfechtungsklage ist die Klagebefugnis sowohl nach der Möglichkeitstheorie, als auch nach der sog. Adressatentheorie zu beurteilen. Die Adressatentheorie ist zu bejahen, wenn der Kläger Adressat eines belastenden VAes ist, der ihn in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG belastet. Der zweite Bescheid enthält ein Annäherungsverbot. Ein Verbot belastet den Adressaten grundsätzlich, so dass gemäß der Adressatentheorie die Klagebefugnis der P gegeben ist. Allerdings erscheint durch das Annäherungsverbot überdies die Möglichkeit zu bestehen, dass die P in ihrem aus Art. 8 I GG garantierten Versammlungsrecht verletzt wurde. Insofern ist P gem. § 42 II VwGO sowohl über die Adressaten-, als auch durch die Möglichkeitstheorie klagebefugt.

III. Klagegegner

1. Zu § 113 I 4 VwGO analog

Der richtige Klagegegner für die FFK bestimmt sich nach § 78 I Nr.2 VwGO analog iVm § 8 II AGVwGO. Die Polizeidirektion H als dem Ministerium für Inneres und Sport nachgeordnete ober Landesbehörde, die den VA erlassen hat, ist im vorliegenden Fall der richtige Klagegegner.

2. Zu § 42 I, 1. alt. VwGO

Hinsichtlich der Anfechtungsklage richtet sich der Klagegegner direkt nach § 78 I Nr.2 VwGO iVm § 8 II AGVwGO. Aber auch hier ist die Polizeidirektion H der richtige Klagegegner.

IV. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

Weiterhin müssen sowohl die Klägerin, als auch die Beklagte beteiligten- sowie prozessfähig sein.

1. Die Klägerin P
a) Beteiligtenfähigkeit

Die Beteiligtenfähigkeit der Klägerin P als natürliche Person, bestimmt sich nach § 61 Nr.1, 1. Alt. VwGO.

b) Prozessfähigkeit

Nach § 62 I Nr.1 VwGO ist die P überdies auch prozessfähig.

2. Die Beklagte Stadt S
a) Beteiligtenfähigkeit

Die Stadt S ist eine juristische Person, so dass sich die Beteiligtenfähigkeit nach § 62 I Nr.1, 2. Alt. VwGO bestimmt.

b) Prozessfähigkeit

Als Behörde ist die Stadt S nicht in der Lage selbstständig zu handeln, so dass es einen Vertreter bedarf. Die Prozessfähigkeit ergibt sich damit aus § 62 III VwGO iVm § 86 I 1 NKomVG, wonach der Bürgermeister der Stadt S prozessfähig ist.

V. Besondere Sachurteilsvoraussetzungen

Weiterhin ist zu untersuchen welche besonderen Sachurteilsvoraussetzungen für die Zulässigkeit der Klagen vorhanden sein müssen.

1. Vorverfahren
a) Zu § 113 I 4 VwGO analog

Es bedarf zunächst der Klärung, ob § 113 I 4 VwGO analog überhaupt ein Vorverfahren bedarf. Grundsätzlich ist ein Vorverfahren iSd § 68 I 1 VwGO nur bei § 42 I, 1., 2. Alt. VwGO erforderlich, also lediglich bei der Anfechtungs- als auch bei der Verpflichtungsklage. Insofern ist fraglich, ob es bei § 113 I 4 VwGO analog eines Vorverfahrens gem. § 68 I 1 VwGO analog überhaupt bedarf. Diese Frage ist jedoch hinfällig, wenn die Anwendung des § 68 I 1 VwGO in Niedersachsen ohnehin durch § 68 I 2 VwGO von vornherein ausgeschlossen sein sollte. Gem. § 68 I 2 VwGO iVm § 8a NAGVwGO ist die Durchführung eines Vorverfahrens grundsätzlich entbehrlich, sofern kein Fall des § 8a III NAGVwGO vorliegen sollte. Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht einschlägig, so dass das Vorverfahren in Niedersachsen tatsächlich nicht durchgeführt werden muss. Die Frage der analogen Anwendung des § 68 I 1 VwGO kann damit dahinstehen.

b) Zu § 42 I, 1. Alt. VwGO

Auch im Falle der Anfechtungsklage iSd § 42 I, 1. Alt. VwGO gilt grundsätzlich § 68 I 1 VwGO. Im Wege des § 68 I 2 VwGO iVm § 8a NAGVwGO und der Nichteinschlägigkeit des § 8a III NAGVwGO ist das Vorverfahren für den hier vorliegenden Fall unstatthaft.

2. Klagefrist

Erforderlich ist auch, dass die P ihre Klagen fristgerecht einreicht.

a) Zu § 113 I 4 VwGO analog

Wie oben bereits festgestellt werden konnte, ist eine FFK nichts anderes als eine Anfechtungsklage gegen einen bereits erledigten VA und gerade nicht nur eine Feststellungsklage. Insofern richtet sich die Klagefrist für § 113 I 4 VwGO analog nach der für die Anfechtungsklage geltenden Vorschrift. Gemäß § 74 I 1 VwGO analog ist die Klage damit grundsätzlich einen Monat ab Bekanntgabe iSd § 41 I 1 VwVfG des VAes einzureichen. Vorliegend existiert jedoch keine Rechtsmittelbelehrung, so dass sich die Klagefrist nach § 58 II 1 VwGO verlängert und insgesamt ein Jahr beträgt. Die P hat ihre Klage bereits vier Tage nach der tatsächlichen Kenntnisnahme von dem VA erhoben, so dass vorliegend sogar beide Fristen beachtet worden sind. Damit ist die FFK der P fristgerecht erhoben worden.

b) Zu § 42 I, 1. Alt. VwGO

Die Klagefrist der Anfechtungsklage richtet sich nach § 74 I 1 VwGO und beträgt grundsätzlich einen Monat. Wegen des Versäumnisses der Rechtsmittelbelehrung durch die B verlängert sich gem. § 58 II 1 VwGO die Klagefrist jedoch auf insgesamt ein Jahr. Auch die Anfechtungsklage hat P vier Tage nach der Bekanntgabe des VA (vgl. § 41 I 1 VwVfG) erhoben, so dass die Klagefrist von ihr eingehalten wurde.

3. Fortsetzungsfeststellungsinteresse

Letztlich ist das Vorhandensein eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses (FF-Interesses) bezüglich der FFK iSd § 113 I 4 VwGO analog erforderlich. Ein solches ist vor allem dann gegeben, wenn bezogen auf den VA eine Wiederholungsgefahr besteht oder der Kläger durch den VA so stark verletzt wurde, dass ein Rehabilitationsinteresse notwendig ist. P befürchtete arbeitsrechtliche Konsequenzen, sofern sie die Veranstaltung wie geplant stattfinden lassen hätte. Bereits im Vorjahr hatte sie bei einer Gegendemonstration an einer Sitzblockade teilgenommen, die polizeilich aufgelöst wurde. Insofern wurde eine Akte über den Vorfall angelegt, aus der das Verhalten auch für die B erkennbar war. Es war daher nicht auszuschließen, dass bei geplantem Stattfinden der Veranstaltung, die Erprobung von Sitzblockaden polizeilich aufgelöst und unterbunden worden wäre, so dass die P erneut polizeilich in Erscheinung getreten wäre. Die Sorge vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen war daher nicht unbegründet, so dass die P ein Rehabilitationsinteresse hat.

Überdies ist es nicht unwahrscheinlich, dass der P auch in Zukunft Beschränkungen seitens der B bzw. der Stadt S auferlegt werden, um die Erprobung von Sitzblockaden zu unterbinden. Insofern besteht zusätzlich auch eine Wiederholungsgefahr.

Damit ist das FF-Interesse vorhanden.

VI. Zwischenergebnis

Die FFK gem. § 113 I4 VwGO analog gegen den ersten Bescheid, sowie die Anfechtungsklage gem. § 42 I, 1. Alt. VwGO gegen den zweiten Bescheid sind zulässig.

C. Objektive Klagehäufung, § 44 VwGO

Wegen des Vorliegens zweier Klagen ist ferner zu prüfen, ob eine objektive Klagehäufung gem. § 44 VwGO gegeben ist, die die Geltendmachung beider Klagen in lediglich einem Verfahren ermöglichen würde.

I. Identität der Beklagten

Dazu müsste bei beiden Klagen die Identität der Beklagten vorhanden sein. Sowohl die FFK, als auch die Anfechtungsklage richten sich beide gegen die Stadt S, so dass eine Identität der Beklagten vorhanden ist.

II. Selbes Gericht

Zudem müsste dasselbe Gericht für die Klagen zuständig sein. Beide Male ist hier der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, so dass jeweils die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Stadt Hannover und damit dasselbe Gericht zuständig ist.

III. Sachlicher Zusammenhang

Letztlich müsste ein sachlicher Zusammenhang zwischen den verfolgten Klagen bestehen. P möchte zwei Veranstaltungen vornehmen, die sich nach dem NVersG richten. Beide Male werden die Versammlungen von der B eingeschränkt, so dass ein gleicher Sachverhalt gegeben ist. Die erste Veranstaltung soll darüber hinaus eine Vorbereitung der zweiten Veranstaltung sein, denn die erprobten Sitzblockaden sollen am 01.05.2013 zur Anwendung kommen. Damit besteht auch ein sachlicher Zusammenhang zwischen den Klagen.

IV. Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen der objektiven Klagehäufung gem. § 44 VwGO sind erfüllt, so dass die P beide Klagen in nur einem Verfahren verfolgen kann.

D. Begründetheit

Die Klagen müssten allerdings auch begründet sein.

I. Zu § 113 I 4 VwGO analog

Die FFK gem. § 113 I 4 VwGO analog wäre begründet, soweit der VA tatsächlich rechtswidrig war und die P in ihren subjektiven Rechten verletzt hat.

1. Rechtmäßigkeit des VA

Damit ist zunächst festzustellen, ob der erste Bescheid, der die Erprobung von Rollenspielen verbietet, rechtswidrig war. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Bescheid auf einer Ermächtigungsgrundlage beruht und sowohl formell, als auch materiell rechtmäßig war.

a) Ermächtigungsgrundlage = § 8 I NVersG

Der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes besagt, dass ein belastender VA nur ergehen kann, wenn für ihn eine Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist. Vorliegend handelt es sich um einen die P belastenden VA, so dass es einer Ermächtigungsgrundlage bedarf. Die B beschränkt hier eine Versammlung, die in Niedersachsen stattfinden soll. Insofern ist das NVersG anzuwenden. Das NVersG gewährt in § 8 I NVersG die Einschränkung von Versammlungen unter freiem Himmel, so dass § 8 I NVersG eine wirksame Ermächtigungsgrundlage darstellt.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Zudem müsste die formelle Rechtmäßigkeit gegeben sein.

aa) Zuständigkeit

Dies erfordert zunächst die Zuständigkeit der B, die laut Sachverhalt jedoch gegeben ist.

bb) Verfahren

Außerdem müsste das für VAe geltende Verfahren eingehalten worden sein. Dies setzt vor allem nach § 28 I VwVfG eine vorherige Anhörung der P voraus. Die B hat die P vor ihrer Entscheidung zu einem Konfliktgespräch eingeladen und ihr die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Damit ist auch das Verfahren eingehalten worden.

cc) Form

Letztlich müsste die B die Form beachtet haben. Grundsätzlich ist ein VA formfrei, § 37 II 1 VwVfG. Wurde der VA jedoch schriftlich erlassen, so ist ihm eine Begründung gem. § 39 VwVfG hinzuzufügen. Aus welchen Gründen die B die Erprobung von Sitzblockaden jedoch verbietet, ist nicht ersichtlich. Insofern fehlt es an der Begründetheit und damit wäre der VA grundsätzlich formwidrig und formell unrechtmäßig. Allerdings ermöglicht § 45 Nr.2 VwVfG, für den Fall der fehlenden Begründung, eine Heilung der Formvorschrift, sofern die B bis zum Ende der Verhandlung die Begründung noch nachholt. Davon ist vorliegend zunächst auszugehen.

Insofern ist der VA zwar grundsätzlich nicht formell rechtmäßig, er kann es aber werden, sofern die B ihren Fehler heilen wird.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Dementsprechend ist weiter zu prüfen, ob der VA materiell rechtmäßig war.

aa) Tatbestandsmerkmale

Dies setzt zunächst voraus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage, also die Voraussetzungen des § 8 I NVersG, vorliegen.

(a) Versammlung unter freiem Himmel

Bei der von P geplanten Veranstaltung müsste es sich um eine Versammlung unter freiem Himmel handeln. Eine Versammlung iSd NVersG ist gem. § 2 NVersG eine ortsfeste oder sich fortbewegende Zusammenkunft von mindestens zwei Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Unter freiem Himmel findet die Veranstaltung statt, wenn sie nicht zu den Seiten hin begrenzt ist. P hatte vor, sich mit anderen, Gelichgesinnten, zu treffen und gemeinsam Sitzblockaden zu erproben, die nicht ohne weiteres durch die Polizei aufzulösen sind. Diese Erprobung sollte zudem öffentlich und unter freiem Himmel stattfinden. Damit liegt eine Versammlung unter freiem Himmel vor.

(b) Zuständige Behörde, § 24 I Nr.1 NVersG

Die zuständige Behörde richtet sich nach § 24 I Nr.1 NVersG. Allerdings hat B sowohl als örtlich, wie auch als sachlich zuständige Sachbearbeiterin der Stadt S gehandelt, so dass sich hierbei keinerlei Probleme ergeben.

(c) Öffentliche Sicherheit

Überdies müsste durch die Versammlung der P die öffentliche Sicherheit gefährdet sein. Eine solche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommt immer dann in Betracht, wenn ein Gesetzesverstoß vorhanden ist. Möglich erscheint vorliegend ein Verstoß gegen § 240 I StGB. Sollte eine Nötigung bejaht werden könne, so läge ein Gesetzesverstoß und damit eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor. Demzufolge ist eine inzidente Prüfung des § 240 I StGB vorzunehmen und zwar aus dem Blickwinkel, dass die Versammlung tatsächlich stattgefunden hätte.

P könnte sich wegen Nötigung gem. § 240 I StGB strafbar gemacht haben, indem sie die N- Partei mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Duldung, Handlung oder einem Unterlassen zwingt.

(aa.) Objektiver Tatbestand

Dann müsste zunächst der objektive Tatbestand des § 240 I StGB erfüllt sein.

((a.)) Nötigungsmittel

Dazu müsste die P Gewalt angewandt haben. Gewalt ist der (zumindest auch) physisch vermittelte Zwang zur Überwindung eines bestehenden oder erwarteten Widerstandes. Unbestritten und damit unproblematisch ist, dass die Herbeiführung einer körperlichen Zwangseinwirkung beim Opfer Gewalt ist, womit sowohl vis absoluta als auch vis compulsiva umfasst sind. Ob der Gewaltbegriff jedoch auf ein Verhalten ausgedehnt werden kann, das lediglich in der körperlichen Anwesenheit besteht und dessen Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist, war lange umstritten. Problematisch war dabei vor allem, dass die Gefahr der Ausuferung des Gewaltbegriffes bestand, der zu einem Widerspruch gegen den Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 103 II GG geführt hätte. Der BGH hat die Vorgaben dadurch versucht zu erfüllen, dass er eine Eingrenzung bezüglich der psychischen Zwangseinwirkung vornimmt, den Verzicht auf eine körperliche Kraftentfaltung beim Angriff aber aufrecht erhält und als sinnvoll einstuft. Im Bezug auf Sitzblockaden auf Autobahnen entwickelte der BGH eine Zwei-Reihen-Theorie, der bis heute zu folgen ist. Er entschied dabei, dass die erste Reihe von Autofahrern, die sich der Sitzblockade nähern, und die ohne eine Verletzung von Demonstranten in Kauf zu nehmen nicht weiterfahren können, lediglich einem psychischen Hindernis unterliegen. Dieses rein psychische Hindernis stelle jedoch noch keine Gewalt dar. Die „zweite Reihe“ von Autofahrern haben, durch die stehengebliebene „erste Reihe“, jedoch ein tatsächlich nicht überwindbares Hindernis vor sich. Insofern wird auf diese Reihe auch tatsächlicher Zwang ausgeübt, der physischer Natur ist und damit auch unter den Gewaltbegriff fällt.

Folgt man der Auffassung des BGH, indem man den vermittelten Zwang bzgl. der „zweiten Reihe“, für ausreichend erklärt, so ist dennoch daran zu denken, dass die Grundrechte der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, Art. 5, 8 GG, die Tat rechtfertigen könnten. Bei einer nach dem Versammlungsgesetz ordnungsgemäß angemeldeten, friedlichen Demonstration sind die mit der Durchführung notwendig verbundenen Nebenfolgen erlaubt. Gleiches gilt für Eil- und Spontandemonstrationen. Ist aber die Beeinträchtigung Dritter nicht bloße Nebenfolge, sondern beabsichtigt, so wird dies nicht mehr von Art. 8 GG gedeckt. Vielmehr kann diese Versammlung sogar aufgelöst werden. Auch Art. 5 GG rechtfertigt die Blockade nicht, denn § 240 StGB ist ein allgemeines Gesetz i.S.d. Art. 5 II GG.

Vorliegend würde die Probeblockade selbst noch keine Gewalt darstellen. Allerdings lag der Zweck der Erprobung von Sitzblockaden darin, diese polizeifeste Sitzblockade an der Gegendemonstration am 01.05.2013 durchzuführen und damit aktiv die N- Partei an ihrem Weiterkommen zu hindern und deren Versammlung zu unterbinden. Sowohl nach der Zwei-Reihen-Theorie, als auch nach der Einschränkung der Rechtfertigung über die Grundrechte der Versammlungs- und Meinungsfreiheit übt mindestens die erste Personenreihe der N-Partei, die sich aufgrund der Sitzblockade der P nicht fortbewegen kann, als physisches Hindernis für die restlichen Versammlungsteilnehmer der N- Partei. Damit ist physische Gewalt und ein Nötigungsmittel gegeben.

((b.)) Nötigungshandlung

Überdies ist eine Nötigungshandlung, also eine Drohung, erforderlich. Eine Drohung ist das In-Aussicht-Stellen eines empfindlichen Übels, auf dessen Verwirklichung der Täter Einfluss hat oder Einfluss zu haben vorgibt. Empfindlich ist das Übel, wenn es einen Wertverlust darstellt, der aufgrund seines Ausmaßes geeignet ist, das Verhalten des Genötigten zu bestimmen. Durch die Sitzblockade würde P mit ihren Sitzblockadenteilnehmern aktiv die Versammlung der N-Partei behindern können, so dass bereits das vorbereitende Üben ein künftiges Übel in Aussicht stellt. Eine Nötigungshandlung liegt also vor.

((c.)) Nötigungserfolg

§ 240 I StGB ist ein Erfolgsdelikt, sodass die Nötigung erst vollendet ist, wenn das Opfer infolge des Einsatzes eines Nötigungsmittels auch tatsächlich die bezweckte Handlung oder Unterlassung vornimmt. Die N-Partei wäre an der Ausübung ihrer Versammlung tatsächlich gehindert, so dass auch ein Nötigungserfolg bestehen würde. Folglich ist auch der Nötigungserfolg vorhanden.

(bb.) Subjektiver Tatbestand

Der Zweck der Sitzblockade der P besteht gerade in der Behinderung der Versammlung der N-Partei, so dass nicht nur Vorsatz im Wege des dolus eventualis, sondern vielmehr dolus directus 1. Grades vorliegt und damit der subjektive Tatbestand erfüllt ist.

(cc.) Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe für das Verhalten der P liegen nicht vor. Überdies ist die aktive Behinderung einer „genehmigten“ Versammlung unter dem Deckmantel der eigenen Versammlungsfreiheit weder von der Meinungs- noch von der Versammlungsfreiheit umfasst, und damit als verwerflich einzustufen. Aus diesem Grund ist auch die Rechtswidrigkeit gegeben.

(dd.) Schuld

Schuldausschließungs- sowie Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich, so dass P auch schuldhaft handelte.

(ee.) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen der Nötigung gem. § 240 I StGB sind allesamt erfüllt, so dass sich P wegen Nötigung strafbar gemacht hätte, wenn sie die Sitzblockaden zum Zwecke der Behinderung der Versammlung der N- Partei erprobt und anschließend tatsächlich ausführt. Aufgrund des Vorliegens eines Gesetzesverstoßes ist damit die öffentliche Sicherheit gefährdet.

(d) Öffentliche Ordnung

Dadurch, dass die erprobte Sitzblockade nahezu polizeifest und damit nicht oder nur schwer aufzulösen wäre, hätte dies auch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zur Folge.

(e) Gefahr

Weiterhin müsste eine Gefahr vorliegen, also ein Zustand, der nach allgemeiner Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens erwarten lässt. P hat bereits im Vorjahr im Wege einer Sitzblockade versucht, die Versammlung der N-Partei zu behindern. Des Weiteren ist sie davon überzeugt, dass es ihr Recht sei, diese Behinderung vorzunehmen, so dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Behinderung und damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegeben sind.

(f) Unmittelbarkeit

Letztlich müsste die Gefahr auch unmittelbar sein, also allzeit in ein konkretes Ereignis umzuschlagen drohen. Die tatsächliche Gegendemonstration soll bereits in zwei Wochen stattfinden, so dass ein zeitlicher Zusammenhang zur Vorbereitung der Sitzblockaden zu sehen ist. Die Unmittelbarkeit ist damit vorhanden.

(g) Zwischenergebnis

Damit liegen alle Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 8 I NVersG vor.

bb) Richtiger Adressat

Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal wird überdies vorausgesetzt, dass sich die Maßnahme der Behörde gegen den Störer, als den richtigen Adressaten, wendet. Die Beschränkung von Versammlungen nach § 8 I NVersG ist dem Versammlungsleiter iSd § 7 I 1 NVersG mitzuteilen. P hat die Versammlung ins Leben gerufen und ist für die Ausführung und Einhaltung der Beschränkungen als Versammlungsleiterin verantwortlich. Der Bescheid der B wurde auch an sie gerichtet, so dass sie richtiger Adressat der Maßnahme ist.

cc) Rechtsfolge

Die materielle Rechtmäßigkeit wäre allerdings nur gegeben, wenn auch die Rechtsfolge des § 8 I NVersG eingehalten worden wäre.

(a) Ermessen

§ 8 I NVersG ist eine Ermessensvorschrift, so dass die Entscheidung der B lediglich eingeschränkt, nämlich nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin, überprüfbar ist, § 114 VwGO.

(aa.) Ermessensnichtgebrauch

In Betracht kommt zunächst ein Ermessensfehler in Form des Ermessensnichtgebrauch. Ein solcher Fehler ist immer dann anzunehmen, wenn die Behörde gar nicht erkannt hat, dass sie in ihrer Entscheidung frei ist, sondern vielmehr davon ausgeht, dass sie einer gebundenen Entscheidung unterliegt. Die B ist vorliegend der Ansicht gewesen, dass sie die Versammlung genehmigen könne und hat nicht erkannt, dass eine Versammlung genehmigungsfrei ist. Indem sie die Versammlung vermeintlich genehmigt und lediglich mit vermeintlichen Auflagen belegt hat, könnte man ein Verhalten erkennen, dass einer Ermessensausübung entspräche, denn sie hat die Versammlung aus ihrer Sicht nicht vollständig verboten, sondern lediglich eingeschränkt.

Allerdings stellt die Beschränkung einen eigenständigen VA dar und ist gerade nicht an einen Grund-VA geknüpft. Über die Art und Weise der Beschränkung hat sich die B allerdings keine Gedanken gemacht. Dies lässt sich auch aus der fehlenden Begründung ihrer Entscheidung erkennen. Insofern muss man im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass die B keinerlei Ermessen ausgeübt hat. Ein Ermessensnichtgebrauch und damit ein Ermessensfehler ist damit vorhanden.

(bb.) Ermessensreduktion auf Null

Ein solcher Fehler wäre aber unbeachtlich, wenn eine Ermessensreduktion auf Null vorliegen würde. Dann dürfte die Behörde in diesem konkreten Fall nicht von ihrer bisherigen Verwaltungspraxis abweichen, sondern würde mehr oder weniger einer gebundenen Entscheidung unterliegen. Für eine Ermessensreduktion auf Null liegen allerdings keine Anhaltspunkte vor, so dass der Ermessensnichtgebrauch auch nicht geheilt werden kann. Der Ermessensfehler bleibt damit weiterhin bestehen.

(b) Verhältnismäßigkeit

Obwohl die Rechtsfolge nicht beachtet wurde und damit der VA bereits an dieser Stelle rechtswidrig ist, ist unter dem Aspekt des Rechtsstaatsprinzips aus Art 20 III GG und aufgrund der Erstellung eines ausführlichen Gutachtens darüberhinaus zu klären, ob die Maßnahme der Behörde verhältnismäßig ist.

(aa.) Legitimer Zweck

Dies erfordert zunächst die Verfolgung eines legitimen Zweckes seitens der Behörde. Die B wollte vorliegend verhindern, dass durch die Erprobung von Sitzblockaden die Durchführung einer Sitzblockade in der Weise eingeübt wird, die nicht ohne weiteres von der Polizei aufgelöst werden kann und damit eine nicht verbotene Versammlung zu stören vermag. Eine derartige Störung ist gem. § 4 NVersG verboten. Damit verfolgt die B einen legitimen Zweck.

(bb.) Mittel

Als Mittel zur Durchführung des legitimen Zwecks wählt die B die Möglichkeit der Beschränkung der Versammlung gem. § 8 I NVersG.

(cc.) Zweck- Mittel- Relation

Darüber hinaus muss eine Zweck-Mittel-Relation gegeben sein.

((a.)) Geeignetheit

Insofern muss das gewählte Mittel zur Erreichung des legitimen Zweckes zunächst geeignet sein. Wenn die B die öffentliche Erprobung von Sitzblockaden unterbindet, wird es der P nicht ohne größere Probleme möglich sein, eine polizeifeste Sitzblockade zu erproben. Damit ist die Geeignetheit zu bejahen.

((b.)) Erforderlichkeit

Das Mittel müsste zur Zweckerreichung aber auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit ist immer dann gegeben, wenn kein milderes, gleich geeignetes Mittel vorhanden ist. Die Versammlung der P am 16.04.2013 verfolgte ausschließlich den Zweck der Erprobung von Sitzblockaden. Die B hätte damit keine andere, gleich effektive Beschränkung wählen können, um die Erprobung zu verhindern, als diese Erprobung im Ganzen zu unterbinden. Damit ist die Beschränkung auch erforderlich gewesen, um einen störungsfreien Ablauf der Versammlung der N-Partei zu ermöglichen. Die Erforderlichkeit liegt damit ebenfalls vor.

((c.)) Angemessenheit

Letztlich bedarf es einer Angemessenheit zwischen dem eingesetzten Mittel und dem verfolgten Zweck, die eine Rechtsgüterabwägung voraussetzt.

((aa.)) Rechtsgut, weswegen eingegriffen wird

Zunächst ist das Rechtsgut herauszufiltern, weswegen seitens der Behörde überhaupt eingegriffen wird. Vorliegend möchte die B die Versammlungsfreiheit der N-Partei schützen. Dies wäre bei einer vorhandenen Sitzblockade nicht in ausreichendem Maße gewährleistet, denn dadurch würde die P in die Entschließungs- und Handlungsfreiheit der Teilnehmer der N-Partei eingreifen. Insofern ist Art. 2 I GG dasjenige Rechtsgut, weswegen eingegriffen wird.

((bb.)) Rechtsgut, in welches eingegriffen wird

Auf der anderen Seite ist dasjenige Rechtsgut herauszufiltern, in welches eingegriffen wird. Die Beschränkung der Versammlung der P, dem im Endeffekt ein Verbot der Versammlung gleichkommt, stellt einen Eingriff in ihr durch Art. 8 I GG gewährtes Recht auf Versammlungsfreiheit dar.

((cc.)) Rangfolge

Unter Beachtung der Rangfolge von Grundrechten ist vorliegend festzustellen, dass Art. 8 I GG grundsätzlich als spezielleres Grundrecht höher wiegt, als der Auffangtatbestand des Art. 2 I GG.

((dd.)) Einzelfallbetrachtung

Dennoch ist hinsichtlich der Gewichtung eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. P kann ihre Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG in einer Art ausüben, die Art. 2 I GG nicht berührt. Allerdings legt die P es ausschließlich darauf an, unter dem Deckmantel der Versammlungsfreiheit eine andere Versammlung aktiv zu stören und möglichst zu behindern. Der Zweck ihrer Versammlung besteht ausschließlich in der Vorbereitung von möglichst effizient störenden Maßnahmen. Insofern ergibt eine Einzelfallbetrachtung, dass trotz des grundsätzlich spezielleren Grundrechts aus Art. 8 I GG eine Unterwertigkeit im vorliegenden Fall besteht und der Schutz der Entschließungs- und Handlungsfreiheit der N-Partei höherwertiger und schützenswerter ist.

((ee.)) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit sind sämtlich erfüllt, so dass die Beschränkung der Versammlung der P zum Schutz der Störungsfreiheit der Versammlung der N-Partei verhältnismäßig ist.

(c.) Zwischenergebnis

Die Entscheidung der B ist zwar ermessensfehlerhaft, aber verhältnismäßig erfolgt.

dd) Zwischenergebnis

Die Entscheidung der Behörde war materiell nicht rechtmäßig.

d) Zwischenergebnis

Der VA ist nicht rechtmäßig zustande gekommen.

2. Subjektive Rechtsverletzung

Für das Vorliegen einer begründeten Klage ist aber überdies erforderlich, dass der Kläger in seinen subjektiven Rechten verletzt wurde. Die P könnte durch den materiell unrechtmäßigen VA und dem darin enthaltenden Verbot der Erprobung von Sitzblockaden in ihrem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG verletzt worden sein.

a) Schutzbereich

Es handelt sich vorliegend um eine Versammlung iSd Art. 8 I GG und P als Deutsche ist zur Geltendmachung des Grundrechts berechtigt, so dass sowohl der persönliche, als auch der sachliche Schutzbereich des Art. 8 I GG vorliegen.

b) Eingriff

Durch das Verbot der Erprobung von Sitzblockaden liegt zudem ein Eingriff vor.

c) Rechtfertigung

Zu klären bleibt allerdings, ob der Eingriff in den Schutzbereich gerechtfertigt werden kann.

aa) Schranke

Grundsätzlich wird die Versammlungsfreiheit des Art. 8 I GG nicht schrankenlos gewährleistet. Sie ist vielmehr durch oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar, sofern dieses Gesetz verfassungsmäßig ist. Vorliegend existiert das NVersG, das durch seinen § 8 I NVersG die Beschränkung von Versammlungen ausdrücklich gewährleistet, sofern die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Das NVersG ist zudem verfassungsgemäß. Insofern existiert durch § 8 I NVersG eine rechtmäßige Schranke.

bb) Schranken-Schranke

Weiterhin ist aber Voraussetzung, dass das verfassungsgemäße Gesetz die Versammlungsfreiheit nicht soweit einschränkt, dass das Grundrecht nahezu gar nicht mehr ausgeübt werden kann. Es muss insofern ein verfassungsgemäßer Eingriff in Art. 8 I GG vorhanden sein. Wie oben jedoch bereits festgestellt werden konnte, überwiegt im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung des vorliegenden Falles das Grundrecht der N-Partei aus Art. 2 I GG das Grundrecht der P aus Art. 8 I GG. Insofern erfolgte ein verhältnismäßiger Eingriff.

d) Zwischenergebnis

Der Eingriff in Art. 8 I GG ist gerechtfertigt, mit der Konsequenz, dass Art. 8 I GG nicht verletzt wurde und eine subjektive Rechtsverletzung der P nicht angenommen werden kann.

3. Ergebnis

Die FFK der P gem. § 113 I 4 VwGO analog ist zwar vor dem Verwaltungsgericht Hannover zulässig, allerdings wegen fehlender subjektiver Rechtsverletzung unbegründet.

 

II. Zu § 42 I, 1. Alt. VwGO

Die Anfechtungsklage der P gem. § 42 I, 1. Alt. VwGO wäre begründet, soweit der VA tatsächlich rechtswidrig ist und die P in ihren subjektiven Rechten verletzt.

1. Rechtmäßigkeit des VA

Damit ist festzustellen, ob der zweite Bescheid, der ein Verbot der Annäherung mit Clownskostümen an die zeitgleich stattfindende Demonstration der N-Partei enthält, rechtswidrig ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn der Bescheid auf einer Ermächtigungsgrundlage beruht und sowohl formell, als auch materiell rechtmäßig ist.

a) Ermächtigungsgrundlage

Als Ermächtigungsgrundlage für die Beschränkung einer in Niedersachsen stattfindenden Versammlung kommt § 8 I NVersG in Betracht.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Auch hinsichtlich des zweiten Bescheides hat die sachlich und örtlich zuständige Behörde der S gehandelt. Das zwischen B und P geführte Kooperationsgespräch erfüllt zudem das Anhörungserfordernis aus § 28 I VwVfG, so dass auch das Verfahren eingehalten wurde. Aufgrund des schriftlich erlassenen Bescheides wäre eine Begründung seitens der Behörde notwendig, § 37 II 1 VwVfG iVm § 39 I 1 VwVfG. In der von B dargelegten Angst, dass es wegen des Tragens von Clownskostümen zu einer Provokation der N-Partei und dadurch zu Ausschreitungen kommen könnte, liegt eine ausreichende Begründung vor. Damit ist auch das Formerfordernis schriftlich erlassener VAe Rechnung getragen worden. Die formelle Rechtmäßigkeit des zweiten Bescheides ist gegeben.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Auch die materielle Rechtmäßigkeit müsste erfüllt sein.

aa) Tatbestandsmerkmale

Dazu müssten zunächst sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage, also des § 8 I NVersG vorliegen.

(a.) Versammlung

Bei der von P geplanten Veranstaltung handelt es sich um eine Gegendemonstration, also um eine Zusammenkunft von mehr als zwei Personen, die gemeinsam ihre Interessen gegen die der N-Partei öffentlich kundgeben wollen und damit um eine Versammlung iSd § 2 NVersG.

(b.) Zuständige Behörde, § 24 I Nr.1 NVersG

Die zuständige Behörde iSd § 24 I Nr.1 NVersG hat laut Sachverhalt vorliegend gehandelt.

(c.) Öffentliche Sicherheit

Überdies müsste die öffentliche Sicherheit gefährdet sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn ein Gesetzesverstoß vorhanden ist. Vorliegend könnte sich ein solcher Gesetzesverstoß aus Art. 8 II GG iVm § 4 NVersG ergeben. Grundsätzlich darf die Versammlungsfreiheit aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Ein solches Gesetz stellt das NVersG auf alle Fälle dar und dieses ist auch verfassungsmäßig. Fraglich ist daher allein, ob das Verhalten der P gegen § 4 NVersG verstößt. Dazu müssten wiederum die Voraussetzungen des § 4 NVersG vorliegen.

(aa.) Nicht verbotene Versammlung

Die N-Partei ist eine demokratisch legitimierte Partei, solange das Bundesverfassungsgericht nicht etwas Gegenteiliges feststellt, Art. 21 II 1, 2 GG. Damit besitzt sie auch die Berechtigung an Versammlungen teilzunehmen oder selbst Versammlungen zu organisieren. Die Versammlung der N-Partei war dementsprechend zu Recht nicht verboten.

(bb.) Ziel ist die Behinderung ordnungsgemäßer Durchführung

Des Weiteren müsste P mit ihrer Versammlung das Ziel verfolgen, die nicht verbotene Versammlung der N-Partei in der Art und Weise zu stören, dass deren ordnungsgemäße Durchführung nicht mehr möglich ist. Die Gegendemonstration an sich behindert die Versammlung der N-Partei jedoch grundsätzlich nicht. Allerdings erfolgt durch das Tragen von Clownskostümen in unmittelbarer Nähe zu den Versammlungsteilnehmern der N-Partei eine Lächerlichmachung ihrer Interessen. Dies hat zur Folge, dass die eigentlichen Interessen der N-Partei in den Hintergrund geraten und die Versammlung an sich überflüssig erscheinen lassen. Genau darauf legt es die P mit ihrer Gegendemonstration und dem Tragen von Clownskostümen jedoch an. Insofern ist das Ziel der Versammlung der P ausschließlich die Behinderung der ordnungsgemäßen Durchführung der Versammlung der N-Partei.

(cc.) Zwischenergebnis

Damit liegen die Voraussetzungen des Art. 8 II GG iVm § 4 NVersG vor und existiert ein Gesetzesverstoß sowie eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit.

(b.) Öffentliche Ordnung

Eine Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung ist ebenfalls vorhanden.

(c.) Gefahr

Allerdings müsste die Beeinträchtigung so stark sein, dass von einer Gefährdung gesprochen werden kann. Eine Gefahr ist ein Zustand, der nach allgemeiner Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens erwarten lässt. Wenn die S das Tragen von Clownskostümen nicht unterbindet, so wird die Lächerlichmachung der N-Partei unabdingbar eintreten und die ordnungsgemäße Durchführung ihrer Versammlung verhindert. Insofern besteht ein Zustand, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens erwarten lässt. Damit ist eine Gefahr gegeben.

(d.) Unmittelbarkeit

Überdies müsste die Gefahr unmittelbar bevorstehen. Die Gegendemonstration der P soll bereits in zwei Wochen stattfinden. Ein unmittelbarer, zeitlicher Zusammenhang zwischen der Gefahr und der Versammlung besteht damit.

(e.) Richtiger Adressat

Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal wird überdies vorausgesetzt, dass sich die Maßnahme der Behörde gegen den Störer, als den richtigen Adressaten, wendet. Die Beschränkung von Versammlungen nach § 8 I NVersG ist dem Versammlungsleiter iSd § 7 I 1 NVersG mitzuteilen. P hat die Versammlung ins Leben gerufen und ist für die Ausführung und Einhaltung der Beschränkungen als Versammlungsleiterin verantwortlich. Der Bescheid der B wurde auch an sie gerichtet, so dass sie richtiger Adressat der Maßnahme ist.

bb) Rechtsfolge

Zu untersuchen ist weiterhin, ob die Rechtsfolge beachtet worden ist und die Entscheidung verhältnismäßig war.

(a.) Ermessen

§ 8 I NVersG stellt die Entscheidung über die Anordnung von Beschränkungen der Versammlung in das Ermessen der Behörde. Insofern ist aufgrund des § 114 VwGO lediglich eine eingeschränkte Überprüfbarkeit der Ermessensentscheidung auf Ermessensfehler hin möglich.

(aa.) Ermessensnichtgebrauch

Für einen Ermessensnichtgebrauch dürfte die B nicht erkannt haben, dass ihre Entscheidung in ihrem Ermessen steht und sie damit die Wahl über die Rechtsfolge der Maßnahme hat. Betrachtet man hier wiederum die Fehlannahme der B, dass das Verbot von Clownskostümen eine Art Nebenbestimmungen darstellt, dann hätte sie durch die Beschränkung des Haupt-VAes und des nicht generellen Verbots der Versammlung Ermessen ausgeübt. Die Versammlung der P war jedoch nicht genehmigungsfähig, so dass die Beschränkung einen eigenen Haupt-VA darstellt. Hinsichtlich der Clownskostüme hat die B jedoch entschieden, dass diese eine Provokation der Versammlung der N-Partei darstellen könnte. Sie hat daraufhin aber das Tragen von Clownskostümen durch die P nicht vollständig verboten, sondern lediglich ein Näherungsverbot ausgesprochen, um eine Provokation zu vermeiden. Die vorhandene Begründung ihrer Entscheidung, sowie die Abwägung zwischen Verbot und Beschränkung machen deutlich, dass sich die B in diesem Fall über ihre verschiedenen Möglichkeiten des Handelns im Klaren war. Ein Ermessensnichtgebrauch ist daher abzulehnen, denn die B hat Ermessen ausgeübt.

(bb.) Ermessensüberschreitung

Ein Ermessensfehler könnte allerdings in Form der Ermessensüberschreitung vorliegen, wenn die von B getroffene Entscheidung eine Grundrechtsverletzung darstellen würde. In Betracht käme eine Verletzung der durch Art. 8 I GG geschützten Versammlungsfreiheit, sofern dessen Voraussetzungen gegeben sind.

((a.)) Schutzbereich

Dafür erforderlich ist zunächst die Eröffnung des persönlichen und sachlichen Schutzbereichs. Es handelt sich vorliegend um eine Versammlung iSd Art. 8 I GG und P als Deutsche ist zur Geltendmachung des Grundrechts berechtigt, so dass sowohl der persönliche, als auch der sachliche Schutzbereich des Art. 8 I GG eröffnet sind.

((b.)) Eingriff

Durch das Verbot der Annäherung an die Versammlung der N-Partei mit Clownskostümen ist ein Eingriff vorhanden.

((c.)) Rechtfertigung

Fraglich ist jedoch, ob der Eingriff in den Schutzbereich gerechtfertigt werden kann.

((aa.)) Schranke

Grundsätzlich wird die Versammlungsfreiheit des Art. 8 I GG nicht schrankenlos gewährleistet, sondern kann durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, sofern dieses Gesetz verfassungsmäßig ist. Vorliegend existiert das NVersG, das durch seinen § 8 I NVersG die Beschränkung von Versammlungen ausdrücklich gewährleistet, sofern die öffentliche Sicherheit oder Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Das NVersG ist zudem verfassungsgemäß. Insofern existiert durch § 8 I NVersG eine rechtmäßige Schranke.

((bb.)) Schranken-Schranke

Weiterhin dürfte das verfassungsgemäße Gesetz die Versammlungsfreiheit nicht soweit einschränken, dass das Grundrecht nahezu gar nicht mehr ausgeübt werden kann. Es muss insofern ein verfassungsgemäßer Eingriff in Art. 8 I GG vorhanden sein. Dies wäre dann der Fall, wenn der Eingriff in den Schutzbereich verhältnismäßig war.

