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Klausur Austauschvertrag nach § 56 VwVfG

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Grundstück im Grünen

A. Sachverhalt

Eine Anstalt des öffentlichen Rechts erwirbt von der Stadt S aus Anlass der Verlagerung ihres Verwaltungsgebäudes aus dem Stadtzentrum ein Grundstück durch notariell beurkundeten Kaufvertrag aus dem Jahre 2014. In diesem Kaufvertrag heißt es u.a.:

„Die Stadt verpflichtet sich, den örtlich vorhandenen Feldweg an der Westseite des Geländes der Anstalt nicht als Straße auszubauen und die an dieser Stelle im Bebauungsplan festgesetzte „öffentliche Grünfläche“ beizubehalten“.

Der Kaufvertrag war dem Liegenschaftsausschuss, dem Planungsausschuss und dem Rat der Stadt zur Kenntnis gebracht und von ihm gebilligt worden. Die der Westseite der Anstalt vorgelagerte Fläche war im Bebauungsplan der Stadt zur Zeit des Vertragsschlusses als öffentliche Grünfläche festgesetzt.

Nach Vertragsabschluss nahmen in der näheren und weiteren Umgebung der Anstalt Bebauung und Verkehr zu. Diese Entwicklung machte die Anlegung einer Straße notwendig, für die sich das Gelände zu der Westseite der Anstalt geradezu anbot, weil alle anderen Straßenzuführungen Wohngebiete unmittelbar berührten.

Der Rat der Stadt erwog Anfang 2016, den Bebauungsplan zu ändern und die bisher als öffentliche Grünfläche ausgewiesene Fläche als Verkehrsfläche festzusetzen. Der Rat beschloss, einen entsprechenden Bebauungsplan aufzustellen.

Daraufhin klagte die Anstalt, nach vergeblichen Versuchen bei der Stadt eine verbindliche Erklärung über die künftige Planung zu erhalten, vor dem zuständigen Verwaltungsgericht und begehrt unter Berufung auf den mit der Stadt abgeschlossenen Vertrag die Feststellung, die Stadt sei verpflichtet, im Rahmen ihrer Bauleitplanung die Grünfläche westlich ihres Gebäudes weiterhin als öffentliche Grünfläche auszuweisen.

Die Stadt macht geltend, bei dem Vertrag aus dem Jahre 2014 handele es sich um einen privatrechtlichen Vertrag, die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges sei nicht gegeben. Eine Gemeinde könne sich nicht dazu verpflichten, eine Rechtsnorm zu setzen oder nicht aufzuheben bzw. nicht zu ändern, zumal das Verfahren zur Aufstellung und Änderung eines Bebauungsplanes dadurch umgangen werde. Außerdem sei es ein nicht vertretbarer Eingriff in ihre Planungshoheit, wenn sie über Jahre trotz Änderung der Bebauung und der Verkehrsentwicklung vertraglich verpflichtet sei, einen bestimmten Bebauungsplan nicht zu ändern.

Die Stadt erbittet ein Gutachten über die Zulässigkeit und Begründetheit der Klage.

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Voraussetzung ist, dass der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gem. § 40 I S.1 VwGO eröffnet ist. Nach der Subordinationstheorie wäre das der Fall, wenn zwischen den Parteien ein Über-Unterordnungsverhältnis bestehen würde. Allerdings finden Vertragsverhandlungen auf der Ebene der Gleichordnung statt, sodass die Anwendung dieser Theorie im vertraglichen Bereich ausscheidet. Die Anstalt des öffentlichen Rechts beruft sich auf einen vertraglichen Anspruch. Zu prüfen ist demnach die Rechtsnatur der zwischen der Anstalt und der Stadt S getroffenen Vereinbarung. Es handelt sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag gem. § 54 S. 1 VwVfG, wenn der Gegenstand der Vereinbarung in der Begründung, Änderung oder Aufhebung eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses läge. Abzustellen ist auf den Zweck der Leistungsverpflichtung und auf den Gesamtcharakter des Vertrages. Die Anstalt schließt mit der Stadt einen Kaufvertrag über ein Grundstück. Kaufverträge werden aber auch zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts nach Vorschriften des Privatrechts geschlossen, namentlich nach den §§ 433 ff. BGB. Allerdings betrifft der Kaufvertrag nicht nur den An- bzw. Verkauf des Grundstücks, daneben wird eine Vereinbarung getroffen, in der sich die Stadt verpflichtet, den Feldweg nicht als Straße auszubauen und die öffentliche Grünfläche beizubehalten. Damit werden Regelungen getroffen, die dem Baurecht unterfallen. Bebauungsplan und bauliche Angelegenheiten werden von der BayBO und dem BauGB geregelt. Aufgrund der Verknüpfung mit dem Städtebaurecht handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag. Es liegt auch keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Anderweitige Rechtswegzuweisungen sind nicht ersichtlich.

II. Zulässigkeit

Die Klage müßte zulässig sein.

1. Statthafte Klageart

Die Anstalt begehrt die Feststellung, dass die Stadt verpflichtet ist die Grünfläche an der Westseite des Gebäudes weiterhin als öffentliche Grünfläche auszuweisen. Daher könnte eine Feststellungsklage nach § 43 I VwGO statthaft sein. Damit kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden. Die Anstalt möchte über die Wirksamkeit des Vertrages Gewissheit. Der öffentlich-rechtliche Vertrag ist ein Rechtsverhältnis und kann somit Gegenstand einer Feststellungsklage sein. Statthafte Klageart ist mithin die Feststellungsklage nach § 43 I VwGO.

2. Klagebefugnis

Die Anstalt müsste gem. § 42 II VwGO analog klagebefugt sein. Eine Klagebefugnis ergibt sich aus dem möglichen Anspruch aus dem zwischen ihr und der Stadt S geschlossenen Vertrag.

3.  Feststellungsinteresse

Ein Feststellungsinteresse ergibt sich aus der fortdauernden Beeinträchtigung, die die Anstalt aufgrund des Handelns der Stadt erleidet.

4. Rechtsschutzbedürfnis

Möglicherweise ist die Feststellungsklage gem. § 43 II VwGO subsidiär. Vorrangig muss der Kläger seine Ziele mit Gestaltungs- oder Leistungsklage geltend machen, so § 43 II VwGO. Unter Gestaltungsklage verstehen die Rspr. und Lit. übereinstimmend die Anfechtungsklage. Allerdings ist umstritten, ob unter Leistungsklage die Verpflichtungsklage und die allgemeine Leistungsklage zu verstehen sind oder nur die Verpflichtungsklage allein. Die Rechtsprechung wendet die Subsidiaritätsklausel nicht im Verhältnis Feststellungsklage zu allgemeiner Leistungsklage an. Vielmehr müsse § 43 II VwGO teleologisch auf Anfechtungs– und Verpflichtungsklagen reduziert werden. Weder bei Feststellungs-, noch bei allg. Leistungsklage sind Zulässigkeitsvoraussetzungen wie Frist und Vorverfahren einzuhalten, die eventuell umgangen werden könnten. Des Weiteren ist die Rechtsschutzintensität bei allg. Leistungs- und Feststellungsklage identisch, da aufgrund der Rechtsbindung der Verwaltung nach Art. 20 III GG davon ausgegangen werden kann, dass sich die Behörden an ein Feststellungsurteil halten und ein vollstreckbarer Titel damit entbehrlich ist.