(((a.))) Legitimer Zweck

Insofern müsste die B mit dem Näherungsverbot einen legitimen Zweck erfüllt haben. Die B war sich sicher, dass das Tragen von Clownskostümen in der Nähe der Versammlung der N-Partei eine Lächerlichmachung der Interessen der N-Partei  und damit eine Provokation zur Folge habe. Sie war darüber hinaus der Ansicht, dass das Tragen der Clownskostüme ausschließlich darauf ausgerichtet war, die Versammlung der N-Partei zu behindern. Ein solches Verhalten ist durch § 4 NVersG jedoch verboten, so dass die B durch das Näherungsverbot lediglich die Einhaltung des NVersG und damit einen legitimen Zweck verfolgte.

(((b.))) Mittel

Das zur Verfolgung des legitimen Zwecks eingesetzte Mittel ist das Verbot der Annäherung mit Clownskostümen auf 200 m an die N-Partei.

(((c.))) Zweck-Mittel-Relation

Ferner muss eine Betrachtung der Zweck-Mittel-Relation erfolgen.

(((aa.))) Geeignetheit

Das Näherungsverbot war geeignet, die Provokation der N-Partei aufgrund des Tragens von Clownskostümen durch P und ihre Anhänger, sowie die damit verbundene Lächerlichmachung zu unterbinden.

(((bb.))) Erforderlichkeit

Die Erforderlichkeit ist immer dann gegeben, wenn kein gleich geeignetes, aber milderes Mittel vorhanden ist, das den legitimen Zweck auf die gleiche Weise erfüllt hätte. Die B hätte der P das Tragen von Clownskostümen im Ganzen verbieten  können. Dies hätte aber einen erheblicheren Eingriff dargestellt, als lediglich die Annäherung einzuschränken. Insofern existiert kein milderes Mittel, so dass das Näherungsverbot erforderlich war.

(((cc.))) Angemessenheit

Letztlich müsste das Näherungsverbot verhältnismäßig im engeren Sinne, also angemessen sein. Dies setzt die Durchführung einer Rechtsgüterabwägung voraus.

((((a.)))) Rechtsgut, weswegen eingegriffen wird.

Dafür ist zunächst das Rechtsgut herauszufiltern, weswegen der Eingriff erfolgt. Wegen des Tragens von Clownskostümen, der damit verbundenen Lächerlichmachung der Interessen der N-Partei und der naheliegenden Provokation würde die P möglicherweise die Versammlung der N-Partei behindern. Vorliegend möchte die B durch ihr Verbot die Störungsfreiheit der nicht verbotenen Versammlung der N-Partei gewährleisten und schützen. Das Rechtsgut, weswegen der Eingriff erfolgte ergibt sich damit aus Art. 8 I GG iVm § 4 NVersG.

((((b.)))) Rechtsgut, in welches eingegriffen wird

Auf der anderen Seite ist dasjenige Rechtsgut herauszufiltern, in welches eingegriffen wird. Das Verbot, sich mit Clownskostümen mehr als 200 m an die Versammlung der N-Partei anzunähern, beschränkt die P in der freien Ausübung und Kundgebung ihrer Interessen im Rahmen einer Zusammenkunft mit Gleichgesinnten. Das Näherungsverbot stellt damit einen Eingriff in die durch Art. 8 I GG gewährte Versammlungsfreiheit dar.

((((c.)))) Rangfolge

Vorliegend stehen sich damit das Recht auf störungsfreie Ausübung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG iVm § 4 NVersG auf Seiten der N-Partei und das Recht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG auf Seiten der P gegenüber. Beide Male ist damit Art. 8 I GG betroffen und damit grundsätzlich eine Gleichwertigkeit der Grundrechte gegeben, wobei das Recht der N-Partei wegen der innewohnenden Konkretisierung geringfügig höher wiegt.

((((d.)))) Einzelfallbetrachtung

Hinsichtlich der Gewichtung der Rechte im konkreten Fall ist jedoch eine Einzelfallbetrachtung notwendig. Würde man der P erlauben, an dem Tag der Versammlung der N-Partei Clownskostüme in deren Nähe zu tragen, so würden Außenstehende sich überwiegend auf die Kostümierung und gerade nicht auf die Interessen der N-Partei konzentrieren, die diese durch ihre Versammlung vermitteln möchte. Gegen die Teilnehmer der Gegendemonstration unter der Leitung der P könnte sich die N-Partei im konkreten Fall auch nicht zur Wehr setzen. Überdies ist zu bemerken, dass es sich bei der N-Partei um eine verfassungsgemäße Partei handelt, die – sofern das BVerfG nicht ihre Verfassungswidrigkeit feststellt, Art. 21 II 1, 2 GG- die gleichen Rechte besitzt, wie die P. Insofern ist es nicht gerechtfertigt, die Interessen der P höher zu stellen, als die der N-Partei.

Überdies soll das NVersG und damit auch § 4 NVersG die Ausübung und die Grenzen der Versammlungsfreiheit konkretisieren. Insofern stellt das Störungsverbot einen individuelleren Schutz dar, als die allgemein durch Art. 8 I GG gewährte Versammlungsfreiheit. Folglich muss eine Einzelfallbetrachtung unter den genannten Aspekten zu dem Schluss gelangen, dass das Recht der N-Partei auf störungsfreie Ausübung der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG iVm § 4 NVersG das Recht der P auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 I GG überwiegt.

((((e.)))) Zwischenergebnis

Damit ist die Verhängung des Näherungsverbotes angemessen.

(((dd.))) Zwischenergebnis

Die Zweck-Mittel-Relation fällt zu Gunsten der N-Partei aus.

(((d.))) Zwischenergebnis

Der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 I GG war verhältnismäßig, so dass die Schranken-Schranke erfüllt wurde und der Eingriff gerechtfertigt ist.

(b.) Zwischenergebnis

Eine Grundrechtsverletzung ist nicht gegeben. Damit hat die B das ihr eingeräumte Ermessen aber auch nicht überschritten. Ein Ermessensfehlgebrauch kommt überdies ebenfalls nicht in Betracht. Folglich ist kein Ermessensfehler vorhanden und die B hat ihr Ermessen ermessensfehlerfrei ausgeübt. Die Rechtsfolge wurde von der B beachtet.

cc) Zwischenergebnis

Die Verhängung des Näherungsverbotes gegenüber der P seitens der B ist materiell rechtmäßig.

2. Subjektive Rechtsverletzung

Da eine Abwägung der Interessen im konkreten Fall keine Grundrechtsverletzung der P ergibt, ist überdies eine subjektive Rechtsverletzung nicht einschlägig.

3. Ergebnis

Der VA ist rechtmäßig und die P nicht in ihren subjektiven Rechten verletzt, so dass die Anfechtungsklage der P gem. § 42 I, 1. Alt. VwGO unbegründet ist.

E. Gesamtergebnis

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist eröffnet und die Klagen sind jeweils zulässig. Allerdings sind sowohl die FFK gem. § 113 I 4 VwGO analog, als auch die Anfechtungsklage gem. § 42 I, 1. Alt. VwGO unbegründet.

Das Verwaltungsgericht Hannover wird die Klagen der P als unbegründet zurückweisen.

Anmerkungen

zur Problematik des Ermessens: Prüfungsschema; ausführlicher Fachartikel

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Versammlungsrecht (Niedersachsen) auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur zu § 823 BGB – Der Verfolgerfall

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Der folgende Beitrag behandelt den Sonderfall der „Verfolgerfälle“ im Zusammenhang mit § 823 BGB. Der Aufbau der Prüfung erfolgt genau wie im Schema zu § 823 BGB erläutert. Jedoch ergeben sich für die Verfolgerfälle einige Besonderheiten während der Prüfung. Besonderes Augenmerk ist hierbei auf den Prüfungspunkt „Schutzzweck der Norm“ zu legen.

Um die Problematik zu verdeutlichen, wird diese in einem Beispielsfall dargestellt.

Sachverhalt:

E befindet sich wieder einmal in einer finanziellen Notlage. Um diesem prekären Umstand zu entrinnen, beschließt er, in eine Wohnung einzudringen, um sich dort mit dem dringend benötigten Geld zu versorgen.

Er bricht in die Wohnung des B ein und entdeckt eine Geldkassette, in der sich unter anderem wertvoller Schuck befindet. Gerade als er die Kassette einsteckt, muss er feststellen, dass der Wohnungsinhaber B zurückkehrt. In seiner Verzweiflung klettert E aus dem Fenster auf dem 2 Meter über dem Erdboden liegenden Fenstersims, um hierüber zu entkommen. B verfolgt den e auf dem Fenstersims und rutscht hierbei aus, so dass er in die Tiefe stürzt und sich ein Bein bricht. Eine andere Möglichkeit der Verfolgung bestand nicht.

Die von den Nachbarn zwischenzeitlich gerufene Polizei nimmt E fest. B verlangt von E wegen des Beinbruchs die Heilungskosten ersetzt. Zu Recht?

Lösungsskizze

A. Schadensersatzanspruch des B gegen E gem. § 823 I BGB

I. Rechtsgutsverletzung des B

II. Handeln des E

III. Kausalität zwischen Handlung und Verletzung

1. Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie

2. Kausalität i.S.d. Adäquanztheorie

3. Kausalität nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm

IV.. Rechtswidrigkeit

V. Verschulden

VI. Ersatzfähiger Schaden

VII. Einwendung des Mitverschuldens nach § 254 I BGB

B. Schadensersatzanspruch des B gegen E gem. § 823 II BGB i.V.m. § 229 StGB

I. Schutzgesetzverletzung durch E

1. Schutzgesetz

2. Verletzung

II. Rechtswidrigkeit der Schutzgesetzverletzung

III. Verschulden des E

IV. Ersatzfähiger Schaden

V. Einwendungen des Mitverschuldens nach § 254 I BGB

Lösung mit Erläuterungen

A. Schadensersatzanspruch des B gegen E gem. § 823 I BGB

I. Rechtsgutsverletzung des B

B könnte eine Körper- oder Gesundheitsverletzung erlitten haben. Eine solche Verletzung ist ein Eingriff, der zu einer Störung der körperlichen, geistigen oder seelischen Lebensvorgänge führt. B hat ein gebrochenes Bein. Eine Körper- bzw. Gesundheitsverletzung ist mithin zu bejahen.

II. Handeln des E

Als Handlung des E kommt in Betracht, dass dieser in das Haus des E eingebrochen ist und anschließend mit den Sachen des B geflohen ist.

III. Kausalität zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung

1. Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie

Nach der Äquivalenztheorie ist eine Handlung dann für den Erfolg kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele. Wäre E nicht in das Haus des B eingebrochen und wäre er nicht geflohen, dann hätte keine Verfolgung stattgefunden und B hätte sich nicht verletzt. Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie ist gegeben.

2. Kausalität i.S.d. Adäquanztheorie

Die Äquivalenztheorie schafft einen viel zu großen Ursachenzusammenhang, weswegen die haftungsbegründenden Ursachen durch einen weiteren Filter herausgearbeitet werden müssen. Nach der Adäquanztheorie ist eine Ursache dann adäquat kausal für den Erfolg, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass diese Ursache zu den hier vorliegenden Schäden führt. Im Gegensatz zur Verschuldensprüfung, die auf das Einsichtsvermögen des Schädigers abstellt, wird hier eine objektive Prognose erstellt. Alle dem optimalen Betrachter zur Zeit des Eintritts des Ereignisses bekannten Umstände sind zu berücksichtigen.

Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist es nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Verfolgung über einen Fenstersims eine Person stürzen und sich das Bein brechen kann.  Das Handeln des E war folglich auch adäquat kausal für die Rechtsgutsverletzung.

3. Kausalität nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm

Die Lehre vom Schutzzweck der Norm wird von der Rechtsprechung ergänzend zu der Äquivalenz- und Adäquanztheorie herangezogen und spielt bei den Verfolgerfällen eine große Rolle. Nach dieser Lehre muss die konkrete Handlung des Schädigers gerade auch vom Schutzzweck der Norm umfasst sein, d.h. die erlittenen Nachteile müssen dem Gefahrenbereich entspringen, zu dessen Schutz die Norm erlassen wurde. Dies ist durch Wertungskriterien zu ermitteln.

Hier könnte eine Zurechnung der Rechtsgutsverletzung des B deswegen fraglich sein, weil dieser aufgrund seines eigenen Willensentschlusses und durch seine eigene Handlung dem E auf den Fenstersims gefolgt ist und somit seine Verletzung herbeigeführt hat.

Um diese sogenannten Verfolgerfälle korrekt lösen zu können, hat die Rechtsprechung konkrete Kriterien herausgearbeitet, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsgutsverletzung dem „Herausforderer“ hier also dem E zuzurechnen ist:

(1)   Der Entfliehende muss durch vorwerfbares Tun die Verfolgung herausgefordert haben.

  • Herausforderung: Durch den Einbruch aber speziell durch die anschließende Flucht hat E die Verfolgung des B herausgefordert
  • In vorwerfbarer Weise: Für den Flüchtenden muss erkennbar und vermeidbar gewesen sein, dass er durch sein Tun, nämlich die Flucht, für den Verfolger eine Situation deutlich erhöhter Verletzungsgefahr schafft. Hier hat E die Verfolgung durch B herausgefordert, obwohl für ihn die Gefährlichkeit des Fluchtweges – ein Fenstersims in 2 Metern Höhe – erkennbar war, er mit der Verfolgung durch B rechnen musste und die Flucht hätte unterlassen können.

(2)   Der Verfolgende muss annehmen ein Verfolgungsrecht zu haben.

Das Verfolgungsrecht des B ergibt sich hier aus den § 127 StPO und § 229 BGB

(3)   Das Risiko der Verfolgung muss in einem angemessenen Zweck der Verfolgung stehen.

Dabei darf der Verfolgende ein umso größeres Risiko auf sich nehmen, je schwerwiegender der Vorwurf gegen den Entfliehenden ist. Der Zweck der Verfolgung lag darin, eine Kassette mit wertvollem Schmuck wiederzuerlangen. Das Risiko der Verfolgung bestand darin, von einem in 2 Metern Höhe übe dem Erdboden gelegenen Fenstersims zu stürzen. Die Verfolgung durch B erscheint hier angemessen, weil das Verletzungsrisiko nicht sehr hoch und der Wert der gestohlenen Gegenstände bedeutend war.

(4)   Die Rechtsgutsverletzung muss Folge des gesteigerten Verfolgungsrisikos sein

Nicht zu verantworten braucht der Verursacher Schäden, die in Folge des allgemeinen Lebensrisikos eingetreten sind, also nicht spezifisch auf die Verfolgung zurückzuführen sind.

Der Sturz vom Fenstersims war Ausdruck für die typische Verfolgungsgefahr. Anders läge der Fall, wenn B den E auf der Straße verfolgt hätte und B daraufhin über seine offenen Schnürsenkel gestolpert wäre und sich verletzt hätte. Hierbei ginge die Gefahr nicht von der Verfolgung an sich aus. Vielmehr war das unachtsame Schnüren des B hierfür ausschlaggebend.

Im vorliegenden Fall sind aber alle Merkmale für die Zurechenbarkeit der Verfolgung gegeben.

Somit ist die Rechtsgutsverletzung dem E auch nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm zurechenbar.

IV. Rechtswidrigkeit

Mangels Vorliegens von Rechtfertigungsgründen ist die Rechtswidrigkeit gegeben

V. Verschulden

Hier könnte E fahrlässig gehandelt haben. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat (also Verschulden i.S.v. § 276 II BGB). Der Verfolgte muss in vorwerfbarer Weise (s.o.) zu der selbstgefährdenden Handlung des Verfolgers herausgefordert haben. Das Verschulden muss sich daher auf Tatbestand und Rechtswidrigkeit beziehen, d.h. auch auf die Verletzung der in § 823 I BGB bezeichneten Rechtsgüter.

E müsste demnach gewusst oder fahrlässig verkannt haben, dass B infolge des gesteigerten Verfolgungsrisikos einen Schaden erleiden könnte. E ist vorliegend über den schmalen Fenstersims geflüchtet. Für B bestand nur die Möglichkeit ihm auf selben Wege zu folgen. Insoweit hätte E vorhersehen können, dass die Gefahr eines Sturzes und eine Verletzung des B nahelag. Somit hat E fahrlässig gehandelt.

VI. Ersatzfähiger Schaden

Der Schädiger E hat alle durch die Rechtsgutsverletzung adäquat kausal und zurechenbar verursachten Schäden zu ersetzen. Die Rechtsgutsverletzung lag hier in dem gebrochenen Bein. Rechtsgutsverletzung und Schaden sind identisch. Dieser Schaden wird nach § 249 II 1 BGB in der Weise ersetzt, dass ein entsprechender Geldbetrag für die Heilungskosten zu zahlen ist.

VII. Einwendungen des Mitverschuldens nach § 254 I BGB

Denkbar wäre, dass den B ein Mitverschulden nach § 254 I BGB trifft. Dann ist der Schadensersatzanspruch entsprechend der Mitverschuldensquote zu kürzen. Der Sachverhalt enthält hier aber zu wenige Angaben um ein Mitverschulden und dahingehend eine Anspruchskürzung zu begründen. Also scheidet ein Mitverschulden aus.

VIII. Ergebnis

B hat gegen E einen Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten nach § 823 I BGB.

B. Schadenserdsatzanspruch  des B gegen E gem. § 823 II BGB i.V.m. § 229 StGB

I. Schutzgesetzverletzung durch E

1. Schutzgesetz

Ein Schutzgesetz liegt vor, wenn das Gesetz nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit, sondern zumindest auch dem Schutz des konkret betroffenen Rechtsgutes dient (Die Definition entspricht der eines subjektiv-öffentlichen Rechts i.S.v. § 42 II VwGO). Der Straftatbestand des § 299 StGB bezweckt seinem Wortlaut nach auch den Schutz von Körper und Gesundheit. Daher handelt es sich hier um ein Schutzgesetz.

2. Verletzung

Eine Verletzung des Schutzgesetzes ist dann gegeben, wenn E den Straftatbestand des § 229 StGB verwirklicht hat.

Körperverletzung des B

Wie oben festgestellt liegt in dem Beinbruch des B eine Körperverletzung.

II. Handlung des E

Die Handlung des E war der Einbruch in das Haus und die anschließende Flucht mit dem Schmuck.

III. Kausalität i.S.d. Äquivalenztheorie

Der Einbruch in das Haus und das anschließende Fliehen war deshalb kausal, weil es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Rechtsgutsverletzung entfiele.

IV. Sorgfaltspflichtverletzung des E bei objektiver Vorhersehbarkeit des Erfolges

Dieses Tatbestandsmerkmal ist durch die Herausforderung der Verfolgung als selbstgefährdendes Tun des B erfüllt.

V. Objektive Zurechnung

Der Erfolg ist dem E nur zuzurechnen, wenn sich im Schadenserfolg gerade diejenige Gefahr verwirklicht hat, die durch die Verletzungshandlung geschaffen worden ist und deren Eintritt nach dem Schutzzweck der Norm vermieden werden sollte. Schutzzweck der Norm ist es vor Risiken zu bewahren, die sich aufgrund eines gesteigerten Verfolgungsrisikos ergeben.

B ist vom Fenstersims gestürzt und hat sich das Bein gebrochen, mithin eine Körperverletzung erlitten. Es hat sich also gerade diejenige Gefahr – nämlich das gesteigerte Verfolgungsrisiko – verwirklicht, die durch die Verletzungshandlung –  Herausforderung der Verfolgung in vorwerfbarer Weise – geschaffen worden ist. Die objektive Zurechnung ist somit zu bejahen.

VI. Rechtswidrigkeit

Da Rechtfertigungsgründe nicht ersichtlich sind, ist die Rechtswidrigkeit zu bejahen.

VII. Schuld

Mangels anderer Angaben im Sachverhalt ist von einem Fahrlässigkeitsschuldvorwurf gegenüber dem E auszugehen.

E hat eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB begangen. Damit liegt eine Schutzgesetzverletzung vor.

VIII. Rechtswidrigkeit der Schutzgesetzverletzung

Dies wurde bereits im Rahmen der Schutzgesetzverletzung bejaht.

IX. Verschulden des E

Nach herrschender Auffassung ist in jedem Fall ein zivilrechtliches Verschulden zu überprüfen, unabhängig davon, ob im Rahmen des Strafgesetzes die Schuld festgestellt wurde. Denn das Verschulden des BGB richtet sich nach objektiven Kriterien, während der Schuldvorwurf persönlich auf den Täter zugeschnitten ist. Folglich kann das Verschulden des BGB strenger sein als die Schuld im Sinne des StGB. Wie bereits geprüft, hat E sorgfaltswidrig gehandelt und für ihn war die Tat vorhersehbar. Somit liegt Fahrlässigkeit vor.

X. Ersatzfähiger Schaden (s.o.)

XI. Einwendungen des Mitverschuldens nach § 254 I BGB (s.o.)

XII. Ergebnis

B hat einen Anspruch gegen E auf Ersatz der Heilungskosten nach § 823 II BGB i.V.m. § 229 StGB.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur zu § 823 BGB – Der Verfolgerfall auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur § 315 b StGB und Tötungsdelikte

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Sachverhalt:

Am 05. November fährt Roland um 23:05 Uhr mit seinem Pkw auf der wenig befahrenen B 441 von Seelze Richtung Letter, als er im Rückspiegel einen schwarzen R8 erblickt, der mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zukommt. Roland, der es nicht leiden kann, wenn andere ihn überholen, wartet, bis der R8 ca. 50 Meter entfernt ist und bremst dann langsam von der erlaubten Geschwindigkeit von 100 km/h bis zum Stillstand herunter, um dem R8-Fahrer Jochen eine Lektion zu erteilen. Jochen ist völlig verdutzt und bremst wegen des vor ihm fahrenden Pkws ebenfalls bis zum Stillstand herunter. Zu diesem Zeitpunkt ruht der Gegenverkehr. Als Roland daraufhin aussteigt und Jochen erzählt, dass die B 441 keine Rennstrecke ist, hört sich dieser die Belehrung gelassen an und sieht seinen Fehler ein. Anschließend fährt er in ordnungsgemäßem Tempo nach Hause.

Trotz dieses persönlichen Erfolgs möchte Roland, der schon seit einiger Zeit an Depressionen leidet, seinem für ihn sinnlosen Leben ein Ende bereiten. Um der Lebensversicherung jedoch nicht das seit Jahren eingezahlte Geld zu schenken, nimmt er sich vor seinen Tod als Unfall zu inszenieren, sodass seine Ehefrau Manuela das gesamte Geld erhält. Er schneidet daraufhin die Bremsschläuche seines Autos an und überredet seinen Freund Paul mit ihm zu einem 96-Spiel zu fahren. Paul liebt nicht nur das Stadion, sondern auch Rolands Porsche Cayenne, sodass es keiner großen Überredungskünste bedarf, um den ahnungslosen Paul zum Mitkommen und Fahren zu bewegen. Roland hingegen ist sich darüber im Klaren, dass Paul das Auto im Zweifel nicht unter Kontrolle behalten und so ebenfalls zu Tode kommen könnte. Um die letzten Minuten seines Lebens mit seinem besten Freund zu verbringen, nimmt er dieses Risiko jedoch hin.

Obwohl die Fahrt über die Autobahn, die Bundesstraße und durch die gesamte Stadt Hannover führt und Paul immer wieder von hohen Geschwindigkeiten herunterbremsen muss, halten die angeschnittenen Bremsschläuche der Belastung stand. Roland und Paul kommen daher sicher am Stadion an. Als das 96-Spiel nun auch noch erfolgreich gewonnen wird, erhält Roland seine Lebensfreude zurück. Er lässt sich mit Paul von einem Taxi nach Hause fahren und seinen Porsche unter einem Vorwand in die Werkstatt abschleppen, um ihn durchchecken und die Bremsschläuche reparieren zu lassen.

 

Bearbeitervermerk: Wie haben sich die Personen strafbar gemacht? Gegebenenfalls für erforderlich gehaltene Strafanträge gelten als gestellt. Delikte außerhalb des StGB sind nicht zu prüfen.


Gutachten:

 1. Teil – Strafbarkeit wegen Verkehrserziehung

A. Strafbarkeit des R wegen § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB

R könnte sich wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er grundlos auf einer Bundesstraße bis zum Stillstand bremste und dadurch ein Hindernis bereitete.

Es ist nicht üblich auf einer Bundesstraße, auf der eine Geschwindigkeit von 100 km/h zulässig ist, grundlos bis zum Stillstand herunterzubremsen. Zu klären ist aber, ob ein langsames oder langsamer werdendes Auto bereits ein Hindernis darstellen kann.

  • Ein Hindernis i.S.v. § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB bedeutet das Herbeiführen eines Vorgangs, der geeignet ist, durch körperliche Einwirkung den regelmäßigen Verkehr zu hemmen oder zu verzögern.

Ein langsames oder langsamer werdendes Auto kann durchaus dazu beitragen, dass der Verkehr, wegen der folgenden ebenfalls abbremsenden Fahrzeuge, gehemmt oder verzögert wird. In dem vorliegenden Fall fuhr R jedoch auf einer wenig befahrenden Bundesstraße. Anstatt ebenfalls bis zum Stillstand zu bremsen, hätte J unter Beachtung der Verkehrsregeln den R ohne weiteres überholen können.

Die Frage, ob R durch das Abbremsen bereits ein Hindernis bereitet hat, kann aber dahin stehen, wenn jedenfalls keine konkrete Gefahr angenommen werden kann. Wann eine solche konkrete Gefahr vorliegt, ist jedoch umstritten.

  • Ansicht (frühere Rechtsprechung): Eine frühere Ansicht der Rechtsprechung hat bereits ab Beginn der Teilnahme am Straßenverkehr die konkrete Gefahr für den Straßenverkehr angenommen. Dies begründete sie damit, dass es dem Fahrzeugführer bei Unkenntnis der manipulierten Bremsschläuche unmöglich sei, in erforderlichem Maße auf Gefahrensituationen reagieren zu können.
  • 2. Ansicht (heutige Rechtsprechung und herrschende Lehre): Die herrschende Lehre und die mittlerweile bestehende Rechtsprechung sind jedoch davon überzeugt, dass die erste Ansicht keine ausreichende Differenzierung zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefahr ermögliche. Deshalb sei die konkrete Gefahr erst dann zu bejahen, wenn es zu einer kritischen Situation gekommen sei, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder aber einer Sache so weit beeinträchtigt wurde, dass die tatsächliche Rechtsgutverletzung nur noch vom Zufall abhing („Beinahe-Unfall“).

Die Straße war frei und R hat J nicht abrupt ausgebremst, sondern nur langsam seine Geschwindigkeit verringert.

Dementsprechend liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht vor.

R hat sich nicht wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit des R wegen Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB

R könnte sich durch die Verkehrserziehung einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Objektiver Tatbestand

Für die Bestrafung wegen Nötigung ist Voraussetzung, dass das Ausbremsen durch R als Gewalt anzusehen ist.

  • Gewalt i.S.d. § 240 StGB ist der körperlich wirkende Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen.

Das BVerfG ist der Überzeugung, dass auch das Ausbremsen eines Fahrzeugs grundsätzlich dazu ausreichen kann den Gewaltbegriff des § 240 StGB zu bejahen. Für die Beurteilung ist jedoch sowohl die Dauer, als auch die Intensität der bedrängenden Einwirkung von Bedeutung. Das BayObLGSt hat in einem Fall der grundlosen Reduktion der Geschwindigkeit mit der Absicht den nachfolgenden Fahrer zu einer unangemessen niedrigen Geschwindigkeit zu zwingen entschieden, „dass der Fahrer des dem Täterfahrzeug nachfolgenden Fahrzeugs aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen das ihm durch den Vordermann aufgezwungene Verhalten nicht durch Ausweichen oder Überholen vermeiden kann“. J und R fuhren auf einer wenig befahrenden Bundesstraße. Die Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h lässt zudem darauf schließen, dass es sich um eine auch für Überholvorgänge sichere Strecke handelt. Hinzu kommt, dass für J die Möglichkeit bestand im Wege eines zulässigen Überholvorgangs das Verhalten des R zu ignorieren, nachdem er festgestellt hat, dass es für den Bremsvorgang keinen Anlass gab. Aus diesen Gründen ist in dem vorliegenden Fall nicht von einer physischen Gewaltanwendung auf J durch R auszugehen.

II. Ergebnis

Obwohl R den J zum Stillstand gezwungen und ihn anschließend belehrt hat, liegt in diesem Verhalten aufgrund fehlender Gewaltanwendung keine strafrechtlich relevante Tatbestandsverwirklichung. R hat sich dementsprechend nicht wegen Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

 2. Teil – Strafbarkeit wegen der Manipulation der Bremsschläuche

 A. Strafbarkeit des P

P könnte sich wegen versuchter Tötung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 212 Abs. 1, 223 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er mit einem defekten Fahrzeug im Verkehr fuhr. Da er jedoch hinsichtlich aller dieser Tatbestände keinen Vorsatz gefasst hatte, scheiden diese Delikte aus.

B. Strafbarkeit des R wegen versuchten Mordes gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 211, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

R könnte sich des versuchten Mordes an P in mittelbarer Täterschaft durch P strafbar gemacht haben, indem er die Bremsschläuche an seinem Auto anschnitt und P zur Fahrt mit dem Auto animierte.

I. Vorprüfung

Der Tod des P ist nicht eingetreten. Der Versuch des Totschlags ist zudem gem. §§ 212, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar.

II. Tatbestand
1. Tatentschluss

Dann müsste der Tatentschluss gegeben sein.

  • Der Tatentschluss ist der Wille zur Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale.

R war sich darüber im Klaren, dass P zu Tode kommen konnte. Er wollte jedoch nicht die letzte zum Tode führende Handlung selbst vornehmen; diese sollte vielmehr durch P im Wege des Losfahrens verwirklicht werden. P wusste nichts von den manipulierten Bremsschläuchen und handelte daher ohne Vorsatz. Damit liegt ein Fall der mittelbaren Täterschaft vor. Das Opfer wird dabei als Tatmittler gegen sich selbst eingesetzt. Es ist also wenigstens eine Konstellation gegeben, die mit der Struktur der mittelbaren Täterschaft vergleichbar ist. R hatte damit Tatentschluss bzgl. einer in mittelbarer Täterschaft begangenen Tötung.

Zu klären ist aber weiterhin, ob R Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB verwirklicht hat. In Betracht käme sowohl die Tötung aus Heimtücke, als auch die Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln.

a) Mordmerkmal der Heimtücke

Zunächst ist zu betrachten, ob R heimtückisch tötete, als er P in Kenntnis der defekten Bremsschläuche zum Fahren seines Porsches anhielt.

  • Eine heimtückische Tötung ist gegeben, wenn der Täter bei der Tatbegehung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausnutzt und dies in feindlicher Willensrichtung geschieht. Dabei ist das Opfer arglos, wenn es nicht mit einem Angriff durch den Täter rechnet.

P ging davon aus, wieder einmal mit dem Porsche seines Freundes fahren zu dürfen. Dabei war er sich jedoch nicht darüber bewusst, dass sich R das Leben nehmen wollte und dazu die Bremsschläuche seines Fahrzeugs angeschnitten hat. P war dementsprechend arglos. Aufgrund dieser Arglosigkeit muss das Opfer wehrlos sein.

  • Ein Opfer ist wehrlos, wenn seine natürliche Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit zumindest stark eingeschränkt ist.

Ob die Bremsschläuche tatsächlich reißen würden und ob P in einem solchen Moment die Kontrolle über das Fahrzeug gehabt hätte, ist völlig ungewiss. Er konnte jedoch nicht davon ausgehen, dass ein derartiger Fall eintritt. Folglich ist auch die Wehrlosigkeit wegen der Arglosigkeit des P erheblich eingeschränkt.

Für die Heimtücke ist letztlich aber auch erforderlich, dass der Täter in feindlicher Willensrichtung gehandelt hat. Diese entfällt lediglich dann, wenn der Täter allein zum vermeintlich Besten des Opfers handeln will. Eine solche Konstellation ist nur für wenige Ausnahmefälle anerkannt. Hierzu zählen die Fälle eines Mitnahmesuizids (Töten einer anderen Person, häufig von Kindern aus vorweggenommenem Mitleid, weil der Täter sich selbst zu töten beabsichtigte und das Opfer „nicht allein zurücklassen wollte“), sowie Mitleidstötungen. In beiden Konstellationen will der Täter dem Opfer ein Weiterleben unter aus seiner Sicht unzumutbaren Bedingungen ersparen. Dominierende egozentrische Motive hingegen rechtfertigen eine privilegierende Einschränkung nicht. R hat sich hinsichtlich des etwaigen Todes von P keine genaueren Gedanken gemacht. Er wollte jedoch nicht alleine sterben und schon gar nicht die letzte Tötungshandlung an sich selbst vornehmen. Bei seiner Tat standen demnach die persönlichen Motive im Vordergrund, sodass eine Privilegierung ausscheiden muss.

Ein Teil der Literatur fordert zudem einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch des Täters. Dazu ist eine persönliche Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer erforderlich, aufgrund derer der Täter das Vertrauen des Opfers ausnutzt. Nimmt man diesen Aspekt für die Beurteilung hinzu, so ließe sich die Heimtücke im Ergebnis bejahen, denn P und R stehen als enge Freunde in einer persönlichen Beziehung zueinander. Würde diese Nähe nicht bestehen, so hätte P den Porsche auch nicht fahren können. Allerdings kann dieses zusätzliche Erfordernis nicht wirklich überzeugen. Im Regelfall stehen Opfer und Täter gerade in keinem Vertrauensverhältnis und zudem ist die Grenze nicht eindeutig, in welchen Fällen von einer persönlichen Beziehung gesprochen werden kann und in welchen nicht. Insofern liegt in der Annahme dieses Erfordernisses ein Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG geregelten Bestimmtheitsgrundsatz.

Wegen der Bejahung der feindseligen Willensrichtung seitens R ist die Heimtücke jedoch zu bejahen.

b) Gemeingefährliche Mittel

Zu klären bleibt allerdings, ob R eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln vornehmen wollte.

  • Eine Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel ist gegeben, wenn der Täter zur konkreten Tatbegehung ein Mittel benutzt, dass er im Einzelfall nicht sicher beherrschen kann und dessen Einsatz geeignet ist, eine Vielzahl von anderen Menschen an Leib oder Leben zu gefährden.

Das Fahren mit einem Fahrzeug, dessen Bremsschläuche defekt sind, kann dazu führen, dass eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern wegen des nicht möglichen Bremsens gefährdet wird. Entweder durch das Auffahren auf ein anderes Auto oder durch das Überfahren eines Fußgängers oder Radfahrers. Vorliegend haben die Bremsschläuche jedoch bis zum Fahrtende der Belastung standgehalten, sodass eine konkrete Gefahr nicht angenommen werden kann. Insofern lässt sich in dem vorliegenden Fall eine Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln nicht bejahen.

c) Zwischenergebnis

R hat hinsichtlich der versuchten Tötung des P keine Mordmerkmale verwirklicht.

2. Unmittelbares Ansetzen

Fraglich ist, in welchem Zeitpunkt R unmittelbar zur Tat angesetzt hat. Einerseits könnte man in Betracht ziehen, dass R bereits mit Abschluss der Manipulation an den Bremsschläuchen unmittelbar zur Tat angesetzt hat. Allerdings hatte P nicht ohne weiteres Zugang zu dem Porsche, sodass er auch nicht unmittelbar gefährdet war. Weiterhin könnte ein unmittelbares Ansetzen in dem Zeitpunkt eingetreten sein, in dem R den P zur Autofahrt überzeugt oder aber etwa erst in dem Moment, in dem beide tatsächlich mit dem Auto losfuhren. Obwohl R den P bereits zur Autofahrt überzeugt hatte, kann zu diesem Zeitpunkt das unmittelbare Ansetzen noch nicht angenommen werden, weil R noch die Möglichkeit gehabt hat, die Autofahrt zu verhindern. Als sie jedoch beide losfuhren, musste R mit dem Zerreißen der Bremsschläuche rechnen und konnte dies auch nicht mehr verhindern. In diesem Moment bestand also eine unmittelbare Gefährdung des Lebens des P und R hat zudem das Geschehen so aus der Hand gegeben, dass P’s Leben gefährdet wurde. Mit dem gemeinsamen Losfahren hat R unmittelbar zur Tat angesetzt.

3. Rechtswidrigkeit/4. Schuld

Er handelte sowohl rechtswidrig als auch schuldhaft.

III. Ergebnis

R hat sich des versuchten Mordes an P in mittelbarer Täterschaft durch P strafbar gemacht, indem er die Bremsschläuche an seinem Auto anschnitt und P zur Fahrt mit dem Auto animierte.

C. Strafbarkeit des R wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung  an P gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 223 Abs. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2

R könnte sich wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft an P gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 223 Abs. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Bremsschläuche an seinem Fahrzeug manipulierte und P zum Fahrtantritt bewegte.

I. Vorprüfung

Eine gefährliche Körperverletzung ist nicht eingetreten. Deshalb kommt lediglich eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 2, 23 Abs. 1 Alt. 2 StGB als strafbarer Versuch in Betracht.

II. Tatbestand
1. Tatentschluss

Dann müsste er hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzung mit Tatentschluss gehandelt haben.

a) Gefährliches Werkzeug

R könnte mit dem Entschluss die Tat mit einem anderen gefährlichen Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu begehen gehandelt haben.

  • Als gefährliches Werkzeug kommt jeder Gegenstand in Betracht, der nach seiner Beschaffenheit und Art seiner Verwendung als Angriffs- oder Verteidigungsmittel im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen.

Vorliegend könnte der Porsche als Werkzeug gedient haben. Grundsätzlich erfüllt ein Pkw jedoch nicht die Merkmale eines gefährlichen Werkzeugs. Es könnte in der vorliegenden Art aber zweckentfremdet worden sein. Aber auch wenn ein Kraftfahrzeug in der Eigenschaft als gefährliches Werkzeug auftritt, wird es in der Regel nicht gegen die Fahrzeuginsassen selbst eingesetzt, sondern vielmehr gegen andere Personen oder Sachen. Wegen der manipulierten Bremsschläuche wurde dem P jedoch jegliche Steuerungsmöglichkeit über das Auto genommen. Deshalb war das Auto an und für sich auch nicht mehr beherrschbar. Weiterhin kann die Strafbarkeit nicht davon abhängen, ob das Werkzeug gegen das Opfer geführt wird oder sich das Opfer, sofern diese Möglichkeit wie im vorliegenden Fall besteht, in dem Werkzeug selbst befindet. Insofern ist das Auto als gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB anzusehen. Der Tatentschluss des R hinsichtlich des Einsatzes des Porsches als gefährliches Werkzeug ist damit gegeben.

b) Das Leben gefährdende Behandlung

Außerdem könnte R den Entschluss gefasst haben, die Tat mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu begehen.

  • Eine das Leben gefährdende Behandlung läge danach vor, wenn die Verletzungshandlung den konkreten Umständen nach objektiv geeignet ist, das Leben des Opfers in Gefahr zu bringen.

Es liegt nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass angeschnittene Bremsschläuche durch hohe oder abrupte Bremsbelastungen endgültig reißen. Zudem war sich R darüber im Klaren, dass auch andere Straßenverkehrsbeteiligte durch einen Unfalls zu Schaden kommen. Er hat die lebensgefährlichen Verletzungen anderer und vor allem auch die des P in seinen Vorsatz aufgenommen. Damit liegt letztlich eine das Leben gefährdende Behandlung vor.

2. Unmittelbares Ansetzen

R, in Kenntnis der manipulierten Bremsschläuche und der damit verbundenen Gefahr, hat durch das Überreden des P zur Fahrt mit dem Porsche unmittelbar zur Tat angesetzt.

3. Rechtswidrigkeit/4. Schuld

R handelte zudem rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

R hat sich wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung an P gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 223 Abs. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

D. Strafbarkeit des R wegen versuchter Tötung, §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

R könnte sich wegen einer versuchten Selbsttötung in mittelbarer Täterschaft durch P gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Bremsschläuche in der Absicht manipulierte im Laufe der Autofahrt mit P zu sterben. Diese Prüfung würde jedoch verkennen, dass die Selbsttötung durch das StGB gerade nicht unter Strafe gestellt wird. Insofern kann aber auch eine Selbsttötung in mittelbarer Täterschaft nicht geschützt sein. § 25 StGB ist allein eine Zurechnungsnorm. Eine Strafbarkeit wegen versuchter Selbsttötung in mittelbarer Täterschaft durch P ist demnach nicht möglich.

E. Strafbarkeit des R wegen gefährlicher Körperverletzung, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 223 Abs. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

R könnte sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung an sich selbst gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 223 Abs. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er in einem selbst manipulierten Auto mitgefahren ist. Entgegen der Darstellung unter D ist die Einwilligung in die Verletzung des Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit im Gegensatz zu dem Rechtsgut Leben zwar einwilligungsfähig, aber dennoch wird auch das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit nicht vor der Eigenverletzung geschützt. Folglich scheidet auch eine Strafbarkeit nach  §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 Abs. 1, 223 Abs. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB aus.

F. Strafbarkeit des R gem. § 315b StGB wegen der Manipulation an den Bremsschläuchen

R könnte sich wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er die Bremsschläuche seines Porsches manipulierte.

I. Objektiver Tatbestand

R hat die Bremsschläuche seines Porsches angeschnitten und damit beschädigt. Durch diese Beschädigung und das Fahren mit dem manipulierten Fahrzeug im Straßenverkehr bestand die generelle Möglichkeit andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Aus diesem Grund ist die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt worden.

§ 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt jedoch weiterhin eine durch die Beschädigung hervorgerufene Gefahr für Leib, Leben oder fremde Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies hat zur Folge, dass nicht bereits die Beschädigung als solche auch die Realisierung der Gefahr darstellen kann, sondern gerade eine weitergehende Gefahr durch die eingetretene Beschädigung eingetreten sein muss. Obwohl die Bremsschläuche angeschnitten waren, haben sie der Bremsbelastung bis zum Erreichen des Fahrtziels standgehalten. Unklar ist deshalb, ob während der Autofahrt überhaupt eine konkrete Gefahr für den Straßenverkehr bestand. Die Beantwortung dieser Frage ist streitig.

  • Ansicht (frühere Rechtsprechung): Eine frühere Ansicht der Rechtsprechung hat bereits ab Beginn der Teilnahme am Straßenverkehr die konkrete Gefahr für den Straßenverkehr angenommen. Dies begründete sie damit, dass es dem Fahrzeugführer bei Unkenntnis der manipulierten Bremsschläuche unmöglich sei, in erforderlichem Maße auf Gefahrensituationen reagieren zu können.
  • 2. Ansicht (heutige Rechtsprechung und herrschende Lehre): Die herrschende Lehre und die mittlerweile bestehende Rechtsprechung sind jedoch davon überzeugt, dass die erste Ansicht keine ausreichende Differenzierung zwischen einer abstrakten und einer konkreten Gefahr ermögliche. Deshalb sei die konkrete Gefahr erst dann zu bejahen, wenn es zu einer kritischen Situation gekommen sei, in der die Sicherheit einer bestimmten Person oder aber einer Sache so weit beeinträchtigt wurde, dass die tatsächliche Rechtsgutverletzung nur noch vom Zufall abhing („Beinahe-Unfall“).

Es ist nicht abzustreiten, dass das Fahren mit manipulierten Bremsschläuchen ein hohes Unfallrisiko beinhaltet. Dieses Risiko stellt jedoch lediglich eine abstrakte Gefährdung des Straßenverkehrs dar. Weder andere Autofahrer noch andere Verkehrsteilnehmer wurden im Rahmen eines „Beinahe-Unfalls“ in Gefahr gebracht. Deshalb ist die von § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB geforderte konkrete Gefahr im vorliegenden Fall zu verneinen

II. Ergebnis

Wegen des Fehlens einer konkreten Gefahr hat sich R nicht wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

G. Strafbarkeit des R wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, §§ 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

R könnte sich wegen der Manipulation an den Bremsschläuchen wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. §§ 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung

Ein vollendeter Eingriff in den Straßenverkehr hat nicht stattgefunden. Der Versuch dessen wäre jedoch nach § 315b Abs. 2, Abs. 3, 23 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar.

II. Tatbestand
1. Tatentschluss

R war sich darüber im Klaren, dass die angeschnittenen Bremsleitungen reißen könnten. Hinsichtlich der Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs durch das Fahren des Porsches mit manipulierten Bremsen handelte er infolgedessen vorsätzlich.

Zudem wollte er durch die Manipulation einen Unfall herbeiführen, sodass er auch hinsichtlich der Herbeiführung einer konkreten Gefahr mit Vorsatz handelte. R steuerte den Porsche zwar nicht selbst und konnte damit auch die konkrete Gefahr nicht eigenständig hervorrufen. Allerdings besaß P wegen fehlender Kenntnis über die Manipulation nicht die Tatherrschaft. Diese ging vielmehr von R aus, sodass er den Tatentschluss in mittelbarer Täterschaft herbeiführte.

2. Unmittelbares Ansetzen

Durch das Anschneiden der Bremsschläuche hat R unmittelbar eine Beschädigung des Porsches vorgenommen. Die Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals und die ungehinderte Einmündung in die eigentliche Gefährdung führen damit bereits zu einer Bejahung des unmittelbaren Ansetzens durch R.

3. Rechtswidrigkeit/4. Schuld

Weiterhin handelte R auch rechtswidrig. Auch an seiner Schuld bestehen keinerlei Zweifel.

III. Ergebnis

Damit hat sich R wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

H. Strafbarkeit des R wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, §§ 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB

R könnte sich durch das Herbeiführen eines Unglücksfalles wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. §§ 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung

Die Bremsschläuche haben bis zum Fahrtende gehalten, es ist damit nicht zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gekommen. Der Versuch ist nach §§ 315b Abs. 3, 23 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB strafbar.

II. Tatbestand
1. Tatentschluss

Ein Tatentschluss hinsichtlich der Tat des § 315b Abs. 1 Nr. 1 liegt wie unter G festgestellt vor. Allerdings müsste R darüber hinaus noch die die Absicht gehabt haben einen Unglücksfall hervorzurufen.

  • Ein Unglücksfall i.S.v. § 315 StGB ist jedes plötzlich eintretende Ereignis, das die unmittelbare Gefahr eines erheblichen Schadens für andere Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert hervorruft.

R hat die Bremsschläuche angeschnitten und die anschließende Autofahrt mit P angetreten, um sich das Leben zu nehmen. Er rechnete also damit, dass die Bremsschläuche im Laufe der Fahrt über die Autobahn oder Bundesstraße reißen würden und P infolgedessen das Auto nicht mehr unter Kontrolle haben würde, sodass sie im Wege eines Unfalls sterben würden. Hinsichtlich der Selbsttötung handelte R mit Absicht, allerdings nahm er den Tod von seinem Freund P nur in Kauf, sodass diesbezüglich lediglich dolus eventualis vorlag. Allerdings ging es R letztlich in erster Linie um die Herbeiführung des Unglücksfalls. Der Eintritt des Todes des P als Zwischenziel muss daher nicht von der Absicht umfasst sein. Hinsichtlich des Unglücksfalles handelte R damit absichtlich.

2. Unmittelbares Ansetzen

R hat zwar die Bremsschläuche angeschnitten, jedoch war der Porsche für P nicht frei zugänglich, sodass diese Handlung allein noch nicht ausreichen würde. In Verbindung mit der Überredung des P zur Autofahrt mit den manipulierten Bremsen hatte R jedoch alles aus seiner Sicht Erforderliche getan, um den Tatbestand zu verwirklichen. Während der Autofahrt bestand eine konkrete Gefährdung für P.

3. Rechtswidrigkeit/4. Schuld

R handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

R hat sich gem. §§ 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB wegen eines versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr strafbar gemacht.

I. Strafbarkeit des R wegen Sachbeschädigung, § 303 Abs. 1. Alt. 2 StGB

Der Porsche stand im Eigentum des R, sodass eine Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 1 Alt. 2 StGB ausscheidet.

J. Strafbarkeit des R wegen Versicherungsmissbrauch, § 265 Abs. 1 StGB

Ein Versicherungsmissbrauch gem. § 265 Abs. 1 StGB umfasst als Tatobjekt nicht das Leben, sondern nur eine Sache. Die Lebensversicherung versichert jedoch das Leben, sodass sich R nicht wegen eines Versicherungsmissbrauchs gem. § 265 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben kann.

K. Strafbarkeit des R wegen eines versuchten Betrugs ggü. Und zu Lasten der Lebensversicherung gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB

R könnte sich wegen eines versuchten Betrugs in mittelbarer Täterschaft gegenüber und zu Lasten der Lebensversicherung gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er einen Unfall inszenierte, durch den die Versicherung keinen Anlass haben würde, die eingezahlten Beiträge nicht an seine Ehefrau Manuela auszuzahlen.

I. Vorprüfung

Der Betrug hat nicht stattgefunden. Ein Versuch dessen ist aber nach § 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar.

II. Tatbestand
1. Tatentschluss

R hat die Manipulation der Bremsschläuche absichtlich hervorgerufen. Zudem hat er absichtlich den P fahren lassen, damit der geplante Tod wie ein Unfall aussehen sollte. R ging davon aus, dass seine Ehefrau M den Unfall bei der Lebensversicherung melden und das Geld ausgezahlt bekommen würde. Deshalb handelte R weiterhin auch absichtlich hinsichtlich der Herbeiführung einer Täuschung der Versicherung und hinsichtlich des Eintritts eines Vermögensschadens bei dieser. M hatte von den Plänen ihres Mannes keine Ahnung, sodass sie vorsatzlos handelte und von R lediglich als Werkzeug benutzt wurde. Deshalb liegt hier ein Fall der mittelbaren Täterschaft vor. Der Tatentschluss ist gegeben.

2. Unmittelbares Ansetzen

Fraglich ist aber, ob auch das unmittelbare Ansetzten zur Tat begründet werden kann. Durch das Anschneiden der Bremsschläuche und das anschließende Fahren mit dem Porsche hat R eine Kausalkette in Gang gesetzt, auf die er keinen Einfluss mehr hatte. Allerdings hing der Betrug noch von zu vielen weiteren Faktoren ab. Es war nicht klar, ob R bei dem geplanten Unfall auch tatsächlich sterben würde, zudem war nicht garantiert, dass M von der Lebensversicherung ihres Mannes Kenntnis hatte und den Unfall der Versicherung melden würde. Die eigentliche Vermögensgefährdung lag damit in viel zu weiter Ferne. Auch wenn man aufgrund der Lebenswahrscheinlichkeit der M davon ausgehen kann, dass sie die Geldsumme bei der Versicherung eingefordert hätte, konnte sich R bei Fahrtantritt hierüber nicht sicher sein.

Im Ergebnis muss man feststellen, dass die Verwirklichung eines Versicherungsbetruges viel zu ungewiss war, sodass ein unmittelbares Ansetzen hierzu nicht bejaht werden kann.

III. Ergebnis

R hat sich dementsprechend nicht wegen eines versuchten Betruges in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 25 Abs. 1, Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur § 315 b StGB und Tötungsdelikte auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Untreue und Unterschlagung

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Die folgende Klausur beschäftigt sich mit der Untreue, dem Betrug, der Unterschlagung, der veruntreuenden Unterschlagung und soll damit eine Übersicht darüber geben, wie diese Delikte in einem Klausurgutachten zu prüfen sind. Weitere möglicherweise einschlägige Delikte finden zum Zwecke der Übersichtlichkeit hier keine Ausführungen.

Sachverhalt: Die idealen Gedanken des Auszubildenden Hermes

Als der Autohändler Lange auf seinem Verkaufshof herumschlenderte, ärgerte er sich, dass dort immer noch die bereits vor einem halben Jahr auf Vorrat bestellte Audi A 6 Limousine i. W. v. 37.000 € herumstand. Weil Herr Lange bisher jedem Interessenten mitteilte, dass der Wagen ein „Montagswagen“ sei und einen Defekt an einer Zylinderkopfdichtung aufweise, entschieden sich alle Kaufinteressenten für ein anderes Modell.

Gerade als Herr Lange sich so ärgerte, kam Dolores zum Autohaus. Diese hatte von den Vorteilen der Abwrackprämie gehört und wollte sich schnellstmöglich einen Neuwagen kaufen. Der im Autohaus Lange abgestellte Verkäufer Schwanitz kannte Dolores bereits aus früheren Zeiten und verstand sie zu begeistern. Er zeigte ihr den Audi A 6 und machte deutlich, dass es sich bei dem Wagen um einen Neuwagen handele, der einen sehr guten Fahrkomfort besäße. Von dem Defekt an der Zylinderkopfdichtung erwähnte er nichts. Dolores gefiel der Wagen eigentlich sehr gut. Angesichts des nicht unbeträchtlichen Preises zögerte sie jedoch noch mit der Kaufentscheidung. Als „Motivationshilfe“ bot Schwanitz ihr an, ein Navigationsgerät der Firma Becker i. W. v. 2.500 € kostenlos beizufügen und einzubauen. Dabei war ihm bewusst, dass er mit seiner so wertvollen Zugabe seine Kompetenzen überschreitet. Angesichts der schwierigen Zeiten in der Autobranche hatte ihm Autohändler Lange lediglich gestattet, im Rahmen der Verkäufe von Fahrzeugen Zugaben lediglich bis zu einer Wertgrenze von 1.500 € zu geben. Über den Vorschlag war Dolores begeistert, weil sie erst vor kurzem den Weg zu ihrer Freundin nicht gefunden hatte, und schloss den Kaufvertrag ab. Da das Gerät erst am Nachmittag eingebaut werden könne, bot Schwanitz Dolores an, das Fahrzeug am späten Nachmittag von dem Azubi Hermes vorbeibringen zu lassen. Mit diesen Vorschlägen einverstanden bezahlte Dolores die anstehenden Kosten i. H. v. 37.500 € für den Audi und begab sich zufrieden nach Hause.

Der Azubi Hermes machte sich am späten Nachmittag auf den Weg zu Dolores. Als er jedoch ein wenig umhergefahren war, bemerkte er das hochwertige Navigationsgerät. Da er selbst schon immer ein solches Gerät haben wollte entschied er sich, das Navigationsgerät für seinen eigenen Gebrauch zu nutzen. Das Gerät war allerdings fest montiert und ließ sich nicht ohne weiteres ablösen. Deshalb hielt er nach geeignetem Werkzeug Ausschau und bemerkte dabei die auf dem Rücksitz stehende Werkzeugkiste, die Herr Schwanitz beim Einbauen des Navigationsgeräts dort vergessen hatte. Hermes zögerte nicht lange und demontierte das Gerät. Wegen der besonderen Hochwertigkeit und Brauchbarkeit des Werkzeugs entschied sich Hermes, dieses ebenfalls für Privatzwecke zu behalten. Als er mit allem fertig war, brachte er seine neuen Errungenschaften sicher in seine Wohnung.

Da Hermes ohnehin mit seinem Ausbildungsplatz nicht zufrieden war und er, seiner Ansicht nach, zu viel für sein Geld arbeiten musste, fasste er den Gedanken schneller und einfacher zu Geld zu kommen. Er erinnerte sich, dass vor kurzer Zeit der Kunde Herr Bremer beim Autohaus war und Interesse an dem Audi A 6 bekundet hatte. Nachdem ihm Herr Lange jedoch über den Defekt informierte, sich gleichzeitig aber nicht auf einen Handel einlassen wollte, sondern an dem Neupreis von 37.500 € festhielt, verzichtete er auf seinen Traum vom Audi. Hermes wollte ihm nun ein schnelles Geschäft anbieten. Er fuhr daher mit dem Auto zu Herrn Bremers Haus und bot diesem das Fahrzeug an. Er sagte, dass er sich das Auto vor einiger Zeit selbst gekauft habe, er nun aber kein Interesse mehr daran habe, sondern vielmehr einen Porsche kaufen wolle. Herr Bremer erkannte Hermes und wusste, dass dieser bei Herrn Lange arbeitet und stets Pleite ist. Er war sich daher sicher, dass das Auto nicht ihm gehören konnte. Um sich aber dennoch den Traum vom eigenen Audi zu erfüllen, ging er auf das Angebot von Hermes ein und bezahlte am Ende 5.000 € weniger als Herr Lange dafür verlangte. Mit dem Geld in der Tasche verschwand Hermes nach Hause.

Wie haben sich S und H strafbar gemacht?

Bearbeitervermerk: Gegebenenfalls für erforderlich gehaltene Strafanträge gelten als gestellt.

 

1. Teil – Das Geschehen im Autohaus Olymp

A. Strafbarkeit des Herrn Schwanitz (S) wegen Betruges zum Nachteil Dolores (D)

S könnte sich wegen Betruges gem. § 263 Abs. 1 StGB gegenüber und zum Nachteil von D und zu Gunsten des Herrn Lange (L) strafbar gemacht haben, indem er D vormachte, dass es sich bei dem Audi um einen einwandfreien Neuwagen handele, dabei aber den Defekt an der Zylinderkopfdichtung verschwieg.

I. Objektiver Tatbestand

Dazu müsste zunächst der objektive Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB vorliegen.

1. Täuschung

Insofern ist erforderlich, dass eine Täuschungshandlung gegeben ist. Eine Täuschungshandlung im Sinne von § 263 StGB ist das Vorspiegeln falscher Tatsachen oder die Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen. Tatsachen im Sinne des § 263 StGB sind konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. S hat D lediglich darüber informiert, dass es sich bei dem Audi um einen Neuwagen handele. Durch das Verschweigen, dass der Audi ein Montagswagen sei, spiegelte er D konkludent vor, dass es sich um ein einwandfreies Modell handele. Insofern ist eine konkludente Täuschungshandlung einschlägig.

2. Irrtum

Zudem müsste S bei D durch seine Täuschung ein Irrtum erregt haben. Ein Irrtum im Sinne von § 263 StGB ist jede unrichtige, der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung über Tatsachen. D ließ sich zum Kauf des Audis für den Neuwert hinreißen, da sie nicht von einem mangelbehafteten, sondern von einem einwandfreien Neuwagen ausging. Ein Irrtum liegt damit vor.

3. Vermögensverfügung

Weiterhin ist erforderlich, dass eine Vermögensverfügung vorhanden ist. Eine Vermögensverfügung im Sinne von § 263 StGB umfasst jedes freiwillige tatsächliche Handeln, Dulden oder Unterlassen des Getäuschten, dass bei diesem selbst oder bei einem Dritten unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinne führt. Indem D den Neupreis des Wagens bezahlte, verfügte sie unmittelbar über ihr Vermögen, das im Anschluss daran um 37.500 € gemindert war. Folglich ist eine Vermögensverfügung vorhanden.

4. Vermögensschaden

Darüber hinaus muss ein Vermögensschaden vorliegen. Ein Vermögensschaden im Sinne von § 263 StGB bezeichnet eine nachteilige Vermögensdifferenz, die nicht durch ein unmittelbar aus der Verfügung fließendes Äquivalent wirtschaftlich voll ausgeglichen wird. Der Audi hatte aufgrund seiner Fehlereigenschaft lediglich einen Marktwert von 37.000 €. Indem D für das Auto den grundsätzlich geltenden Neupreis in Höhe von 37.500 € bezahlte, erlitt sie eine Vermögenseinbuße in Höhe von 500 €. Damit liegt auch ein Vermögensschaden vor.

5. Kausalität

Erforderlich ist überdies, dass der Vermögensschaden kausal durch den täuschungsbedingten Irrtum eingetreten ist. Kausal im Sinne des Strafrechts und im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel ist jede Bedingung für einen Erfolg, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Hätte D von der Mangelhaftigkeit und des dadurch bedingten geringen tatsächlichen Wertes gewusst, so hätte sie nicht den angesetzten Neupreis bezahlt. Insofern ist eine Kausalität zwischen der Täuschung und der Vermögensverfügung vorhanden und die Voraussetzungen des objektiven Tatbestandes sind sämtlich erfüllt.

II. Subjektiver Tatbestand

Weiterhin müsste der subjektive Tatbestand vorliegen.

1. Vorsatz

Dazu ist zunächst erforderlich, dass S hinsichtlich des täuschungsbedingten Vermögensschadens bei D vorsätzlich gehandelt hat. Vorsatz im Sinne des § 16 StGB ist der Wille zur Verwirklichung eines Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatumstände bzw. verkürzt: Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. S wusste, dass der Audi aufgrund des Mangels keinen Neuwert besaß und wollte D bewusst und zweckgerichtet dazu bringen, durch sein Schweigen den Neupreis zu bezahlen. Damit handelte S hinsichtlich des täuschungsbedingten Vermögensschadens bei D vorsätzlich.

2. Bereicherungsabsicht

Für den Betrug ist darüber hinaus allerdings erforderlich, dass S mit Bereicherungsabsicht gehandelt hat. Die Bereicherungsabsicht im Sinne von § 263 StGB ist gegeben, wenn es den Täter auf die Erlangung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils ankommt; mag dieser Vorteil von ihm auch nur als Mittel zu einem anderweitigen Zweck und damit als Zwischenziel erstrebt werden. S wollte bei L einen Vermögensvorteil erlangen, indem er endlich den Audi verkaufen würde. Wegen des Wissens, dass der Audi den geforderten Preis nicht Wert sei, er der D diese Tatsache jedoch verschwieg, handelte S letztlich mit Bereicherungsabsicht.

III. Rechtswidrigkeit/Schuld

S handelte sowohl rechtswidrig, als auch schuldhaft.

IV. Ergebnis

S hat sich damit wegen Betruges gem. § 263 Abs. 1 StGB ggü. und zum Nachteil von D und zu Gunsten des Herrn Lange (L) strafbar gemacht haben, indem er D vormachte, dass es sich bei dem Audi um einen einwandfreien Neuwagen handele, dabei aber den Defekt an der Zylinderkopfdichtung verschwieg.

B. Strafbarkeit des S wegen Untreue

S könnte sich wegen Untreue gem. § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB strafbar gemacht haben, indem er D ein Navigationsgerät i. W. v. 2.500 € schenkte, obwohl ihm bekannt war, dass er Autozubehör nur  i. H. v. 1.500 € veräußern durfte.

I. Objektiver Tatbestand

1. Tathandlung

Dafür müsste zunächst eine Tathandlung vorliegen. Diese könnte hier in dem Missbrauch der erteilten Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis liegen, wenn S seine ihm rechtswirksam durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis über fremdes Vermögen zu verfügen, missbraucht und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, einen Nachteil zugefügt haben.

a) Verfügungs-/Verpflichtungsbefugnis

Dann müsste dem S eine Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis eingeräumt worden sein. Eine Verfügungsbefugnis im Sinne von § 266 Abs. 1, Alt. 1 StGB ist eine Rechtsstellung, die den Täter nach außen in den Stand setzt Vermögensrechte eines anderen wirksam zu ändern, zu übertragen oder aufzuheben. Eine Verpflichtungsbefugnis im Sinne von § 266 Abs. 1, Alt. 1 StGB hingegen ist eine Rechtsstellung, die den Täter nach außen in den Stand setzt einen anderen mit Verbindlichkeiten zu belasten. S war durch den mit L geschlossenen Arbeitsvertrag zum Verkauf von Autos befugt. Ihm war hierüber hinaus erlaubt, Autozubehör zu veräußern, so lange dies keinen höheren Wert als 1.500 € aufwies. Insofern war S durch seinen Arbeitsvertrag befugt, über das Vermögen des L zu verfügen. Eine Tathandlung in Form der Verfügungsbefugnis ist damit vorhanden.

b) Missbrauch

Zudem müsste ein Missbrauch der Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis vorliegen. Eine Missbrauchshandlung im Sinne von § 266 Abs. 1, Alt. 1 StGB ist gegeben, wenn der Täter im Rahmen seines rechtsverbindlichen Könnens die Grenzen des im Innenverhältnis einzuhaltenden rechtlichen Dürfens bewusst überschreitet. Wegen des § 56 HGB war S im Außenverhältnis befugt, die für ein Autohaus üblichen Geschäfte auszuführen. Das Verschenken eines Navigationsgeräts im Rahmen eines Autoverkaufs eines Händlers entspricht dabei den allgemeinen Grundsätzen. Dieses rechtliche Können wurde im Innenverhältnis von Herrn Lange aber dahingehend eingeschränkt, dass S nur solche Geschäfte bis maximal 1.500 € durchführen durfte. Durch das Verschenken des Navigationsgeräts im Wert von 2.500 € verstieß S gegen diese arbeitsvertraglich geregelte Vereinbarung. Folglich verstieß er gegen die Grenzen des rechtlichen Dürfens, sodass ein Missbrauch zu bejahen ist.

2. Vermögensbetreuungspflicht

Zu klären bleibt weiterhin, ob bei der hier einschlägigen Missbrauchsalternative zu der vorhandenen Verfügungsbefugnis eine Vermögensbetreuungspflicht hinzutreten muss. Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch umstritten.

  • 1. Ansicht:

Eine Ansicht nimmt an, dass sich die Missbrauchs– und die Treuebruchsalternative als selbstständige Tatbestände gegenüberstehen und demnach eine Vermögensbetreuungspflicht lediglich für die Treuebruchs-, nicht aber für die Missbrauchsalternative erforderlich sei. Hierfür spräche auch der Gesetzeswortlaut, der ein über das Merkmal des Missbrauchs hinausgehendes Erfordernis nicht beinhaltet.

  • 2. Ansicht:

Eine andere Ansicht fordert hingegen zwar eine Vermögensbetreuungspflicht, nimmt diese aber bereits dann an, wenn dem Täter die Verfügungs- und Verpflichtungsbefugnis im Interesse des Vermögensinhabers übertragen worden ist. Die erforderliche Eingrenzung werde nämlich bereits durch das Merkmal des Missbrauchs erreicht.

  • 3. Ansicht (h. L. und Rspr.):

Die h. L. und die Rspr. sind der Ansicht, dass der Missbrauchstatbestand nur ein spezieller Fall der Treuebruchstatbestandsalternative sei. Folge dieser Ansicht wäre dann, dass der Missbrauchstatbestand ebenfalls eine Vermögensbetreuungspflicht wie die Begehungsform des Treuebruchs verlangt.

  • 4. Stellungnahme:

Betrachtet man den im Gesetz vorhandenen Relativsatz „dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat“ genauer, so wird deutlich, dass sich dieser auf beide Begehungsformen bezieht. Hinzukommt, dass einer Ausuferung des § 266 StGB vorgebeugt werden soll und damit eine restriktive Auslegung zu erfolgen hat. Im Ergebnis ist daher mit der Ansicht der h. L. und Rspr. eine Vermögensbetreuungspflicht zu fordern.

Zu prüfen ist damit, ob in dem hier vorliegenden Fall eine Vermögensbetreuungspflicht angenommen werden kann. Eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB ist die Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen, welche den typischen und wesentlichen Inhalt des rechtlich begründeten oder faktisch bestehenden Treueverhältnisses bildet, also dessen Hauptgegenstand und nicht eine bloße Nebenpflicht ist. S hatte die Aufgabe im Namen des L Autos zu verkaufen, sowie zugehöriges Autozubehör im Wert von bis zu 1.500 €. Insoweit besaß S einen gewissen Handlungsspielraum, in dem er selbstständig Entscheidungen treffen konnte. Dadurch, dass er jedoch ein Navigationsgerät mit einem wesentlichen höheren Wert an D aushändigte, überschritt er den ihm zugeteilten Handlungsspielraum. Folglich ist die Vermögensbetreuungspflicht durch S verletzt worden.

3. Taterfolg: Vermögensnachteil

Die Folge des pflichtwidrigen Handelns des S muss die Zufügung eines Nachteils zulasten des L sein. S hat das Navigationsgerät aus dem Warenbestand des L herausgenommen und an D verschenkt. Insofern könnte man zunächst annehmen, dass dem L ein Schaden i. H. v. 2.500 € entstanden ist. Andererseits muss man betrachten, dass das von S verkaufte Auto defekt war und statt der von D bezahlten 37.500 € lediglich 37.000 € Wert war. Insofern hat der L durch den Verkauf des Autos einen Gewinn i. H. v. 500 € erzielt. Dieser muss nun von dem  Wert des Navigationsgerätes abgezogen werden. Im Ergebnis hat L also einen Vermögensnachteil i. H. v. 2.000 € erlitten.

II. Subjektiver Tatbestand

S wusste, dass er dass Navigationsgerät nicht hätte verschenken dürfen, was er aber dennoch tat, sodass er vorsätzlich handelte und den subjektiven Tatbestand damit erfüllte.

III. Rechtswidrigkeit/IV. Schuld

Auch wenn S aus Mitleid gehandelt haben sollte, überschritt er die ihm durch Vertrag eingeräumten Grenzen. Da außerdem keine Rechtfertigungs-, noch Schuldausschließungsgründe ersichtlich sind, handelte S im Ergebnis sowohl rechtswidrig als auch schuldhaft.

V. Ergebnis

S hat sich wegen Untreue gem. § 266 Abs. 1, 1. Alt. StGB strafbar gemacht, indem er D ein Navigationsgerät im Wert von 2.500 € schenkte, obwohl ihm bekannt war, dass er Autozubehör nur in einer Höhe von bis zu 1.500 € veräußern durfte.

2. Teil – Das preiswerte Navigationsgerät

A. Strafbarkeit des H wegen Untreue

H könnte sich wegen Untreue gem. § 266 Abs. 1, 1, 2. Alt. StGB strafbar gemacht haben, indem er das Navigationsgerät aus dem Auto der D entfernte und zu sich nach Hause schaffte.

I. Objektiver Tatbestand

Dazu müsste zunächst der objektive Tatbestand vorliegen.

1. Tathandlung:

a) Missbrauchstatbestand, 1. Alt.

Zu klären ist dafür zunächst, welche Alternative des § 266 Abs. 1 StGB für die Tat in Betracht käme. Insofern ist zu betrachten, ob die vorrangig zu beurteilende Missbrauchstatbestandsalternative möglich erscheint. H handelte bei der Entfernung des Navigationsgeräts jedoch in seinem eigenen Interesse und wurde zu dieser Handlung in keinster Weise von seinem Chef L oder anderen Befugten angehalten. Demnach gelangt man, ganz gleich, welcher Ansicht man sich hinsichtlich des Erfordernisses einer Vermögensbetreuungspflicht anschließt, zu dem Ergebnis, dass die erste Alternative schon wegen des Fehlens eines rechtsgeschäftlichen Handelns auszuschließen ist. Die Missbrauchstatbestandsalternative liegt folglich nicht vor.

b) Treuebruchstatbestand, 2. Alt.

Zu klären bleibt demnach, ob die 2. Alternative in Form des Treuebruchstatbestandes eingreift. Allerdings sollte H lediglich den Audi bei der D abliefern und nicht das Navigationsgerät aus dem Fahrzeug ausbauen. Betrachtet man die Anweisung an H genauer, so lässt sich erkennen, dass H lediglich als Bote einzuordnen ist und damit keinen nötigen Handlungsspielraum besitzt. H sollte nur das ausführen, was ihm aufgetragen wird. Hier liegt der Auftrag im Abliefern des Audis mit Navigationsgerät an D. Auch wenn sich H gegen diese Anordnung widersetzt, kann daraus keine Verfügungsbefugnis abgeleitet werden.

2. Zwischenergebnis

Folglich liegen weder die Missbrauchs-, noch die Treuebruchstatbestandsalternative des § 266 Abs. 1 StGB vor.

II. Ergebnis

H hat sich also nicht wegen Untreue gem. § 266 StGB strafbar gemacht, als er das Navigationsgerät aus dem Fahrzeug der D demontierte und dieses anschließend zu sich nach Hause schaffte.

B. Strafbarkeit des H wegen veruntreuender Unterschlagung

H könnte sich allerdings wegen veruntreuender Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Navigationsgerät demontierte und zu sich nach Hause schaffte.

I. Objektiver Tatbestand

Dann müsste zunächst der objektive Tatbestand vorliegen.

1. Navigationsgerät

Erforderlich ist demnach, dass es sich  bei dem Navigationsgerät um eine fremde, bewegliche Sache handelt. Sachen sind alle körperlichen Gegenstände ohne Rücksicht auf ihren wirtschaftlichen Wert. Sie sind fremd, wenn sie im (Allein-, Mit-, oder Gesamthands-) Eigentum eines anderen stehen, also weder herrenlos im Sinne der §§ 985 ff. BGB sind, noch ausschließlich dem Täter selbst gehören. Ferner sind sie beweglich, wenn sie sich tatsächlich fortbewegen lassen. Bei einem Navigationsgerät handelt es sich um einen körperlichen Gegenstand, der sich tatsächlich fortbewegen lässt und der im Eigentum der D – jedenfalls aber des L – stand und damit für den H fremd war. Das Navigationsgerät ist damit eine fremde, bewegliche Sache.

2. Tathandlung

Darüber hinaus muss eine taugliche Tathandlung, also eine Zueignung, vorliegen. Zueignung in diesem Sinne ist ein Verhalten, das für einen gedachten, mit den Gesamtumständen vertrauten, objektiven Beobachter den sicheren Schluss darauf zulässt, dass der Täter die Sache oder ihren Sachwert unter dauerhaften Ausschluss des Eigentümers seinem Vermögen oder dem eines Dritten einverleiben will (enge Manifestationslehre). H hat durch das Ausbauen des Navigationsgeräts aus dem Auto und dem anschließenden Wegschaffen dieses in seine Wohnung zum Ausdruck gebracht, dass er das Navigationsgerät nicht der Eigentümerin D zukommen lassen will.

3. Rechtswidrige Zueignung

Weiterhin müsste diese Zueignung rechtswidrig gewesen sein. Die Zueignungsabsicht ist die Absicht, sich oder einem Dritten die fremde Sache oder den in ihr verkörperten Sachwert anzueignen, gepaart mit dem Vorsatz, den Eigentümer zu enteignen. Rechtswidrig ist diese Zueignung, wenn der Täter auf die Sache keinen fälligen und einredefreien Anspruch hat. Das Navigationsgerät gehörte nicht dem H und er hatte auch keinen fälligen und einredefreien Anspruch auf die Übereignung des Navigationsgeräts. Vielmehr wollte er das Navigationsgerät zu seinen eigenen Zwecken ohne die Kenntnis der D nutzen. Damit liegt eine rechtswidrige Zueignung vor.

4. Qualifikation, § 246 Abs. 2 StGB

Zu prüfen ist weiterhin, ob vorliegend die Qualifikation zu einer veruntreuenden Unterschlagung gem. § 246 Abs. 2 StGB in Betracht kommt. Dafür müsste ihm das Navigationsgerät anvertraut worden sein. Anvertraut ist eine Sache, die der Täter vom Eigentümer oder einem Dritten mit der Verpflichtung erlangt hat, sie zu einem bestimmten Zweck zu verwenden, aufzubewahren oder auch nur zurückzugeben. H bekam von S den Auftrag den Audi samt Navigationsgerät bei D abzuliefern. Insofern wurde ihm zu diesem Zwecke das Navigationsgerät anvertraut. Ein Anvertrautsein und damit eine Qualifikation des Tatbestandes im Sinne des § 246 Abs. 2 StGB ist damit gegeben.

II. Subjektiver Tatbestand

H wusste, dass er nicht befugt war, das ihm anvertraute Navigationsgerät für seine eigenen Zwecke zu gebrauchen, sodass er hinsichtlich der rechtswidrigen Zueignung einer fremden, beweglichen Sache vorsätzlich handelte.

III. Rechtswidrigkeit

Das Verhalten des H ist rechtswidrig und nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt.

IV. Schuld

Überdies kommen keine Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe in Betracht, sodass H schuldhaft handelte.

V. Ergebnis

Indem H das Navigationsgerät aus dem Fahrzeug der D demontierte und es anschließend zu sich nach Hause schaffte, hat sich H wegen veruntreuender Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht.

C. Strafbarkeit des H wegen Unterschlagung des Werkzeugs

Indem H das sich im Auto befindliche Werkzeug des L in seine Wohnung brachte, könnte er sich wegen Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Objektiver Tatbestand

1. Werkzeug

Bei dem Werkzeugkoffer und dem darin befindlichen Werkzeug handelt es sich um eine für H fremde, bewegliche Sache.

2. Tathandlung

Das Werkzeug wurde zwar zuvor von dem S zum Einbau des Navigationsgeräts in das Fahrzeug der D benutzt, gehörte jedoch zum Eigentum des L. Auf dieses Werkzeug hatte H zudem keinen fälligen und einredefreien Anspruch, sodass in dem Ausbau und Nachhauseschaffen des Navigationsgeräts eine rechtswidrige Zueignung zu sehen ist.

3. Qualifikation, § 246 Abs. 2 StGB

Weiterhin könnte eine Qualifikation gem. § 246 Abs. 2 StGB in Betracht kommen, wenn dem H das Werkzeug anvertraut wurde. Allerdings hatte der S das Werkzeug lediglich in dem Auto vergessen. Es war daher gar nicht von ihm beabsichtigt, dass sich das Werkzeug weiterhin im Auto befindet. Überdies hat er es auch nicht dem H übergeben. Damit wurde dem H die Werkzeugkiste nicht anvertraut und eine Qualifikation im Sinne des § 246 Abs. 2 StGB ist nicht einschlägig.

II. Subjektiver Tatbestand

H handelte hinsichtlich der rechtswidrigen Zueignung der fremden Werkzeugkiste mit Wissen und Wollen, sodass der Vorsatz und damit auch der subjektive Tatbestand erfüllt sind.

III. Rechtswidrigkeit

Das Verhalten des H ist rechtswidrig und nicht durch Rechtfertigungsgründe gerechtfertigt.

IV. Schuld

H begann seine Handlungen in einem schuldfähigen Zustand, die weder durch Entschuldigungs-, noch durch Schuldausschließungsgründe entschuldigt wären.

V. Ergebnis

H hat sich wegen Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem er das Werkzeug zu sich nach Hause brachte und es für private Zwecke nutzen wollte.

 

3. Teil – Die Audi A6 Limousine

A. Strafbarkeit des H wegen Untreue

Durch den Verkauf des Audis an B könnte sich H wegen einer Untreue gem. § 266 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht haben. Da H jedoch lediglich als Bote zur Ablieferung des Autos an D eingesetzt wurde, kam ihm hinsichtlich des Fahrzeugs kein eigener Handlungsspielraum zu. Auch wenn er sich als Eigentümer des Fahrzeugs aufführte, ändert dies nichts am Fehlen sowohl der Missbrauchs-, als auch der Treuebruchstatbestandsalternative des § 266 Abs. 1 StGB. Damit hat sich H durch den Verkauf des Audis an B aber auch nicht wegen Untreue gem. § 266 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit des H wegen veruntreuender Unterschlagung

H könnte sich allerdings wegen veruntreuender Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er den Audi nicht wie von S aufgetragen bei D ablieferte, sondern diesen statt dessen an B verkaufte.

Bei dem Audi handelt es sich um eine fremde, bewegliche Sache. H war zudem nicht daran interessiert den Audi an D abzuliefern, sondern stattdessen schnell und einfach zu Geld zu kommen. Insofern liegt auch eine rechtswidrige Zueignung vor. H handelte vorsätzlich, rechtswidrig sowie schuldhaft. Da dem H das Auto zur Auslieferung an D anvertraut war, verwirklichte er zusätzlich die Qualifikation des Abs. 2. Insofern hat sich H durch den Verkauf des Audis an B wegen veruntreuender Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1, 2 StGB strafbar gemacht.

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Gewährleistung Kauf und Mangelfolgeschaden

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Sachverhalt

A kauft von B eine gebrauchte, zwei Jahre alte E-Klasse „Bluetec“. Nach fünf Monaten versagen allerdings die Bremsen und A fährt sowohl den Blinker des Fahrzeugs, als auch sein Rennrad kaputt. Die Ursache für das Bremsversagen beruht auf einem Haarriss im Bremszylinder, der zum Auslauf von Bremsflüssigkeit führt. A lässt das Fahrzeug nicht reparieren. Nach zweieinhalb Jahren wendet sich A jedoch an B und verlangt Ersatz für den Blinker (50€) und sein Rennrad (1.000€). Weiterhin möchte er den Kaufpreis (30.000€) zurück, sowie 2.000€ für einen Deckungskauf. Auf jeden Fall verlangt A Reparaturkosten für die Bremsen (1.000€), sowie Kosten für einen Mietwagen (200€). A dachte, „Bluetec“ wäre der Hinweis darauf, dass das Auto auch mit Elektromotor fährt, was aber nur beim „Hybrid“ der Fall gewesen wäre.

B möchte im Gegenzug zu den Forderungen des A Nutzungsersatz für zweieinhalb Jahre.

Bearbeitervermerk: Deliktische oder bereicherungsrechtliche Ansprüche sind nicht zu prüfen.

Lösung

1. Teil: Ansprüche des A gegen den B

A. Anspruch aus §§ 280 I, III, 283, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB

A könnte gegen B einen Schadensersatzanspruch, statt der Leistung gerichtet auf Ersatz der Deckungskosten und Kosten für einen Mietwagen, aus §§ 280 I, III, 283, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Dafür müsste zunächst ein Schuldverhältnis bestehen. Aus einem Schuldverhältnis ist ein Gläubiger berechtigt vom Schuldner eine Leistung zu verlangen, vgl. § 241 I BGB. Vorliegend könnte ein Schuldverhältnis aus einem Nacherfüllungsanspruch bestehen.

1. Anspruch (Nacherfüllungsanspruch) entstanden

Dies setzt allerdings voraus, dass ein Nacherfüllungsanspruch wirksam entstanden ist. Ein Nacherfüllungsanspruch ist ein fortgesetzter Erfüllungsanspruch, aus dem die Rechte und Pflichten aus dem ursprünglichen Erfüllungsanspruch, dem Kaufvertrag, fortwirken. Vorliegend müsste entsprechend ein wirksamer Kaufvertrag aus § 433 BGB gegeben sein.

a.) Anspruch (Kaufvertrag) entstanden

Ein wirksamer Kaufvertrag setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB), voraus. Die Willenserklärungen bestehen dabei aus einem inneren und einem äußeren Tatbestand, wobei sich der innere Tatbestand weiter untergliedern lässt, in das Handlungsbewusstsein, das Erklärungsbewusstsein und den Geschäftswillen. Vorliegend könnte die Willenserklärung aufgrund eines fehlenden Geschäftswillens unwirksam sein. Der Geschäftswille ist der Wille ein bestimmtes Rechtsgeschäft zu wollen. A wollte vorliegend eine E-Klasse „Bluetec“ kaufen, ging allerdings beim Kauf davon aus, dass ein solcher Wagen mit einem Elektromotor fahren würde. Ein solcher Elektromotor ist jedoch nur in der E-Klasse „Hybrid“ eingebaut, nicht aber bei „Bluetecs“. Insofern irrte sich A bei der Abgabe seiner Willenserklärung und wollte nicht das abgeschlossene, sondern ein anderes Rechtsgeschäft. Damit liegt der Geschäftswille nicht vor.