Die Literatur hingegen sieht die Zulässigkeitsvoraussetzungen nur gesichert, wenn auch die allg. Leistungsklage von der Subsidiarität erfasst wird. Auch muss stets der rechtsschutzintensiveren Klage der Vorrang zukommen. Im Ergebnis liefert aber die Rechtsprechung die überzeugenderen Argumente, weshalb dem Kläger ein Wahlrecht zwischen allg. Leistungsklage und Feststellungsklage zukommt. Folglich ist hier die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Die Subsidiarität entfällt im Verhältnis zur allg. Leistungsklage.

III. Begründetheit

Die Klage der Anstalt wäre begründet, wenn der öffentlich-rechtliche Vertrag wirksam wäre und sie damit die Einhaltung der Vereinbarung verlangen könnte.

1. Passivlegitimation

Die Stadt S ist gm. § 78 I Nr.1 VwGO passivlegitimiert.

2. Wirksamkeit des Vertrages

Zu prüfen sind die Vorschriften der §§ 54 ff. VwVfG. Hier könnte es sich um einen Austauschvertrag nach § 56 handeln. Die Anstalt hat das Grundstück von der Stadt gekauft und hat im Gegenzug die Verpflichtung der Gemeinde erhalten die Grünfläche beizubehalten und den Feldweg zu belassen. Fraglich ist aber, ob sich die Gemeinde dazu überhaupt verpflichten kann. In Betracht kommt die Nichtigkeit des subordinationsrechtlichen Vertrages nach § 59 I VwVfG, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des BGB ergibt. Hier möglicherweise wegen eines Verstoßes gegen § 134 BGB.

Gem. § 1 III 2 BauGB kann ein Anspruch auf Aufstellung von Bauleitplänen nicht durch Vertrag begründet werden. Daraus kann gefolgert werden, dass Verträge, in denen sich Gemeinden zur Aufstellung, Änderung, Ergänzung oder Aufhebung von Bauleitplänen verpflichten, wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig sind, § 134 BGB. Dieses Verbot ergibt sich aber nicht aus § 1 III 2 BauGB selbst, sondern aus der Umgehung der für die Bauleitplanung maßgeblichen Verfahrensvorschriften, insbesondere des in § 1 VII BauGB enthaltenen Abwägungsgebotes.

Gegen eine verbindliche Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche und der Unabänderlichkeit des Feldweges spricht, dass eine Festsetzung von Verkehrsflächen an anderer Stelle im Plangebiet eine erneute Abwägung öffentlicher und privater Belange erfordern kann. So ist es auch vorliegend. In der näheren und weiteren Umgebung der Anstalt haben Bebauung und Verkehr zugenommen. Somit sind erneute Abwägungen vorzunehmen, die aber aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen erheblich eingeschränkt wären und sogar die erforderliche Überplanung privater Flächen unmöglich machen würden.

Insbesondere fehlt aber die Beteiligung der Öffentlichkeit, die nach § 3 BauGB zwingend erforderlich ist, sowie die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange nach § 4 BauGB, die ebenso umgangen würde. Die zwingende Öffentlichkeitsbeteiligung verlangt nicht zuletzt das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 I GG. Durch privatrechtliche Verträge würden die Verfahrensvorschriften des BauGB nachhaltig unterlaufen.

Problematisch ist die vertragliche Einigung auch im Hinblick auf die Planungshoheit der Gemeinde. Diese ist den Gemeinden verfassungsrechtlich garantiert. Sie zählt zur umfassenden Gemeindehoheit und bildet einen wichtigen Gewährleistungsbestandteil der kommunalen Selbstverwaltung. Die Gemeinden sind unter keinen Umständen berechtigt, die ihnen von Art. 28 II GG garantierten Hoheitsrechte, hier die Planungshoheit zu verkaufen. Auch wenn dies nur einzelne Teilbereiche des Bebauungsplanes betrifft, werden Hoheitsrechte teilweise aufgegeben. Verpflichten sich Gemeinden zu einem bauplanungsrechtlichen Tun oder Unterlassen sind diese Verträge nichtig. Dies führt gem. § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages, da der Grundstückserwerber den Vertrag mit der Gemeinde nur wegen der Verpflichtung zu einer bestimmten Bauleitplanung geschlossen hat.

Im Ergebnis ist der Vertrag zwischen der Anstalt und der Stadt nichtig. Die Klage der Anstalt damit unbegründet.

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Konkretisierung der Schickschuld

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Im Folgenden ein kurzer Fall zur Schickschuld sowie der Aufbau in der Lösung eines Falles.

Fall

Steuerberater A bestellt bei Weinhändler B 10 Flaschen Wein vom Typ „Riesling“ für seine Kanzlei. B bringt die Flaschen im Paket zu DHL. Das DHL-Fahrzeug baut aufgrund des Verschuldens des DHL-Fahrers einen Unfall. Dabei werden die Flaschen zerstört.

Frage 1: Hat B einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 200 Euro ?

Frage 2: Hat A einen Anspruch gegen B auf erneute Lieferung von 10 Flaschen „Riesling“ ?

Lösung

Frage 1:

B könnte einen Anspruch gegen A auf Zahlung von 200 Euro aus § 433 II BGB haben. Ein wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B ist zustande gekommen. Der Anspruch aus § 433 II BGB könnte nach § 326 I 1 BGB untergegangen sein. Dann müsste die Leistungserbringung nach § 275 I BGB unmöglich geworden sein. Dies hängt davon ab, ob eine Gattungsschuld oder eine Stückschuld Gegenstand der Leistungspflicht des Schuldners ist. Hier sind 10 Flaschen Wein, Typ „Riesling“ geschuldet. Es handelt sich um eine typenmäßig bestimmte Leistung und damit um eine Gattungsschuld. Damit würde eine Unmöglichkeit nur dann vorliegen, wenn sich die Pflicht des B auf die zerstörten 10 Flaschen bezog. Dazu müsste der B nach § 243 II BGB das seinerseits Erforderliche getan haben. Vorliegend handelt es sich um eine Schickschuld, da der B die Weinflaschen an den A versendet. Eine Bringschuld würde nur bei einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen A und B vorliegen. Bei einer Schickschuld hat der Schuldner das seinerseits Erforderliche getan, wenn er die geschuldete Sache einer Transportperson übergibt. B hat die 10 Flaschen bei DHL aufgegeben. Damit liegt eine Konkretisierung nach § 243 II BGB vor und die Pflicht des B bezog sich nur auf die Lieferung der 10 zerstörten Flaschen. Damit liegt eine Unmöglichkeit nach § 275 I BGB vor und der Kaufpreisanspruch des B gegen A ist nach § 326 I 1 BGB untergegangen.

Der Anspruch könnte nach § 447 BGB weiter bestehen bleiben. Ein Ausschluss des § 447 BGB aufgrund § 474 II BGB liegt nicht vor, da der A die Flaschen nicht als Verbraucher bestellt, sondern als Unternehmer im Sinne des § 14 BGB. Die Voraussetzungen des § 447 BGB liegen vor, da der B die Flaschen dem zur Versendung bestimmten Unternehmen DHL übergeben hat.

Damit geht die Preisgefahr, d.h. die Gefahr, den Kaufpreis trotz Unmöglichkeit der Leistung zahlen zu müssen, auf A über.

Jura-Individuell Tipp: Anders wäre es, wenn A Verbraucher i.S.d. § 13 BGB wäre. Die §§ 474-479 BGB ergänzen gem. § 474 II 1 BGB die allgemeinen kaufrechtlichen Regelungen (§§ 433-453 BGB) im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs nach § 474 I BGB. § 447 I BGB ist dann nur unter den sehr engen Voraussetzungen des § 474 IV BGB anwendbar, ansonsten gar nicht! Dies ergibt sich aus der Formulierung in Abs. IV („… nur…“). § 447 II BGB ist generell unanwendbar, § 474 V 2 BGB. Im Fall des § 474 I BGB geht die Gefahr also erst über, wenn der Verbraucher den Besitz der gekauften Sache erlangt ( § 446 S.1 BGB) oder in Annahmeverzug (§§ 293ff. BGB) gerät.

B hat weiterhin einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises nach §§ 433 II, 447 BGB.

Frage 2:

A könnte einen Anspruch gegen B auf erneute Lieferung von 10 Flaschen Riesling nach § 433 I 1 BGB haben. Wie die Prüfung oben gezeigt hat, ist dieser Anspruch nach § 275 I BGB untergegangen. Damit hat A keinen Anspruch mehr gegen B auf eine erneute Lieferung von 0 Flaschen Riesling.

Anmerkungen:

Zu dem Thema dieses Artikels und  auch zum Schuldrecht AT kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Zu dieser Problematik siehe auch: Gefahrübergang, Gefahrübergang bei Annahmeverzug, Holschuld, relatives und absolutes Fixgeschäft, Schuldrecht AT – Leistungsstörungen, beiderseitige Unmöglichkeit,

Zur Problematik Schuldrecht BT siehe: Vertretenmüssen bei Nacherfüllung, Nacherfüllung gemäß § 439 I BGB, Ansprüche Gewährleistungsrecht KaufvertragKlausur Mangelfolgeschaden und Weiterfresserschaden, Klausur Rücktritt vom Kaufvertrag, Artikel zum Weiterfresserschaden

Näheres zum gesamten Zivilrecht: Anspruchsgrundlagen im Zivilrecht

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Klausur Mietrecht

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Bearbeitungszeit: 5 Stunden

Themen: Mietrecht, Mängel der Mietsache, allgemeines Schuldrecht und Leistungsstörungsrecht

Sachverhalt

Matthias wohnt zur Miete bei Viktor in dessen Wohnung. Im Januar fällt ein Holzbalken von der Decke des Hauses herunter und trifft Matthias am Fuß, sodass dieser für 300€ Behandlungskosten aufwenden muss.

Der lockere Holzbalken war auf einen Konstruktionsfehler zurückzuführen, welcher schon bestand lange bevor Matthias bei Viktor eingezogen ist. Der Mietwert der Wohnung lag zur Zeit des Mangels bei 300€ statt 600€. Erzürnt über dieses Ereignis erklärt er Ende Januar gegenüber Viktor, dem er die Miete für Januar bereits überwiesen hatte, er mindere die – 600€ betragende – Februarmiete um hundert Prozent für den Fall, dass dies gesetzlich zulässig sei. Noch vor dem 01.02. hatte der fürsorgliche Viktor den Mangel bereits behoben.

Noch am selben Tag beschließt Matthias, sich von dem Schrecken zu erholen und Urlaub im Schwarzwald zu machen. Er entdeckt die Ferienwohnung des Dieter, welche die Wohnung Erholungsuchenden zu einem angemessenen Preis von 500€ pro Woche zur Verfügung stellt. Sogleich bucht er einen Aufenthalt wirksam bei Dieter. Bei Vertragsschluss erwähnte Matthias gegenüber Dieter, dass dies der einzig mögliche Zeitpunkt eines Urlaubs für ihn darstellt, da er in nächster Zeit beruflich besonders viel zu tun habe.
Als er zum vereinbarten Zeitpunkt zur Schlüsselübergabe im Schwarzwald erscheint, kann er Dieter nirgendwo finden. Aus Versehen hat Dieter in der Zeit selbst einen Urlaub in Thailand gebucht und den Termin mit Matthias verschwitzt. Als Matthias den Dieter weder auffindet noch irgendwie anders erreichen kann, sieht er eine Lösung für sein Problem. Ein Fenster der im Erdgeschoss gelegenen Wohnung ist leicht gekippt. Mit einem geschickten Handgriff öffnet Matthias das Fenster komplett, steigt in die Wohnung ein und verbringt dort seinen wohlverdienten Urlaub. Nachdem er abgereist ist erfährt Dieter, dass Matthias in der Wohnung gewohnt hat und verlangt die Miete von Matthias. Dieser weigert sich zu bezahlen, da schließlich Dieter den Termin verschwitzt habe und froh sein könne, dass es so glimpflich gelaufen sei.

Frage 1: Kann Viktor die Miete für Februar von Matthias verlangen?

Frage 2: Welche Ansprüche hat Dieter gegen Matthias wegen seines Aufenthaltes in der Wohnung im Schwarzwald?

Bearbeitervermerk: In einem Gutachten, welches – ggf. hilfsgutachterlich – auf alle aufgeworfenen Rechtsfragen eingeht sind die Fragen in der vorgegebenen Reihenfolge zu beantworten.

Lösung

Gutachten

Frage 1: Anspruch des Viktor (im Folgenden: V) gegen Matthias (im Folgenden: M) auf Zahlung der Februarmiete in Höhe von 600€.