Der Geschäftswille ist aber nicht notwendiger Bestandteil einer Willenserklärung. Fehlt dieser, so liegt trotzdem eine Willenserklärung vor. Dieses Rechtsgeschäft kann lediglich angefochten werden. Folglich besteht zwischen A und B zunächst ein wirksamer Kaufvertrag.

b.) Unwirksamkeit des Kaufvertrages aufgrund von Anfechtung

Dieser Kaufvertrag könnte aber durch eine Anfechtung der Willenserklärung des A gem. § 142 I BGB ex tunc unwirksam geworden sein.

aa.) Anfechtungsgrund

Dies bedarf zunächst des Vorliegens eines Anfechtungsgrundes. Wie festgestellt werden konnte, fehlt es dem A am Geschäftswillen. Dies bedeutet, dass A zwar rechtsgeschäftlich handeln wollte, seine Willenserklärung aber nicht auf genau das abgeschlossene Rechtsgeschäft gerichtet war. A wollte ein Fahrzeug mit einem Elektromotor kaufen, kaufte jedoch einen „Bluetec“ ohne eines solchen. Damit ist zunächst ein Motivirrtum gegeben. Ein Motivirrtum berechtigt allerdings nur dann zur Anfechtung, wenn dieser von den anerkannten Anfechtungsgründen aus §§ 119 I 1. Alt, 2. Alt, II, 123 BGB umfasst ist. A nahm an, dass alle „Bluetecs“ einen Elektromotor besitzen, wusste aber nicht, dass dies nur bei den „Hybrids“ der Fall ist. In Betracht kommt daher das Vorliegen eines Inhaltsirrtums gem. § 119 I 1. Alt. BGB. Ein Inhaltsirrtum ist gegeben, wenn der Erklärende seiner Erklärung einen anderen Inhalt gibt, als sie objektiv hat. A geht bei Abgabe seiner Erklärung davon aus, dass alle E-Klasse „Bluetec“ einen Elektromotor haben. Objektiv sind solche lediglich in der E-Klasse „Hybrid“ eingebaut. Damit ist ein Inhaltsirrtum gegeben und ein Anfechtungsgrund besteht.

bb.) Anfechtungserklärung

Weiterhin ist eine Anfechtungserklärung notwendig, § 143 BGB, die gegenüber dem Anfechtungsgegner zu erfolgen hat. Vorliegend liegen jedoch weder eine ausdrückliche, noch eine konkludente Anfechtungserklärung vor. Des Weiteren würde die Erklärung der Anfechtung letztlich dazu führen, dass der zunächst wirksam entstandene Kaufvertrag ex tunc unwirksam werden würde. Die von A geforderten Schadensposten setzen jedoch stets ein wirksames Schuldverhältnis voraus. Dem A ist daher nicht zu raten eine Anfechtungserklärung nachzuholen. Eine Anfechtungserklärung ist damit nicht gegeben.

cc.) Anfechtungsfrist

Eine Anfechtung könnte überdies ohnehin an dem Merkmal der Anfechtungsfrist scheitern. Aus § 121 BGB ergibt sich die Pflicht des unverzüglichen Anfechtens nach Kenntnisnahme des Anfechtungsgrundes. A hat spätestens nach kurzer Fahrzeit mit dem „Bluetec“ erkennen können, dass dieser keinen Elektromotor besitzt. Ab diesem Zeitpunkt war er zur Anfechtung berechtigt. Seit dieser Kenntnisnahme sind fast drei Jahre vergangen, sodass die geforderte Anfechtungsfrist ohnehin abgelaufen wäre.

dd.) Zwischenergebnis

Es liegt keine Anfechtungserklärung vor. Zudem wäre die Anfechtung bereits verfristet. Damit liegt ein wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B vor. Aufgrund der herrschenden Erfüllungstheorie ist der Nacherfüllungsanspruch der fortgesetzte Erfüllungsanspruch. Damit wirkt sich der Anspruch auf mangelfreie Lieferung einer Sache aus § 433 I 1 BGB in dem Nacherfüllungsanspruch fort.

c.) Sachmangel

Für einen wirksamen Nacherfüllungsanspruch bedarf es allerdings des Vorliegens eines Sachmangels. Ein Sachmangel ist grundsätzlich das Abweichen der Ist- von der Sollbeschaffenheit gem. § 434 I 1 BGB. Eine Beschaffenheitsvereinbarung liegt zwischen A und B jedoch nicht vor. Auch haben A und B vertraglich keine Verwendung des „Bluetecs“ festgelegt, sodass ein Sachmangel aus § 434 I 2 Nr. 1 BGB ausscheidet. Allerdings könnte ein Sachmangel aus § 434 I 2 Nr. 2 BGB vorhanden sein. Dann darf sich der „Bluetec“ nicht für die gewöhnliche Verwendung eignen. Das Fahrzeug hat einen Haarriss im Bremszylinder, aufgrund dessen es zum Austritt von Bremsflüssigkeit kommt, das ein Versagen der Bremsen nach sich zieht. Ein Auto ist dazu gedacht, dieses fortzubewegen. Dies setzt jedoch voraus, dass das Fahrzeug fortbewegt und angehalten werden kann. Das Versagen der Bremsen erfüllt das zweite Kriterium damit nicht. Folglich liegt ein Sachmangel in Form des § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor.

 d.) Gefahrübergang

Dieser Bremsmangel lag gem. § 446 S. 1 BGB bereits bei Übergabe des verkauften Wagens und damit bei Gefahrübergang vor.

e.) Zwischenergebnis

Die Voraussetzungen des Nacherfüllungsanspruchs sind sämtlich erfüllt. Damit ist ein wirksamer Nacherfüllungsanspruch aus § 439 I BGB entstanden.

2. Anspruchsumfang

Zu klären ist weiterhin, ob der von A geltend gemachte Deckungsschaden, die Reparaturkosten, der Blinker und der Mietwagen durch Nacherfüllung beseitigt werden können. Die Nacherfüllung gliedert sich dabei in die Neulieferung aus § 439 I 2. Alt. und die Nachbesserung aus § 439 I 1. Alt. BGB. Dementsprechend ist hinsichtlich des Anspruchsumfangs zu differenzieren.

a.) Neulieferung, § 439 I 2. Alt. BGB

Zunächst ist fraglich, ob der Sachmangel am Fahrzeug durch Neulieferung gem. § 439 I 2. Alt. BGB beseitigt werden könnte. Bei Lieferung eines neuen „Bluetecs“ würde der Mangel an den Bremsen nicht mehr bestehen. Ein neuer „Bluetec“ besitzt zudem einen neuen Blinker, sodass auch diese Kosten von der Neulieferung umfasst wären. Die Kosten für den Mietwagen und die Deckungskosten könnten allerdings nicht alleine durch Neulieferung beseitigt werden, sondern allenfalls unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 437 Nr. 3 oder Nr. 3 BGB beseitigt werden. Dazu müsste aber die Neulieferung unmöglich sein.

b.) Nachbesserung, § 439 I 1. Alt. BGB

Eine Nachbesserung im Sinne des § 439 I 1. Alt. BGB in Form der Reparatur würde ebenfalls die Reparaturkosten der Bremsen und des Blinkers umfassen. Also ist auch eine Nachbesserung grundsätzlich zielgerichtet.

 3. Anspruch untergegangen

Zu klären ist, ob der Anspruch auf Nacherfüllung in Form der Nachbesserung (§ 439 I 1. Alt. BGB), als auch in Form der Neulieferung (§ 439 I 2. Alt. BGB) überhaupt besteht oder nach § 275 I BGB untergegangen ist. Für die Beurteilung ist wiederum eine Differenzierung nach den beiden möglichen Alternativen vorzunehmen.

a.) Neulieferung, § 439 I 2. Alt. BGB

Nach § 275 I BGB ist der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist. Die Unmöglichkeit ist vor allem danach zu differenzieren, ob eine Gattungsschuld oder eine Stückschuld vorliegt. Eine Unmöglichkeit bei einer Gattungsschuld ist nur dann gegeben, wenn die gesamte Gattung vollständig untergegangen ist, während eine Unmöglichkeit bei einer Stückschuld bereits dann angenommen wird, wenn die Sache selbst untergegangen ist. Vorliegend handelt es sich um eine gebrauchte E-Klasse „Bluetec“. Ein gebrauchtes Fahrzeug ist bereits durch seine Ausstattung, Fahrleistung und mögliche Unfallverwicklung derart konkretisiert, dass es sich um eine Stückschuld handelt. Der „Bluetec“ als Gebrauchtwagen ist damit eine Stückschuld. Die Lieferung eines neuen „Bluetecs“ wäre damit grundsätzlich ausgeschlossen und die Nacherfüllung in Form der Neulieferung wäre unmöglich.

Fraglich ist nun aber, ob bei einer Gebrauchtwageneigenschaft grundsätzlich immer von einer Unmöglichkeit ausgegangen, oder ob eine Nacherfüllung in Form der Neulieferung unter gewissen Umständen nicht doch angenommen werden kann. Die Beurteilung dieser Frage ist jedoch streitig.

 aa.) Eine Meinung: Neulieferung bei Stückkauf ausgeschlossen

Nach einer Ansicht sind die vertraglichen Vereinbarungen bei einem gebrauchten Fahrzeug immer nur auf die Veräußerung dieses einen Fahrzeugs gerichtet und eine Neulieferung wegen der Konkretisierung und Einzigartigkeit dieses Fahrzeugs per se ausgeschlossen. Für den vorliegenden Fall hätte dies zur Konsequenz, dass eine Neulieferung des gebrauchten Bluetec ausgeschlossen und der Anspruch auf Neulieferung nach § 275 I BGB untergegangen ist. Der Anspruch Nacherfüllung ist auf die Nachbesserung reduziert, § 439 III 3 BGB.

bb.) Zweite Meinung: Stückkauf führt nicht per se zur Unmöglichkeit der Neulieferung

Eine andere Ansicht differenziert hinsichtlich ihrer Einschätzung. Hiernach ist der Gebrauchtwagenkauf zwar als Stückkauf einzustufen, die Neulieferung ist aber nicht per se ausgeschlossen. Vielmehr ist eine Neulieferung nach dieser Ansicht grundsätzlich immer noch so lange möglich, wie ein gleichwertiges Fahrzeug gleicher Art und Güte geliefert werden kann. Ausgeschlossen ist die Neulieferung nach dieser Ansicht allerdings dann, wenn das gebrauchte Fahrzeug eine derartige Einzigartigkeit aufweist und diese Einzigartigkeit auch zum Vertragsbestandteil geworden ist. Dies ist nach dieser Ansicht in jedem Fall dann gegeben, wenn der Käufer den Kaufgegenstand persönlich überprüft hat.

Dieser Ansicht folgend lässt sich feststellen, dass A und B einen Vertrag über einen gebrauchten E-Klasse Bluetec abgeschlossen haben, extravagante oder besondere Merkmale dieses Fahrzeugs aber nicht vereinbart wurden und der A das Fahrzeug auch nicht persönlich überprüft hat. Insofern wäre dem B eine Lieferung eines ebenfalls gebrauchten E-Klasse Bluetecs weiterhin möglich.

cc.) Stellungnahme

Zum Schutz des Käufers ist es erforderlich, dass die Rechte auf Nacherfüllung nicht bereits von vornherein auf lediglich eine der genannten Alternativen beschränkt wird. Um dem Verkäufer das Recht der zweiten Andienung vollumfänglich zu ermöglichen und gleichzeitig des Käufers Rechte schützen zu können, ist eine Differenzierung der Neulieferungspflicht bei einer Stückschuld erforderlich. Diese Differenzierung kann ausschließlich die zweite Ansicht ermöglichen, sodass dieser zweiten Ansicht im Ergebnis zu folgen ist.

dd.) Zwischenergebnis

Folglich ist der Nacherfüllungsanspruch in Form der Neulieferung gem. § 439 I 2. Alt. BGB nicht gem. § 275 I BGB unmöglich geworden.

b.) Nachbesserung, § 439 I 1. Alt. BGB

Zu klären bleibt demnach, ob der Anspruch auf Nacherfüllung in Form der Nachbesserung gem. § 439 I 1. Alt. BGB besteht oder gem. § 275 I BGB möglicherweise untergegangen ist. Die Nachbesserung in Form der Reparatur oder des Austauschs der Bremsen ist jedoch nach wie vor möglich. Eine Unmöglichkeit in Form des § 275 I BGB liegt damit nicht vor. Auch der Anspruch auf Nacherfüllung in Form der Nachbesserung ist damit weiterhin gegeben.

c.) Zwischenergebnis

Die von A geltend gemachten Posten sind grundsätzlich vom Nacherfüllungsanspruch umfasst. Der Nacherfüllungsanspruch besteht sowohl in Form der Nachbesserung (§ 439 I 1. Alt. BGB), als auch in Form der Neulieferung (§ 439 I 2. Alt. BGB). Beide sind nicht nach § 275 I BGB untergegangen.

4. Anspruch durchsetzbar

Der Anspruch auf Nacherfüllung müsste jedoch auch grundsätzlich durchsetzbar sein. Dem Anspruch des A könnte grundsätzlich die Einrede der Verjährung entgegenstehen. Gem. § 438 I Nr. 3 BGB verjährt der Anspruch aus § 437 Nr. 1 BGB und damit der Nacherfüllungsanspruch aus § 439 I BGB innerhalb von zwei Jahren. Die Verjährung beginnt dabei gem. § 438 II BGB mit der Ablieferung der Sache und endet gem. § 188 II BGB mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher durch seine Benennung oder seine Zahl dem Tage entspricht, auf den das Ereignis fällt. A hat seinen Anspruch hier erst nach insgesamt drei Jahren nach Erhalt des Fahrzeugs geltend gemacht. Damit wäre der Anspruch grundsätzlich verjährt. Etwas anderes würde aber bei Anwendung des § 438 III BGB gelten. Danach wäre die allgemeine Verjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB anwendbar und der Anspruch des A noch nicht verjährt. Dies setzt jedoch voraus, dass B den Sachmangel arglistig verschwiegen hätte. Dafür gibt es vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte. Insofern bleibt es bei der Anwendung des § 438 I BGB. Der Anspruch des A wäre daher verjährt.

Allerdings ist die Verjährung ein Gestaltungsrecht. Es obliegt demnach B sich auf die Einrede der Verjährung zu berufen. Sofern er dies nicht tut, kann A weiterhin seinen Anspruch auf Nacherfüllung geltend machen. Anderenfalls ist dieser Anspruch des A nicht durchsetzbar.

II. Ergebnis

Es besteht ein Schuldverhältnis in Form des Nacherfüllungsanspruchs im Sinne des § 439 I BGB. Um das Recht des Verkäufers auf zweite Andienung nicht zu unterlaufen ist es notwendig, dass A damit zunächst diesen Anspruch geltend macht. Ein Weg über das Schadensrechts aus § 437 Nr. 3 BGB ist solange gesperrt.

A hat damit keinen Anspruch gegen B auf Schadensersatzanspruch statt der Leistung gerichtet auf Ersatz der Deckungskosten und Kosten für einen Mietwagen aus §§ 280 I, III, 283, 437 Nr. 3, 433, 439 BGB.

B. Anspruch aus §§ 280 I, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB

A könnte einen Anspruch gegen B auf Ersatz der Reparaturkosten der Bremsen und des Blinkers, sowie Ersatz der Kosten für einen Mietwagen in Höhe von 200€ aus §§ 280 I, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Dafür müsste zunächst ein Schuldverhältnis bestehen. Zwischen A und B ist ein wirksamer Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen entstanden, der sich aufgrund der Erfüllungstheorie im Nacherfüllungsanspruch aus § 439 I BGB fortwirkt. Beide Arten der Nacherfüllung sind auch nicht nach § 275 I BGB untergegangen. Solange B seine Einrede auf Verjährung aus § 438 I Nr. 3 BGB nicht geltend macht, ist der Anspruch des A darüber hinaus auch weiterhin durchsetzbar.

Letztlich müssten die Reparaturkosten und die Kosten für einen Mietwagen auch vom Nacherfüllungsanspruch umfasst sein. Die Kosten für die Nacherfüllung hat grundsätzlich der Verkäufer zu tragen (§ 439 II BGB). Das bedeutet aber, dass die Kosten des A für die Reparatur der Bremsen und des Blinkers gar nicht erst entstehen würden. Würde eine Nacherfüllung in Form der Nachbesserung stattfinden, so hat B die Kosten für die Reparatur der Bremsen und des Blinkers zu übernehmen und A entstehen keinerlei Nachteile. Insofern ist die Forderung für die Reparatur der Bremsen und des Blinkers vom Nacherfüllungsanspruch umfasst.

Die Kosten für einen Mietwagen hingegen würden auch dann entstehen, wenn die Bremsen des Fahrzeugs repariert werden. Während des Zeitraums der Reparatur benötigt A ein Ersatzfahrzeug in Form eines Mietwagens. Insofern können selbst durch Reparatur der Bremsen die Kosten für einen Mietwagen nicht verhindert werden. Folglich sind die Mietwagenkosten nicht vom Nacherfüllungsanspruch gedeckt. Sowohl eine Nachbesserung, als auch eine Neulieferung sind nicht zielgerichtet.

II. Pflichtverletzung

Ist die Nacherfüllung jedoch nicht zielgerecht, so können die weiteren Ansprüche aus § 437 Nr. 2 und Nr. 3 BGB geltend gemacht werden. Durch einen Rücktritt oder eine Minderung würde er jedoch keine Schadensposten neben der Leistung geltend machen können, sodass vorliegend lediglich ein Schadensersatzanspruch aus § 437 Nr. 3 BGB in Betracht kommt. Dementsprechend bedarf es einer Pflichtverletzung, die sich vorliegend aus § 280 I BGB ergeben könnte. Dann müsste B eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Aus § 433 I 2 BGB erwächst die Pflicht eine mangelfreie Sache zu liefern. Diese Pflicht besteht im Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB fort. B hat dem A einen Bluetec geliefert, dessen Bremsen defekt sind. Aus § 440 BGB lässt sich allerdings ableiten, dass sich die Pflichtverletzung auf die Nacherfüllung bezieht. Demnach ist eine Pflichtverletzung nur gegeben, wenn B nicht ordnungsgemäß nacherfüllt hat. A macht seine Kosten für den Mietwagen allerdings bereits geltend, obwohl B noch keine Möglichkeit zur Nacherfüllung und damit zur Möglichkeit der zweiten Andienung erhalten hat. Folglich kann eine Pflichtverletzung auch noch nicht angenommen werden.

III. Ergebnis

A hat weder einen Anspruch gegen B auf Ersatz der Reparaturkosten der Bremsen in Höhe von 1.000€ noch auf Ersatz der Kosten für einen Mietwagen in Höhe von 200€ aus §§ 280 I, 437 Nr. 3, 433, 439 BGB.

C. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB

A könnte gegen B einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für das Rennrad in Höhe von 1.000€ aus §§ 280 I, III, 281 I 1 2. Alt., 437 Nr. 3 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Dafür müsste ein Schuldverhältnis bestehen. Vorliegend käme ein Schuldverhältnis aufgrund des Nacherfüllungsanspruchs in Betracht.

1. Anspruch entstanden

Ein Nacherfüllungsanspruch ist der fortgesetzte Erfüllungsanspruch aus § 433 BGB.

Aus § 433 BGB ergibt sich zunächst nur die Primärpflicht auf Leistung einer mangelfreien Sache. Dieser Kaufvertrag ist vorliegend wirksam entstanden (s.o.). Überdies ist jedoch auch die Nebenpflicht aus § 241 II BGB hinsichtlich des Schutzes der Rechtsgüter des Vertragspartners von einem wirksamen Kaufvertrag umfasst. Der Nacherfüllungsanspruch gem. § 439 I BGB besteht daher aus dem fortgesetzten Erfüllungsanspruch bezogen auf die Primärpflicht aus § 433 BGB und der Nebenleistungspflicht aus § 241 II BGB. Es bestand zudem ein Sachmangel im Sinne des § 434 I 1 Nr. 2 BGB, der bereits bei Gefahrübergang vorlag. Ein wirksamer Nacherfüllungsanspruch ist damit entstanden.

2. Anspruchsumfang

Die Kosten für das Rennrad müssten jedoch auch vom Nacherfüllungsanspruch umfasst sein. Selbst wenn B jedoch ordnungsgemäß nachbessert oder neuliefert, bliebe das unfreiwillige Vermögensopfer (= Schaden) am Rennrad bestehen. Der Schaden bezieht sich nicht auf die Bremsen und den daran bestehenden Sachmangel, sondern ist als Folge des Sachmangels an anderen Rechtsgütern aufgetreten. Insofern liegt hier kein Mangelschaden, sondern ein sog. Mangelfolgeschaden vor. Das hat jedoch zur Folge, dass selbst bei ordnungsgemäßer Nacherfüllung durch den Verkäufer die Integritätsschäden aus § 241 II BGB nicht beseitigt werden können. Das Recht des Verkäufers auf zweite Andienung wäre damit nicht zielführend. Insofern ist davon auszugehen, dass sich der Nacherfüllungsanspruch grundsätzlich nur auf das Äquivalenzinteresse beziehen kann und Integritätsschäden von vornherein nicht vom Nacherfüllungsanspruch umfasst werden.

Mangelfolgeschäden sind als Integritätsschäden einzustufen. Dementsprechend ist der Schaden am Rennrad nicht vom Nacherfüllungsumfang umfasst.

Dies hat allerdings zur Folge, dass die weiteren Rechte aus § 437 Nr. 3 BGB für A direkt, also ohne vorherige Nacherfüllungspflicht, anwendbar sind.

3. Zwischenergebnis

Ein Nacherfüllungsanspruch auf Nachbesserung oder Neulieferung der Bremsen ist gegeben, aber nicht zielgerichtet. Ein Schuldverhältnis besteht.

II. Pflichtverletzung

Weiterhin müsste eine Pflichtverletzung bezogen auf die Nacherfüllung gegeben sein.

1. Pflichtverletzung aus § 282 BGB

Zunächst könnte sich eine Pflichtverletzung aus § 282 BGB ergeben, wenn eine Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB verletzt ist. B hat durch die Lieferung eines mangelhaften Fahrzeugs Bluetec das Integritätsinteresse des A verletzt, indem dieser wegen der mangelhaften Bremsen nicht bremsen konnte und sein Rennrad umfuhr und dadurch beschädigte. Aus einem Kaufvertrag erwächst nicht nur die Primärpflicht des Verkäufers eine mangelfreie Sache zu liefern, sondern auch die Nebenpflicht die Rechtsgüter des Käufers zu achten und zu schützen. B hat diese Pflicht verletzt (s.o.). Insofern würde vorliegend grundsätzlich § 282 BGB für die Geltendmachung des Schadensersatzes eingreifen. Fraglich ist aber, ob dies möglich ist. Aus § 437 Nr. 3 BGB geht hervor, nach welchen zusätzlichen Vorschriften der Käufer Schadensersatz geltend machen kann. Zu beachten ist dabei, dass § 282 BGB nicht explizit aufgeführt wurde. Dies spricht dafür, dass ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung im Falle einer Nebenpflichtverletzung vom Gesetzgeber ausgeschlossen werden sollte. Insofern ist eine Herleitung der Pflichtverletzung aus § 282 BGB nicht möglich.

2. Pflichtverletzung aus § 281 I 1 2. Alt. BGB

Eine Pflichtverletzung könnte sich vorliegend aber aus § 281 I 1 2. Alt. BGB ergeben. Dann müsste ein Mangelfolgeschaden von der Alternative der „nicht wie geschuldeten“ Leistung umfasst sein. Hätte B einen ordnungsgemäßen Bluetec geliefert, so wären keine Schäden an weiteren Rechtsgütern des A entstanden. Damit beruht der Schaden grundsätzlich auf einer nicht wie geschuldeten Leistung. Fraglich ist aber, ob der Mangelfolgeschaden tatsächlich von dieser Alternative und damit vom Schadensersatz statt der Leistung umfasst werden soll. Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch umstritten.

a.) Wortlaut des § 281 I 1 2. Alt. BGB

Bei ausschließlicher Betrachtung des Wortlauts des § 281 I 1 2. Alt BGB („nicht wie geschuldet“), lässt sich durchaus begründen, dass sich die nicht wie geschuldete Leistung auch auf die Nebenpflicht der Nacherfüllung aus § 241 II BGB bezieht. Demnach wäre auch das Integritätsinteresse vom Schadensersatz statt der Leistung umfasst. Für den Fall hätte dies zur Folge, dass sich die Pflichtverletzung aus § 280 I, III, 281 I 1 2. Alt. BGB ableiten ließe. B hat nicht wie geschuldet geleistet und durch die mangelhafte Leistung die Rechtsgüter des A geschädigt.

b.) Systematik des Gesetzes

Gegen die Annahme des § 281 I 1 2. Alt. BGB spricht aber die Gesetzessystematik. Würden unter „nicht wie geschuldet“ bereits stets auch die Nebenpflichten aus dem Schuldverhältnis und damit die Pflichten aus § 241 II BGB zu subsumieren sein, gebe es keinen Bedarf für den § 282 BGB, der gerade den Schadensersatz statt der Leistung bei Nebenpflichtverletzungen regelt. Damit würde die Nebenleistungspflicht des B und der Schaden am Rennrad auf einer Pflichtverletzung aus § 241 II BGB beruhen, die vom Schadensersatz statt der Leistung gem. § 280 I, III, 282 BGB umfasst wäre.

c.) Wortlaut des § 437 Nr. 3 BGB

Bei genauer Betrachtung des § 437 Nr. 3 BGB lässt sich nun aber feststellen, dass der Schadensersatz statt der Leistung für Nebenpflichten gem. § 282 BGB gerade nicht über das Gewährleistungsrechts abzuwickeln sind. Der Gesetzgeber hat diese Norm vielmehr aus der Aufzählung in § 437 Nr. 3 BGB ausgelassen. Das bedeutet aber, dass der Gesetzgeber das Integritätsinteresse gerade nicht unter den Schadensersatz statt der Leistung fallen lassen wollte. Vielmehr soll die Nebenpflichtverletzung von § 280 I i.V.m. § 241 II BGB und damit vom Schadensersatz neben der Leistung umfasst sein.

d.) Stellungnahme

Der klare Ausschluss des § 282 BGB von § 437 Nr. 3 BGB macht deutlich, dass bei Verletzung des Integritätsinteresses ein Schadensersatz statt der Leistung nicht eingreifen soll. Eine Subsumtion unter die 2. Alternative des § 281 I 1 BGB würde entsprechend dazu führen, dass der § 282 BGB unterlaufen würde, der letztlich spezieller wäre, aber wegen § 437 Nr. 3 BGB keine Anwendung finden kann. Lässt man Mangelfolgeschäden hingegen unter §§ 280 I, 241 II BGB laufen, so besteht lediglich ein Schadensersatz neben der Leistung und eine Konkurrenz zu § 282 BGB ist nicht gegeben. § 280 BGB findet in § 437 Nr. 3 BGB zudem ausdrücklich Erwähnung, sodass ein Mangelfolgeschaden problemlos daran angeknüpft werden kann. Weiterhin hält der Käufer an dem geschlossenen Vertrag fest, sodass dem Grundsatz pacta sunt servanda Rechnung getragen wird und dem Verkäufer keinerlei Nachteile entstehen, sofern dem Käufer bei Verletzung des Integritätsinteresses Schadensersatz neben der Leistung gewährt wird. Folglich sind Mangelfolgeschäden nicht von § 280 I, III, 281 I 1 2. Alt. BGB umfasst.

Eine Pflichtverletzung gem. §§ 280 I, III, 281 I 1 2. Alt. BGB liegt nicht vor.

e.) Zwischenergebnis

Eine Pflichtverletzung aus § 281 I 1 2. Alt. BGB lässt sich nicht ableiten. Damit besteht aber auch kein Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I 1 2. Alt., 437 Nr. 3, 433, 439 BGB.

3. Pflichtverletzung aus § 280 I i.V.m. § 241 II BGB

Möglicherweise lässt sich aber eine Pflichtverletzung aus § 280 I i.V.m § 241 II BGB herleiten. § 280 I BGB umfasst jede Pflichtverletzung und damit grundsätzlich auch solche Verletzungen aus § 241 II BGB. Insofern könnte die Nebenpflichtverletzung des B von § 280 I i.V.m. § 241 II  BGB umfasst sein. Fraglich ist aber, ob dieser Weg vom Gesetzgeber gewollt ist. Grundsätzlich sollen Nebenpflichtverletzungen über den § 282 BGB abgewickelt werden. Dieser ist spezieller als § 280 I BGB, sodass ein Weg über § 280 I i.V.m. § 241 II BGB ausgeschlossen wäre. Allerdings ist § 280 I BGB im Gegensatz zu § 282 BGB ausdrücklich in § 437 Nr. 3 BGB erwähnt. § 437 Nr. 3 BGB erwähnt allerdings § 241 II BGB nicht, sodass angenommen werden könnte, dass die Nebenpflichtverletzungen nicht von § 280 I BGB umfasst werden sollen. Zu beachten ist jedoch, dass § 282 BGB den Schadensersatz statt der Leistung bei Nebenpflichtverletzungen umfasst; § 280 I BGB hingegen regelt den Schadensersatz neben der Leistung. Insofern spricht sehr viel dafür, dass der Gesetzgeber durch die Herausnahme des § 282 BGB aus dem Katalog des § 437 Nr. 3 BGB bei Nebenpflichtverletzungen lediglich den Schadensersatz statt der Leistung ausschließen wollte, nicht aber den Schadensersatz neben der Leistung. Wenn der Käufer durch das Festhalten am Vertrag Nachteile an seinen anderen Rechtsgütern erleidet, so müssen diese ersetzt werden. Wenn der Käufer jedoch kein Interesse mehr an der ursprünglichen Leistung hat und Schäden an seinen Rechtsgütern erleidet, so würde er letztlich besser stehen, wenn diese Nebenpflichtverletzungen zusätzlich entschädigt werden würden. Insofern wollte der Gesetzgeber nur den Schadensersatz statt der Leistung und nicht den neben der Leistung für Nebenpflichtverletzungen im Rahmen des Gewährleistungsrechts ausschließen.

Damit ist § 280 I i.V.m § 241 II BGB für Nebenpflichtverletzungen anwendbar. Hätte der B vorliegend ein mangelfreies Fahrzeug geliefert, so hätten die Bremsen funktioniert und das Rennrad wäre nicht zerstört worden. Durch die mangelhafte Leistung hat B also eine Nebenpflicht verletzt.

III. Vertretenmüssen

Weiterhin müsste B die Nebenpflichtverletzung zu vertreten haben. Zu vertreten hat der Schuldner gem. § 276 BGB grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt gem. § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Das Vertretenmüssen wird gem. § 280 I 2 BGB vermutet. Hier hat B das Eigentum des A am Fahrrad aber zumindest auch fahrlässig i.S.d § 276 II BGB beschädigt. B hat die Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB damit zu vertreten.

IV. Rechtsfolge

Damit hat A grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 249 I BGB. Dieser umfasst alle unfreiwilligen Vermögensopfer, die nicht entstanden wären, wenn vertragsgemäß geleistet worden wäre. Hätte B vertragsgemäß geleistet, dann hätten die Bremsen des Bluetec funktioniert und A wäre nicht gegen sein Rennrad gefahren. Damit fällt die Zerstörung des Rennrads auch unter den Schadensersatz. Allerdings regelt § 249 I BGB nur die Naturalrestitution. Im Falle einer Beschädigung einer Sache kann der Gläubiger gem. § 249 II BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Insofern könnte A von B die Kosten für das Rennrad in Höhe von 1.000€ unter Zuhilfenahme des § 249 II BGB verlangen.

V. Verjährung

Fraglich ist, ob der Anspruch des A gegen den B auch dann noch durchsetzbar ist, wenn B die Einrede der Verjährung geltend machen würde.

Umstritten ist jedoch, ob in Bezug auf Ersatzansprüche wegen Mangelfolgeschäden die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB von drei Jahren oder die zweijährige Frist des § 438 I Nr. 3 BGB Anwendung findet.

1. Eine Ansicht = Allgemeine Verjährungsfrist

Nach einer Ansicht soll die zweijährige Verjährungsfrist des § 438 I Nr. 3 BGB nur für solche Schadensersatzansprüche anwendbar sein, die aus einer Verletzung des Äquivalenzinteresses resultieren. Ansprüche wegen Beeinträchtigung von Integritätsinteressen sollen dagegen davon auszunehmen sein und der Regelverjährung unterfallen. Hierfür wird angeführt, dass die Einbeziehung des Schutzes persönlicher Rechtsgüter in die Verjährungsregel des § 438 BGB nur dann wertungsmäßig vertretbar wäre, wenn hiervon auch die konkurrierenden deliktischen Ansprüche umfasst würden. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Parteien durch die Begründung eines vertraglichen Schuldverhältnisses gleichzeitig auch auf ihren deliktischen Schutz verzichten würden.

Nach dieser Ansicht findet demnach die allgemeine Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB Anwendung. Gemäß § 199 I BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangt hat.

A hat seinen Anspruch vorliegend bereits zweieinhalb Jahre nach Übergabe des Bluetec an ihn geltend gemacht. Damit wäre unter Berücksichtigung der allgemeinen Verjährungsfrist der Anspruch noch nicht verjährt.

2. Andere Ansicht = Kaufrechtliche Verjährungsfist

Nach anderer Ansicht (h.M.) unterliegen sämtliche Schadensersatzansprüche des Käufers aus § 437 Nr. 3 BGB, die durch die Lieferung der mangelhaften Sache entstehen, der kürzeren Verjährungsfrist des § 438 I Nr. 3 BGB. Dies soll nach h.M. insbesondere auch für Nebenpflichtverletzungen i.S.d. § 241 II BGB gelten, die sich hauptsächlich auf Informationspflichten hinsichtlich der Beschaffenheit der Sache beziehen. Lediglich für daneben bestehende Ansprüche aus Delikt soll wegen der freien Anspruchskonkurrenz die Regelverjährung gelten. Nach dieser Ansicht gilt die besondere Verjährungsfrist des § 438 I Nr. 3 BGB. B hat den Bluetec bereits zweieinhalb Jahre zuvor an A übergeben. Insofern wäre der Anspruch nach dieser Verjährungsregelung bereits verjährt und nicht mehr durchsetzbar.

3. Stellungnahme

Beide Ansichten führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass es einer Stellungnahme bedarf. Für die kurze Verjährungsfrist aus § 438 I Nr. 3 BGB spricht zunächst der Wortlaut des § 438 BGB sowie dessen Systematik und Entstehungsgeschichte, die keinen Anlass zu einer unterschiedlichen Behandlung von Mangel- und Mangelfolgeschäden bieten. § 438 I BGB verweist ausdrücklich auf die in § 437 Nr. 3 BGB verankerten Rechte, sodass auch der Mangelfolgeschaden von dieser Verjährungsfrist umfasst werden sollte. Der Gesetzgeber wollte erkennbar die vor der Schuldrechtsmodernisierungsreform geltende Unterscheidung beseitigen. Dies soll daher auch für die Vereinheitlichung des Verjährungsrechts gelten, denn es ist nicht sinnvoll, die aus der Mangelhaftigkeit der Sache herrührenden Ansprüche einem unterschiedlichen Verjährungsregime zu unterwerfen. Nach zwei Jahren ab der Ablieferung der Sache soll der Verkäufer umfassende Klarheit über seine mangelbegründende Haftung aus dem Kaufvertrag erhalten und nicht mehr mit Gewährleistungsansprüchen rechnen müssen. Der Käufer ist hinsichtlich der Verletzung von anderen Rechtsgütern ausreichend über das Deliktsrecht geschützt. Folglich ist im Ergebnis der zweiten Ansicht und damit der kürzeren Verjährungsfrist von zwei Jahren zu folgen. Der Anspruch des A wäre demnach bei Geltendmachung der Einrede der Verjährung durch B verjährt.

VI. Ergebnis

A hat gegen B einen Anspruch auf Ersatz der Kosten für das Rennrad in Höhe von 1.000€ aus §§ 280 I, 241 II, 437. Nr. 3, 433, 439 BGB. Sofern B allerdings die Einrede der Verjährung aus § 438 I Nr. 3 BGB geltend macht, ist der Anspruch des A nicht mehr durchsetzbar.

E. Anspruch aus §§ 346 I, 326 V, 437 Nr. 2, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB

A könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 30.000 € aus §§ 346 I, 326 V, 437 Nr. 2, 433, 439 I 1. Alt, 2. Alt. BGB haben.

I. Rücktrittsgrund

Dazu bedarf es jedoch zunächst eines wirksamen Rücktrittsgrundes.

1. Vertraglicher Rücktrittsgrund, § 346 I 1. Alt. BGB

Vertraglich haben A und B kein Rücktrittsrecht eingeräumt.

2. Gesetzlicher Rücktrittsgrund, §§ 326 V, 275 I BGB

Allerdings könnte sich vorliegend ein gesetzlicher Rücktrittsgrund aus § 326 V BGB ergeben. Ein solcher setzt voraus, dass ein Anspruch gem. § 275 I BGB unmöglich geworden ist. Erforderlich ist daher zunächst das Vorliegen eines Anspruchs.

a.) Wirksamer Anspruch

Vorliegend liegt ein wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B vor, der sich, aufgrund der Erfüllungstheorie, im Nacherfüllungsanspruch aus § 439 I BGB fortwirkt. Die Reparatur der Bremsen und des Blinkers ist auch vom Nacherfüllungsanspruch umfasst und beide Nacherfüllungsmöglichkeiten bestehen (s.o.). Ein wirksamer Anspruch, in Form des Nacherfüllungsanspruchs, ist gegeben.

b.) Weitere Voraussetzung = Pflichtverletzung

Für das Vorliegen eines Rücktrittsgrundes ist überdies erforderlich, dass eine Pflichtverletzung bezogen auf die Nacherfüllung gegeben ist, § 440 BGB. § 326 V BGB setzt dafür voraus, dass eine Unmöglichkeit der Nacherfüllung gem. § 275 I BGB vorhanden ist. Sowohl die Nachbesserung der Bremsen und des Blinkers im Wege der Reparatur, als auch die Neulieferung in Form einer gebrauchten E-Klasse Bluetec, ist weiterhin möglich. Insofern ist eine Unmöglichkeit der Nacherfüllung nicht gegeben und eine Pflichtverletzung nicht anzunehmen.

Damit ist aber auch der Rücktrittsgrund aus §§ 326 V, 275 I BGB nicht einschlägig.

II. Ergebnis

A hat gegen B keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 30.000 € aus §§ 346 I, 326 V, 437 Nr. 2, 433, 439 BGB.

2. Teil: Anspruch des B gegen den A

B könnte gegen A einen Anspruch auf Nutzungsersatz für 2,5 Jahre aus § 346 I 2. HS. BGB haben.

Dafür müsste A allerdings wirksam vom Vertrag zurückgetreten sein. Ein wirksamer Rücktritt hat jedoch nicht stattgefunden (s.o.), sodass ein Anspruch auf Nutzungsersatz ausscheidet. B hat damit keinen Anspruch gegen A auf Nutzungsersatz aus § 346 I 2. HS. BGB.

3. Teil: Gesamtergebnis

A hat gegen B einen Anspruch auf Nacherfüllung und kann ohne vorherige Geltendmachung dieses Anspruchs keine Schadensersatzposten von B fordern. Hinsichtlich des Mangelfolgeschadens am Rennrad hat A einen Anspruch gegen B in Höhe von 1.000 € aus §§ 280 I, 241 II, 437 Nr. 3 BGB. Die Ansprüche des A wären aber sämtlich verjährt, wenn B die Einrede der Verjährung aus § 438 I Nr. 3 BGB geltend machen würde.

B hat gegen A keinen Anspruch, solange die Nacherfüllung noch möglich ist und A damit nicht vom Vertrag zurücktreten kann.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Gewährleistung Kauf und Mangelfolgeschaden auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Gewährleistungsrecht Kauf

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Die folgende Klausur richtet sich an Examens-, sowie Zwischenprüfungskandidaten, die sich eingehend mit der Frage der Prüfung von Gewährleistungsansprüchen auseinandersetzen möchten. Deliktische Ansprüche, sowie Ansprüche aus dem Produkthaftungsgesetz sollen nicht geprüft werden, um von den wesentlichen Fragen des Aufbaus von Gewährleistungsansprüchen nicht abzulenken.

Die Lösung basiert dabei auf den in den Schemata und Fachartikeln zu findenden Generalschemata für Schadensersatzansprüche, Mangelfolgeschäden und dem Rücktritt im Gewährleistungsrecht gem. § 437 BGB und soll eine mögliche Lösung darstellen.

Sachverhalt

Die Kosmetikerin Katja K. übernimmt Anfang 2012 ein exklusives Wellness-Studio (Wert der Einrichtung 100.000 €). Sie erwirbt hierfür bei H eine von dieser produzierte Luxussonnenbank „Ozean“ für 15.000 €. Mit der H ist K bereits seit vielen Jahren befreundet. Die Sonnenbank wird der K am 10.03.2012 geliefert. Ende März 2012 löst bei der Generalprobe für die Eröffnungsfeierlichkeiten ein leicht zu behebender Fertigungsdefekt im Thermostat der Sonnenbank einen Brand aus. Durch diesen Brand wird sowohl die Sonnenbank, als auch die gesamte Einrichtung des Studios, zerstört. K ist nun nicht mehr von der Zuverlässigkeit und Gefahrlosigkeit des Modells „Ozean“ überzeugt und auch in der Presse wird dieses Modell als „Kokelkiste“ bezeichnet. Aus diesen Gründen erwirbt K bei einem anderen Hersteller eine Sonnenbank des Fabrikats Palmen. Juristische Ansprüche gegen die H macht K zunächst nicht geltend, weil sie die Freundschaft nicht gefährden möchte und zudem hofft, dass H aus eigener Initiative Zahlungen anbieten will. Allerdings bringt sie das Gespräch immer wieder auf den Brand und verweist auf ihre Schäden. H zeigt sich allerdings sehr resistent gegenüber diesen Bemerkungen und reagiert ausweichend und verweist auf ihre eigene schwierige Geschäftslage. Nach einem Streit mit H im April 2014, fasst K ihren Mut zusammen und verlangt von H ihren Kaufpreis, sowie die Zahlung von 100.000 €.

Welche vertraglichen Ansprüche stehen K zu?

Lösung

1. Teil: Ansprüche der K hinsichtlich der Sonnenbank

A. Rücktritt gem. §§ 346 I, 323 I 1. Alt., 437 Nr. 2, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB

K könnte gegen H einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises für die Sonnenbank Ozean in Höhe von 15.000 € BGB haben, wenn die Voraussetzungen des Rücktritts gem. §§ 346 I, 323 I 1. Alt., 437 Nr. 2, 433, 439 I 1. Alt, 2. Alt. BGB vorliegen.