A. V könnte gegen M einen Anspruch auf die Februarmiete in Höhe von 600€ aus Mietvertrag gemäß §535 II BGB haben. Dazu müsste der Anspruch entstanden (I.) nicht wieder erloschen (II.) und durchsetzbar (III.) sein.

I. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass zwischen M und V ein wirksamer Mietvertrag besteht, da M bei V „zur Miete wohnt“. Rechtshindernde Einwendungen sind nicht ersichtlich.

II. Der Anspruch dürfte nicht erloschen sein.

1. Die Monatsmiete für Februar wurde noch nicht beglichen, sodass §362 I BGB, sog. Erfüllung, nicht vorliegt.

2. In Betracht kommt die ipso iure eintretende Minderung gemäß §536 I 1 BGB. Dazu müsste die Mietsache von Anfang an mangelhaft i.S.v. §536 I BGB gewesen sein. Jedoch wurde der Mangel inzwischen behoben. Somit fehlt es an einem Mangel im Februar. Die Minderung nach §536 I 1 BGB scheidet aus.

3. Es könnte sein, dass der Anspruch gemäß §389 BGB durch Aufrechnung erloschen ist. Dazu bedarf es einer Aufrechnungslage (a)) und einer Aufrechnungserklärung (b)).

a) Fraglich ist, ob eine Aufrechnungslage besteht.

aa) Es müsste die Gegenseitigkeit vorliegen, §387 BGB.

(1) Die sog. Hauptforderung, also die Forderung des V, besteht (s.o.).

(2) Es müsste eine Gegenforderung bestehen.
In Betracht kommen ein Anspruch aus §812 I 1 BGB hinsichtlich der für Januar zu viel gezahlten Miete und ein Schadensersatzanspruch für die Behandlungskosten.

(a) Gemäß §536 I 1 BGB minderte sich die Miete für Januar um 300€. Damit erfolgte die Leistung dieser Miete rechtsgrundlos. Ein Anspruch gemäß §812 I 1 Alt 1 BGB besteht.

(b) Fraglich ist, ob ein Schadensersatzanspruch für die Behandlungskosten besteht. In Betracht kommt §536a I Var. 1 BGB, sog. Garantiehaftung.
Ein anfänglicher Mangel bestand in dem lockeren Balken. Ein Vertretenmüssen des V ist nach dem Wortlaut nicht erforderlich. Der Schaden bestimmt sich nach der Differenzhypothese des §249 I BGB. Vorliegend greift §249 II 1 BGB als Ausnahme zur Naturalrestitution.
Fraglich ist jedoch, ob unter diese verschuldensunabhängige Haftung auch die entstandenen Körperschäden fallen. Es ließe sich einwenden, dass die Weite des Tatbestandes auf der Rechtsfolgenseite (§§249 ff BGB) einschränkungsbedürftig ist.
Indes umfasst die Minderung nach §536 I 1 BGB wirtschaftlich betrachtet bereits den Mangelschaden. Daher geht §536a I Var. 1 BGB nur dann über §536 I 1 BGB hinaus, wenn dieser den Mangelfolgeschaden ebenfalls umfasst.
Ferner differenziert §536a I Var. 1 BGB dem Wortlaut nach nicht zwischen Mangel- und Mangelfolgeschäden. Etwaige Differenzierungen, die vormals auch nur im Werkvertragsrecht galten, wurden mit der Schuldrechtsreform aufgegeben.
Hinzu kommt, dass der Vermieter in der Lage ist mögliche Schäden zu versichern, oder die Haftung aus §536a I Var. 1 BGB auszuschließen.
Schließlich lässt sich für die Totalreparation generell anführen, dass dem Schadensersatzschuldner der Ausweg in die Restschuldbefreiung nach §286 InsO zusteht. Damit stellt der Ersatz von Mangelfolgeschäden keine unbillige Härte dar.
Damit fällt der vorliegende Mangelfolgeschaden unter §536a I Var. 1 BGB, sodass eine zweite Forderung in Höhe von 300€ besteht. Damit stehen M Gegenforderungen in Höhe von 600€ zu.

Zwischenergebnis: Gegenseitige Forderungen bestehen.

bb) Die Forderungen müssten gleichartig sein, §387 BGB. Bei dem Mietzins handelt es sich um eine Geldsummenschuld, hingegen bei dem Schadensersatz um eine Geldwertschuld. Hält man in diesem Fall die Gleichartigkeit für nicht gegeben, so sind die Schulden im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung zumindest fix und damit gleichartig.

cc) Die Hauptforderung ist erfüllbar, §§387, 271 I Alt.2 BGB.

dd) Die Gegenforderungen sind fällig, §271 I Alt 1 BGB, und einredefrei, §390 BGB.

ee) Ein Ausschluss der Aufrechnung besteht nicht.

ff) Eine Aufrechnungslage besteht.

b) Die Aufrechnung müsste wirksam erklärt worden sein, §388 S. 1 BGB.

M erklärte die Minderung der Miete. Nach dem objektiven Empfängerhorizont, §§133 i.V.m. 157 BGB, ist dies als Aufrechnungserklärung auszulegen. Diese ist gemäß §388 S. 2 BGB bedingungsfeindlich, um den Aufrechnungsgegner vor einer unzumutbaren Schwebelage zu bewahren.

Hier erklärte M die Aufrechnung für den Fall, dass diese rechtlich zulässig sei. Der Sache nach wird die Wirksamkeit Aufrechnung von der Rechtslage abhängig gemacht. Darin könnte eine Bedingung im Sinne eines künftigen und ungewissen Ereignisses liegen, von dessen Eintritt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts abhängt, sog. aufschiebende Bedingung gemäß §158 I BGB. Indes macht M die Aufrechnung von der Rechtslage abhängig, welche gegenwärtig und gewiss, ihm allenfalls unbekannt ist. Damit stellt die sog. Rechtsbedingung bereits technisch betrachtet keine Bedingung im Rechtssinne dar.

Auch erkennt der Gesetzgeber in §45 III GKG die hilfsweise innerprozessuale Aufrechnung an. Folglich muss eine außerprozessuale, hilfsweise Aufrechnung erst Recht zulässig sein.

Die Aufrechnung wurde wirksam erklärt.

4. Der Anspruch ist damit erloschen.

B. V hat gegen M keinen Anspruch auf die Februarmiete in Höhe von 600€.

 

Frage 2: Ansprüche des Dieter (im Folgenden: D) gegen M wegen des Aufenthaltes in der Wohnung im Schwarzwald.

A. Vertraglich: Anspruch aus Mietvertrag gemäß §535 II BGB

D könnte gegen M einen Anspruch auf Zahlung von 500€ aus Mietvertrag gemäß §535 II BGB haben. Dazu müsste der Anspruch entstanden (I.) nicht wieder erloschen (II. /III.) und durchsetzbar sein.