I. Rücktrittsgrund
1. Vertraglich oder gesetzlich geregelter Rücktrittsgrund

Zunächst müsste ein Rücktrittsgrund vorliegen. Gemäß § 346 I BGB kann sich ein solcher, sowohl aus einer vertraglichen Vereinbarung, als auch aus einem gesetzlich verankerten Recht, ergeben. Vertraglich haben K und H keine Rücktrittsmöglichkeit eingeräumt. Insofern kann sich ein Rücktrittsgrund lediglich aus § 323 I BGB oder aus § 326 V BGB ergeben. Welche der beiden Möglichkeiten vorliegend eingreifen könnte, hängt davon ab, ob ein wirksames Schuldverhältnis entstanden ist und weiterhin vorliegt (§ 323 I BGB) oder, ob ein zunächst wirksames Schuldverhältnis gem. § 275 I BGB unmöglich geworden ist (§ 326 V BGB).

a.)  Anspruch (Nacherfüllungsanspruchs) entstanden

Insofern bedarf es zunächst eines wirksamen Schuldverhältnisses. Ein Schuldverhältnis im Sinne des § 241 I 1 BGB liegt vor, wenn ein Gläubiger berechtigt ist von einem Schuldner eine Leistung zu fordern. Auch Ansprüche können Schuldverhältnisse darstellen. Vorliegend könnte sich dieses Schuldverhältnis aus § 439 BGB ergeben. Gemäß § 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB kann der Käufer (= Gläubiger) vom Verkäufer (= Schuldner) Nacherfüllung (= Leistung) verlangen. Im Gegensatz zur Gewährschaftstheorie besteht nach der herrschenden Erfüllungstheorie der ursprüngliche Erfüllungsanspruch aus § 433 I BGB in modifizierter Fassung im Nacherfüllungsanspruch fort.

aa.) Wirksamer Kaufvertrag

Für das Vorliegen eines Nacherfüllungsanspruchs bedarf es daher zunächst eines wirksamen Kaufvertrages.

(1.) Anspruch (Kaufvertrag) entstanden

K und die H haben einen Kaufvertrag über eine Sonnenbank Ozean zu einem Preis von 15.000 € abgeschlossen. Damit ist ein wirksamer Kaufvertrag entstanden.

(2.) Anspruch untergegangen

Dieser Kaufvertrag ist auch nicht untergegangen und besteht entsprechend fort.

bb.) Sachmangel, § 434 BGB

Ein Nacherfüllungsanspruch erfordert darüber hinaus das Vorliegen eines Sachmangels. Ein Sachmangel ist grundsätzlich das Abweichen der Ist- von der Sollbeschaffenheit gem. § 434 I 1 BGB. Vorliegend haben K und H über die Beschaffenheit der Sonnenbank Ozean nicht explizit gesprochen und somit auch keine Beschaffenheit vereinbart. Ein Sachmangel gem. § 434 I 1 BGB kann damit nicht vorliegen. Möglich wäre allerdings ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 1 BGB, wenn eine Verwendung vertraglich vereinbart und vorausgesetzt wurde. Jedoch haben K und H vertraglich keine Verwendung der Sonnenbank vereinbart, sodass ein Sachmangel im Sinne des § 434 I 2 Nr. 1 BGB ebenfalls ausscheidet. Wenn sich die Sache nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet, könnte vorliegend ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 BGB vorhanden sein. Eine Sonnenbank dient durch Bestrahlung mit UV-Licht der Bräunung von Personen zu überwiegend kosmetischen Zwecken. Insofern ist eine Temperaturregulierung für die unterschiedlichen Bestrahlungsintensitäten eine wesentliche Voraussetzung für die Sicherheit eines derartigen Geräts. Eine Sonnenbank mit einem Defekt im Thermostat und einen dadurch ausgelösten Brand kann für den gewöhnlichen Einsatz nicht verwendet werden. Das Solarium „Ozean“ weist somit einen Sachmangel im Sinne des § 434 I 2 Nr. 2 BGB auf.

Ein Sachmangel liegt folglich vor.

cc.) Bei Gefahrübergang

Weiterhin ist festzustellen, ob der Sachmangel bereits bei Gefahrübergang im Sinne des § 446 I BGB, also bei Ablieferung der Sache vorlag. Der Fertigungsdefekt im Thermostat haftet der Sonnenbank bereits bei Ablieferung in K’s geplantem Wellness-Studio an. Insofern lag der Sachmangel bei Gefahrübergang vor.

dd.) Zwischenergebnis

Damit liegen die Voraussetzungen für einen Nacherfüllungsanspruch vor. Ein Nacherfüllungsanspruch ist wirksam entstanden.

b.) Anspruchsumfang des Nacherfüllungsanspruchs

Zu klären ist weiter, ob der Defekt am Thermostat durch Nacherfüllung beseitigt werden kann. Bezüglich des Anspruchsumfangs ist zwischen der Nachbesserung (§ 439 I 1. Alt. BGB) und der Neulieferung (§ 439 I 2. Alt. BGB) zu differenzieren. Nur wenn beide Arten der Nacherfüllung nicht mehr möglich sind, findet der § 437 Nr. 2 BGB Anwendung.

Zu klären ist damit, ob das vorliegende Problem an der Sonnenbank überhaupt von einer Nacherfüllung umfasst ist.

aa.) Nachbesserung, § 439 I 1. Alt. BGB

Der Sachmangel an der Sonnenbank beruht auf einem leicht behebbaren Fertigungsdefekt, der durch eine Reparatur grundsätzlich problemlos beseitigt werden könnte.

bb.) Neulieferung, § 439 I 2. Alt. BGB

Sämtliche Sonnenbänke „Ozean“ desselben Herstellers weisen einen Fertigungsdefekt am Thermostat auf und sind folglich mangelhaft. Die Neulieferung einer Sonnenbank „Ozean“ würde daher nicht zur Beseitigung des Mangels führen. Folglich beschränkt sich die Nacherfüllung nur auf die Nachbesserung gem. § 439 I 2. Alt. BGB.

c.) Anspruch untergegangen

Die Nacherfüllung könnte aber untergegangen sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Nachbesserung gem. § 439 I 1. Alt. BGB aufgrund von § 275 I BGB unmöglich geworden sind.

Eine Nachbesserung beinhaltet die Reparatur einer Sache. Das Thermostat an der Sonnenbank war grundsätzlich problemlos reparierbar. Allerdings wurde die Sonnenbank bei dem entstandenen Brand vollständig zerstört. Eine Reparatur ist folglich weder von H, noch von irgendwem anderes durchführbar. Insofern ist eine Nachbesserung nachträglich objektiv gem. § 275 I BGB unmöglich geworden.

d.) Zwischenergebnis

Ein Nacherfüllungsanspruch ist entstanden aber nachträglich objektiv gem. § 275 I BGB unmöglich geworden. Damit kann K ihre Rechte aus § 437 Nr. 2 BGB direkt – also ohne vorherige Aufforderung der H zur Nacherfüllung – geltend machen.

2. Pflichtverletzung (Pflicht zur Nacherfüllung, § 440 BGB)

Für das Vorliegen eines Rücktrittsgrundes ist überdies eine Pflichtverletzung erforderlich. Die Pflichtverletzung kann entweder gem. § 323 I BGB in der Verzögerung oder gem. § 326 V i.V.m. § 275 I BGB in der Unmöglichkeit der Nacherfüllung liegen. Die Nacherfüllungspflicht bezog sich lediglich auf die Nachbesserung in Form der Reparatur gem. § 439 I 1. Alt. BGB. Diese ist durch den Brand jedoch nachtäglich objektiv unmöglich geworden. Insofern liegt in Bezug auf die Nacherfüllung eine Unmöglichkeit im Sinne des § 275 I BGB und damit eine Pflichtverletzung gem. § 326 V BGB vor.

II. Rücktrittserklärung

Weiterhin bedarf es einer Rücktrittserklärung durch den Käufer gegenüber dem Verkäufer. K hat vorliegend den Rücktritt noch nicht erklärt, könnte dies aber noch nachholen.

III. Rechtsfolge

Sofern K den Rücktritt erklärt, liegen sämtliche Voraussetzungen des Rücktritts vor. Als Rechtsfolge ordnet § 346 I BGB ein Rückgewährschuldverhältnis an, in dem die gegenseitigen Leistungen Zug um Zug zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben sind.

H müsste damit den Kaufpreis zurückzahlen und K die Sonnenbank zurückgeben. Die Sonnenbank wurde bei dem Brand jedoch vollständig zerstört, sodass sie gem. § 346 II 1 BGB grundsätzlich zum Wertersatz verpflichtet wäre. Die Sonnenbank wäre allerdings auch bei H gleichfalls in Brand geraten, sodass die Wertersatzpflicht für K vorliegend nach § 346 III 1 Nr. 2, 2.  Alt. BGB entfällt. Folglich hätte nach Rücktrittserklärung lediglich H den Kaufpreis herauszugeben.

IV. Ausschluss des Rücktritts, § 438 IV 1 BGB i.V.m. § 218 BGB

Etwas anderes könnte sich jedoch dann ergeben, wenn der Rücktritt ausgeschlossen wäre. Ein solcher Ausschluss käme dann in Betracht, wenn der Rücktritt verjährt wäre. Ein Rücktritt ist jedoch kein Anspruch, sondern stellt lediglich ein Rückgewährschuldverhältnis, dar. Verjähren können allerdings nur Ansprüche. Damit kann ein Rücktritt selbst nicht verjähren. Allerdings könnte der Rücktritt gem. § 438 IV 1 BGB i.V.m. § 218 BGB unwirksam geworden sein. Dies wäre dann der Fall, wenn der dem Rücktritt zugrundeliegende Nacherfüllungsanspruch verjährt wäre. Dafür ist zunächst anzunehmen, dass der Nacherfüllungsanspruch nicht bereits unwirksam geworden ist. Dann wäre der Nacherfüllungsanspruch gem. § 438 I Nr. 3 BGB drei Jahre nach Ablieferung der Sache verjährt. H hat K die Sonnenbank am 10.03.2012 geliefert. Der Anspruch wäre daher bei Geltendmachung im April 2014 mit mehr als zwei Jahren verjährt.

Damit ist der Rücktritt gem. § 438 IV 1 BGB i.V.m. § 218 BGB unwirksam.

V. Ergebnis

K hat grundsätzlich nach Erklärung des Rücktritts einen Anspruch gegen H auf Rückzahlung des Kaufpreises für die Sonnenbank Ozean in Höhe von 15.000 € BGB gem. §§ 346 I, 323 I 1. Alt., 437 Nr. 2, 433, 439 I 1. Alt, 2. Alt. BGB. Allerdings stünde diesem Anspruch eine Einrede der Unwirksamkeit aufgrund von Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs aus § 438 IV BGB i.V.m. § 218 BGB entgegen.

B. Schadensersatz gem. §§ 280 I, III, 283, 437 Nr.  3, 433, 439 I 1.  Alt., 2.  Alt. BGB

K könnte gegen H einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 15.000 € wegen Zerstörung der Sonnenbank Ozean gem. §§ 280 I, III, 283, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB haben.

I. Wirksames Schuldverhältnis

Dies setzt zunächst das Vorliegen eines wirksamen Schuldverhältnisses voraus. Dieses könnte in Form des Nacherfüllungsanspruchs gem. § 439 I BGB bestehen, sofern ein solcher wirksam entstanden ist.

1. Anspruch (Nacherfüllungsanspruch) entstanden

Ein Nacherfüllungsanspruch ist, der Erfüllungstheorie folgend, ein fortgesetzter Erfüllungsanspruch. Insofern bedarf es zunächst eines wirksamen Kaufvertrages gem. § 433 I BGB, der sich in modifizierter Form im Nacherfüllungsanspruch fortsetzt. Ein solcher Kaufvertrag ist wirksam entstanden und auch nicht untergegangen (s.o.).

Weiterhin liegt, wegen des Fertigungsdefekts am Thermostat, ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr.  2 BGB vor, der bereits bei Gefahrübergang gem. § 446 S. 1 BGB vorhanden war.

Ein Nacherfüllungsanspruch ist damit wirksam entstanden.

2. Anspruchsumfang des Nacherfüllungsanspruchs

Ferner müsste der eingetretene Schaden vom Anspruchsumfang des Nacherfüllungsanspruchs umfasst sein. Dies wäre gegeben, wenn der Schaden durch die Nacherfüllung in Form der Nachbesserung (§ 439 I 1. Alt. BGB) oder in Form der Neulieferung (§ 439 I 2. Alt. BGB) vollständig behoben werden könnte. Eine Reparatur des Thermostats war grundsätzlich leicht durchzuführen, sodass eine Nachbesserung grundsätzlich den Schaden abdeckt. Eine Neulieferung einer Sonnenbank „Ozean“ hätte jedoch denselben Fertigungsdefekt wie die gelieferte Sonnenbank. Insofern würde eine Nacherfüllung in Form der Neulieferung nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Der Nacherfüllungsanspruch der K beläuft sich damit ausschließlich auf die Nachbesserung gem. § 439 I 2. Alt. BGB.

3. Anspruch untergegangen

Die Sonnenbank wurde bei dem Brand allerdings vollständig zerstört. Damit ist eine Reparatur des Thermostats nicht mehr möglich und die Nacherfüllung gem. § 275 I BGB objektiv nachträglich unmöglich geworden.

4. Zwischenergebnis

Ein Nacherfüllungsanspruch und damit ein wirksames Schuldverhältnis ist entstanden, aber nachträglich unmöglich geworden. K kann von H keine Nacherfüllung gem. § 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB verlangen. Das Recht zur zweiten Andienung steht H nicht mehr zu, sodass K ihre Recht aus § 437 Nr. 3 BGB geltend machen kann.

II. Pflichtverletzung

Dann müsste eine Pflichtverletzung bestehen. Diese Pflichtverletzung könnte sich vorliegend aus § 283 S. 1 BGB ergeben, wenn der Schuldner nach § 275 I bis III BGB nicht zu leisten braucht. H wurde von der Pflicht zur Nacherfüllung gem. § 439 I, 433 I BGB wegen Unmöglichkeit der Nachbesserung nach § 439 I 1. Alt. BGB befreit. Insofern ist eine Pflichtverletzung gem. § 283 S. 1 BGB i.V.m. § 275 I BGB gegeben.

III. Vertretenmüssen

Weiterhin müsste H den Untergang zu vertreten haben. Das Vertretenmüssen wird grundsätzlich gem. § 280 I 2 BGB vermutet und bezieht sich gem. § 276 I 1 BGB auf Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässigkeit handelt gem. § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Die Sonnenbank wurde von H selbst hergestellt. Das Thermostat der Sonnenbank „Ozean“ weist einen Fertigungsdefekt auf, sodass sämtliche Sonnenbänke der Produktionsreihe mangelhaft sind. Ein Fertigungsdefekt am Thermostat einer Sonnenbank kann allerdings, wie vorliegend, zu einer Überhitzung der Heizstäbe und damit zum Brand führen. Das Thermostat wurde jedoch gerade zur Verhinderung solcher Gefahren eingebaut. H hat damit bei der Produktion der Sonnenbänke „Ozean“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und folglich fahrlässig gehandelt. H hat den Brand der Sonnenbank und damit den Untergangsgrund der Nacherfüllung aus § 439 I 1. Alt. BGB zu vertreten.

IV. Rechtsfolge

Als Rechtsfolge ist gem. §§ 280 I, III, 283 BGB Schadensersatz zu leisten. Das bedeutet, dass alle unfreiwilligen Vermögensopfer zu ersetzen sind, die nicht entstanden wären, wenn vertragsgemäß geleistet worden wäre. Vertragsgemäß hätte K eine funktionsfähige Sonnenbank erhalten, die keinen Fertigungsdefekt am Thermostat aufgewiesen und keinen Brand hervorgerufen hätte. Dann wäre die Sonnenbank aber auch nicht zerstört worden. Die Zerstörung der Sonnenbank im Wert von 15.000 € ist überdies eine unfreiwillige Vermögenseinbuße.

Damit hat H an K Schadensersatz in Höhe von 15.000 € zu leisten.

V. Verjährung

Das Ergebnis könnte sich allerdings ändern, wenn H gegen den Anspruch der K auf Schadensersatz eine Einrede zustünde. Diese Einrede könnte sich aus der Verjährung des Anspruchs und damit aus § 438 I Nr. 3 ergeben. Dazu müsste der Nacherfüllungsanspruch der K jedoch verjährt sein. Die Mängelansprüche aus § 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB verjähren innerhalb von zwei Jahren nach Ablieferung der Sache (§ 438 II BGB). Das bedeutet, dass, sofern der Nacherfüllungsanspruch nicht bereits untergegangen wäre, dieser im April 2014 verjährt ist. Damit dürfen die Mängelrechte aus § 437 Nr. 3 und damit der Schadensersatzanspruch nicht mehr geltend gemacht werden.
Die Verjährung ist jedoch eine Einrede, die erst dann ihre Wirkung entfaltet, wenn sie vom Berechtigten geltend gemacht wird. H hat sich bisher zu den Vorwürfen nicht auf § 438 BGB berufen.

VI. Ergebnis

Der K steht gegen H ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 15.000 € wegen Beschädigung der Sonnenbank gem. §§ 280 I, III, 283, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB zu. Dieser Anspruch wäre jedoch gehemmt, wenn H die Einrede der Verjährung geltend macht.

Weitere, vertragliche Ansprüche hinsichtlich der Sonnenbank kommen nicht in Betracht.

2. Teil: Anspruch der K hinsichtlich der Einrichtung des Wellness-Studios

K könnte gegen H einen Anspruch auf Ersatz der Einrichtung ihres Wellness-Studios in Höhe von 100.000 € gem. §§ 280 I, 241 II, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB haben.

I. Schuldverhältnis
1. Anspruch (Nacherfüllungsanspruch) entstanden

Dazu ist wiederum erforderlich, dass zwischen K und H ein Schuldverhältnis besteht.

Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen H und K besteht. Zudem lag ein Sachmangel zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs gem. § 446 S.1 BGB in Form des Fertigungsdefekts am Thermostats der Sonnenbank „Ozean“ vor. Damit ist ein Schuldverhältnis in Form des Nacherfüllungsanspruchs gem. § 439 I BGB entstanden.

2. Anspruchsumfang des Nacherfüllungsanspruchs

Die Kosten für das Wellness-Studio müssten aber auch vom Anspruchsumfang des Nacherfüllungsanspruchs umfasst sein. Würde H jedoch das vorhandene Solarium gegen ein Neues austauschen, so bliebe der unfreiwillige Vermögensverlust (Schaden) an der Einrichtung des Wellness-Studios weiterhin bestehen. Der Schaden an der Einrichtung beruht nicht auf dem Fertigungsdefekt am Thermostat, sondern ist als Folge dieses Defekts und des dadurch eingetretenen Brands an anderen Rechtsgütern der K aufgetreten. Vorliegend wurde damit nicht das Äquivalenzinteresse, sondern das Integritätsinteresse der K verletzt. In solchen Fällen, in denen kein Mangelschaden, sondern ein sog. Mangelfolgeschaden vorliegt, kann selbst eine ordnungsgemäß durchgeführte Nacherfüllung seitens des Verkäufers den eingetretenen Schaden nicht beheben. Insofern ist davon auszugehen, dass ein Nacherfüllungsanspruch lediglich Schäden des Äquivalenzinteresses, nicht aber Schäden des Integritätsinteresses umfassen kann. Der Mangelfolgeschaden an der Einrichtung des Wellness-Studios ist folglich nicht vom Anspruchsumfang des Nacherfüllungsanspruchs umfasst. K kann ihre Rechte aus § 437 Nr. 3 BGB damit ohne vorherige Aufforderung der H zur Nacherfüllung geltend machen.

3. Zwischenergebnis

Ein Nacherfüllungsanspruch auf Nachbesserung oder Neulieferung ist grundsätzlich gegeben aber nicht zielführend. Ein Schuldverhältnis besteht.

II. Pflichtverletzung

Weiterhin müsste eine Pflichtverletzung bezogen auf die Nacherfüllung gegeben sein.

1. Pflichtverletzung aus § 282 BGB

Eine solche könnte sich zunächst aus § 282 BGB ergeben, wenn eine Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB verletzt ist. H hat eine Sonnenbank mit einem Fertigungsdefekt am Thermostat an K ausgeliefert und durch den auf dem Mangel beruhenden Brand das Integritätsinteresse der K verletzt. Aus einem Kaufvertrag erwächst nicht nur die Primärpflicht des Verkäufers auf Lieferung einer mangelfreien Sache, die sich im Nacherfüllungsanspruch fortwirkt, sondern auch die Sekundärpflicht des Verkäufers auf Rücksichtnahme und Achtung der Rechtsgüter der Vertragsperson. Durch die Zerstörung der Einrichtung des Wellness-Studios kam H ihrer Nebenpflicht nicht nach und die Voraussetzungen des § 241 II BGB liegen vor. Insofern könnte § 282 BGB für die Pflichtverletzung herangezogen werden. Fraglich ist jedoch, ob der § 282 BGB im Gewährleistungsrecht überhaupt Anwendung finden kann. Für das Gewährleistungsrecht regelt § 437 Nr. 3, nach welchen Vorschriften der Anspruchssteller Schadensersatz verlangen kann. Bei der Lektüre des § 437 Nr. 3 BGB lässt sich jedoch erkennen, dass § 282 BGB explizit nicht aufgeführt wurde. Dies spricht dafür, dass ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung aufgrund einer Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB nicht über § 282 BGB abgewickelt werden soll. Damit ist eine Herleitung der Pflichtverletzung aus § 282 BGB vorliegend nicht möglich.

2. Pflichtverletzung aus § 281 I 1 2. Alt. BGB

Möglicherweise liegt aber eine Pflichtverletzung gem. § 281 I 1 2. Alt. BGB vor. Dies erfordert jedoch, dass ein Mangelfolgeschaden von der zweiten Alternative des § 281 BGB, der „nicht wie geschuldeten“ Leistung umfasst ist. Wenn H eine mangelfreie Sonnenbank geliefert hätte, so hätte das Thermostat die Temperatur rechtzeitig geregelt und es wäre kein Brand entstanden, der die Einrichtung des Wellness-Studios zerstört hätte. Damit beruht der eingetretene Schaden kausal auf einer nicht wie geschuldeten Leistung und wäre von § 281 I 1 2. Alt. BGB umfasst. Unklar ist allerdings, ob ein Mangelfolgeschaden tatsächlich von dieser Norm umfasst ist und Schadensersatz statt der Leistung gewährt werden soll. Die Beantwortung dieser Frage ist umstritten.

a.) Wortlaut des § 281 I 1 2. Alt. BGB

Bei Betrachtung des Wortlauts des § 281 I 1 2. Alt. BGB („nicht wie geschuldet“) erscheint es möglich, die nicht wie geschuldete Leistung unter anderem auf eine Nebenpflicht der Nacherfüllung und deren Verletzung gem. § 241 II BGB zu beziehen. Dann wären auch das Integritätsinteresse und damit ein Mangelfolgeschaden von Schadensersatz statt der Leistung umfasst. Für den vorliegenden Fall würde sich die Pflichtverletzung aus § 280 I, III, 281 I 1 2. Alt. BGB ableiten. H hat durch die nicht wie geschuldete und mangelhafte Leistung die Rechtsgüter der K beschädigt.

b.) Systematik des Gesetzes

Gegen die Herleitung einer Pflichtverletzung aus § 281 I 1 2. Alt. BGB bei einer Nebenpflichtverletzung spricht die Gesetzessystematik. Diese sieht für Nebenpflichtverletzungen und den Schadensersatz statt der Leistung grundsätzlich den Weg über § 282 BGB vor. Würden allerdings Mangelfolgeschäden unter den § 281 I 1 2. Alt. BGB zu subsumieren sein, gebe es kaum eine Anwendung für den § 282 BGB, denn beide würden dann den Schadensersatz statt der Leistung bei Nebenpflichtverletzungen regeln.

c.) Wortlaut des § 437 Nr. 3 BGB

Bei Betrachtung des Wortlauts des § 437 Nr. 3 BGB lässt sich erkennen, dass der Gesetzgeber die Haftung für Schadensersatz statt der Leistung bei Nebenpflichtverletzungen gem. § 282 BGB in der Aufzählung in § 437 Nr. 3 BGB unerwähnt lässt. Daraus lässt sich schließen, dass die Haftung für Schadensersatz statt der Leistung auf das Äquivalenzinteresse beschränkt ist und nicht das Integritätsinteresse einschließen soll. Damit ist bei Nebenpflichtverletzungen im Gewährleistungsrecht kein Schadensersatz statt der Leistung zu leisten.

d.) Stellungnahme

Die verschiedenen Auslegungsmethoden führen zu verschiedenen Ergebnissen, sodass es einer Stellungnahme bedarf.

Eine Verletzung des Integritätsinteresses soll im Gewährleistungsrecht nicht zu einer Haftung für Schadensersatz statt der Leistung führen. Aus diesem Grund wurde der § 282 BGB explizit vom Gesetzgeber aus der Aufzählung des § 437 Nr. 3 BGB ausgeschlossen. Wäre der Weg des Schutzes der Nebenpflicht über § 281 I 1 2. Alt. BGB eröffnet, so würde letztlich Schadensersatz statt der Leistung für eine Nebenpflichtverletzung gewährt und dieser Grundsatz umgangen. Zudem ist § 282 BGB im Gegensatz zu § 281 I 1 2. Alt. BGB spezieller und hätte grundsätzlich Vorrang. Deshalb kann dieser Ansatz im Ergebnis nicht überzeugen. Der Weg für Mangelfolgeschäden über § 280 I BGB i.V.m. § 241 II BGB hingegen ist aufgrund der ausdrücklichen Erwähnung des § 280 I BGB in § 437 Nr. 3 BGB nicht nur eröffnet, sondern verhindert überdies weitere Probleme, die die anderen beiden Varianten nicht geben. § 280 I BGB gewährt Schadensersatz neben der Leistung. Dadurch kann der Käufer diesen Anspruch nur dann geltend machen, sofern er an der weiteren Leistung kein Interesse hat. Insofern kann bei Anwendung der § 280 I BGB i.V.m. § 241 II BGB der Grundsatz des pacta sunt servanda Rechnung getragen werden und dem Verkäufer entstehen keinerlei Nachteile. Aus diesem Grund sind Mangelfolgeschäden nicht von §§ 280 I, III, 281 I 1 2. Alt. BGB umfasst.

e.) Zwischenergebnis

Eine Pflichtverletzung aus § 281 I 1 2. Alt. BGB lässt sich nicht ableiten. Damit besteht aber auch kein Anspruch aus §§ 280 I, III, 281 I 1 2.Alt., 437 Nr. 3, 433, 439 BGB.

3. Pflichtverletzung aus § 280 I i.V.m. § 241 II BGB

Es könnte aber eine Pflichtverletzung aus § 280 I BGB i.V.m. § 241 II BGB bestehen. § 280 I BGB umfasst jede Pflichtverletzung und damit grundsätzlich auch solche bezüglich einer Nebenpflicht gem. § 241 II BGB. Die Zerstörung der Einrichtung des Wellness-Studios stellt eine Verletzung des Integritätsinteresses und damit eine Verletzung einer Nebenpflicht aus § 241 II BGB dar.

Fraglich ist aber, ob der Weg für die Anwendbarkeit der § 280 I BGB i.V.m. § 241 II BGB und damit die Haftung für Schadensersatz neben der Leistung auch vom Gesetzgeber gewollt ist.

Grundsätzlich sollen Nebenpflichtverletzungen über den § 282 BGB abgewickelt werden. Dieser ist spezieller als § 280 I BGB, sodass ein Weg über § 280 I i.V.m. § 241 II BGB ausgeschlossen wäre. Allerdings ist § 280 I BGB im Gegensatz zu § 282 BGB ausdrücklich in § 437 Nr. 3 BGB erwähnt. § 437 Nr. 3 BGB erwähnt allerdings § 241 II BGB nicht, weshalb angenommen werden könnte, dass die Nebenpflichtverletzungen nicht von § 280 I BGB umfasst werden sollen. Zu beachten ist jedoch, dass § 282 BGB den Schadensersatz statt der Leistung bei Nebenpflichtverletzungen umfasst; § 280 I BGB hingegen regelt den Schadensersatz neben der Leistung. Insofern spricht sehr viel dafür, dass der Gesetzgeber durch die Herausnahme des § 282 BGB aus dem Katalog des § 437 Nr. 3 BGB bei Nebenpflichtverletzungen lediglich den Schadensersatz statt der Leistung ausschließen wollte, nicht aber den Schadensersatz neben der Leistung. Wenn der Käufer durch das Festhalten am Vertrag Nachteile an seinen anderen Rechtsgütern erleidet, so müssen diese ersetzt werden. Wenn der Käufer jedoch kein Interesse mehr an der ursprünglichen Leistung hat und Schäden an seinen Rechtsgütern erleidet, so würde er letztlich besser stehen, wenn diese Nebenpflichtverletzungen zusätzlich entschädigt werden würden. Insofern wollte der Gesetzgeber nur den Schadensersatz statt der Leistung und nicht den neben der Leistung für Nebenpflichtverletzungen im Rahmen des Gewährleistungsrechts ausschließen.

Damit ist § 280 I i.V.m § 241 II BGB für Nebenpflichtverletzungen anwendbar. Hätte H eine mangelfreie Sonnenbank geliefert, so hätte kein Fertigungsdefekt am Thermostat vorgelegen, der zu einem Brand geführt hätte, der wiederum die Einrichtung des Sonnenstudios zerstört hätte. Durch Lieferung einer mangelhaften Kaufsache hat H seine Nebenpflicht, der Achtung der Rechtsgüter der K, aus § 241 II BGB verletzt und damit eine Nebenpflichtverletzung gem. § 241 II BGB begangen.

III. Vertretenmüssen

Des Weiteren müsste H diese Nebenpflichtverletzung auch zu vertreten haben. Das Vertretenmüssen wird dabei grundsätzlich gem. § 280 I 2 BGB vermutet. Zu vertreten hat der Schuldner gem. § 276 I BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt dabei gem. § 276 II BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. H hat die Sonnenbank nicht nur vertrieben sondern auch selbst hergestellt. Sie hätte den Fertigungsdefekt am Thermostat daher erkennen und verhindern können, sofern sie ihre Geräte ordnungsgemäß überprüft und die im Verkehr erforderliche und vor allem gebotene Sorgfalt beachtet hätte. Der Fertigungsdefekt wurde von H damit wenigstens fahrlässig verursacht. Den auf dem Mangel beruhenden Schaden an der Einrichtung des Wellness-Studios hat H zu vertreten.

IV. Rechtsfolge

Sämtliche Voraussetzungen des gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs gem. §§ 280 I, 241 II, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB liegen vor. Damit steht der K gegen H grundsätzlich ein Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung zu. Dieser umfasst gem. § 249 I BGB alle unfreiwilligen Vermögensopfer, die nicht entstanden wären, wenn vertragsgemäß geleistet worden wäre. Hätte H eine mangelfreie Sonnenbank geliefert, so wäre die Einrichtung des Wellness-Studios nicht zerstört worden. Damit könnte K von H Zahlung von Schadensersatz neben der Leistung in Höhe von 10.000 € BGB verlangen.

V. Verjährung

Etwas anderes würde sich aber dann ergeben, wenn der Anspruch der K verjährt ist und H die Einrede der Verjährung im Prozess geltend machen würde. Fraglich ist daher, ob der Anspruch der K verjährt ist. Umstritten ist allerdings, ob bei Schadensersatzansprüchen für Mangelfolgeschäden die regelmäßige Verjährungsfrist der der §§ 195, 199 BGB von drei Jahren oder die zweijährige Frist des § 438 I Nr. 3 BGB Anwendung findet.

1. Eine Ansicht = Allgemeine Verjährungsfrist

Einer Ansicht nach bezieht sich die kurze Verjährungsfrist aus § 438 I Nr. 3 BGB nur auf Schäden bezüglich des Äquivalenzinteresses. Die Verletzung von Integritätsinteressen und damit bei Vorliegen von Mangelfolgeschäden ist die Regelverjährung der §§ 195, 199 BGB anzuwenden. Zur Begründung verweist diese Ansicht darauf, dass Integritätsschäden über das Gewährleistungsrecht hinaus deliktischen Ansprüchen unterliegen könnten. Für diese sei aber die Regelverjährung von drei Jahren anwendbar. Insofern wird geschlussfolgert, dass bei Schadensersatzansprüchen wegen Mangelfolgeschäden im Gewährleistungsrecht ebenfalls die allgemeine Verjährungsfrist gem. §§ 195, 199 BGB gelte.

Die Sonnenbank wurde der K durch H am 10. März 2012 geliefert. Gem. 199 I BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger hiervon Kenntnis erlangt. Die Verjährung des Anspruchs würde dieser Ansicht nach folgend daher erst im Dezember 2015 eintreten.

2. Andere Ansicht = Kaufrechtliche Verjährungsfist

Nach einer anderen Ansicht (h.M.) ist eine einheitliche Verjährungsfrist für gewährleistungsrechtliche Ansprüche erforderlich und daher auch für Mangelfolgeschäden die kurze Verjährungsfrist aus § 438 I Nr. 3 BGB anzuwenden. Für etwaige, daneben bestehende deliktische Ansprüche, gilt wegen der fehlenden Anspruchskonkurrenz die allgemeine Verjährungsfrist aus §§ 195, 199 BGB. Dann würde die Verjährung des Anspruchs der K bereits zum Zeitpunkt der Ablieferung der Sonnenbank am 10.03.2012 beginnen und zwei Jahre später enden. Im April 2014 ist der Anspruch damit verjährt.

3. Stellungnahme

Beide Ansichten führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass es einer Stellungnahme bedarf.

Betrachtet man den Wortlaut des § 438 BGB sowie dessen Systematik und Entstehungsgeschichte, besteht kein Anlass für eine unterschiedliche Beurteilung von Mangel- und Mangelfolgeschäden. § 438 verweist ausdrücklich auf die in § 437 Nr. 3 BGB verankerten Rechte, sodass auch der Mangelfolgeschaden von dieser Verjährungsfrist umfasst werden soll. Der Gesetzgeber wollte erkennbar die vor der Schuldrechtsmodernisierungsreform geltende Unterscheidung beseitigen. Dies soll daher auch für die Vereinheitlichung des Verjährungsrechts gelten, denn es ist nicht sinnvoll, die aus der Mangelhaftigkeit der Sache herrührenden Ansprüche einem unterschiedlichen Verjährungsregime zu unterwerfen. Dem Käufer soll ermöglicht werden, zwei Jahre nach Ablieferung der Sache vollständige Klarheit über eine etwaige Haftung für Mängelrechte aus dem Kaufvertrag zu erhalten. Nach diesen zwei Jahren soll er für gewährleistungsrechtliche Mängelansprüche nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können. Der Käufer ist überdies ausreichend über das Deliktsrecht geschützt und muss aufgrund der Anwendung der kurzen Verjährungsregelung keine Nachteile befürchten. Aus diesen Gründen überzeugt im Ergebnis die zweite Ansicht. Mangelfolgeansprüche unterliegen daher ebenfalls der kurzen Verjährungsregel des § 438 I Nr. 3 BGB. Der Anspruch der K ist damit grundsätzlich verjährt.

VI. Ergebnis

K hat gegen die H einen Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung wegen einer Nebenpflichtverletzung aus §§ 280 I, 241 II, 437 Nr. 3, 433, 439 I 1. Alt., 2. Alt. BGB in Höhe von 10.000 € für die Einrichtung des Wellness-Studios. Allerdings steht der H gegen diesen Anspruch die Einrede der Verjährung zu, sodass bei dessen Geltendmachung durch H der Anspruch der K gehemmt und damit nicht mehr durchsetzbar wäre.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Gewährleistungsrecht Kauf auf unserer Website Jura Individuell.

Mobiliarsachenrecht – Das Pfandrecht

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Der folgende Artikel beschäftigt sich mit Hilfe eines vorangestellten Sachverhalts mit der Lösung eines mobiliarsachenrechtlichen Falles und dabei insbesondere mit dem Pfandrecht. Dabei wurde bei der Fallauswahl darauf geachtet, dass möglichst sämtliche, schwierige Konstellationen aufgeworfen werden, die in einer möglichen Klausur Bestandteil sein könnten. Im Rahmen der Lösung wird es an verschiedenen Stellen kleinere Exkurse geben, die wichtige Hintergrundinformationen oder Abweichungen für andere Lösungen erklären sollen, ohne die Nähe zur Falllösung zu verlieren. Die Lösung stellt keine Musterlösung dar, sondern dient lediglich als Orientierung dafür, wo und wie die Probleme in einer Klausur dargestellt werden könnten.

Sachverhalt

Der Autohändler Anton (A) verkauft dem Barbesitzer Bruno (B) ein Auto unter Eigentumsvorbehalt. Der B bringt das Auto in die Werkstatt des Constantin (C), in der das Auto auch repariert wird. Da die Bargeschäfte von B nicht besonders gut laufen, holt er sich das Auto heimlich von C ab, ohne die Rechnung zu bezahlen.
Anschließend geht B zu der D- Bank und nimmt dort einen Kredit auf und übereignet ihr als Sicherheit sein Fahrzeug. Aber auch bei der D-Bank laufen die Geschäfte nicht besonders gut und sie benötigt selber Geld. Aus diesem Grund wendet sich die D-Bank an die E-Bank und nimmt bei dieser einen Kredit auf. Als Sicherheit tritt die D-Bank der E-Bank ihre Sicherheiten am Auto des B ab. Nachdem die D-Bank nach mehrmaligen Zahlungsaufforderungen ihrer Rückzahlungspflicht des Darlehens nicht nachkommt, möchte die E-Bank auf ihre Sicherheiten zurückgreifen.

Hat die E-Bank einen Anspruch auf Herausgabe des Autos von B?

Lösung

Die E-Bank könnte gegen B einen Anspruch auf Herausgabe des Autos aus § 985 I BGB haben.

I. Eigentum

1. Verlust von A an B

Dafür müsste die E-Bank Eigentümerin sein. Ursprünglicher Eigentümer des Autos war A. Fraglich ist, ob dieser das Eigentum durch Übergabe und Übereignung an B verloren hat, § 929 S.1 BGB. Dazu müsste zunächst eine Einigung zwischen A und B vorliegen. Eine Einigung ist ein dingliches Schuldverhältnis, ein dinglicher Vertrag, der durch Angebot und Annahme zustande kommt und den Inhalt einer Eigentumsübertragung hat. A und B haben sich geeinigt, dass das Eigentum am Fahrzeug unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Kaufpreiszahlung gem. § 158 BGB übergehen soll. Damit ist der dingliche Vertrag erst erfüllt, wenn eine vollständige Kaufpreiszahlung erfolgt ist. Dies ist vorliegend jedoch noch nicht geschehen, so dass der dingliche Vertrag nicht erfüllt und damit kein Eigentumsverlust durch die Einigung zwischen A und B stattgefunden hat. A ist daher weiterhin Eigentümer geblieben und hat sein Eigentum nicht an B verloren.
B ist also noch kein Eigentümer geworden, solange er nicht die vollständigen Kaufpreisraten begleicht. Allerdings könnte er ein Anwartschaftsrecht (AWR), also ein wesensgleiches Minus zum Eigentum, erlangt haben.
Ein AWR ist eine dingliche Rechtsposition, die immer dann entsteht, wenn der Eigentumsübergang einseitig nicht mehr verhindert werden kann, der Eigentümer die entstehende Rechtsposition des „neuen Anwärters auf das Eigentum“ nicht mehr einseitig verhindern. Insofern ist für die Entstehung des Anwartschaftsrechts nicht entscheidend, ob bereits eine Rate gezahlt wurde, sondern ob der Eigentümer die Entstehung einseitig nicht mehr verhindern kann. Je mehr Raten allerdings gezahlt sind, desto stärker wird das AWR. Zu beachten ist bei dem AWR auch das im Sachenrecht herrschende Prioritätsprinzip. Das bedeutet, dass wenn der Eigentümer sein Eigentum bereits unter Eigentumsvorbehalt an einen Zweiten übertragen hat, dann kann er zwar das mit dem Anwartschaftsrecht des Zweiten belastete Eigentum noch an einen Dritten übertragen. Wegen des bestehenden AWR und des Prioritätsprinzips kann dieser Dritte aber kein Eigentümer werden.
B hat folglich ein AWR, nicht aber Eigentum an dem Fahrzeug erhalten. A ist damit weiterhin Eigentümer.

2. Verlust an C wegen Übergabe des Fahrzeug von B an C

A könnte sein Eigentum allerdings an C verloren haben, als der B das Fahrzeug zur Reparatur in die Werkstatt des C gebracht hat. Der B ist Anwartschaftsberechtigter und muss sich um das Fahrzeug kümmern und dieses pflegen. Insofern ist er berechtigt und verpflichtet das Fahrzeug zur Reparatur in die Werkstatt des C zu bringen. Weiterhin ist ein Werkvertrag zwischen B und C zustande gekommen, der jedoch keine Grundlage für einen Eigentumsübergang ist.

Exkurs Werkunternehmerpfandrecht:
Wenn ein Fahrzeug bei dem Werkunternehmer eingebracht wird, so erhält der Werkunternehmer an dem Auto ein Pfandrecht: das Werkunternehmerpfandrecht. Ein Werkunternehmerpfandrecht entsteht gem. § 647 BGB am Eigentum des Bestellers. Insofern muss die eingebrachte Sache im Eigentum des Bestellers stehen.

Wenn das Fahrzeug – wie vorliegend – aber nicht im Eigentum des Bestellers steht, stellt sich die Frage, ob der Werkunternehmer das Pfandrecht vielleicht gutgläubig erwerben konnte. Gem. § 1257 BGB gelten für das gesetzliche Pfandrecht auch die Vorschriften des vertraglichen Pfandrechts. Gem. §§ 1227, 932 BGB könnte der Werkstattinhaber gutgläubig ein Pfandrecht erwerben, wenn das Fahrzeug, auf das sich der Werkvertrag bezieht, sich nicht im Eigentum des Bestellers befand. Fraglich ist aber, ob der § 1227 BGB, der sich im Bereich der vertraglichen Regelungen über das Pfandrecht befindet, auch auf das gesetzliche Werkunternehmerpfandrecht Anwendung finden kann. Das Werkunternehmerpfandrecht ist ein gesetzliches Pfandrecht, weil es nicht gesondert bestellt werden muss, sondern immer dann bereits kraft Gesetzes entsteht, wenn bei einem Werkunternehmer eine Sache eingeliefert, also zur Reparatur gegeben wird.
Ein gesetzliches Pfandrecht entsteht beispielsweise auch dann, wenn eine Uhr zum Pfandleiher gebracht wird.
Bei Immobilien gibt es Grundpfandrechte, insbesondere die Hypothek und die Grundschuld. Werden diese Pfandrechte nicht bedient, so erhält der Pfandgläubiger gem. § 1147 BGB das Recht in das zugrundeliegende Grundstück die Zwangsvollstreckung zu betreiben.

Fraglich ist nun aber, ob lediglich die Vorschriften über die Entstehung des Pfandrechts oder aber auch die Vorschriften über die Verwertung (Versteigerung) des Pfandrechts auf das gesetzliche Pfandrecht anzuwenden sind. Wenn sich die Anwendung auch auf die Entstehung bezieht, so findet § 1204 BGB Anwendung und ein gesetzliches Pfandrecht könnte ebenfalls gutgläubig erworben werden. Wenn nur die Verwertungsvorschriften Anwendung finden, dann würden die Gutgläubigkeitsvorschriften nicht gelten, sondern das Pfandrecht selbst müsste definitiv wirksam entstanden sein. Nach herrschender Ansicht und st. BGH-Rechtsprechung ist der Wortlaut des § 1257 BGB so zu interpretieren, dass das Pfandrecht bereits wirksam entstanden sein muss und die Gutglaubensvorschriften nicht anzuwenden sind. Der Wortlaut spricht von dem entstandenen Pfandrecht, sodass die Vorschriften des vertraglichen Pfandrechts nur hinsichtlich der Verwertung auf das gesetzlich entstandene Pfandrecht anzuwenden sind. Das bedeutet dann allerdings, dass das gesetzliche Werkunternehmerpfandrecht nicht gutgläubig erworben werden kann. Wenn der Besteller also nicht Eigentümer der eingebrachten Sache ist, erhält der Werkunternehmer auch kein Werkunternehmerpfandrecht an diesem.
Fazit: Es gibt keinen gutgläubigen Erwerb von gesetzlichen Pfandrechten!

Wenn der Werkunternehmer C aber kein Pfandrecht an dem Auto erhält, könnte er wenigstens ein Pfandrecht am AWR des B erhalten haben. A hat aber sein Eigentum nicht an den C verloren, indem B das Auto in die Werkstatt des C gebracht hat. Dies liegt zum einen daran, dass das Eigentum durch ein wirksames Pfandrecht ohnehin lediglich belastet wird (man erhält als Pfandgläubiger lediglich ein Verwertungsrecht, also ein Recht auf Zwangsversteigerung), aber nicht verloren geht. Zum anderen kann an schuldnerfremden Sachen ohnehin kein Pfandrecht entstehen und zwar auch nicht gutgläubig. Lediglich an dem AWR ist ein Pfandrecht entstanden, wodurch der A aber nicht sein Eigentum verloren hat.

3. Eigentumsverlust an die D-Bank wegen Sicherungsübereignung

a.) Direkter Erwerb

Möglicherweise hat der A sein Eigentum aber an die D-Bank verloren, als der B das Fahrzeug für den von der Bank erhaltenen Kredit sicherungsübereignet hat. B hat das Auto allerdings weiterhin behalten und nicht an die Bank übergeben. Die D-Bank könnte daher lediglich Eigentum gem. §§ 929 S.1, 930 BGB (Besitzkonstitut) erlangt haben.
Beim Besitzkonstitut muss eine Einigung bestehen und der Erwerber irgendeine Form von Besitz erhalten. Da der Veräußerer im Falle des § 930 BGB den unmittelbaren Besitz selber behalten möchte, muss der Erwerber wenigstens mittelbarer Besitzer werden. Mittelbarer Besitz entsteht, wenn ein Rechtsverhältnis (Besitzmittlungsverhältnis) begründet wird, aufgrund dessen der unmittelbare Besitzer dem mittelbaren Besitzer den Besitz vermittelt, mithin für den anderen besitzt (Fremdbesitzer). Es stellt sich vorliegend daher die Frage, was für ein Rechtsverhältnis bestehen muss, damit die D-Bank mittelbarer Besitzer wird. Zwischen dem Veräußerer, der unmittelbarer Besitzer ist, und dem Erwerber, der den mittelbaren Besitz erhalten will, muss ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 868 BGB begründet werden. Besteht ein schuldrechtlicher Vertrag im Sinne des § 868 BGB, dann wird die D-Bank mittelbarer Besitzer. In Betracht kommen dabei die Miete, die Pacht, die Verwahrung oder ein ähnliches schuldrechtliches Verhältnis. Ein solch ähnliches Verhältnis umfasst zumeist die sogenannte Sicherungsabrede.
Wenn sich aus dem Sachverhalt keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Parteien eine Sicherungsabrede getroffen haben, das Fahrzeug aber zur Sicherheit übertragen werden soll, stellt sich die Frage, was für ein Schuldverhältnis dann zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber zustande gekommen ist. Da kein Besitz übertragen werden soll, könnte ein besitzloses Verwertungsrecht entstanden sein. Allerdings bedarf es für den mittelbaren Besitz eines schuldrechtlichen Vertrages gem. § 868 BGB. Von den oben genannten Möglichkeiten kommt keine ohne weiteresfür den vorliegenden Fall in Betracht. Allerdings könnte auch die Leihe vom ähnlichen schuldrechtlichen Verhältnis umfasst sein. Zwischen B und der D-Bank könnte ein Leihvertrag geschlossen worden sein. B darf das Fahrzeug unentgeltlich benutzen, solange er regelmäßig und vereinbarungsgemäß seine Darlehensraten an die D-Bank zurückzahlt. Durch den Leihvertrag wäre B unmittelbarer Besitzer und die D-Bank mittelbarer Besitzer, § 868 BGB. Dann hätte die D-Bank allerdings auch das Eigentum gem. § 930 BGB erworben. Eine Einigung zwischen B und der D-Bank lag vor, die Übergabe hat nicht stattgefunden, wurde aber durch den schuldrechtlichen Vertrag gem. § 868 BGB ersetzt.

Nun könnte der Eigentumsübergang jedoch daran scheitern, dass der B Nichtberechtigter war. Wenn jedoch der A die Sicherungsübereignung von B an die D-Bank gem. § 185 I BGB genehmigen würde, dann würde der A sein Eigentum an die D- Bank verlieren. Der A hat die Sicherungsübereignung allerdings nicht genehmigt und den B nicht zur Veräußerung gem. § 185 I BGB ermächtigt. Insofern ist der A weiterhin Eigentümer.

b.) Gutgläubiger Erwerb

Die D-Bank könnte allerdings gutgläubig das Eigentum an dem Fahrzeug gem. §§ 930, 933 BGB erworben haben. § 933 BGB setzt voraus, dass der Erwerber unmittelbarer Besitzer ist. Im vorliegenden Fall ist die D-Bank jedoch lediglich gem. § 868 mittelbarer Besitzer. Folglich konnte sie das Eigentum auch nicht gutgläubig gem. §§ 930, 933 BGB erwerben.

Merke: Für den gutgläubigen Erwerb des Eigentums kann man sich also merken, dass der Erwerber unmittelbarer Besitzer sein muss und der Veräußerer keine Art von Besitz mehr haben darf.

4. Eigentumsverlust des A gegenüber der E-Bank durch Abtretung der Forderung der D-Bank ggü. B an die E-Bank

A könnte sein Eigentum allerdings an die E-Bank verloren haben, wenn die D-Bank ihren Anspruch gegenüber B wirksam an die E-Bank abgetreten hat. Allerdings ist die D-Bank lediglich mittelbarer Besitzer, so dass sich die Frage stellt, wie ein mittelbarer Besitzer das Eigentum übertragen kann. Dazu müsste eine Abtretung des Herausgabeanspruchs gem. § 931 BGB erfolgt sein. Die D-Bank hat mit dem B einen Leihvertrag geschlossen. Ihre Ansprüche hieraus könnte sie an die E-Bank abgetreten haben. Fraglich ist aber, ob aus einem Leihvertrag überhaupt ein Herausgabeanspruch besteht. Ein Herausgabeanspruch aus einem Leihvertrag besteht gem. § 604 BGB erst, wenn der Leihvertrag abgelaufen ist. Abgetreten wird dieser Anspruch nach § 398 BGB.

Exkurs: Gutgläubiger Eigentumserwerb beim Besitzkonstitut
Zusammengefasst bedeutet das, dass der Herausgabeanspruch aus dem Leihvertrag aus § 604 BGB gem. § 398 BGB vom mittelbaren Besitzer an den Erwerber abgetreten werden kann, so dass dieser gem. § 931 BGB Eigentum erwirbt.
Wenn der Veräußerer (D-Bank) jedoch nicht zur Veräußerung berechtigt ist, kann die E-Bank allenfalls gutgläubig das Eigentum mit Abtretung des Herausgabeanspruchs gem. § 934 BGB erwerben.
Das bedeutet jedoch, dass der Ersterwerber unmittelbarer Besitzer sein muss, um gutgläubig Eigentum zu erwerben; der zweite Erwerber jedoch bereits mit Abtretung des Herausgabeanspruchs gutgläubig Eigentum erwerben kann. Derjenige, der viel weiter vom Eigentum entfernt ist, kann also einfacher Eigentum erlangen, als derjenige, der näher dran ist. Fraglich ist daher, ob dieses Ergebnis in Ordnung ist.

a.) Rechtsschein ausschlaggebend

Eine Ansicht ist der Meinung, dass der Rechtsschein für den gutgläubigen Eigentumserwerb ausschlaggebend ist. Der Rechtscheinsträger ist der Besitz. Der § 932 BGB und der § 933 BGB knüpfen beide an den Besitz als Rechtscheinsträger an, während der § 934 BGB bereits mit Abtretung des Herausgabeanspruchs einen gutgläubigen Eigentumserwerb zulässt und daher nicht auf den Rechtscheinsträger abstellt. Diese Ansicht sagt, dass der Verzicht auf den Rechtscheinsträger nicht möglich sein kann und darf.

b.) Vollständige Besitzaufgabe des Veräußerers

Der BGH hingegen ist der Meinung, dass der Verzicht auf den Rechtsscheinträger durchaus möglich ist. Es ist auch kein Widerspruch ersichtlich, da §§ 932, 933, 934 BGB alle auf demselben System beruhen. Danach ist für den gutgläubigen Erwerb nicht der Rechtsscheinträger Besitz ausschlaggebend, sondern es kommt darauf an, dass der Veräußerer keinerlei Besitz mehr hat. Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass der Veräußerer bei § 932 BGB keine Form von Besitz mehr hat, wenn die Sache übergeben wurde, wenn also der Erwerber den unmittelbaren und der Veräußerer gar keinen Besitz mehr hat.
Bei einem gutgläubigen Erwerb gem. § 934 BGB hat der Veräußerer mittelbaren Besitz und der Erwerber unmittelbaren Besitz, § 854 BGB. Der Erwerber erwirbt erst dann gutgläubig Eigentum, wenn der Besitzmittler seinen unmittelbaren Besitz aufgibt.
Wenn man jedoch das Eigentum nach § 931 BGB veräußert, dann hat der Veräußerer selbst nur mittelbaren Besitz, den er durch Abtretung auf den Erwerber überträgt. Insofern hat auch in diesem Fall am Ende der Veräußerer keinen Besitz mehr und nur der Erwerber ist Besitzer. Folglich muss man zu dem Ergebnis gelangen, dass der BGH recht hat und §§ 931, 934 BGB nicht systemwidrig sind.

Folglich ist die E-Bank gutgläubig Eigentümerin des Herausgabeanspruchs geworben. Der A hat sein Eigentum also verloren.

II. Besitzer

B ist der unmittelbare Besitzer des Fahrzeugs.

III. Besitzrecht

Fraglich ist weiterhin, ob der B ein Recht zum Besitz gem. § 986 BGB hat. B könnte ein Besitzrecht aus dem Anwartschaftsrecht ableiten. Jetzt könnte die E-Bank jedoch erwidern, dass sie gutgläubig Eigentum erworben hat und gerade nicht wusste, dass an dem Eigentum ein Pfandrecht in Form des Anwartschaftsrechts „klebte“.

Generell ist daher zu fragen, ob ein Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs aufgrund von § 935 BGB in Betracht kommt. Ein Abhandenkommen ist die unfreiwillige Besitzaufgabe. Eine solche ist hier aber nicht gegeben.
Möglicherweise greift aber § 936 I BGB ein. In diesem Fall, erlischt das Recht eines Dritten bei gutgläubigen Eigentumserwerb und wenn der Erwerber den unmittelbaren Besitz erlangt. Die E-Bank hat jedoch gerade keinen unmittelbaren Besitz erhalten, denn der befindet sich noch immer bei dem B. Insofern scheidet die Anwendung des § 936 I BGB für den vorliegenden Fall ebenfalls aus.

In Betracht kommt überdies das Eingreifen des § 936 III BGB. Dieser sagt, dass wenn im Falle des § 931 BGB (hier: Abtretung des Herausgabeanspruchs der D-Bank gegenüber B an die E-Bank) das Recht dem dritten Besitzer (und auch wenn das nicht direkt aus dem Gesetz hervorgeht, ist hier immer der UNMITTELBARE Besitzer gemeint) zusteht (hier: AWR des B steht dem B zu), so erlischt es auch dem gutgläubigen Erwerber (hier: E-Bank) nicht. Solange der B also als Anwartschaftsberechtigter den unmittelbaren Besitz hat, kann die E-Bank nicht gutgläubig Eigentum aufgrund von § 936 III BGB erwerben.

§ 936 BGB bezieht sich allerdings nicht nur auf das AWR, sondern auch auf sonstige Rechte, z.B. Pfandrechte. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Vermieterpfandrecht zu berücksichtigen, da das Vermieterpfandrecht ein besitzloses Pfandrecht ist. Bei dem Vermieterpfandrecht hat der Vermieter an allen in die Wohnung eingebrachten Sachen ein Pfandrecht, obwohl er selbst nicht unmittelbarer Besitzer dieser Sachen ist. Wenn nun ein Dritter gutgläubig Eigentum an beispielsweise dem Sofa erwirbt, verliert der Vermieter gem. § 936 I BGB grundsätzlich sein Pfandrecht. Etwas anderes würde im Falle des Eingreifens des § 936 III BGB gelten. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Vermieter unmittelbarer Besitzer ist. Da das Vermieterpfandrecht jedoch ein besitzloses Pfandrecht ist und der Vermieter daher keinen unmittelbaren Besitz hat, kann § 936 III BGB nicht eingreifen und der Vermieter verliert sein Vermieterpfandrecht an dem Sofa an den gutgläubigen Erwerber.

Das Werkunternehmerpfandrecht und das AWR sind jeweils Pfandrechte, die an den Besitz geknüpft sind. Hätte also der Werkunternehmer den unmittelbaren Besitz am Fahrzeug gehabt, dann hätte die E-Bank nicht aufgrund von § 936 III BGB das Eigentum gutgläubig wegerwerben können!

Merke: In einer Klausur geht es an und für sich nur um das Werkunternehmerpfandrecht, das Vermieterpfandrecht oder das Anwartschaftsrecht. Zu beachten ist, dass das Vermieterpfandrecht ein besitzloses Pfandrecht ist, so dass § 936 III BGB niemals eingreifen kann und das Eigentum durch den Erwerber aufgrund von § 936 I BGB gutgläubig wegerworben werden kann.
Beim Werkunternehmerpfandrecht und dem Anwartschaftsrecht ist ein gutgläubiger Wegerwerb allerdings gem. § 936 III BGB ausgeschlossen, wenn der Rechtsinhaber gleichzeitig auch der unmittelbare Besitzer ist. Ist der Anwartschaftsberechtigte oder der Werkunternehmer hingegen nicht auch unmittelbarer Besitzer, ist ein gutgläubiger Wegerwerb wegen des Nichteingreifens des § 936 III BGB möglich. Es darf also nicht übersehen werden, dass in § 936 BGB „unmittelbarer“ Besitzer in das Gesetz hineingelesen werden muss.

Der § 936 II BGB bezieht sich auf den Fall, dass der Erwerber zwar gutgläubig bezüglich der Eigentümerstellung war, aber nicht in Bezug auf das beschränkt dingliche Recht.

 

FAZIT: Das Werkunternehmer- und Vermieterpfandrecht entsteht immer nur dann, wenn der Besteller des Pfandrechts gleichzeitig auch Eigentümer ist. Gutgläubig kann man die Pfandrechte nicht erwerben, weil es gesetzliche Pfandrechte sind und lediglich vertragliche Pfandrecht gutgläubig erworben werden können. Auf die Entstehung der gesetzlichen Pfandrechte ist § 1257 BGB jedoch nicht anwendbar. Es sind also nicht die Entstehungsvorschriften, sondern lediglich die Verwertungsvorschriften des vertraglichen Pfandrechts anwendbar.
Aufgrund eines bestehenden Pfandrechts hat man zudem einen Herausgabeanspruch gem. §§ 1257, 1227, 985 BGB, solange der Pfandgläubiger auch unmittelbarer Besitzer ist.
Die wichtigsten Vorschriften hinsichtlich des Pfandrechts sind
– §§ 1207, 932 BGB für den gutgläubigen Erwerb des Pfandrechts, der bei den gesetzlichen Pfandrechten nicht anwendbar ist, § 1257 BGB
– §§ 1227, 985 BGB hinsichtlich des Herausgabeanspruchs, wenn einem das Pfand unfreiwillig weggenommen worden ist
– §§ 631, 1257, 1227, 985 BGB bezüglich des Herausgabeanspruchs des Werkunternehmerpfandrechts
Ein Pfandrecht ist ein beschränkt dingliches Recht. Beschränkt deshalb, weil man das Recht hat in das Eigentum zu vollstrecken, um sich selbst befriedigen zu können. Man ist aber nicht berechtigt die Sache für den eigenen Gebrauch zu benutzen. Deshalb ist das Recht beschränkt dinglich.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Mobiliarsachenrecht – Das Pfandrecht auf unserer Website Jura Individuell.


Arbeitsrecht- Fälle zur Haftung 1

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Der folgende Artikel befasst sich mit der Haftung im Arbeitsrecht. Anhand eines Beispielfalls sollen die wesentlichen Probleme, die sich im Rahmen von Klausuren regelmäßig stellen anschaulich erörtert werden. Zur Bearbeitung des Falles kann der Artikel „Haftung im Arbeitsrecht“, sowie das Schema „Haftung im Arbeitsrecht“ ergänzend herangezogen werden.

Sachverhalt:

Müllfahrer Manfred (M) hat auf seiner Geburtstagsfeier viel getrunken. Am nächsten Tag ist er bei der Arbeit recht unkonzentriert und übersieht kurz vor Schichtwechsel seinen Kollegen Rolf (R), der gerade mit seinem Roller zur Arbeit fährt. Es kommt ein paar Straßen vor dem Gelände der Mülldeponie zu einer Kollision und Rolf stürzt mit seiner Vespa zu Boden. An Rolfs Roller entsteht ein Sachschaden in Höhe von 280 €. Rolf selbst bricht sich das linke Bein, es entstehen Arzt- und Behandlungskosten in Höhe von 500 €. Aufgrund seiner Verletzung ist Rolf fünf Wochen krank. Während dieser Zeit erhält er von der M-GmbH eine Lohnfortzahlung. An dem von Manfred gefahrenen Müllwagen entstand ein Schaden in Höhe von 1200 €. Manfred ist bereits seit 14 Jahren bei der M-GmbH beschäftigt, bisher ist es noch zu keinerlei Beanstandungen gekommen.

Wie ist die Rechtslage?

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass die M-GmbH keine freiwillige Berufs- oder Haftpflichtversicherung für sich und ihre Mitarbeiter abgeschlossen hat.

A. Ansprüche M-GmbH gegen M

1. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB (Sachschaden am Müllwagen)

Die M-GmbH könnte gegen M einen Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB i.V.m. § 254 BGB analog auf Zahlung von 1200 € wegen Beschädigung des Fahrzeugs haben.

I. Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen der M- GmbH und M vorliegen. M ist als Müllfahrer bei der M-GmbH angestellt. Damit liegt ein Schuldverhältnis in Form des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 611 I BGB vor.

II. Pflichtverletzung

M müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. In Betracht kommt vorliegend die Verletzung einer Nebenpflicht im Sinne von § 241 II BGB. Nebenpflichten existieren neben den vertraglich vereinbarten Hauptleistungspflichten (die Pflicht des M der M-GmbH seine Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen). Unter einer Nebenpflicht versteht man, die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Im Bezug auf ein Arbeitsverhältnis bedeutet dies, dass der Arbeitnehmer stets dafür Sorge zu tragen hat, dass es zu keiner Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitgebers kommt. Dies erfordert auch, dass er mit den zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln etc. umsichtig umzugehen hat. M war vorliegend aufgrund aufgrund alkoholbedingter Nachwirkungen unkonzentriert und hat deshalb den Unfall mit seinem Müllwagen verursacht. Somit ist eine Nebenpflichtverletzung aus § 241 II BGB gegeben. Es liegt folglich eine Pflichtverletzung vor.

III. Vertretenmüssen

M müsste die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Das Vertretenmüssen bezieht sich dabei auf Vorsatz und Fahrlässigkeit gem. § 276 I 1 BGB und wird grundsätzlich gem. § 280 I 2 BGB vermutet. M hat den Unfall und des Zusammenstoß mit R aus Unkonzentriertheit verursacht, wobei die fehlende Konzentration auf den am Vorabend genossenen Alkohol zurückzuführen ist. M hat die Pflichtverletzung somit auch nach § 280 I 2 BGB zu vertreten.
Jura Individuell – Tipp für das Assessorexamen: Die Beweislast liegt im Streitfall beim Arbeitgeber, da § 619 a BGB gegenüber § 280 I 2 BGB lex specialis ist.

IV. Schaden

Es müsste ein Schaden zu Lasten der M- GmbH entstanden sein. Unter einem Schaden ist grundsätzlich jede unfreiwillige Vermögenseinbuße zu verstehen. Am Müllwagen ist vorliegend ein Schaden in Höhe von 1200 € entstanden, dieser ist auch auch kausal aufgrund der zu vertretenen Pflichtverletzung.
Zwischenergebnis: Eine Haftung des M ist grundsätzlich gegeben.

V. Haftungsausfüllende Kausalität

Weiterhin ist erforderlich, dass zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung Kausalität gegeben ist. Diese bestimmt sich zunächst einmal nach der Äquivalenztheorie. Danach ist eine Handlung dann kausal für den eingetretenen Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Wenn M vorliegend nicht unkonzentriert gewesen wäre, hätte er den R nicht übersehen und es wäre nicht zum Unfall gekommen. Die Handlung des M war somit kausal für den eingetreten Erfolg.

VI. Haftungsbeschränkungen gemäß § 254 BGB oder § 254 BGB analog

Fraglich ist, ob dem M Haftungsbeschränkungen in Form eines Mitverschuldens seitens der M-GmbH zu Gute kommen.

a. Mitverschulden des Arbeitgebers, § 254 BGB

Ein direktes Mitverschulden der M-GmbH i.S.v. § 254 BGB ist vorliegend nicht ersichtlich.

b. Haftungserleichterung bei betrieblich veranlasster (gefahrgeneigte) Tätigkeit, § 254 BGB analog, durch innerbetrieblichen Schadensausgleich:

Es könnte allerdings eine Haftungserleichterung vorliegen, § 254 BGB analog. Von der Rechtsprechung wurden diesbezüglich die Grundsätze des sog. innerbetrieblichen Schadensausgleichs entwickelt. Danach ist eine Haftungserleichterung zu gewähren, wenn die Tätigkeit durch den Betrieb veranlasst ist aufgrund des Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurde. Dies ist der Fall, wenn die Tätigkeit arbeitsvertraglich festgehalten wurde und der Arbeitnehmer sie im Interesse des Betriebs ausführt.

Jura Individuell-Hinweis: Grundsätzlich ist nach der h.M. dem Arbeitnehmer eine Haftungserleichterung zu gewähren. Es wäre allerdings unbillig, dem Arbeitgeber generell das allgemeine Lebensrisiko des Arbeitnehmers mit aufzubürden. Vielmehr soll er nur für die Fälle ein Mitverschulden tragen müssen, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen.

Hier verunfallte M während Verrichtung seiner Arbeit, somit war die Tätigkeit durch den Betrieb veranlasst und aufgrund des Arbeitsverhältnisses ausgeführt. Dass M aufgrund des vorangegangenen Alkoholkonsums unachtsam war, ist insoweit unerheblich. Die Haftungserleichterung kommt ihm grundsätzlich zu Gute.

Allerdings wird eine Haftungserleichterung nicht schrankenlos gewährt, vielmehr unterscheidet die h.M. beim innerbetrieblichen Schadensausgleich nach dem Grad des Verschuldens.

Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer grundsätzlich voll, während er bei leichter Fahrlässigkeit nicht haftet. Liegt hingegen mittlere Fahrlässigkeit vor, ist die Haftung anhand einer Gesamtschau zu quoteln: Nach Ansicht des BAG werden hier Schadensanlass und Schadensfolgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgründen miteinander abgewogen (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 24.11.1987, 8 AZR 590/82). Abzustellen ist dabei auf den Grad des Verschuldens, die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb sowie auf die besonderen Umstände des Einzelfalls und persönliche Umstände des Arbeitnehmers, wie z.B. Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Höhe des Arbeitsentgelts und das bisherige Verhalten. Auch die Regelungen über das Mitverschulden gem. § 254 BGB können analog herangezogen werden.

Jura Individuell-Hinweis: Beachte hinsichtlich der einzelnen Fahrlässigkeitsgrade die Kommentierungen im Palandt zu § 276 BGB.

Vorliegend hat M den Müllwagen aufgrund von alkoholbedingter Unkonzentriertheit beschädigt. Er hat dabei gegen seine allgemeinen Sorgfaltspflichten als Arbeitnehmer verstoßen. Gerade bei gefahrgeneigter Arbeit (hier: Fahren und Bedienen von sehr großen und schweren Fahrzeugen) gehört es zu den Pflichten eines Arbeitnehmers stets konzentriert und körperlich fit zu arbeiten, um möglichen Gefahren vorzubeugen. M hätte vorliegend also am Vorabend nicht so viel Alkohol trinken dürfen, um sicherzustellen, dass er am nächsten Tag zu 100 % arbeitsfähig ist. Eine bloße Unachtsamkeit seitens des M ist bei einem solchen Verhalten nicht mehr anzunehmen, es liegt folglich keine leichte Fahrlässigkeit vor. Allerdings kann auch nicht von einem besonders grobem Verstoß ausgegangen werden, so dass auch keine grobe Fahrlässigkeit angenommen werden kann. Das Verhalten des M ist somit als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen, so dass die Haftung zu quoteln ist.

Für M spricht, dass er bereits 15 Jahre in dem Betrieb tätig ist und er bisher nie auffällig geworden ist, sondern stets zufriedenstellende Arbeit abgeliefert hat. Auf der anderen Seite ist der entstandene Schaden nicht ganz unerheblich.

Bei Würdigung aller Umstände bedeutet dies für den vorliegenden Fall, dass die Haftung für den Schaden hälftig zu teilen ist. Die anteilige Haftung von 600 Euro ist M auch zuzumuten, da ihn dies nicht auf Dauer in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet.

Ergebnis: Die M-GmbH hat damit gegen M einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in hälftiger Höhe von 600 € gem. §§ 280 I, 241 II BGB i.V.m. § 254 BGB analog.

2. Anspruch aus § 823 I BGB (Sachschaden am Müllwagen)

Ein Anspruch nach § 823 I BGB ist ebenfalls gegeben. Auch hier gelten die oben genannten Haftungserleichterungen, da ansonsten diese Grundsätze ausgehebelt wären.

B. Ansprüche R gegen M

1. Anspruch aus § 823 I BGB (Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten)

R könnte gegen M einen Anspruch auf Ersatz seiner Arzt- und Behandlungskosten in Höhe von 500 € gem. § 823 I BGB haben.

I.Haftungsbegründender Tatbestand
1.Rechtsgutsverletzung

Dazu müsste zunächst eine Verletzung eines der in § 823 I BGB normierten Rechtsgüter vorliegen. R hat sich bei dem Sturz das linke Bein gebrochen. Somit liegt eine Rechtsgutverletzung (Körper) vor.

2. Verletzungshandlung

M hat die Verletzung durch positives Tun verursacht, indem er den R angefahren hat.

3. Haftungsbegründene Kausalität

Wenn M vorliegend nicht unkonzentriert gewesen wäre, hätte er den R nicht übersehen und es wäre nicht zum Unfall gekommen (s.0.). Die Handlung des M war somit kausal für den eingetreten Erfolg.

4./5. Rechtswidrigkeit, Verschulden

Die Rechtswidrigkeit ist vorliegend indiziert. Weiterhin müsste M das Verhalten und die Verletzung auch verschuldet haben. Das Verhalten des M ist als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen (s.o.), sodass ein Verschulden grundsätzlich anzunehmen ist.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

Grundsätzlich gilt, dass der durch die Rechtsgutverletzung kausal und zurechenbar hervorgerufene Schaden nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzen ist.

R sind Arzt- und Behandlungskosten i.H.v. 500,00 € entstanden, ein Schaden liegt somit vor. Dieser wurde durch das Handeln des M auch kausal verursacht.

Zwischenergebnis: M hat grundsätzlich Schadensersatz nach § 823 I BGB zu leisten.

III. Haftungsbeschränkung nach § 105 SGB VII

Es könnte jedoch eine Haftungsbeschränkung gem. § 105 I S. 1 SGB VII einschlägig sein, die den Anspruch des R gegen M ausschließt. Danach sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursacht haben, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr.1-4 SGB VII versicherten Wege herbeigeführt haben.

Jura Individuell Hinweis: § 105 I SGB VII ist seinem Wortlaut nach nur auf Personen und nicht aus Sachschäden anwendbar.

Voraussetzung für einen Haftungsbeschränkung nach § 105 I S. 1 SGB VII sind, dass ein Versicherter des selben Betriebs geschädigt worden ist, der Versicherungsfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht wurde und dieser nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde.

a. Schädigung eines Versicherten des selben Betriebs

Es müsste ein Versicherter i.S. d. SGB VII verletzt worden ist. Dies ist der Fall: Gem. § 2 Nr. 1 SGB VII sind Beschäftigte kraft Gesetzes in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.

Jura Individuell- Tipp: Sofern die Prüfungsordnung des jeweiligen Bundeslandes es erlaubt, empfiehlt es sich als Gedächtnisstütze § 2 SGB VII neben § 105 I SGB VII zu kommentieren!

Vorliegend hat M einen Versicherungsfall an dem im selben Betrieb beschäftigten R verursacht, für den folglich die Betriebsunfallversicherung der M-GmbH aufkommen müsste. R ist somit ein Versicherter i.S.d. SGB VII.

b. Betrieblich veranlasste Tätigkeit

Der Versicherungsfall müsste des Weiteren durch eine betrieblich veranlasste Tätigkeit verursacht worden sein. Dies ist gem. §§ 7 I, 8 I SGB VII der Fall, wenn es sich bei dem schädigenden Ereignis um einen Arbeitsunfall handelt. Vorliegend ereignete sich der Unfall während der Arbeitszeit. Eine betrieblich veranlasste Tätigkeit ist deshalb anzunehmen.

Jura Individuell- Tipp: Sofern die Prüfungsordnung des jeweiligen Bundeslandes es erlaubt, empfiehlt es sich als Gedächtnisstütze §§ 7, 8 SGB VII neben § 105 I SGB VII zu kommentieren!

c. Kein Vorsatz, kein Arbeitsunfall

§ 105 I S. 1 SGB VII greift jedoch nicht bei vorsätzlichem Handeln. Vorliegend hat M jedoch lediglich fahrlässig (mittlere Fahrlässigkeit, s.o.) gehandelt.
Es dürfte auch kein Arbeitsunfall i.S.v. § 8 II Nr. 1-4 SGB VII vorliegen. Der Unfall ereignete sich vorliegend kurz vor Schichtwechsel und R war mit seinem Roller auf dem Weg zur Arbeit. Somit ist ein Arbeitsunfall (Wegeunfall) nach § 8 II Nr. 1 SGB II gegeben. Der Haftungsausschluss des § 105 I S. 1 SGB VII ist somit nicht zugunsten des M anwendbar: Die Haftung ist daher vorliegend nicht ausgeschlossen.

Ergebnis: R hat Anspruch gegen M auf Ersatz seiner Arzt- und Behandlungskosten gem. § 823 I BGB.

Exkurs:
Der Grund für die Existenz des § 105 SGB VII liegt in der Erhaltung des Betriebsfriedens. Es soll vermieden werden, dass das Betriebsklima durch gerichtliche Auseinandersetzungen der Mitarbeiter untereinander erheblich gestört wird. Aus diesem Grund soll lediglich bei vorsätzlichen Personenschäden eine Haftung nach § 823 I BGB zwischen den Arbeitnehmern bestehen. In allen anderen Fällen wird der Schaden durch die gesetzliche Unfallversicherung ausgeglichen.

Jura Individuell-Tipp: In Klausuren kann sich das Problem stellen, ob überhaupt eine betriebliche Tätigkeit vorliegt. Bei einem Streit unter Arbeitskollegen ist daher zwischen privat-persönlichen und betriebsbezogenen Tätigkeiten abzugrenzen. Nach Ansicht des BAG ist eine betriebliche Tätigkeit dann anzunehmen, wenn der Schädiger bei objektiver Betrachtungsweise aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handeln durfte, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch ist und keinen Exzess darstellt, vgl. BAG, 22.04.2004, 8 AZR 159/03.

2. Anspruch aus § 823 I BGB (Sachschaden am Roller)

R könnte gegen M einen Anspruch aus § 823 I BGB auf Zahlung von 280 € wegen Beschädigung der Vespa haben.

I.Haftungsbegründender Tatbestand
1.Rechtsgutsverletzung

Dazu müsste zunächst eine Verletzung eines der in § 823 I BGB normierten Rechtsgüter vorliegen. Vorliegend wurde R’s Roller beschädigt. Somit liegt eine Rechtsgutverletzung (Eigentum) vor.

2. Verletzungshandlung

M hat die Verletzung durch positives Tun verursacht, indem er den R angefahren hat.

3. Haftungsbegründene Kausalität

Wenn M vorliegend nicht unkonzentriert gewesen wäre, hätte er den R nicht übersehen und es wäre nicht zum Unfall gekommen (s.0.). Die Handlung des M war somit kausal für den eingetreten Erfolg.
Die Rechtswidrigkeit ist vorliegend indiziert. Weiterhin müsste M das Verhalten und die Verletzung auch verschuldet haben. Das Verhalten des M ist als mittlere Fahrlässigkeit einzustufen (s.o.), sodass ein Verschulden grundsätzlich anzunehmen ist.

II. Haftungsausfüllender Tatbestand

Grundsätzlich gilt, dass der durch die Rechtsgutverletzung kausal und zurechenbar hervorgerufene Schaden nach den §§ 249 ff. BGB zu ersetzen ist.
Die Reparaturkosten der Vespa belaufen sich vorliegend auf 280 €, ein Schaden liegt somit vor. Dieser wurde durch das Handeln des M auch kausal verursacht.

Zwischenergebnis: M hat grundsätzlich Schadensersatz nach § 823 I BGB zu leisten.

III. Haftungsbeschränkung

a. Ein Ausschluss der Haftung aufgrund von § 105 I 1 SGB VII scheidet bzgl. des Rollers aus, da es sich dabei um einen Sachschaden und gerade nicht um einen Personenschaden handelt.

b. Ebenso sind die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs hier nicht anwendbar. Diese gelten nur im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können daher im Verhältnis zwischen zwei Arbeitnehmern nicht herangezogen werden.

Ergebnis: R hat damit einen Anspruch aus § 823 I BGB gegen M auf Zahlung der 280 € wegen Beschädigung des Rollers.

C. Ansprüche R gegen M-GmbH

1. Anspruch aus § 3 I EfZG (Lohnfortzahlung)

Der Anspruch des R auf Lohnfortzahlung während seiner fünfwöchigen Krankheit ergibt sich aus § 3 I 1 EfZG haben. Danach hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber aufgrund eines Krankheitsfalles einen Anspruch auf Lohnfortzahlung für einen maximalen Zeitraum von sechs Wochen.

2. Anspruch auf Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten

a. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB

R könnte gegen die M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten aus §§ 280 I, 241 II BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen der M- GmbH und R vorliegen. Dieses liegt in Form des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 611 I BGB vor.

II. Pflichtverletzung

Die M-GmbH müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Die M-GmbH selbst hat jedoch den Unfall nicht verursacht.

Fraglich ist, ob die M-GmbH sich das Verhalten des M zurechnen lassen muss.

In Betracht kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB. Voraussetzung hierfür ist, dass M Erfüllungsgehilfe der M-GmbH ist. Erfüllungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Schuldners bei der Erfüllung einer dem Schuldner obliegenden Verbindlichkeit tätig wird.

Dies ist vorliegend allerdings nicht der Fall: M handelte zur Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeiten aus dem Arbeitsvertrag und nicht zur Erfüllung einer Verbindlichkeit der M-GmbH. M ist somit kein Erfüllungsgehilfe er M-GmbH, sodass eine Zurechnung nach § 278 BGB hier nicht erfolgen kann.

Jura Individuell-Hinweis: Der Arbeitgeber haftet dem betroffenen Arbeitnehmer gegenüber gem. § 278 BGB für schuldhaft begangene Rechtsverletzungen, die von ihm als Erfüllungsgehilfen eingesetzte Mitarbeiter oder Vorgesetzte begehen. Dabei ist es jedoch erforderlich, dass die schuldhafte Handlung des als Erfüllungsgehilfe des Arbeitgebers handelnden Mitarbeiters in einem inneren sachlichen Zusammenhang mit den Aufgaben steht, die der Arbeitgeber ihm als Erfüllungsgehilfen zugewiesen hat. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Erfüllungsgehilfe gegenüber dem betroffenen Arbeitnehmer die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers konkretisiert bzw. wenn er ihm gegenüber Weisungsbefugnis hat, vgl. BGH, 16.05. 2007, 8 AZR 709/06 (hier z.B. wenn M beim Aufladen der Mülltonnen eine Schaden verursacht hätte).

Ergebnis: Somit scheitert ein Anspruch des R gegen die M-GmbH aus §§ 280 I, 241 II BGB mangels eigener Pflichtverletzung der M-GmbH und mangels Zurechnung.

Exkurs: Kommt man hingegen zu dem Ergebnis, dass die M-GmbH für den Schaden verantwortlich ist (z.B. weil M Erfüllungsgehilfe ist), so müsste ferner ein Haftungsausschluss nach § 104 I SGB II geprüft werden:
Der Anspruch könnte aufgrund von § 104 I SGB VII ausgeschlossen sein. Gemäß dieser Norm sind Unternehmer den Versicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind zum Ersatz eines Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 II Nr. 1- 4 versicherten Weg (Arbeitsunfall) herbeigeführt haben.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass zwar die M-GmbH nicht vorsätzlich handelte, jedoch ein Arbeitsunfall (Wegeunfall) i.S.v. § 8 II Nr. 1 SGB VII vorliegt (s.o.).
Der Haftungsausschluss des § 104 I SGB VII greift würde somit nicht greifen, sodass R im Ergebnis auch gegen die M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Arzt-und Behandlungskosten hätte. M und die M-GmbH würden demnach gesamtschuldnerisch gem. § 426 I BGB haften. R könnte den Schaden folglich bei beiden in voller Höhe, insgesamt jedoch nur einmal geltend machen.

b. Anspruch aus § 831

R könnte gegen M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Arzt- und Behandlungskosten aus § 831 BGB haben (Haftung für Verrichtungsgehilfen).

Eine Haftung der M-GmbH scheitert jedoch daran, dass M vorliegend bereits seit 14 Jahren für die M-GmbH tätig ist und es bisher noch zu keinerlei Beanstandungen gekommen ist. Die M-GmbH kann sich folglich nach § 831 I S. 2 BGB exkulpieren.

Ergebnis: Ein Anspruch aus § 831 BGB besteht nicht.

3. Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten für den Roller

a. Anspruch aus §§ 280 I, 241 II BGB

R könnte gegen M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz des Reparaturkosten gem. §§ 280 I, 241 II BGB haben.

I. Schuldverhältnis

Es müsste ein Schuldverhältnis zwischen der M- GmbH und R vorliegen. R ist bei der M-GmbH angestellt. Damit liegt ein Schuldverhältnis in Form des Arbeitsvertrages in Verbindung mit § 611 I BGB vor.

II. Pflichtverletzung

M-GmbH müsste eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Diese könnte sich vorliegend aus § 241 II BGB ergeben. In Betracht kommt die Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag. Der Arbeitgeber hat im Rahmen des mit R geschlossenen Arbeitsvertrages die Interessen und die Rechtsgüter des Arbeitnehmers zu wahren. Durch die Beschädigung des Rollers könnte die M-GmbH diese Pflicht verletzt haben. Vorliegend hat die M-GmbH jedoch selbst keine schädigende Handlung vorgenommen, da M den Schaden herbeigeführt hat.

Fraglich ist, ob die M-GmbH sich das Verhalten des M zurechnen lassen muss.

In Betracht kommt eine Zurechnung nach § 278 BGB. Dies kann hier jedoch nicht erfolgen (s.o.).

Ergebnis: Somit scheitert ein Anspruch des R gegen die M-GmbH aus §§ 280 I, 241 II BGB mangels eigener Pflichtverletzung der M-GmbH und mangels Zurechnung.

b. Anspruch aus § 831 BGB

R könnte gegen M-GmbH einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten aus § 831 BGB haben (Haftung für Verrichtungsgehilfen).

Eine Haftung der M-GmbH scheitert jedoch daran, dass sich die M-GmbH vorliegenden nach § 831 I S. 2 BGB exkulpieren kann (s.o.).

Ergebnis: Ein Anspruch aus § 831 BGB besteht nicht.

D. Ansprüche M gegen M-GmbH

Freistellungsanspruch (im Innenverhältnis M gegen M-GmbH), § 670 BGB doppelt analog i.V.m. § 257 BGB
M könnte jedoch, was den Schaden am Roller betrifft, im Innenverhältnis zu seinem Arbeitgeber einen Anspruch auf Freistellung gem. § 670 BGB analog i.V.m. § 257 BGB.