I. M und D haben gemäß Sachverhalt einen Mietvertrag geschlossen, der einen Anspruch in Höhe von 500€ entstehen ließ.

II. Der Anspruch ist nicht wegen Erfüllung, §362 I BGB erloschen.

III. Der Anspruch könnte gemäß §326 I 1 BGB erloschen sein. Dazu müsste ein synallagmatischer Vertrag vorliegen (1.), von dessen Hauptleistungspflicht D gemäß §275 BGB befreit wurde (2.). Auch dürfte keine anspruchserhaltende Gegennorm für D bestehen (3.).

1. Aus der Systematik des §326 BGB folgt, dass es eines gegenseitigen Vertrages bedarf, was bei einem Mietverhältnis gegeben ist.

2. Die Pflicht des D, dem M die Mietsache zu überlassen, könnte unmöglich geworden sein. Unmöglichkeit im Sinne von §275 I BGB meint ein dauerndes Leistungshindernis, das auch durch eine spätere Nacherfüllung nicht behoben werden kann. In Betracht kommt vorliegend zeitliche Unmöglichkeit. Diese setzt voraus, dass der Schuldner eines zeitgebundenen Dauerschuldverhältnisses seine Pflicht nicht erfüllt.

a) Die Miete von einer Ferienwohnung ist ein zeitgebundenes Dauerschuldverhältnis. Der Fixschuldcharakter wird im vorliegenden Fall dadurch unterstrichen, dass M dem D mitteilte, er habe nur zu dem betreffenden Zeitraum Urlaub. Eine Nachholung war daher nicht möglich.

b) D dürfte seine vertragliche Pflicht nicht erfüllt haben.
Geschuldet war vorliegend die Überlassung der Mietsache, §535 I 2 Alt. 1 BGB, und die Gewährung des Gebrauchs, §535 I 1 BGB. Hier hat sich M selbst in den Besitz der Mietsache gesetzt. Fraglich ist, ob hierin eine Überlassung im Sinne von §535 I 2 Alt. 1 BGB gesehen werden kann.

aa) Dafür spricht, dass M die Wohnung tatsächlich nutzen konnte, sodass für ihn wirtschaftlich keine Einbuße vorlag. Auch entstünde ein Wertungswiderspruch, wenn man denjenigen begünstigt, der den Besitz an einer Sache durch verbotene Eigenmacht, §858 I BGB, erhält.

bb) Gegen das Argument der Wertung des §858 I BGB spricht jedoch das Trennungsprinzip. Schuldrechtliche und sachenrechtliche Wertungen sind strikt zu trennen. Ferner ist zu bedenken, dass im vorliegenden Fall M lediglich durch einen glücklichen Zufall Zutritt zur Wohnung erhielt. Er trug also das Risiko, die Wohnung nicht nutzen zu können.

cc) Auch der allgemeine Sprachgebrauch spricht dafür, zwischen einer „Überlassung“ – im Sinne eines Gebens – und einer verbotenen Eigenmacht – im Sinne eines Nehmens – zu trennen. Im konkreten Fall kommt hinzu, dass explizit wie Schlüsselübergabe vereinbart wurde. Die Parteien bestätigen damit privatautonom die gesetzgeberische Entscheidung, zwischen Geben und Nehmen zu unterscheide. Schließlich spricht auch der Gedanke des §254 II 1 BGB, sog. Schadensminderungsobliegenheit, für M. Dieser hat durch sein Verhalten einen Schaden – etwa durch Bezug eines Hotelzimmers – vermieden.

dd) Die besseren Gründe sprechen daher dafür eine Überlassung abzulehnen und folglich keine Erfüllung anzunehmen.
Die Pflicht ist nicht gemäß §362 I BGB erloschen. D erbrachte seine somit die Hauptleistung nicht. Es liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor.

3. Es dürfte für D keine anspruchserhaltende Gegennorm greifen. Eine solche ist vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere greift §537 I 1 BGB nicht ein, da M Ferienwohnung gar nicht nutzen konnte.

4. Der Anspruch ist erloschen.

IV. D hat gegen M keinen Anspruch gemäß §535 II BGB.

B. Ein Anspruch könnte aus §§687 II 1, 681 S. 2, 667 BGB, sog. angemaßte Eigengeschäftsführung, folgen. Jedoch liegt im vorliegenden Fall allenfalls ein sog. „auch-fremdes-Geschäft“ vor. Diese Rechtsfigur ist eng auszulegen, um das Vertrags- und Bereicherungsrecht nicht zu umgehen, sodass im Fall des §687 II 1 BGB das „auch-fremdes-Geschäft“ nicht anzuwenden ist. Ein Anspruch scheidet aus.

C. D könnte gegen M einen Anspruch gemäß §§987 I, 990 I BGB auf Nutzungsersatz haben. Dazu müsste ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis (im Folgenden: EBV) vorliegen. Zwar war D Eigentümer der Wohnung und M Besitzer. Jedoch stellt der Mietvertrag ein obligatorisches Recht zum Besitz dar, §986 I 1 BGB.
In diesem Fall besteht die Besonderheit, dass sich M durch verbotene Eigenmacht in den Besitz der Wohnung gesetzt hatte. Damit hat er sein Besitzrecht überschritten. Nach der Lehre des „Nicht-So-Berechtigten-Besitzers“ entsteht bei Überschreitung des obligatorischen Besitzrechts ein EBV. Dies ist jedoch abzulehnen, da hinsichtlich der Pflichtverletzungen das Vertragsrecht vorrangig ist. Daher scheidet der Anspruch aus.

D. §§823ff BGB
Mangels Schaden, scheiden die §§823ff BGB aus.

E. §812 I 1 Alt. 1 BGB
Mangels Leistung, im Sinne einer bewussten und zweckgerichteten Mehrung fremden Vermögens, scheidet ein Anspruch aus Leistungskondiktion aus.

F. §812 I 1 Alt. 2 BGB
D könnte gegen M einen Anspruch gemäß §812 I 1 Alt 2 BGB auf 600€ haben, sog. Nichtleistungskondiktion.
Die Nutzungsmöglichkeit der Wohnung war ein Vermögensvorteil. Diesen erlangte M nicht durch Leistung. Die Nutzung stellte auch einen Eingriff in den wirtschaftlichen Zuweisungsgehalt des D dar. Jedoch besteht mit dem Mietvertrag ein Rechtsgrund. Somit scheidet auch §812 I 1 Alt 2 BGB aus.