1. Keine direkte Anwendung von § 670 BGB – Analogievoraussetzungen

a. Direkt ist § 670 BGB nicht anwendbar, da sich § 670 BGB nur auf Geschäftsbesorgungsverträge bezieht. Aufgrund der Nähe des Auftragsrechts zum Dienstvertragsrecht ist eine analoge Anwendung nach dem BAG jedoch explizit möglich. Dabei sind jedoch die Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen, wonach gerade Dienste gegen Entgelt verrichtet werden, während im Auftragsrecht Dienste ohne Bezahlung erfolgen.
Voraussetzung für die analoge Anwendung ist daher, dass es sich bei den zu ersetzenden Schäden nicht um sog. arbeitsadäquate Schäden handelt, die bereits von der Vergütung erfasst sind. Ein Schaden ist dann arbeitsadäquat, wenn er mit der Verrichtung der Arbeit regelmäßig einhergeht. Vorliegend wurde jedoch der Schaden am Roller geltend gemacht, dies stellt keinen arbeitsadäquaten, vielmehr ein außergewöhnlicher Schaden dar (Analogie 1).

b. § 670 BGB ersetzt nur Aufwendungen, d.h. freiwillige Vermögensopfer. Ein Schaden ist jedoch ein unfreiwilliges Vermögensopfer. Das BAG hat daher wendet daher § 670 BGB doppelt analog an (Analogie 2).

2. Betrieblich veranlasste Tätigkeit

Die schädigende Handlung war betrieblich veranlasst (s.o.).

3. Aufwendungen des Arbeitnehmers

Es müsste ein Schaden („Aufwendung“) entstanden sein, für den M im Außenverhältnis gegenüber einem Dritten haftet. Dies ist vorliegend er Fall: M hat dem R den Schaden am Roller nach § 823 I BGB zu ersetzten (s.o.).
Zwischenergebnis: M hat gegen die M-GmbH einen Anspruch auf Freistellung gem. § 670 BGB doppelt analog i.V.m. § 257 BGB wegen des an R zu leistenden Schadensersatzes für den Roller. Folglich hat die M-GmbH diesen Schaden anstelle des M gegenüber R zu ersetzen.

Allerdings müssen wiederum die Grundsätze des innerbetrieblieblichen Schadensausgleichs berücksichtigt werden.

Jura Indiviuell-Hinweis: Ein Arbeitnehmer kann gegenüber seinem Arbeitgeber bzgl. des Schadensersatzes für einen Dritten nur bis zu der Höhe Ersatz (Freistellung) verlangen, wie er nach den Regeln des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nicht selbst haften würde.

M handelte vorliegend mit mittlerer Fahrlässigkeit. Insoweit ist auf die Ausführungen unter Teil 1. VI b zu verweisen. Die Haftung ist daher zwischen M und der M-GmbH zu quoteln. Vorliegend ist eine hälftige Aufteilung angemessen.

Ergebnis: M hat daher gegenüber der M-GmbH einen Anspruch auf Freistellung in Höhe von 140 € gem. § 670 BGB analog i.V.m. § 257 BGB.

Endergebnis: M haftet folglich gegenüber R mit 140 €. Bezüglich der restlichen 140 € kann R die M-GmbH in Anspruch nehmen, solange M den Freistellungsanspruch an ihn abtritt.

Jura Individuell -Hinweis: Bei einem Freistellungsanspruch hat der Dritte einen direkten Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber. Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Schädiger zunächst seinen Freistellungsanspruch dem Dritten nach § 398 S. 1 BGB abtritt.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Arbeitsrecht- Fälle zur Haftung 1 auf unserer Website Jura Individuell.

Arbeitsrecht- Fälle zur Haftung 2

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Fall 1:

Dr. C ist Chemiker bei der V-GmbH. Bei einem chemischen Versuch verschüttet er aus Unachtsamkeit ein wenig Säure und beschädigt dadurch seine Jeanshose, die er unter seinem Laborkittel trägt. Die V- GmbH stellt dem Dr. O als Arbeitskleidung grundsätzlich nur einen Kittel und keine weitere Kleidung zur Verfügung.

Wie ist die Rechtslage?

1. Anspruch aus § 670 BGB analog

Dr. C könnte einen Anspruch gegen die V-GmbH auf Ersatz der Jeans gemäß § 670 BGB haben.

a. Analoge Anwendung

Fraglich ist jedoch, ob der § 670 BGB tatsächlich direkt angewandt werden kann. . § 670 BGB bezieht sich grundsätzlich auf freiwillige Vermögenseinbußen und damit auf Aufwendungen. Die Beschädigung der Jeans des Dr. C ist jedoch eine unfreiwillige Vermögenseinbuße und damit nicht als Aufwendung, sondern vielmehr als Schaden einzustufen.
Außerdem handelt es sich bei Dr. C um einen Arbeitnehmer der V-GmbH und nicht lediglich um einen Beauftragten. Aufgrund der Nähe des Auftragsrechts zum Dienstvertragsrecht und aufgrund der fehlenden Normierung innerhalb des Arbeitsvertragsrechts wendet das BAG den § 670 BGB regelmäßig analog auf Arbeitsverhältnisse an. Vorrausetzung hierfür ist aber, dass der Schaden bei Erbringung der Arbeitsleistung entstanden ist und den Arbeitgeber kein Verschulden trifft. Im Fall ereignete sich die Beschädigung während Dr. C für die V-GmbH zur Erbringung seiner Arbeitsleistung tätig war. Auch ist die Bekleidung bei seiner Tätigkeit notwendig. Ein Verschulden der V- GmbH ist nicht gegeben.
§ 670 BGB könnte daher auch im vorliegenden Fall doppelt analog angewendet werden.

b. Kein arbeitsadäquater Schaden

Bei einer analogen Anwendung ist jedoch eine weitere Besonderheit des Arbeitsrechts zu beachten: Während beim Auftragsrecht Dienste ohne Entgelt verrichtet werden, bekommt der Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistung eine Vergütung. Bei einem Arbeitsverhältnis sind arbeitsadäquate Schäden, d.h. solche, die mit der Arbeit regelmäßig einhergehen von der Vergütung mit umfasst. § 670 BGB analog ist daher nur auf außergewöhnliche, arbeitsinadäquate Schäden anwendbar.

Bei dem Schaden an der Jeans des Dr. C handelt es sich um keinen außergewöhnlichen, sondern um einen arbeitsadäquaten Schaden, da der Schaden bei der gewöhnlichen Arbeit des Dr. C entstanden ist. Bei chemischen Versuchen ist es nicht ungewöhnlich, dass z.B. durch Spritzer die Kleidung beschädigt werden kann. Solche Schäden sind daher regelmäßig von der Vergütung mit umfasst.

Ergebnis: Vorliegend handelt es sich um einen adäquaten Schaden, welcher nicht nach § 670 BGB analog ersetzt werden kann. Die V-GmbH hat daher den Schaden an der Jeans nicht zu tragen.

Fall 2:

Dr. C soll das Reagenzglas in eine Nachbarfiliale bringen und fährt mit dem Reagenzglas in der Hand auf seinem Fahrrad dorthin. Dabei übersieht er eine Oma (O) mit ihrem Rollator, gerät ins Torkeln und verschüttet die ätzende Säure über die Handtasche der Oma. Dabei wird die Ledertasche der Oma (Wert: 180 €) vollständig zerstört.

Wie ist die Rechtslage?

1. Anspruch aus § 823 I BGB

O könnte gegen Dr. C einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 180 € wegen Zerstörung der Ledertasche gem. § 823 I BGB haben.

Dr. C hat das Eigentum der O durch das fahrlässige Verschütten der Säure verletzt. Das Fahren auf dem Fahrrad mit dem Reagenzglas in der Hand war auch kausal für den eingetretenen Schaden.

Zwischenergebnis: Damit besteht ein Anspruch der O gegen Dr. C aus § 823 I BGB.

2. Freistellungsanspruch gem. § 670 analog i.V.m. § 257 BGB

Fraglich ist, ob Dr. C einen Freistellungsanspruch gegenüber der V-GmbH wegen dem Schaden an der Ledertasche hat.

Eine analoge Anwendung des § 670 BGB gegeben (Prüfung siehe Fall 1). Vorliegend handelt es sich nicht um einen arbeitsadäquaten Schaden, da der Zusammenstoß mit der O nicht mit der regelmäßigen Arbeit des Dr. C einhergeht, vielmehr ist es ein außergewöhnlicher Schaden.

Zwischenergebnis: Dr. C hat daher grundsätzlich einen Anspruch auf Freistellung nach § 257 BGB

3. Innerbetrieblicher Schadensausgleich

Es sind jedoch wieder die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs anzuwenden. Nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs haftet der Arbeitnehmer bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit voll, bei mittlerer Fahrlässigkeit ist die Haftung zu quoteln, bei leichter Fahrlässigkeit haftet er nicht.
Dabei ist zu beachten, dass der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber Ausgleich für einen Schaden, den er einem Dritten zu ersetzen hat, nur soweit verlangen kann, wie er gegenüber dem Arbeitgeber – wäre dieser der Geschädigte – nicht haften müsste.

Die Anwendung des innerbetrieblichen Schadensausgleichs auf § 670 BGB analog scheint gerechtfertigt, da der Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses Aufwendungen für die Firma macht und dabei ein Schaden entsteht. Wenn dieser Schaden aber vorsätzlich durch den Arbeitnehmer verursacht wird oder aufgrund mittlerer Fahrlässigkeit, so muss auch der Arbeitnehmer wenigstens teilweise dafür einstehen.
Im Wege einer doppelt analogen Anwendung des § 670 BGB und den Grundsätzen über den innerbetrieblichen Schadensausgleich, kann der Arbeitnehmer einen Schaden, der sich während der Arbeitszeit ereignet hat, bei mittlerer teilweise und bei leichter Fahrlässigkeit voll ersetzt verlangen.

Vorliegend handelt Dr. C mit mittlerer Fahrlässigkeit, da er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat. Er hat die O im Straßenverkehr übersehen, dabei wäre eine besondere Achtsamkeit erforderlich gewesen. Darüber hinaus hat Dr. C die erforderliche Sorgfalt verletzt, indem er das Reagenzglas mit der Säure in der Hand transportiert hat, anstatt es sicher zu verpacken. Der Schaden ist folglich zwischen der V-GmbH und Dr. C zu quoteln, wobei eine Verteilung von 1/3 der Haftung zu Lasten der V-GmbH und 2/3 der Haftung zu Lasten des Dr. C angemessen erscheint.

Ergebnis: Dr. C hat daher einen Befreiungsanspruch in Höhe von 60 Euro gegenüber der V-GmbH aus § 670 analog i.V.m. § 257 BGB.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Arbeitsrecht- Fälle zur Haftung 2 auf unserer Website Jura Individuell.

Die Kassiererin und der Pfandbon

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Sachverhalt:

Seit dem 01.07.1985 arbeitet Rita Müller, 59 Jahre alt, als Kassiererin in einer Filiale der alteingesessenen Supermarktkette „Superfrisch“- GmbH in Bonn. Der „Superfrisch“- Supermarkt beschäftigt neben der Geschäftsführerin Erna Tüchtig 58 weitere Mitarbeiter, es existiert ein Betriebsrat Frau Müller ist in Vollzeit angestellt und erhält ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1,800,- €. Im Laufe ihres Arbeitsverhältnisses arbeitete Frau Müller stets gewissenhaft und pflichtbewusst, weshalb sie auch noch nie eine Abmahnung erhalten hat.
Am 07.07.2014 wurde im Eingangsbereich des Supermarktes ein Pfandbon im Wert von 1,20 € gefunden. Dieser Bon wurde auf Anweisung der Geschäftsführerin Frau Tüchtig für den Fall, dass ein Kunde Anspruch darauf erheben würde, bei den Kassen in einer für alle Kassiererinnen einsehbaren Ablage aufbewahrt. Sollte sich kein Kunde melden, so sollte er als „Fehlbon“ verbucht werden.

Am 08.07.2014 kaufte Frau Müller nach Beendigung ihrer Arbeitszeit Lebensmittel für ihren privaten Gebrauch und löste beim Bezahlen einen Pfandbon mit Wert von 1,20 € ein. Die Kollegin an der Kasse, Frau Bauer, wurde misstrauisch, da der aufbewahrte Pfandbon, den sie selbst am 07.07.2014 gefunden hatte, nicht mehr da war. Sie meldete den Vorfall noch am selben Tag bei der Geschäftsführerin. Frau Tüchtig kontrollierte daraufhin die Videoaufzeichnungen der Überwachungskameras des Kassenbereichs. Auf dem Video war eindeutig zu erkennen, wie Frau Müller den Pfandbon an sich nimmt. Dass während der Ladenöffnungszeiten Videoaufzeichnung gemacht werden, ist dem Personal – einschließlich Frau Müller – bekannt war.

Am 10.07.2014 bat die Geschäftsführerin Tüchtig Frau Müller zu einem Personalgespräch und befragte sie zu dem Vorfall am 08.07.2014. Frau Tüchtig warf Frau Müller vor in unerlaubter Weise einen Pfandbon für ihren privaten Einkauf verwendet zu haben. Frau Müller bestritt die Vorfälle und gab vielmehr an, dass es sich bei dem Bon um einen Bon für von ihr eingelöstes Leergut handelte.

Am 14.07.2014 fand zwischen Frau Tüchtig und dem Betriebsrat eine Anhörung zwecks einer beabsichtigten fristlosen – hilfsweise ordentlichen – Kündigung von Frau Müller statt. Dabei setzte Frau Tüchtig den Betriebsrat über die Kündigungsgründe, besagte Vorfälle mit dem Pfandbon, in Kenntnis.

Am 16.07.2014 beschloss der Betriebsrat in seiner Sitzung, der Kündigung zuzustimmen. Dies teilte der Betriebsrat der Geschäftsführerin am selben Tag schriftlich mit. Am 17.07.2014 verfasste Frau Tüchtig die außerordentliche Kündigung – hilfsweise die ordentliche Kündigung zum 28.02.2015. Das von ihr unterschriebene Kündigungsschreiben überreichte sie Frau Müller am selben Tag persönlich.

Frau Müller kann nicht verstehen, weshalb sie wegen dieser „Lappalie“ gleich gekündigt wurde. Sie wendet sich deshalb schon am nächsten Tag an den Freund ihrer Nachbarin, Dr. Rudi Schlau, der frisch zugelassener Rechtsanwalt ist. Sie möchte wissen, ob die Kündigung wirksam ist, sie etwas dagegen unternehmen kann und ob in so einem Fall eine Klage möglich ist.

Dr. Rudi Schlau teilt Frau Müller mit, dass die Möglichkeit besteht, eine Kündigungsschutzklage vor dem zuständigen Arbeitsgericht zu erheben. Um jedoch die Erfolgsaussichten besser abschätzen zu können, möchte er zunächst ein entsprechendes Gutachten hinsichtlich der Begründetheit der Kündigungsschutzklage erstellen.

Bearbeitervermerk:

Das Gutachten des Dr. Schlau ist anzufertigen.

Lösung:

Begründetheit einer Kündigungsschutzklage der Rita Müller gegen die „Superfrisch“- GmbH
Die Kündigungsschutzklage der Rita Müller ist begründet, wenn das Arbeitsverhältnis durch die am 17.07.2014 ausgesprochene und ihr am selben Tage zugestellte Kündigung beendet worden ist.

A. Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung

I. Wirksames Arbeitsverhältnis

Ein wirksames Arbeitsverhältnis gem. § 611 BGB zwischen Rita Müller (RM) und der „Superfrisch“- GmbH (S- GmbH) zum Zeitpunkt der Kündigung liegt vor.

II. Wirksame schriftliche Kündigungserklärung

Für eine wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses müsste die S- GmbH die Kündigung ordnungsgemäß gegenüber der RM erklärt haben. Die S-GmbH hat, vertreten durch die Geschäftsführerin Tüchtig (§ 35 I S. 1 GmbHG), der RM am 17.07.2014 eine schriftliche und unterschriebene Kündigung überreicht, sodass das Schriftformerfordernis der §§ 623, 123 BGB gewahrt ist. Eine wirksame Kündigungserklärung liegt somit vor.

III. Klagefrist nach § 4 KSchG

RM müsste die Klage innerhalb der 3-Wochen- Frist des § 4 KSchG erheben, da sonst die Gefahr droht materiell präkludiert zu sein. Die Erhebung der Klage ist vorliegend am 18.07.2014 noch fristgerecht möglich.

Eine Anwendbarkeit des KSchG muss an dieser Stelle noch nicht geprüft werden. Die Klagefrist des § 4 KSchG gilt unabhängig davon, ob ein „Kleinbetrieb“ im Sinne des § 23 I S. 2 oder 3 vorliegt oder nicht, vgl. Wortlaut des § 23 I S. 2 und 3 KSchG („Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4-7 und des § 13 I S. 1 und 2 nicht für …“).

IV. Anhörung des Betriebsrates, § 102 BetrVG

Nach § 102 I BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Dabei hat der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Nach § 102 II S. 3 BetrVG muss der Betriebsrat Gründe gegen eine außerordentliche Kündigung spätestens innerhalb von drei Tagen schriftlich mitteilen.

Eine Anhörung des Betriebsrates ist am 14.07.2014 erfolgt, dabei wurde der Betriebsrat über die geplante Kündigung der RM und die Gründe informiert. Zwei Tage später, am 16.07.2014, hat der Betriebsrat sein Einverständnis schriftlich erteilt. Die Anforderungen des § 102 BetrVG sind somit erfüllt.

V. Vorliegen eine wichtigen Grundes nach § 626 BGB

Nach § 626 I BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt werden, ohne dass eine Kündigungsfrist eingehalten werden muss.

Ein „wichtiger Grund“ nach § 626 I BGB setzt voraus, dass Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem kündigenden Teil ein Fortführen des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe, es ist vielmehr bei einer derartigen Generalklausel immer eine Einzelfallentscheidung zu treffen, bei der die Interessen beider Vertragsteile miteinander abgewogen werden müssen.

Nach dem BAG wird der „wichtige Grund“ in zwei Stufen geprüft.

a. In der ersten Stufe wird geprüft, ob der vorliegende Sachverhalt „an sich“ geeignet ist einen Kündigungsgrund darzustellen. Dies ist in der Regel bei rechtswidrigem und schuldhaftem Fehlverhalten des Arbeitnehmers anzunehmen, bei besonders groben Pflichtverletzungen ist auch schuldloses Verhalten ausreichend.

Vorliegend hat RM einen ihr nicht gehörenden Pfandbon zu ihren Gunsten eingelöst. Der Pfandbon hätte eigentlich als Fehlbon verbucht werden müssen. RM hat folglich eine vorsätzliche und rechtswidrige, gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichtete Handlung vorgenommen. Ein solches Fehlverhalten stellt eine Pflichtverletzung dar und ist somit an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 BGB darzustellen.

b. In der zweiten Stufe wird dann eine umfassende, einzelfallbezogene Interessensabwägung vorgenommen, bei welcher das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers mit dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers abgewogen wird.

Dabei muss die Kündigung „ultima-ratio“ sein. Es besteht ein Vorrang von Abmahnung oder Änderungskündigung. Die Kündigung muss das letzte Mittel darstellen, ein milderes darf nicht in Betracht kommen.

Einerseits liegt hier die o.g. Pflichtverletzung vor. Andererseits muss jedoch berücksichtigt werden, dass RM seit 25 Jahren bei der S-GmbH angestellt ist und es während dieser langen Zeit zu keinerlei Beanstandungen gekommen ist. RM hat sich deshalb im Laufe ihres Arbeitsverhältnisses ein hohes Maß an Vertrauen in ihre Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber aufgebaut.
Wenn ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Arbeit eine rechtswidrige und vorsätzliche Handlung unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers begeht, missbraucht er das in ihn gesetzte Vertrauen. Gerade die Tätigkeit einer Kassiererin setzt ein besonders ausgeprägtes Vertrauensverhältnis voraus. Eine Pflichtverletzung in diesem Tätigkeitsbereich stellt somit – egal wie hoch oder gering der wirtschaftliche Schaden ausfällt – stets einen Vertrauensbruch dar, der eine Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigt.

Zu beachten ist hier jedoch, dass RM in dem sehr langen Zeitraum ihrer Beschäftigung ein besonders hohes Maß an Vertrauen erworben. Es stellt sich daher die Frage, ob die außerordentliche Kündigung hier „ultima ratio“ war oder ob nicht der S-GmbH mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten.

Im Rahmen einer Einzelfallabwägung wiegt vorliegend das über 25 Jahre hinweg erarbeitete Vertrauen in die Person der RM mehr. Die Pflichtverletzung ist in dieser besonderen Konstellation zwar geeignet das erworbene Vertrauen zu erschüttern, jedoch nicht vollständig zu verdrängen. Die Schwelle zum Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB ist nach dieser Einzelfallbetrachtung und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes somit nicht erreicht. Die außerordentliche Kündigung war somit nicht „ultima ratio“, die S-GmbH hätte daher vorrangig eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung aussprechen müssen.

VI. Kündigungserklärungsfrist

Gem. § 626 II BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Fristbeginn ist diesbezüglich der Zeitpunkt, an dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Nach Ablauf dieser Frist ist eine außerordentliche Kündigung automatisch unwirksam.

Hier hat die S-GmbH am 08.07.2014 von dem Vorfall mit dem Pfandbon Kenntnis erlangt und am 17.07.2014 die Kündigung ausgesprochen. Die Frist des § 626 II BGB ist somit gewahrt.

Ergebnis: Die außerordentliche Kündigung der RM ist somit unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet.

B. Ordentliche Kündigung

Jedoch könnte die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 28.02.2015 wirksam sein.

Zu prüfen ist, ob der S-GmbH eine Weiterbeschäftigung der RM bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar wäre und ob die ordentliche Kündigung bei Anwendbarkeit des KSchG sozial gerechtfertigt ist.

I. Anwendbarkeit KSchG

Fraglich ist, ob überhaupt der sachliche und persönliche Anwendungsbereich des KSchG eröffnet ist.

Nach §§ 1 I, 23 KSchG ist das KSchG sachlich anwendbar, wenn kein „Kleinbetrieb“ nach § 23 I S. 2 und 3 KSchG vorliegt. Vorliegend beschäftigt die S-GmbH neben der Geschäftsführerin T weitere 58 Mitarbeiter, somit mehr als fünf Arbeitnehmer. Die S-GmbH ist somit kein „Kleinbetrieb“, so dass das KSchG anwendbar ist.

RM ist seit mehr als 25 Jahren ununterbrochen bei der S-GmbH beschäftigt, der persönliche Anwendungsbereich des KSchG ist daher ebenfalls eröffnet.

II. Soziale Rechtfertigung

Die ordentliche Kündigung müsste sozial gerechtfertigt sein.

Eine Kündigung ist sozial gerechtfertigt und damit wirksam, wenn einer der in § 1 II S. 1 KSchG normierten Rechtfertigungsgründe vorliegt. Hierfür wird zwischen verhaltensbedingten, personenbedingten und betriebsbedingten Kündigungsgründen unterschieden. Kommt man zu dem Ergebnis, dass ein solcher Grund vorliegt, ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob die Kündigung trotz Vorliegens eines der o.g. Kündigungsgründe sozial gerechtfertigt ist. Ist dies der Fall, ist die Kündigung wirksam.

Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund liegt bei einem steuerbaren Verhalten, d.h. vom Willen des Arbeitnehmers beeinflussbarem Verhalten, vor.

Personenbedingte Gründe sind – im Gegensatz zu den verhaltensbedingten Gründen – meist für den Arbeitnehmer nicht steuerbar. Eine Abgrenzung zur verhaltensbedingten Kündigung kann gerade bei der Frage zur Notwendigkeit einer Abmahnung wichtig sein, denn eine personenbezogene Kündigung erfordert grundsätzlich keine vorherige Abmahnung. Diese würde bei einem nicht steuerbaren Verhalten ja gerade keinen Sinn machen.

Betriebsbedingte Kündigungsgründe stammen im Gegensatz zu den verhaltens- oder personenbedingten Kündigungsgründen aus der Sphäre des Arbeitgebers.

Das ungerechtfertigte Einlösen des Pfandbons der RM stellt einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar, da dies ein von ihr steuerbares Verhalten ist.

Die Prüfung einer verhaltensbedingten Kündigung in zwei Stufen:

a. In der ersten Stufe wird geprüft, ob das Verhalten des Arbeitnehmers an sich geeignet ist eine Kündigung zu veranlassen. Bei einer rechtswidrigen, gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichteten Handlung ist dies grundsätzlich der Fall, siehe oben.

b. In der zweiten Stufe wird eine umfassende Prüfung am Einzelfall in Form einer Interessensabwägung vorgenommen. Es wird das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers mit dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers abgewogen.

Das Beendigungsinteresse der S-GmbH könnte sich aus einem Interesse des Arbeitgebers an einem reibungslosen Betriebsablauf und Wahrung des Betriebsfriedens ergeben. Dies ist bei Vorliegen einer Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer grundsätzlich nicht mehr gewährleistet.

Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass RM bereits seit 25 Jahren dem Betrieb angehört und sich in dieser Zeit nichts hat zuschulden kommen lassen. Weiterhin ist sie bereits 59 Jahre alt, es liegt daher nahe anzunehmen, dass sie deswegen auf dem Arbeitsmarkt geringe Chancen auf Erhalt einer neuen Arbeitsstelle hat. Dennoch hat sie vorliegend eine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt.

c. Im Rahmen der Abwägung ist ferner der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Dies erfordert insbesondere eine „Negativprognose“. Eine solche ist in der Regel nur anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer bereits mehrmals abgemahnt worden ist und er trotzdem sein Verhalten fortsetzt.

RM ist erstmalig auffällig geworden, dies kann eine Negativprognose somit noch nicht rechtfertigen. Ein überwiegendes Beendigungsinteresse der S-GmbH ist somit nicht ersichtlich.

Es bleibt somit festzuhalten, dass RM auch vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung vorrangig hätte abgemahnt werden müssen

Somit hält auch die ordentliche Kündigung der Interessenabwägung nicht stand und ist deshalb ungerechtfertigt.

Ergebnis: Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis ebenfalls nicht beendet.

 

Gesamtergebnis: Eine Kündigungsschutzklage ist daher begründet. Sie hat daher zumindest hinsichtlich der Begründetheit Aussicht auf Erfolg.

 

Jura Individuell-Hinweis: Diesem Fall liegt die berühmte „Emmely-Entscheidung“ des BAG, 2 AZR 541/09, zu Grunde. Alle Entscheidungen des BAG sind unter www.bundesarbeitsgericht.de frei und kostenlos abrufbar.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Die Kassiererin und der Pfandbon auf unserer Website Jura Individuell.

Verfassungsbeschwerde Art. 4 GG – Prüfung

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Schächtungsfall

A. Sachverhalt

T ist türkischer Staatsbürger und Angehöriger der Religionsgemeinschaft R. Nach den Geboten der R dürfen ihre Anhänger nur geschächtetes Fleisch verzehren. Beim Schächten wird einem warmblütigen Tier ohne Betäubung die Halsschlagader und die Speiseröhre so durchtrennt, dass das Tier durch langsames ausbluten geschlachtet wird. Ein Mitglied der R ist bei dem Schächten immer anwesend. Dieses Mitglied ist dazu ausgebildet, die Einhaltung der religiösen und tiermedizinischen Vorschriften ordnungsgemäß zu überwachen. T ist in Deutschland geboren. Er betreibt eine Metzgerei, in der er auch geschächtetes Fleisch zum Verkauf anbietet. Das Schächten ist grundsätzlich gesetzlich gem. §§ 1, 4a I TierSchG verboten. § 4 a II Nr.2 TierSchG sieht aber die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung in bestimmten Situationen aus religiösen Gründen vor. Eine Ausnahmegenehmigung wurde dem T bisher immer befristet erteilt. Diesmal lehnte die Behörde die Ausnahmegenehmigung jedoch ab. T nutzt das geschächtete Fleisch, um es Angehörigen der R zu verkaufen. Andere Metzgereien, deren Inhaber der Glaubensgemeinschaft G angehören, wurde die Genehmigung hingegen erteilt. Die Behörde verweist –objektiv zutreffend- darauf, dass ein eigeholtes Gutachten ergebe, dass die Glaubensgemeinschaft G ihren Mitgliedern zwingend vorschreibe, nur geschächtetes Fleisch zu verzehren. Bei der R sei dieses Gebot jedoch nicht zwingend gestaltet.

T fühlt sich in seinen Grundrechten verletzt. Nach Erschöpfung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsweges erhebt er gleich form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.

Erstellen Sie ein umfassendes Gutachten über die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde des T.

B. Lösung

Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Zulässigkeit

1. Zuständigkeit des BVerfG

Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich aus Art. 93 I Nr. 4a GG, §§ 13 Nr.8a, 90 I BVerfGG.

2. Beschwerdefähigkeit

a) Grundrechtsfähigkeit

Fraglich ist, ob T grundrechtsfähig ist. Unter Grundrechtsfähigkeit versteht man die Fähigkeit allgemein Träger von Grundrechten sein zu können. Die Grundrechtsfähigkeit entspricht der allgemeinen Rechtsfähigkeit, so dass sich T als natürliche Person auf die Grundrechte berufen kann.

b) Grundrechtsberechtigung

Von der Fähigkeit überhaupt Träger von Grundrechten zu sein, muss die Berechtigung sich auf ein bestimmtes Grundrecht berufen zu können unterschieden werden. Ausgangspunkt ist Art. 93 I Nr.4a GG, der es „jedermann“ gestattet Verfassungsbeschwerde zu erheben. Wer aber nun in Bezug auf das jeweilige Grundrecht „jedermann“ ist, bestimmt sich nach der Grundrechtsberechtigung. T kann sich als ausländischer Staatsbürger in Deutschland nicht auf Deutschengrundrechte, die ausschließlich deutschen Staatsbürgern vorbehalten sind, berufen. Vorliegend sieht sich T in den Grundrechten aus Art. 3, 4 und 12 GG verletzt. Auf Art. 3 und 4 GG dürfen sich nicht nur Deutsche, sondern auch alle ausländischen Staatsbürger berufen. Im Hinblick auf Art. 12 GG könnte sich aber etwas anderes ergeben. Bei Art. 12 GG handelt es sich gerade um ein Deutschengrundrecht, auf das sich ausländische Staatsangehörige nicht berufen können. T verfügt auch nicht über die Staatsangehörigkeit eines EU- Mitgliedstaates, so dass auch nach diesem Gesichtspunkt eine Berufung auf Art. 12 GG ausscheidet. Die Tatsache, dass T in Deutschland geboren wurde, ändert aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift, der allein auf die Staatsangehörigkeit abstellt, nichts. Damit ist eine Verletzung in Art. 12 GG nicht möglich.

Somit ist T hinsichtlich der Grundrechte aus Art. 3 und 4 GG beschwerdeberechtigt.

3. Prozessfähigkeit

Diese ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergibt sich aber aus anderen Verfahrensanordnungen, wie §§ 62 VwGO, 51 ZPO analog. T müsste fähig sein, Verfahrenshandlungen selbst oder durch einen selbst gewählten Vertreter vorzunehmen. T ist gem. §§ 2, 106 BGB geschäfts-, und damit auch prozessfähig.

4. Beschwerdegegenstand

Gegenstand der Beschwerde müsste ein Akt der öffentlichen Gewalt sein. Also ein Akt der Legislative, Judikative oder Exekutive. Die Behörde lehnt den Antrag des T auf eine Ausnahmegenehmigung ab. Damit liegt Exekutivhandeln vor. Zudem hat T den Rechtsweg erschöpft, so dass bereits ein letztinstanzliches Urteil vorliegt. Dieses und die Urteile der unteren Instanzen sind Akte der Judikative und bilden zusammen mit dem behördlichen Exekutivakt den Beschwerdegegenstand.

5. Beschwerdebefugnis

T müsste weiterhin behaupten, in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsähnlichen Rechten verletzt zu sein. Dabei genügt die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung. T fühlt sich in seinen Rechten aus Art. 3 und 4 GG verletzt. Eine Verletzung der Religionsfreiheit durch die Genehmigungsversagung ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist angesichts der differenzierenden Genehmigungserteilung der Behörde möglich. T ist auch qualifiziert betroffen, was bedeutet, dass er Adressat der Maßnahme ist, die Rechtsbeeinträchtigung noch andauert und kein weiterer Vollzugsakt erforderlich ist. Damit ist er selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.

6. Rechtswegerschöpfung

Die Verfassungsbeschwerde ist gem. Art. 94 II GG i.V.m. § 90 II BVerfGG nur gegen letztinstanzliche Entscheidungen zulässig. T hat laut Sachverhalt den verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg erfolglos erschöpft.

7. Subsidiarität

Zu prüfen ist weiterhin, ob die Verfassungsbeschwerde subsidiär ist. Subsidiarität ist immer dann gegeben, wenn innerhalb einer Prozessordnung noch andere Verfahrensarten zur Verfügung stehen, die vorher durchgeführt werden können. Hier wurde, wie oben angeführt, der Rechtsweg im Hauptsacheverfahren aber bereits erschöpft, womit der vorläufige Rechtsschutz als weitere Verfahrensart nicht mehr in Frage kommt, da er schon vom Hauptsacheverfahren mit umfasst ist. Die VwGO stellt auch keine weiteren prozessualen Möglichkeiten zur Verfügung, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzungen zu erwirken, so dass die Verfassungsbeschwerde nicht subsidiär ist.

8. Zwischenergebnis

Im Ergebnis ist die Verfassungsbeschwerde des T bezüglich der gerügten Grundrechte aus Art. 3 und 4 GG zulässig.

II. Begründetheit

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn der VA den Beschwerdeführer in einem seiner Grundrechte verletzt. Dabei prüft das Bundesverfassungsgericht nur spezifisches Verfassungsrecht, da es keine Superrevisionsinstanz ist.

1.  Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG

T könnte in seinem Grundrecht auf Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG verletzt sein.

a) Schutzbereich

Dazu müssten sowohl der persönliche, wie auch der sachliche Schutzbereich eröffnet sein.

aa) Persönlicher Schutzbereich

Art. 4 I GG ist ein Jedermann-Grundrecht. T ist daher als natürliche Person Grundrechtsträger. Daran ändert auch seine türkische Staatsangehörigkeit nichts, da es sich wie oben bereits erläutert nicht um ein Deutschengrundrecht handelt. Der persönliche Schutzbereich ist damit eröffnet.

bb) Sachlicher Schutzbereich

Das Schächten als Gewinnungsmöglichkeit von koscherem Fleisch müsste den Schutzbereich der Religionsfreiheit betreffen. Bei der in Art. 4 I GG genannten Glaubens- und Gewissensfreiheit und dem religiösen und weltanschaulichen Bekenntnis, sowie bei dem in Art. 4 II GG genannten Recht der ungestörten Religionsausübung handelt es sich nach h.M. um ein einheitliches Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Geschützt wird das Recht, einen Glauben zu bilden, zu haben, den Glauben zu bekennen, zu verbreiten und gemäß diesem Glauben zu handeln. Geschützt sind auch kultische Handlungen, rituelles Verhalten, sowie religiöse und weltanschauliche Feiern und Gebräuche. Fraglich ist, ob das Schächten von Tieren in diesen Schutzbereich fällt. Geschützt ist das Schächten wenn es im Rahmen religiöser Riten an Festtagen durchgeführt wird. Das Schächten selbst berührt aber nicht unmittelbar ein religiöses Gebot, da es sich dabei nicht um eine Opfergabe oder dergleichen handelt. Auch der Verzehr des Fleisches ist kein unmittelbar religiöser Akt. Außerhalb dieser Feierlichkeiten ist es aber höchst zweifelhaft es zu den kultischen Handlungen zu zählen. Es besteht lediglich ein funktionaler, mittelbarer Zusammenhang. Fraglich ist ob dies ausreicht. Interpretiert man den Schutzbereich extensiv besteht die Gefahr, dass dieser konturenlos wird. Eine Ansicht geht davon aus, dass mit Berücksichtigung der Gesetzessystematik die Notwendigkeit einer Einschränkung nicht schon bei der Bestimmung des Schutzbereichs, sondern erst bei der Anwendung der Schranken besteht. Dem kann aber nicht zugestimmt werden, da die Qualität der Schranken bei jedem Grundrecht unterschiedlich ausgestaltet ist. So ist das Grundrecht auf Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährt und kann nur durch verfassungsimmanente Schranken begrenzt werden, die jedoch enorm hohe Voraussetzungen stellen. Damit ist das Argument der Begrenzung auf der Ebene der Rechtfertigung nicht haltbar. Zu fordern ist also im Rahmen des Schutzbereichs, dass es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine religiös motivierte Handlung handelt. Dafür spricht, dass das Anrufen Allahs beim Schächten der Tiere vorgeschrieben ist. Zudem erfolgt das Schächten allein aus religiösen Gründen. Die Schlachtmethode führt nicht zu einem unterschiedlichen Geschmack oder unterschiedlicher Konsistenz des Tierfleisches, sodass das spezielle Vorgehen eindeutig religiöser Motivation entspringt. Zudem muss mindestens ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft beim Schächtvorgang anwesend sein um die Einhaltung der religiösen Vorschriften zu überwachen. Schließlich verbindet jeder gläubige Moslem den Verzehr des Fleisches unmittelbar mit seiner Glaubensrichtung, da es eben Wesensmerkmal des Islam ist, nur geschächtete Tiere zu verzehren. Somit fällt das Schächten in den Schutzbereich des Art. 4 GG.

b) Eingriff

Der Schutzbereich der individuellen Glaubensfreiheit ist betroffen, wenn der Staat die oben genannte geschützte Tätigkeit in irgendeiner Weise regelt oder faktisch in erheblicher Weise behindert. Durch die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung nach § 4a II Nr. 2 TierSchG wird dem T das Schächten gänzlich untersagt. Dies stellt ohne weiteres einen Eingriff in seine Religionsfreiheit dar.

c) Rechtfertigung

Der Eingriff könnte aber womöglich gerechtfertigt sein. Dazu muss festgestellt werden, ob es sich um ein schrankenloses Grundrecht handelt bzw. ob im Falle der vorbehaltlosen Gewährung die Grundsätze der praktischen Konkordanz gewahrt wurden.

aa) Schrankenlos gewährtes Grundrecht

Möglicherweise bestehen Schranken, die der ungehinderten Religionsausübung entgegenstehen.

(a) Schrankenleihe

Art. 4 GG selbst ist ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht. Fraglich ist, ob nicht Schranken anderer Grundrechte hilfsweise übertragen werden können, um das Fehlen eines ausdrücklichen Gesetzesvorbehalts auszugleichen. Hier kämen die Schranken des Art. 2 I und Art. 5 II GG in Frage. Allerdings widerspricht eine solche Schrankenleihe dem eigenständigen Charakter der einzelnen Freiheitsrechte. Gerade die differenzierte Ausgestaltung der Grundrechtsschranken eines jeden Grundrechts spricht gegen eine solche Übertragung.

(b) Art. 136 WRV als Schranke der Religionsfreiheit

Fraglich ist, ob die Religionsfreiheit aus Art. 4 I, II GG durch Art. 136 WRV eingeschränkt werden kann. Es wird vertreten, dass Art. 136 I WRV wegen Art. 140 GG vollgültiges Verfassungsrecht ist, die Religionsfreiheit daher über Art. 136 I WRV der Schranke der allgemeinen Gesetze unterliegt. Demnach erklärt nur die Fortgeltung des Art. 136 I WRV die schrankenlose Ausgestaltung der Religionsfreiheit. Nach anderer Auffassung wird Art. 136 I WRV vollständig von der Religionsfreiheit in Art. 4 I und II GG überlagert. Entscheidend für die Beurteilung ist die historische Entwicklung dieser Normen. Ursprünglich war in Art. 135 WRV die allgemeine Religionsfreiheit für den Einzelnen geregelt. Diese stand gem. Art. 135 S. 3 WRV unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze. Art. 136 WRV hingegen erfüllte nicht die Funktion eines Gesetzesvorbehalts, zumindest nicht unabhängig von Art. 135 S. 3 WRV. Allerdings wurde nur Art. 136 WRV in das Grundgesetz aufgenommen,  Art. 135 WRV hingegen gerade nicht. Dies lässt den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die Religionsfreiheit in Art. 4 I, II GG bewusst ohne jede Schranke ausgestalten wollte. Art. 136 I WRV ist damit keine geeignete Schranke.

bb) Verfassungsimmanente Schranke

Eine Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts auf Religionsfreiheit ist im Rahmen einer verfassungsimmanenten Schranke nur möglich, um einem anderen Grundrecht zur Entfaltung zu verhelfen. Nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ist die Grenze an dem Punkt erreicht, an dem beide Grundrechte ihre größtmögliche Entfaltung und Wirksamkeit erreichen.

(a) Kollidierendes Verfassungsrecht

Dafür muss aber zunächst festgestellt werden, ob es im vorliegenden Fall überhaupt Verfassungsrecht gibt, das der Religionsfreiheit entgegenstehen könnte. In Betracht kommt hier der Tierschutz. Der Tierschutz könnte aus der Kompetenznorm des Art. 74 I Nr. 20 GG abgeleitet werden. Kompetenztitel genügen dazu aber alleine nicht. Kompetenzvorschriften dienen der Regelung der Zuständigkeit des Bundes- oder Landesgesetzgebers für bestimmte Gesetzesmaterien. Sie sind aber nicht in der Lage Grundrechte zu beschränken.