G. Ergebnis
D hat gegen M keinen Anspruch in Höhe von 600€.

 

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Klausurfall Auflassungsvormerkung

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Fall:

Der Grundstückseigentümer E ist nach seinem Tode laut Erbschein des zuständigen Nachlaßgerichts von seinen Söhnen A und B beerbt worden. Da diese das Grundstück des E nicht behalten wollen, unterbleibt die Berichtigung des Grundbuchs. Durch notariellen Vertrag vom 01.04.2002 verkaufen A und B das Grundstück für 25.000.- Euro an K und erwirken zu seinen Gunsten die Eintragung einer Auflassungsvormerkung. Zwei Wochen nach Eintragung der Vormerkung wird durch Zufall ein gültiges Testament des E entdeckt, in dem E die Stadt S zu seiner Erbin eingesetzt hat. Daraufhin zieht das Nachlaßgericht den Erbschein als unrichtig ein. Der Einziehungsbeschluß wird K mitgeteilt. Einen Monat später erfolgt die Eintragung des K als neuer Eigentümer im Grundbuch.

Da die Stadt S dem K das Eigentum an dem Grundstück streitig macht, verlangt dieser von A und B Rückzahlung des Kaufpreises.

Zu Recht?

Lösung:

Anspruch des K gegen A und B auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 346, 323 I, 326 V, 275 I, IV BGB

K könnte gegen A und B einen Anspruch auf Rückzahlung in Höhe von 25.000.- Euro nach erfolgreichem Rücktritt aus §§ 346, 323 I 3.

+26V, 275 I, IV BGB haben. Zunächst müßte dem K ein Rücktrittsrecht nach § 323 I, 326 V, 275 I, IV BGB zustehen. Dann müßte A und B eine Leistungspflicht unmöglich sein. Die Verschaffung des Eigentums ist gemäß § 433 I BGB Erfüllungspflicht eines Kaufvertrages.

1. Voraussetzungen der Unmöglichkeit nach § 275 I BGB

Die Erfüllung einer Leistungspflicht ist gemäß § 275 I BGB dann unmöglich, wenn die entweder subjektiv dem Schuldner oder objektiv jedermann unmöglich ist. Eine Unmöglichkeit kommt allerdings nicht in Betracht, wenn A und B ihre Verpflichtung aus dem Kaufvertrag bereits erfüllt haben. Dann müssten sie dem K das Eigentum an dem Grundstück verschafft haben.

a.) Eigentumserwerb vom Berechtigten nach §§ 925, 873 BGB

K könnte das Eigentum von A und B gemäß §§ 925, 873 BGB erworben haben. Dafür müssten A und B aber Berechtigte gewesen sein. Da ihnen das Grundstück nicht gehört, waren sie Nichtberechtigte. Ein Eigentumserwerb nach diesen Vorschriften scheidet somit aus.

b.) Gutgläubiger Erwerb nach §§ 925, 873, 892 BGB

Möglicherweise könnte K das Eigentum an dem Grundstück gutgläubig gemäß §§ 925, 873, 892 BGB erworben haben. Die kaufvertragliche Erfüllungspflicht ist nicht nur mit aktiver Eigentumsverschaffung nach §§ 925, 873 BGB sondern auch durch gutgläubigen Erwerb des Käufers möglich. Einigung und Eintragung des K im Grundbuch sind erfolgt. Es wäre aber weiterhin erforderlich, dass A und B als Eigentümer im Grundbuch eingetragen waren und K die Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht bekannt war. Im Grundbuch war weiterhin E als Eigentümer eingetragen, so dass ein gutgläubiger Erwerb des Grundstücks nach § 892 BGB ausscheidet.

c.) Gutgläubiger Erwerb nach §§ 925, 873, 2366 BGB

Es könnte aber ein gutgläubiger Eigentumserwerb des Grundstücks nach den §§ 925, 873, 2366 BGB vorliegen. Dazu müßte K von A und B, die im Erbschein als Erben bezeichnet worden sind, durch Rechtsgeschäft einen Erbschaftsgegenstand erworben haben, ohne dass der Erwerber die Unrichtigkeit des Erbscheins kennt oder weiß, dass das Nachlaßgericht die Rückgabe des Erbscheins wegen Unrichtigkeit des Erbscheins verlangt hat. Die Kenntnis von dem Erbschein oder dessen Inhalt ist hierbei nicht erforderlich, die Wirkung des öffentlichen Glaubens an den Erbschein ist abstrakt. K hat durch Rechtsgeschäft von A und B, die im Erbschein als Erben bezeichnet waren, einen Erbschaftsgegenstand, das Grundstück, erworben. Möglicherweise könnte K jedoch bösgläubig gewesen sein, da er vor der Eigentumsumschreibung durch den Einziehungsbeschluß Kenntnis erhielt, dass A und B nicht Erben des E und daher nicht Eigentümer des Grundstücks sind. Bei § 2366 BGB ist maßgebender Zeitpunkt für die Gutgläubigkeit die Vollendung des Eigentumserwerbs, also die Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch, da eine dem § 892 II BGB entsprechende Sondervorschrift, der den Zeitpunkt auf die Stellung des Antrages auf Eintragung vorverlagert, fehlt. Dies gilt sowohl für das Bestehen eines im Sinne der §§ 2365, 2366 BGB als Grundlage geeigneten Erbscheins und für die Nichtkenntnis schädlicher Umstände. Im Zeitpunkt der Eintragung des Eigentumswechsels im Grundbuch war K bereits bösgläubig, da das Nachlaßgericht zu diesem Zeitpunkt den Erbschein als unrichtig eingezogen hatte und dies K mitgeteilt hatte. Der gutgläubige Eigentumserwerb könnte somit ausgeschlossen sein. Dies wäre nicht der Fall, wenn nicht auf den Zeitpunkt der Eintragung des Eigentumswechsels, sondern den Zeitpunkt der Eintragung der Vormerkung, zu dem alle Beteiligten nichts von der Errichtung des Testaments zugunsten der Stadt wussten, abzustellen wäre.

aa.) Erwerb der Auflassungsvormerkung

Dafür wäre zunächst erforderlich, dass K eine Vormerkung wirksam erworben hat. Die Entstehung der Vormerkung setzt gemäß § 885 I BGB neben dem zu sichernden Anspruch auf dingliche Rechtsänderung an einem Grundstück die Bewilligung der Vormerkung durch den Berechtigten, sowie die Eintragung der Vormerkung in das Grundbuch voraus. Ein zu sichernder Anspruch, hier auf Übereignung des Grundstücks aus § 433 I BGB, die Eintragung ins Grundbuch und eine Bewilligung liegen vor. Jedoch waren A und B Nichtberechtigte. Möglicherweise könnte K die Vormerkung gutgläubig erworben haben. In Betracht kommt zunächst ein gutgläubiger Erwerb nach § 892 BGB. Voraussetzung ist die Verfügung über ein Recht an einem Grundstück. Die Vormerkung ist jedoch kein Recht an einem Grundstück, sondern die Bewilligung der Vormerkung ist als ein Rechtsgeschäft anzusehen, das eine Verfügung über ein Recht an dem Grundstück enthält. § 892 BGB ist nicht anwendbar. Es könnte aber der Anwendungbsereich des § 893 BGB eröffnet sein. Die Vormerkung als besonders geartetes Sicherungsmittel ist ein Rechtsinstitut eigener Art, das geeignet ist, dem geschützten Anspruch in gewissem Rahmen dingliche Wirkung zu verleihen. Die Vormerkung führt zu einer dinglichen Gebundenheit des Grundstücks, die zur Folge hat, dass der Eigentümer gegenüber dem Vormerkungsberechtigten nicht mehr wirksam über das Grundstück verfügen kann. Deshalb folgt aus der Bewilligung der Vormerkung eine Bechränkung der Verfügungsmacht des Bewilligenden. Aufgrund der dinglichen Gebundenheit des betroffenen Grundstücks oder Grundstückteils durch die Vormerkung fällt die Bewilligung einer Vormerkung unter den Anwendungsbereich des § 893 BGB. Wegen der in dieser Vorschrift vorgesehenen entsprechenden Anwendung des § 892 BGB kommt dem Vormerkungsberechtigten der Schutz des guten Glaubens zwar nicht für den Bestand eines schuldrechtlichen Anspruchs zu, wohl aber für die dingliche Gebundenheit des von der Vormerkung betroffenen Grundstücks oder Grundstückteiles. A und B müßten für den gutgläubigen Ersterwerb der Vormerkung nach § 893 BGB im Grundbuch als Eigentümer eingetragen sein. Dort war aber noch E als Eigentümer eingetragen, sodass auch ein gutgläubiger Erwerb nach § 893 BGB ausscheidet.

Es könnte jedoch ein gutgläubiger Erwerb der Vormerkung nach § 2367 BGB stattgefunden haben. Die Bestellung der Vormerkung ist nicht eine unter § 2366 BGB fallende Vergütung über einen Erbschaftsgegenstand. Vielmehr ist die Bewilligung einer Vormerkung entsprechend des Rechtsgedankens von § 893 BGB ein unter § 2367 BGB fallendes Rechtsgeschäft, das die Verfügung über ein zur Erbschaft gehörendes Recht betrifft. K hat demnach die Vormerkung gutgläubig gemäß § 2367 BGB erworben. Es müssten die oben entwickelten Grundsätze auf die hier gegebene Konstellation des Erwerbs vom Erbscheinsberechtigten übertragbar sein. Der Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Buchberechtigten ist mit dem Fall des gutgläubigen Erwerbs vom Erbscheinsberechtigten vergleichbar. Norm, Zweck und Interessenlage von § 893 BGB und § 2367 BGB stimmen überein. Es kann keinen Unterschied machen, ob der Erbscheinserbe sein vermeintliches Erbrecht vom noch eingetragenen Erblasser ableitet oder ob er selbst als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. In beiden Fällen ist der gute Glaube des Erwerbers in gleichem Maße schutzwürdig. Dies gilt zumindest dann, wenn das zur Erbschaft gehörende Recht mit dem im Grundbuch eingetragenen Recht, hier dem Eigentum des Erblassers am Grundstück, identisch ist.

bb.) Schutz der Vormerkung gegen Verfügungen des wahren Berechtigten

Fraglich ist aber, ob die Vormerkung nur gegen spätere Verfügungen des Buchberechtigten bzw. des Erbscheinserben oder auch gegenüber dem wahren Berechtigten, hier also gegenüber der Statdt S, wirkt. Nach einer Ansicht ist der Zweck der – auch gutgläubig erworbenen – Vormerkung nur vor künftigen Verfügungen, also für die Zeit nach der Vormerkung zu schützen. Eine bereits bei Eintragung der Vormerkung bestehende unrichtige eingetragene Rechtslage kann nicht durch die Vormerkung allein perpetuiert werden, die wirkliche Rechtslage also nicht bereits durch den gutgläubigen Erwerb der Vormerkung vernichtet werden. Für diese Ansicht spricht, dass im Regelfall die Vormerkung nur vor künftigen Verfügungen schützen soll.

Demgegenüber entfaltet nach anderer Ansicht die Vormerkung auch gegenüber dem wahren Berechtigten ihre Wirkung und somit auch gegenüber der Stadt S. Dies hat zur Folge, dass auch für die Frage der Bösgläubigkeit auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Vormerkung bzw. sogar auf den Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Eintragung der Vormerkung abzustellen ist. Angesichts der quasi-dinglichen Position, die das Gesetz dem Vormerkungsberechtigten einräume, sei es wertungsmäßig folgerichtig dem gutgläubigen Erwerber einer Vormerkung auch dann die Möglicheit des Erwerbs des gesicherten Rechts zu geben, wenn hinsichtlich dieses Rechts die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs inzwischen nicht mehr vorlägen. Der gutgläubige Erwerb einer Vormerkung sei praktisch wertlos, wenn der Erwerber auch noch im Zeitpunkt des Erwerbs des gesichereten Rechts selbst gutgläubig sein müßte. Auch werde nur diese Auffassung den Bedürfnissen des Verkehrsschutzes gerecht.  Der Verkehr erwarte ein zuverlässiges Sicherungsmittel für Ansprüche, die auf eine dingliche Rechtsänderung gerichtet sind. Diese Zuverlässigkeit habe die Vormerkung aber nur, wenn sie außer vor Verfügungen auch vor anderen Erfüllungshindernissen schütze. Dementsprechend werde auch beim Erwerb einer Vormerkung vom wahren Berechtigten der Gläubiger nicht nur gegen künftige Verfügungen geschützt, sondern auch vor anderen Erwerbshindernissen. So mache etwa die Insolvenzeröffnung die Vormerkung nicht unwirksam. Diese Ansicht überzeugt. Der Verkehrsschutz muss Vorrang haben gegenüber der Erwägung, dass die Vormerkung im Regelfall nur vor künftigen Verfügungen schützen soll. Auch dieser Grundsatz kennt, wie dargelegt, Ausnahmen und kann deshalb als Gegenargument nur sehr bedingt überzeugen. Mithin ist der letzten Ansicht zu folgen. Es kommt somit für die Frage der Bösgläubigkeit auf den Zeitpunkt des Erwerbs der Vormerkung an. Zu diesem Zeitpunkt war K gutgläubig. Er hat somit gemäß §§ 925, 873, 2366 BGB gutgläubig das Eigentum an dem Grundstück erworben. A und B haben mithin ihre Pflicht zur Eigentumsverschaffung aus § 433 I 1 BGB ordnungsgemäß erfüllt. Eine Unmöglichkeit nach § 275 I BGB kommt foglich nicht in Betracht. K hat kein Rücktrittsrecht und kann von A und B nicht Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 346, 323 I, 326 V, 275 I, IV BGB verlangen.