Die Stellung des Tierschutzes im Rahmen der Verfassung könnte sich aber durch die Grundgesetzänderung verbessert haben. Der Tierschutz wurde in Art. 20a GG als Staatszielbestimmung aufgenommen. Dies bedeutet, dass der Tierschutz als kollidierendes Verfassungsrecht verfassungsimmanente Schranke vorbehaltloser Grundrechte sein kann. Dies ist aber nicht unumstritten. Einige gehen davon aus, dass Grundrechte generell nicht durch Staatszielbestimmungen begrenzt werden können. Dazu hätte es eines Gesetzesvorbehalts in den einzelnen Grundrechtsnormen bedurft. So hätte Art. 4 und 5 III GG mit Gesetzesvorbehalten zugunsten des Tierschutzes versehen werden müssen. Weiter kann durch Staatszielbestimmungen kein Grundrechtseingriff erzwungen werden, da aus ihnen keine hinreichend konkrete Handlungspflicht erwächst. Damit wäre im Ergebnis Art. 20a GG mangels Kollisionslage praktisch nicht als kollidierende Verfassungsnorm zur Grundrechtseinschränkung geeignet. Dagegen spricht aber, dass der Grund für die Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung gerade war kollidierendes Verfassungsrecht zu schaffen, um  insbesondere die Religions- und Wissenschaftsfreiheit einschränken zu können. Die geschaffene Staatszielbestimmung soll dem Gebot eines sittlich verantworteten Umgangs des Menschen mit dem Tier Rechnung tragen. Sie begründet ausdrücklich die Verpflichtung, Tiere als Mitgeschöpfe zu achten und ihnen Leiden zu ersparen und ihre Lebensräume nicht zu zerstören. Somit kann die Staatszielbestimmung im Hinblick auf Grundrechte Beschränkungen von Grundrechten legitimieren, ohne dass dem Tierschutz ein genereller Vorrang zukäme.

(b) Vorbehalt des Gesetzes

Der Vorbehalt des Gesetzes ergibt sich sowohl aus dem Rechtstaats- wie auch aus dem Demokratieprinzip. Der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts besagt, dass schwerwiegende Eingriffe des Staates einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Dieses Erfordernis greift der Wesentlichkeitstheorie zufolge nur bei Eingriffen in Grundrechte und andere Verfassungsgüter. Vorliegend wird in die Religionsfreiheit des T aus Art. 4 I GG eingegriffen. Folglich muss ein Gesetz vorhanden sein, das eine Einschränkung dieses Grundrechts zulässt. In Frage kommt das Tierschutzgesetz, das in §§ 1, 4a I TierSchG das Töten von Tieren ohne Betäubung in Deutschland grundsätzlich verbietet. Als Parlamentsgesetz ist es damit geeignete Rechtsgrundlage für etwaige Grundrechtsbeschränkungen.

(c) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Darüber hinaus müsste der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt worden sein. Der von der Behörde vorgenommene Eingriff, die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung, müsste demnach verhältnismäßig sein.

 (aa) Erlaubter Zweck des Eingriffs

Der Zweck der von der Behörde untersagten Genehmigung lag darin, die Vorschriften des Tierschutzgesetzes einzuhalten. Der darin festgeschriebene Grundsatz des Verbots mit Erlaubnisvorbehalts sieht Genehmigungen zur Schächtung nur in Ausnahmefällen vor. Grundsätzlich steht aber der Tierschutz als oberstes Gebot im Vordergrund. Dem wollte die Behörde mit der Versagung nachkommen.

(bb) Erlaubtes Mittel zur Erreichung des Zwecks

Das Mittel in Form der Genehmigungsversagung hat seine Grundlage im TierSchG. Art. 4a II Nr. 2 TierSchG ermächtigt die Behörde Ausnahmebewilligungen zu erteilen oder zu versagen. Damit ist es erlaubtes Mittel.

(cc) Geeignetheit des Mittels

Das Mittel der Genehmigungsversagung ist geeignet den legitimen Zweck zu erreichen. T wäre es nicht mehr gestattet, Fleisch durch Schächtungen zu gewinnen.

(dd) Erforderlichkeit des Mittels

Weiterhin müsste das Verbot erforderlich gewesen sein. Dies ist dann der Fall, wenn keine milderen gleich geeigneten Mittel in Betracht kommen um den Zweck zu erreichen. Hier könnte man höchstens an eine Festsetzung einer bestimmten Höchstmenge an geschächtetem Fleisch denken. Allerdings stellt dies keine adäquate Alternativlösung dar. Ein milderes Mittel wie eine Untersagung der Tätigkeit ist nicht ersichtlich um dem Tierschutz ausreichend Rechnung zu tragen. Damit ist das von der Behörde ausgesprochene Verbot das mildeste Mittel und war somit erforderlich.

(ee) Angemessenheit

Das Verbot müsste darüber hinaus auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Hier ist abzuwägen zwischen dem Rechtsgut, zu dessen Schutz der Eingriff durchgeführt wurde, mit dem Rechtsgut, das vom Eingriff betroffen ist.

Für einen Vorrang der Religionsfreiheit des T  könnte sprechen, dass sich das Schächtgebot unmittelbar aus dem Koran ergibt. Laut Sachverhalt schreibt der Religionsgemeinschaft R ihre Religion aber kein zwingendes Gebot vor nur geschächtetes Fleisch zu verzehren. Allerdings ist das Schächten eine jahrzehntelange Tradition, die das Bild des Islam und entsprechender Glaubensrichtungen prägt, sodass man nicht allein aus dem Nichtvorhandensein eines Zwanges auf die gänzliche Verzichtbarkeit dieses Rituals schließen kann. Im Mittelpunkt steht aber die Frage, inwieweit Tieren durch bestimmte Tötungsmethoden mehr oder weniger Leid zugefügt wird. Es ist strittig, ob Tiere durch das Schächten verglichen mit anderen Schlachtmethoden mehr Schmerzen und Qualen empfinden. Die Befürworter des Schächtens gehen von einem schlagartigen Abfall des Blutdrucks nach dem Schächtschnitt aus, der die Sauerstoffversorgung des Gehirns unterbindet. Dies führt zu einer raschen Bewusstlosigkeit des Tieres, das so keine nennenswerten Schmerzen mehr empfindet. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ist dies aber höchst fragwürdig. Die Blutversorgung des Gehirns wird durch Gefäße im Bereich der Wirbelsäule und des Nackens sichergestellt. Aufzeichnungen von Schächtungen zufolge kann der Todeskampf der Tiere mehrere Minuten andauern, in denen das Tier Todesängste durchlebt. Die Leiden werden aber nicht nur durch den Schnitt selbst verursacht. Die Tiere werden schon im Vorfeld gewaltsam niedergeworfen und fixiert, wobei sie hier bereits häufig Knochenbrüche und Quetschungen erleiden. Um eine geeignete Position für die Durchführung des Schächtschnittes zu finden, wird der Hals des Tieres gewaltsam gedreht und gestreckt, was wiederum mit starken Schmerzen verbunden ist. Damit sind die Schächtungen mit erheblichen Qualen für die Tiere verbunden. Auch die Anwesenheit eines ausgebildeten Mitglieds der R, das die Einhaltung der tiermedizinischen Vorschriften überwacht vermag an der grundsätzlichen Problematik nichts zu ändern. Laut der Staatszielbestimmungen sollen gerade überflüssige Leiden vermieden werden, was durch eine Betäubung unproblematisch möglich wäre. Zudem ist anzumerken, dass ein betäubtes Tier in gleicher Weise ausblutet wie ein nicht betäubtes. Hiergegen wenden strenggläubige Muslimen ein, dass ein betäubtes Tier in ihrer Religion als tot gilt, der Verzehr also ein Verstoß gegen das Aas-Verbot im Koran wäre. Diese Auffassung ist aber nicht durchweg in den entsprechenden Religionen zu finden. Reformjuden praktizieren seit längerem das Schächten unter Betäubung und sehen darin auch keinen Widerspruch zu ihren religiösen Vorschriften. Viele islamische Geistliche befürworten die elektrische Betäubung oder die Betäubung mittels eines Schlachtschussapparates, sehen ebensowenig einen Verstoß gegen die Gebote des Korans. Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei den Speisevorschriften lediglich um einen Randbereich der Religionsausübung handelt. So ist der Verzicht auf das Schächten nicht mit einem Verstoß gegen religiöse Pflichten verbunden. Somit kann auf die grundsätzliche Zulässigkeit einer Betäubung geschlossen werden, ohne in Konflikt mit religiösen Vorschriften zu geraten.

Befürworter des Schlachtens ohne Betäubung ziehen häufig eine Parallele zu den Jagdvorschriften des JagdG. Darin sind Tötungsmöglichkeiten von Wildtieren vorgesehen, die auch nicht mit Sicherheit eine sofortige, schnelle Tötung mit vorheriger Betäubung vorsehen. Allerdings sind nach Erhebung des Tierschutzes zur Staatszielbestimmung in Art. 20a GG viele Vorschriften des JagdG erneut abzuwägen und in Frage zu stellen. Selbst wenn man von einer Vergleichbarkeit der Situationen ausgeht kann nicht von einem tierschutzrechtlich fragwürdigen Zustand auf die Erlaubnis eines anderen geschlossen werden. Dieses Argument ist demzufolge haltlos.

Zu fragen ist auch, ob Alternativen für die Religionsgemeinschaften bestehen, auf die hilfsweise zurückgegriffen werden kann. Eine Ernährung von gänzlich fleischloser Kost ist in der modernen Gesellschaft ohne weiteres möglich und ist mit keinerlei gesundheitlichen Nachteilen verbunden. Es können Fischprodukte hinzugenommen werden, für die das Schächtgebot nicht gilt. Der Verzicht auf das Nahrungsmittel Fleisch stellt wohl auch keine unzumutbare Beschränkung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten dar. Sieht man das dennoch als einen nicht hinnehmbaren zu weitgehenden Verzicht an, so kann noch auf die Möglichkeit Importfleisch zu beziehen verwiesen werden. Bestehen mehrere aus religiöser Sicht gleichwertige Lösungsmöglichkeiten sollte zudem diejenige gewählt werden, die mit der verfassungsgemäßen Ordnung am ehesten kompatibel ist. Gem. §§ 1, 4a I TierSchG ist das Töten ohne Betäubung in Deutschland grundsätzlich verboten. Trotz der grundsätzlichen Entwicklungsoffenheit des Staates gegenüber religiösen Vorschriften ist zu fragen, ob nicht auch eine gewisse Rücksichtnahme auf bestehende staatliche Vorschriften genommen werden kann, zumindest solange diese nicht ein Verhalten abfordern, das mit Glaubensgeboten schlechthin unvereinbar ist. Insofern ist nochmals darauf zurückzukommen, dass die Religionsgemeinschaft R ihren Mitgliedern laut Gutachten kein zwingendes Gebot vorschreibt, nur geschächtetes Fleisch zu essen. Besteht hingegen ein Zwang aus religiöser Sicht ist die gesetzliche Lage gem. § 4a II Nr.2 TierSchG wohl eindeutig, wenn auch fragwürdig auf Seiten der Religionsfreiheit.

Im Ergebnis ist die Verweigerung der Genehmigung hier gerechtfertigt.

2. Grundrecht aus Art. 3 I GG

Weiterhin könnte eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 3 I GG vorliegen.

a) Ungleichbehandlung durch die Verweigerung der Ausnahmegenehmigung
aa) Ungleichbehandlung

Zunächst müsste eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vorliegen. Eine Ungleichbehandlung, die einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedarf, ist gegeben, wenn eine Person in einer bestimmten Weise, durch Eingriff rechtlich anders als eine andere Person behandelt wird und diese unter einen gemeinsamen Oberbegriff gefasst werden können. T betreibt eine Metzgerei, in der er geschächtetes Fleisch zum Verkauf anbietet. Die Ausnahmegenehmigung die das Tierschutzgesetz für Schächtungen vorschreibt wird gewährt, wenn es Gläubigen zwingend vorgeschrieben ist nur diese Art von Fleisch zu essen. Nun wurde T die Genehmigung zum ersten Mal seit Jahren verweigert. Inhabern anderer Metzgereien wurde die Ausnahmegenehmigung jedoch erteilt. Demzufolge wurde wesentlich Gleiches ungleich behandelt.

bb) Sachlicher Differenzierungsgrund

Die Ungleichbehandlung könnte aber dadurch gerechtfertigt sein, dass der Verkauf an Mitglieder der Gemeinschaft G notwendig ist, da deren religiöse Vorschriften zwingend vorschreiben ausschließlich geschächtetes Fleisch zu essen. Wohingegen die Mitglieder der R nicht durch Glaubensvorschriften gezwungen sind nur diese Art von Fleisch zu verzehren. Wie oben bereits erläutert können Ausnahmegenehmigungen nur gerechtfertigt werden, wenn Religionsgemeinschaften durch ihren Glauben gezwungen sind geschächtetes Fleisch zu verzehren. Ist dies nicht der Fall, wie bei der R, so besteht ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung.

cc) Verhältnismäßigkeit

Da die Ungleichbehandlung hier auf einem personenbezogenen Grund beruht, müsste der Eingriff auch verhältnismäßig sein.

(a) Erlaubter Zweck

Mit der vorgenommenen Ungleichbehandlung soll dem unterschiedlichen Glaubensverständnis der Religionsgemeinschaften R und G Rechnung getragen werden. Schreiben zwingende Glaubensvorschriften die Einhaltung eines bestimmten Ritus vor, wie hier den Verzehr ausschließlich geschächteten Fleisches, so muss dies im Rahmen der Gesetze Berücksichtigung finden. Zudem soll die in der Verfassung verankerte Staatszielbestimmung des Tierschutzes in größtmöglichem Maße verwirklicht werden.

(b) Geeignetheit

Die Verweigerung eine Ausnahmegenehmigung an Metzger zu erteilen, die an Glaubensgemeinschaften verkaufen, für die der Verzehr geschächteten Fleisches nicht zwingend ist, dient der Verfolgung der oben genannten Ziele.

(c) Erforderlichkeit

Der Eingriff müsste ferner das mildeste von mehreren gleich geeigneten Mitteln sein. Fraglich ist, ob die Ungleichbehandlung der beiden Metzger nicht durch ein milderes Mittel als das gänzliche Schächtverbot hätte verwirklicht werden können. Allerdings muss auch hier wieder berücksichtigt werden, dass der Hauptgrund für die Ungleichbehandlung der Tierschutz ist. Zwar kann sich jeder Metzger auf seine Religionsfreiheit aus Art. 4 I GG berufen, jedoch müssen die tierschutzrechtlichen Aspekte stets einschränkend Beachtung finden. Da nur eine der Religionsgemeinschaften ohne geschächtetes Fleisch auskommen kann, muss der zuliefernde Metzger T eine Einschränkung seiner Religionsfreiheit zugunsten des Tierschutzes hinnehmen. Das Verbot war damit auch erforderlich.

 (d) Angemessenheit

Weitere Voraussetzung ist, dass das Verbot angemessen ist. Im Rahmen der Ungleichbehandlung steht das Grundrecht auf Religionsfreiheit des T aus Art. 4 I, II GG dem Grundrecht auf Religionsfreiheit derjenigen Metzger gegenüber, die eine Ausnahmegenehmigung erhielten. Beide Grundrechte müssen zu größtmöglicher Entfaltung gebracht werden. Eine Einschränkung des Grundrechts des T ergibt sich aber wieder aus oben dargestellter Erwägung, die auf die unterschiedlichen Glaubensinhalte und deren Verbindlichkeit für die Mitglieder abstellt. Gestützt wird diese Differenzierung durch die Vorschriften des Tierschutzes, die Genehmigungen für das Schächten nur in besonderen Ausnahmefällen zulassen. Damit fällt auch die Abwägung des Art. 20a GG mit der Religionsfreiheit des T zugunsten des Tierschutzes aus. Das Verbot ist deshalb angemessen.

dd) Ergebnis

Eine Ungleichbehandlung der Metzger ist aus diesen Gründen verhältnismäßig. Ein Verstoß gegen Art. 3 GG liegt nicht vor.

b) Ungleichbehandlung durch die Reglementierung der Schächtung als Schlachtmethode
aa) Ungleichbehandlung

Eine Ungleichbehandlung könnte auch darin gesehen werden, dass die Schächtung verboten ist, herkömmliche Schlachtmethoden mit Betäubung aber nicht. Damit werden die Tötungsarten ungleich behandelt.

bb) Rechtfertigung

Die Ungleichbehandlung müsste wiederum durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Das Maß der Qualen für ein Tier bei der Tötung ist ein sachlicher Unterscheidungsgrund. Zwar sind Tiere, mit und ohne Betäubung bestimmten Strapazen ausgesetzt, die Schächtung ist aber im Vergleich zur Tötung mit Betäubung mit erheblich höheren Qualen verbunden. Die Unterscheidung ist somit sachlich gerechtfertigt.

cc) Verhältnismäßigkeit

Fraglich ist, ob der Eingriff auch verhältnismäßig sein muss. Im Gegensatz zur Ungleichbehandlung in Bezug auf die Metzger liegt hier ein sachbezogener Differenzierungsgrund vor. Eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist deshalb nicht notwendig.

c) Ergebnis

Somit ist in keiner Hinsicht eine Verletzung des Gleichheitssatzes anzunehmen.

3. Grundrecht aus Art. 2 I GG

In beruflicher Hinsicht wird T durch Art. 2 I GG geschützt, da eine Berufung auf das Deutschengrundrecht aus Art. 12 I GG wie oben aufgezeigt versagt ist. Es könnte ein Verletzung der  allgemeinen Handlungsfreiheit des T  vorliegen.

Fraglich ist zunächst, ob der Schutzbereich eröffnet ist und ob ein Eingriff vorliegt.

a) Eingriff in den Schutzbereich

Von einem Eingriff in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit ist auszugehen, da T seinen Beruf nicht in gleicher Weise ausüben kann wie zuvor.

b) Rechtfertigung

Wie oben erklärt, ist § 4a II Nr. 2 TierSchG geeignete Ermächtigungsgrundlage. Die Vorschrift genügt auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Fraglich ist ob der Eingriff verhältnismäßig war.

aa) Legitimes Ziel

Der Eingriff verfolgt das Ziel die Tierschutzbestimmungen zu wahren.

bb) Geeignetheit

Die Verweigerung der Genehmigung ist auch geeignet dieses Ziel durchzusetzen.

cc) Erforderlichkeit

Fraglich ist, ob es ein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt. Die Behörde könnte dem T möglicherweise eine Auflage erteilen, das geschächtete Fleisch ausschließlich an Glaubensgemeinschaften zu verkaufen, für die die Schächtung zwingendes Glaubensgebot ist. Allerdings kann das im Sinne des Tierschutzes keine Alternative sein, da die Schächtung von Tieren grausam und damit unvertretbar ist. Damit existiert kein milderes, gleich geeignetes Mittel.

dd) Angemessenheit

Das Verbot müsste auch angemessen sein. Abzuwägen ist die Staatszielbestimmung des Tierschutzes aus Art. 20a mit dem Grundrecht des T auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG. Entscheidend ist, dass T seine Tätigkeit als Metzger weiterhin fortsetzen kann, da er neben dem geschächteten Fleisch auch noch Fleischprodukte verkauft, die durch herkömmliche Schlachtmethoden gewonnen werden. Damit ist er nicht in seiner Existenz als Metzger gefährdet, kann seinen Beruf also ungehindert weiter ausüben. Deshalb überwiegt in diesem Fall Art. 20a GG gegenüber der allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG. Die Einschränkung der Berufsausübung ist damit aus Gründen des Tierschutzes gerechtfertigt.

T hat die Ausnahmegenehmigungen jedoch bisher immer erhalten. Daraus könnte ein schutzwürdiges Vertrauen erwachsen sein. Die Genehmigung muss aber jedes Jahr erneut erteilt werden. Daraus ergibt sich, dass jeder Einzelfall immer wieder neu überprüft und entschieden wird. Jeder Antragsteller muss damit rechnen, dass die Erteilung der Genehmigung verweigert werden kann. Ein Vertrauen auf die fortlaufende Genehmigung kann daher ausgeschlossen werden. Ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des T ist daher ausgeschlossen.

4. Gesamtergebnis

Im Ergebnis ist T in keinem seiner Grundrechte verletzt. Die Verfassungsbeschwerde des T ist damit unbegründet.

C. Anmerkungen

Zur Ergänzung siehe auch den Klausurfall Schulgebet und den Beitrag über Praktische Konkordanz sowie Prüfungsschema zu Art. 14 I 1 GG, „Klausur zur Berufsfreiheit„,  „Caroline vonMonaco I

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Verfassungsbeschwerde Art. 4 GG – Prüfung auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur hinkender Austauschvertrag

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A. Sachverhalt

A ist Eigentümer eines Grundstücks im Gebiet der kreisfreien Stadt K. Er plant, auf diesem Grundstück ein kleines Kurhotel zu bauen. Das Grundstück des A liegt in unmittelbarer Nähe zu einem städtischen Park, in dem von der Stadt für jedermann frei zugängliche Anlagen zur Salzgewinnung (Salzsalinen) betrieben werden. A plant, mit der Nähe des Hotels zu diesen Salinen zu werben und erwartet, dass dies ein starker Anreiz für seine späteren Gäste sein wird, sein Hotel zu besuchen.

Unter Einreichung der entsprechenden Planungsunterlagen beantragt A bei dem Bauamt der Stadt K eine Baugenehmigung für sein Vorhaben. Obwohl das Bauvorhaben des A sämtliche Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt, teilt das Bauamt dem A mit, es werde die Baugenehmigung nur dann erteilen, wenn der A 15.000.- Euro an die Stadt K zur Sanierung der im Stadtpark gelegenen Salinen zahle. Dies begründet die Stadt damit, dass eine Sanierung der Salinen dringend erforderlich sei und es der Stadt selbst an Geld hierfür fehle. Da der A aufgrund seines Vorhabens ein besonderes Interesse an dem Betrieb der Salinen habe, sei es gerechtfertigt, dass er die ansonsten nicht aufzubringenden Sanierungskosten zahle.

A geht wegen der Bedeutung der Salinen für sein Vorhaben auf das Verlagen der Stadt ein, obwohl er sich wundert, dass er für seine Baugenehmigung bezahlen muss. Er unterzeichnet eine mit „Öffentlich-rechtlicher-Vertrag“ überschriebene schriftliche Vereinbarung mit der Stadt, die folgenden Inhalt hat:

  1. A zahlt, als Ausgleich der für ihn durch den Betrieb der im Stadtpark gelegenen Salinen entstehenden Vorteile, einen Betrag in Höhe von 15.000.- Euro an die Stadt K
  2. Die Stadt K verwendet diesen Betrag für die erforderliche Sanierung der Salinen.

Nachdem A die 15.000.- Euro an die Stadt K gezahlt hat, erteilt diese die beantragte Baugenehmigung und saniert die Salinen. Etwa sechs Monate später erzählt A diese Geschichte seinem Freund R, einem Rechtsanwalt. Dieser rät ihm dringend, das Geld zurückzuverlangen, da der Vertrag null und nichtig sei. Die Stadt habe diese „Zwangsspende“ nicht fordern dürfen.

A erhebt daraufhin Klage gegen die Stadt K auf Rückzahlung der 15.000.- Euro beim zuständigen Verwaltungsgericht. Die Beklagte ist gegenüber der Klage der Auffassung, dass ein solches Begehr jedenfalls nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben vereinbar sei. Außerdem habe sie das Geld bereits für die Sanierung der Salinen verwandt, welche sie aufgrund knapper Kassen ohne die Zahlung des A nicht vorgenommen hätte.

Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg ?

Bearbeitervermerk: Sollten Sie die Zulässigkeit der Klage verneinen, ist die Begründetheit in einem Hilfsgutachten zu erörtern.

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs § 40 I S.1 VwGO

Voraussetzung ist zunächst, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Dazu müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegen. A verlangt von der Stadt K Rückzahlung der 15.000.- Euro. Diese beruft sich hingegen auf die mit A geschlossene Vereinbarung als Rechtsgrund für das Behaltendürfen. Der Rückzahlungsanspruch könnte sich aus § 812 I S.1, 1.Alt. BGB ergeben, womit der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet wäre. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten wäre eröffnet, wenn der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch die Grundlage für die Rückzahlung bilden würde. Dies ist der Fall, wenn das dem Erstattungsanspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis dem öffentlichen Recht zuzuordnen wäre. Damit eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt, müsste es sich bei der Vereinbarung deshalb um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i. S. d. §§ 54 ff. BayVwVfG handeln. Die Abgrenzung könnte anhand der Subordinationstheorie erfolgen. Auf der Basis vertraglicher Vereinbarungen besteht allerdings ein Gleichordnungsverhältnis, sodass nicht eindeutig von einer übergeordneten Position der Stadt gesprochen werden kann. Öffentliches Recht liegt aber immer dann vor, wenn die streitentscheidenden Vorschriften auf die Disziplinierung und Steuerung von Staatsgewalt gerichtet sind. Maßgeblich für die Abgrenzung des öffentlich-rechtlichen vom privatrechtlichen Vertrag ist damit der Gegenstand des Vertrages. A zahlt 15.000.- Euro an die Stadt, um im Gegenzug die Baugenehmigung für sein Vorhaben zu erhalten. Aus der vertraglichen Vereinbarung könnte aber auch geschlossen werden, dass es sich um eine privatrechtliche Einigung bezüglich der Nutzungsvorteile aus den Salinen handelt, deren Sanierung von A finanziert wird. In solchen Fällen sind der Zweck und der Gesamtcharakter des Vertrages entscheidend. A hat die Stadt aufgesucht, um eine Baugenehmigung zu erhalten. Da die Stadt aber nicht bereit war diese ohne Weiteres zu erteilen, kam es erst zu den Verhandlungen bezüglich der Finanzierung der Salinen. Die Baugenehmigung wurde aber weder ausdrücklich im Vertrag geregelt noch in irgendeiner Weise erwähnt. Nichtsdestotrotz ist die Baugenehmigung Geschäftsgrundlage der Vereinbarung. Diese ist dem öffentlichen Recht zuzuordnen, weil sich die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung primär aus den Vorschriften der BayBO und dem BauGB ergibt. Sieht man die Baugenehmigung nun aber nicht als Vertragsbestandteil, kann darauf abgestellt werden, dass auch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen nach den Vorschriften des BauGB geregelt werden, §§ 136 ff. BauGB. So regelt § 154 BauGB, dass Eigentümer im Sanierungsgebiet einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten haben, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwertes seines Grundstückes entspricht. Das Grundstück des A liegt hier zwar nicht im Sanierungsgebiet, jedoch kommen ihm die Vorteile der Sanierung zugute. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift kann damit nicht ausgeschlossen werden. Somit sind Vorschriften der BayBO und des BauGB streitentscheidend, sodass die Streitigkeit dem öffentlichen Recht zugeordnet werden muss. Dem Gesamtcharakter nach handelt es sich folglich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Damit ist das dem Erstattungsanspruch zugrunde liegende Rechtsverhältnis als öffentlich-rechtlich einzuordnen, womit der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch die Grundlage für das Rückforderungsbegehren des A bildet und es sich somit um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt.

Da die übrigen Voraussetzungen des § 40 I VwGO hier unproblematisch sind, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

II. Zulässigkeit der Klage des A

1. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich in erster Linie nach dem klägerischen Begehr gem. § 88 VwGO. A begehrt die Rückzahlung der von ihm an die Stadt K gezahlten 15.000.- Euro. Die Rückzahlung ist ein schlichtes Verwaltungshandeln ohne Regelungswirkung, sodass der Erlass eines VA ausscheidet. Statthaft ist somit die allgemeine Leistungsklage, die gesetzlich nicht gesondert geregelt wurde, aber in zahlreichen Vorschriften vorausgesetzt wird, so z. B. in § 43 II, 111, 113 IV, 156 VwGO.

2. Klagebefugnis

Um Popularklagen auszuschließen müsste A gem. § 42 II VwGO analog klagebefugt sein. Dazu müsste er geltend machen in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt zu sein oder einen möglichen Anspruch auf die begehrte Handlung zu haben. Hier könnte A einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch haben. Eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung aufgrund nichtigen Vertrages ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. A ist damit klagebefugt.

3. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt 1 VwGO beteiligten-, und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Beteiligtenfähigkeit der Stadt K ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Sie wird gem. Art. 38 I BayGO von ihrem Oberbürgermeister vertreten und ist damit gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

III. Begründetheit

Die Klage des A ist begründet, wenn er einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Rückzahlung des Geldbetrages in Höhe von 15.000.- Euro gegen die Stadt K hat. Dann müsste die Zahlung Folge einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung sein. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn der geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag unwirksam ist.

1. Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages

Eine Unwirksamkeit ergibt sich, wenn der Vertrag nicht wirksam zustandekommen, insgesamt nichtig oder hinsichtlich der streitigen Verpflichtung unverbindlich ist.

a) Wirksames Zustandekommen

Am wirksamen Vertragsschluss gem. § 62 S.2 BayVwVfG i.V.m. §§ 145 ff. BGB bestehen hier keine Zweifel. Sowohl die Stadt K als auch A haben durch übereinstimmende Willenserklärungen die Vereinbarung abgeschlossen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass A die Zahlung als Zwangsspende empfindet. Die Stadt hat A weder über den Sachverhalt getäuscht, noch eine Drohung ausgesprochen, sodass insofern nicht von Zwangsausübung gesprochen werden kann. A hat den Vertrag freiwillig und bewusst unterschrieben. Auch die Tatsache, dass die Stadt bei Nichtunterschreiben die Erteilung der Baugenehmigung versagt hätte, ändert an der Freiwilligkeit der Unterschrift nichts. Das Einsetzen dieses Druckmittels ist vielmehr eine Frage der Wirksamkeit, die im Folgenden noch zu diskutieren sein wird.

Im Übrigen sind auch die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen gem. §§ 57 ff. BayVwVfG eingehalten. Insbesondere wurde die von § 57 BayVwVfG geforderte Schriftform gewahrt. Die Zuständigkeit der Behörde für die Erteilung der Baugenehmigung ergibt sich aus Art. 53 I, 54 I BayBO, Art. 37 I 1 BayLKrO, Art. 9 I BayGO. Auch ist die Sanierung der Salinen Gemeindeaufgabe gem. Art. 140 BauGB. Insofern war sie auch zuständig für den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages, der dies zum Gegenstand hat.

b) Wirksamkeit des Vertrages

Nach § 54 I BayVwVfG darf die Behörde grundsätzlich durch öffentlich-rechtlichen Vertrag handeln, soweit nicht Rechtsvorschriften entgegenstehen. Damit bedarf es keiner besonderen Ermächtigungsgrundlage für das Vertragshandeln der Verwaltung. Fraglich ist, ob baurechtliche Genehmigungen durch Vertrag ausgesprochen werden können. Die baurechtlichen Gesetze sind jedoch auf VAs zugeschnitten. Eine Zulässigkeit ergibt sich nur dann, wenn die verwaltungsaktbezogenen Regelungen auch bei vertraglichem Handeln berücksichtigt werden. So bestimmt § 54 II BayVwVfG ausdrücklich, dass gerade auch anstatt eines VAs ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen werden kann, was vorliegend auf die Baugenehmigung zutreffen würde. Vereinbarungen über Finanzierungen einzelner Projekte der Stadt können zweifelsfrei durch Vertrag geregelt werden.

Grundsätzlich liegt es im Wesen eines Vertrages, dass dessen Inhalt von den Parteien ausgehandelt wird. Insoweit kann sich hier nicht jede Einzelheit aus dem Gesetz ergeben. Das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes aus Art. 20 III GG kann in diesem Bereich damit nicht gelten. Der öffentlich-rechtliche Vertrag darf aber dennoch nicht gegen geltendes Recht verstoßen, der Vorrang des Gesetzes gilt deshalb uneingeschränkt.

Zu prüfen sind insbesondere die §§ 55 ff. BayVwVfG sowie Vorschriften des einschlägigen besonderen Verwaltungsrechts. In Betracht kommt ein Verstoß gegen § 56 BayVwVfG, welcher für den sog. Austauschvertrag besondere Rechtmäßigkeitsanforderungen stellt. Ein solcher Austauschvertrag liegt vor, wenn sich der Bürger im Hinblick auf eine Leistung der Verwaltung zu einer Gegenleistung verpflichtet. A ging die Zahlungsverpflichtung ein, um die Baugenehmigung für sein Bauvorhaben zu erhalten. Insoweit liegt ein Austauschverhältnis vor, was den Verhandlungen im Vorfeld des Vertragsschlusses entnommen werden kann. Im Vertrag selbst ist von der Baugenehmigung aber nicht mehr die Rede. In Nr. 1 des Vertrages verpflichtet sich A zur Zahlung von 15.000.- Euro, und zwar nicht um im Gegenzug die Baugenehmigung zu erhalten, sondern dem Wortlaut des Vertrages zufolge für die Vorteile, die ihm durch den Betrieb der Salinen entstehen. In Nr. 2 verpflichtet sich die Stadt diesen Betrag auch zur Sanierung dieser Salinen zu verwenden. Das was im Voraus besprochen wurde, wurde also nicht Vertragsinhalt. Fraglich ist, wie dieses Problem zu behandeln ist. Man spricht insofern von einem „hinkenden“ Austauschverhältnis. Als hinkende Austauschverträge werden solche Verträge bezeichnet, bei denen kein in sich geschlossenes Austauschverhältnis im Sinne eines Gegenseitigkeitsverhältnisses von Leistung und Gegenleistung vereinbart wurde, die Leistung der Gemeinde, d. h. die Erteilung der Baugenehmigung von den Vertragspartnern jedoch als Leistung angesprochen oder vorausgesetzt ist, ohne dass insofern ein Rechtsanspruch des Bürgers begründet wird. Selbst wenn im Rahmen der Vertragsgestaltung keine ausdrückliche Leistungspflicht der Gemeinde zur Erteilung der Genehmigung begründet ist, wird diese doch als Geschäftsgrundlage oder Bedingung der Vereinbarung vorausgesetzt. Denn A wird die Kosten letztlich nur übernehmen, wenn er im Anschluss sein Bauprojekt verwirklichen kann. Andernfalls könnte er auch die von der Gemeinde versprochenen Vorteile nicht nutzen.

Fraglich ist aber die Anwendbarkeit des § 56 BayVwVfG auf den hinkenden Austauschvertrag. Man könnte eine analoge Anwendung befürworten, wenn die Gegenleistung als Grundlage vorausgesetzt, aber nicht ausdrücklich in den Vertragstext übernommen wurde. Der in § 56 I 2 Alt 1 BayVwVfG normierte Angemessenheitsgrundsatz und das in § 56 I 2 Alt. 2 BayVwVfG normierte Erfordernis des sachlichen Zusammenhangs dient dem rechtsstaatlich gebotenen Schutz des Bürgers vor Beeinträchtigungen seiner Rechtsposition durch eigene Leistungsversprechen, zu denen er sich genötigt sieht, um von der Behörde bestimmte Gegenleistungen zu erhalten. Für diese Kriterien macht es keinen Unterschied, ob der Bürger nun einen einklagbaren Anspruch hat oder ob die Gegenleistung der Behörde als Geschäftsgrundlage vorausgesetzt wurde. In beiden Fällen lässt sich der Bürger auf eine Verpflichtung ein um etwas von der Behörde zu bekommen. In beiden Fällen besteht damit die Gefahr eines Machtmissbrauchs durch die Gemeinde, weil sie die Erteilung der Baugenehmigung von der Übernahme vertraglicher Verpflichtungen durch den Bürger abhängig machen könnte. Damit sind die Erfordernisse des Sachzusammenhangs und der Angemessenheit aufgrund vergleichbarer Interessenlage und Regelungslücke auch auf nicht einklagbare, aber als Geschäftsgrundlage vorausgesetzte Verpflichtungen anzuwenden.

Weitere Voraussetzung ist, dass es sich um einen subordinationsrechtlichen Vertrag gem. § 54 S.2 BayVwVfG handelt. Dies sind Verträge, denen ein Über- und Unterordnungsverhältnis zugrunde liegt. Davon zu unterscheiden sind koordinationsrechtliche Verträge, bei denen die Parteien in einem gleichrangigen Verhältnis stehen. Darunter fallen beispielsweise Verträge zwischen Gemeinden, Landkreisen oder Universitäten. Die Unterscheidung dieser beiden Vertragstypen ist deshalb wichtig, weil viele Vorschriften, wie §§ 55, 56, 59 II und 61 BayVwVfG auf § 54 S. 2 BayVwVfG Bezug nehmen und damit nur für subordinationsrechtliche Verträge gelten. Im vorliegenden Fall spricht die Planungshoheit der Gemeinde bzgl. der Erteilung von Baugenehmigungen für einen solchen subordinationsrechtlichen Vertrag. Das präventive Bauverbot kann nur durch die Erteilung einer Baugenehmigung beseitigt werden. Damit ist der Bauherr auf das Tätigwerden der Behörde angewiesen. In einzelnen Fällen kann sich dieses Machtgefälle umkehren, wenn ein finanzkräftiger Investor der Gemeinde ein Projekt vorschlägt, das sie aufgrund leerer Haushaltskassen nicht selbst realisieren kann und sie somit auf die Investitionen angewiesen ist. In der Regel besteht jedoch das Machtgefälle zugunsten der Gemeinde. Zwar investiert A 15.000.- Euro, deshalb ist er aber noch lange nicht in der Lage Druck auf die Gemeinde auszuüben. Er handelt vielmehr im Glauben andernfalls keine Baugenehmigung zu erhalten. Der vorliegenden Vertragsgestaltung ist damit der subordinationsrechtliche Charakter immanent.

Inhaltlich rechtmäßig ist ein subordinationsrechtlicher Austauschvertrag aber nur, wenn die Gegenleistung des Bürgers im Vertrag ausdrücklich für einen konkret bestimmten Zweck vereinbart wird und der Behörde zur Erfüllung ihrer öffentliche Aufgaben dient (§ 56 I 1 BayVwVfG). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, denn die Zahlung des A dient laut Vereinbarung der Sanierung der Salinen und gleichzeitig stellt die Sanierung auch eine öffentliche Aufgabe dar.

Darüber hinaus muss die Gegenleistung aber auch angemessen sein und im sachlichen Zusammenhang mit der Leistung der Behörde stehen. Problematisch ist hier der sachliche Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Das Koppelungsverbot soll verhindern, dass hoheitliche Rechte ohne Weiteres verkauft werden können. Bei Geldleistungen ist ein sachlicher Zusammenhang immer dann gegeben, wenn die Zahlung eine Art Aufwendungsersatz für die Ausgaben der Gemeinde ist, die ihr im Zusammenhang mit der Leistung an den Bürger entstehen. Hier soll die Zahlung zur Sanierung der Salinen verwendet werden. A ist an den Vorteilen, die die Salinen für sein Bauvorhaben bringen, interessiert. Soweit stünde die Zahlung schon in Zusammenhang mit der Leistung der Gemeinde. Im Hinblick auf die Erteilung der Baugenehmigung besteht jedoch überhaupt kein sachlicher Zusammenhang. Die Genehmigung kann ohne weiteres erteilt werden. Eine darüberhinausgehende Zahlung dient nicht der Umsetzung oder Ermöglichung des Bauvorhabens. Damit liegt ein Verstoß gegen § 56 I 2 BayVwVfG vor. Somit wäre der Vertrag gem. § 58 II Nr. 4 bayVwVfG nichtig.

-Hilfsgutachten: Annahme sachlicher Zusammenhang und Angemessenheit liegen vor-

Es könnte aber ein Verstoß gegen § 56 II BayVwVfG vorliegen. Die Gegenleistung könnte unzulässig sein, wenn auf sie ein gebundener Anspruch bestünde. Gem. Art. 68 I BayBO ist die Gemeinde verpflichtet die beantragte Baugenehmigung zu erteilen, falls die einschlägigen Voraussetzungen vorliegen. Ihr steht insofern kein Ermessensspielraum zu. Eine solche Gegenleistung kann also nur vereinbart werden, wenn sie bei Erlass eines VA Inhalt einer Nebenbestimmung i. S. d. § 36 BayVwVfG sein könnte. Nebenbestimmungen können erlassen werden wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen sollen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des VA erfüllt werden. Die Verpflichtung einen bestimmten Geldbetrag zur Finanzierung eines von der Baugenehmigung unabhängigen Projekts zu zahlen kann nicht Inhalt einer Nebenbestimmung sein. Eine einschlägige Rechtsvorschrift existiert nicht. Auch kann kein Zusammenhang zur Baugenehmigung festgestellt werden, der eine derartige Nebenbestimmung rechtfertigen könnte. Wie schon erwähnt kann gem. § 140 BauGB von Grundstückseigentümern ein Geldbetrag für die ihnen durch Sanierungsmaßnahmen entstehenden Vorteile verlangt werden. Dieser Fall ist aber nicht mit dem vorliegenden vergleichbar, da das Grundstück nicht im Sanierungsgebiet liegt. Es kann zwar vertraglich vereinbart werden, dass A einen Geldbetrag für die Vorteile der Sanierung zahlt, jedoch kann dies nicht von der Erteilung einer Baugenehmigung abhängig gemacht werden. Es handelt sich hier auch nicht um einen von der Gemeinde zu gewährenden Dispens i. S. d. § 31 II BauGB, bei dem aufgrund des bestehenden Ermessens andere Kriterien erwogen werden müssten, da das Vorhaben vollumfänglich mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften übereinstimmt. Damit liegt ein Verstoß gegen § 56 II BayVwVfG vor, was zur Nichtigkeit des gesamten Vertrages nach § 59 II Nr. 4 BayVwVfG führt.

Im Ergebnis ist der öffentlich-rechtliche Vertrag damit unwirksam, woraus sich ein Anspruch des A auf Rückzahlung des Geldbetrages ergibt.

c.) Wegfall der Bereicherung

Problematisch ist, dass die Gemeinde das Geld bereits für die Sanierungsmaßnahmen ausgegeben hat, was sie aber aufgrund knapper Kassen ohne die Zahlung des A nicht getan hätte. Fraglich ist also, ob sie insofern entreichert ist. Der Wegfall der Bereicherung richtet sich im öffentlichen Recht nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen und damit nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Damit ist eine Orientierung am Rechtsgedanken des § 48 II BayVwVfG möglich. Diese Vorschrift schützt aber ausdrücklich nur das Vertrauen des Bürgers. Allerdings wäre es sinnwidrig würde man auch dem Staat Vertrauensschutz zubilligen. Es verbleibt hier beim Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Auch eine Berufung der Stadt auf den Grundsatz von Treu und Glauben kann aus oben genannten Gründen nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Schließlich wusste die Stadt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass ihr Vorgehen wohl den gesetzlichen Rahmen verlässt. Eine Schutzwürdigkeit ist nicht ersichtlich. Letztlich kann sich die Stadt K nicht auf Entreicherung berufen, sie muss gesetzestreu zurückzahlen.

Die Klage des A ist begründet. Er hat Anspruch auf Rückzahlung der 15.000.- Euro.

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