Anmerkung

Das Thema der Klausur kann jederzeit als vertiefender Crashkurs gebucht werden.

Die vorstehende Klausur beschäftigt sich mit den im Blog-Beitrag „Klausur zur Auflassungsvormerkung“ aufgeführten Problemschwerpunkten. Weitere Artikel zum Immobiliar-Sachenrecht sind der Artikel über die „Auflassungsvormerkung„, der Artikel über die „Grundschuld„, sowie der Artikel über die „Hypothek„. Für eine Übersicht über alle Beiträge und Klausurfälle siehe unter „Artikel„.

Zur erbrechtlichen Thematik siehe auch: „Auslegung von Testamenten

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausurfall Auflassungsvormerkung auf unserer Website Jura Individuell.

Klausurfall zur BGB-Gesellschaft

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Fall:

A betreibt seit Januar unter der Bezeichnung  „Sun + Fun“ ein kleines Sonnenstudio. Zur Anschaffung eines Bräunungsgerätes gewährte ihm die Sparkasse im Februar ein Darlehen in Höhe von 10.000.- Euro. Im April beschlossen A und seine beiden Freunde B und C das Sonnenstudio künftig gemeinsam zu betreiben. Mit notariellem Vertrag gründeten sie die „Sunshine GmbH“. Zum Geschäftsführer wurde im Gesellschaftsvertrag A bestellt. Eine Eintragung in das Handelsregister erfolgte nicht. Im September wurde A verhaftet und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, die er auch sogleich antrat.

B und C führten das Sonnenstudio zunächst ohne A in dem bisherigem geringen Umfang weiter. Im Oktober meldeten sie es schließlich unter dem Namen „Palm Beach Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung“ als Gewerbe an. Der zugrundeliegende Gesellschaftsvertrag enthält die Bestimmung, dass die Haftung der Gesellschaft nach außen auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist. Weiterhin heißt es dort: „Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft erfolgt durch die Gesellschafter je einzeln. Die Geschäftsführer müssen bei allen Geschäftsführungsmaßnahmen die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen nach diesem Vertrag beachten und haben demgemäß Vertretungs- und Verpflichtungsbefugnisse nur für das Gesellschaftsvermögen“.

Im November schloss C mit V einen Mietvertrag über neue Räumlichkeiten für das Sonnenstudio ab. Neben seiner Unterschrift setzte er den Stempelaufdruck“Palm Beach GbR mbH“ auf den Vertrag.

1. Nachdem Mietzahlungen nicht geleistet wurden fragt Vollmer, ob er Ansprüche gegen die „Palm Beach GbR mbH“ bzw. gegen B und C persönlich geltend machen kann.

2. Kann die Sparkasse von B und C persönlich Rückzahlung des dem A gewährten Darlehens verlangen ?

Lösung:

Frage 1: Ansprüche des V auf Zahlung der Mietzinsen

A. Anspruch des V gegen die Gesellschaft

V könnte einen Anspruch auf Zahlung der austehenden Mietzinsen gemäß § 535 II BGB gegen die „Palm Beach GbR mbH“ haben. Es müßte folglich zwischen ihm und der Gesellschaft ein Mietvertrag zustande gekommen sein.

I. Qualifikation der BGB-Gesellschaft

Es ist zu prüfen, ob die „Palm Beach GbR mbH“ eine BGB-Gesellschaft darstellt. Zunächst haben A, B und C gemäß § 2 I GmbHG formgerecht einen notariellen Vertrag über die Gründung einer GmbH geschlossen, jedoch ist die gemäß § 11 I GmbHG erforderliche Eintragung der GmbH in das Handelsregister unterblieben. Die Gesellschaft gelangte somit lediglich in das Stadium einer Vor-GmbH. B und C haben jedoch die Absicht aufgegeben durch die Registereintragung der GmbH diese zur Entstehung zu bringen. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass sie das Sonnenstudio im Oktober unter der Bezeichnung „Palm Beach GbR mbH“ als Gewerbe angemeldet haben und zuvor einen Gesellschaftsvertrag über die Gründung einer BGB-Gesellschaft geschlossen hatten. Wegen des geringen Umfangs der Geschäftstätigkeit, die keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb iSv. § 1 II HGB erforderte, liegt auch keine OHG vor, die gemäß § 123 II HGB auch vor einer Handelsregistereintragung entstehen kann. Durch den Gesellschaftsvertrag ist eine BGB-Gesellschaft gemäß §§ 705 ff BGB zustandegekommen, welche die Geschäfte der Vor-GmbH fortsetzt.

II. Verpflichtungsfähigkeit der BGB-Gesellschaft

C hat im November im Namen dieser „Palm Beach GbR mbH“ mit V einen Mietvertrag abgeschlossen. Ebenso wie die OHG und die G ist die BGB-Gesellschaft keine juristische Person, sondern eine Gesamthandsgemeinschaft. Während jedoch OHG und KG gemäß § 124 I, 161 II HGB selbständige Träger von Rechten und Pflichten sein können, fehlt für die BGB-Gesellschaft eine entsprechende Norm. Es ist daher fraglich, ob eine BGB-Gesellschaft Vertragspartei sein kann. Nach der früher herrschenden „individualistischen Theorie“ existiert die BGB-Gesellschaft nicht als ein verpflichtungsfähiges Subjekt, das eigene Verbindlichkeiten eingehen kann. Vielmehr kommen nur die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit als Träger von Rechten und Pflichten in Betracht. Die Ausgestaltung der BGB-Gesellschaft erschöpft sich nach dieser Auffassung darin, die gesamthänderisch gebundene Vermögensmasse als Sondervermögen von dem Privatvermögen der Gesellschafter abzugrenzen. Als Beleg für diese Ansicht wurde darauf verwiesen, dass in § 718 I BGB von dem gesamthänderischen Vermögen „der Gesellschafter“ die Rede sei, nicht von einem Vermögen der „Gesellschaft“, zudem spreche § 714 BGB von der Vermutung der Ermächtigung, „die anderen Gesellschafter Dritten gegenüber zu vertreten“. Des weiteren wurde für die mangelnde Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft angeführt, dass § 736 ZPO für die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen der BGB-Gesellschaft „ein gegen alle Gesellschafter gerichtetes Urteil“ verlange.

Nach der mittlerweile auch vom Schrifttum anerkannten Gegenauffassung soll die Gesamthand dagegen als „Personenverbund“ rechtsfähig sein, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.

Gegen die früher herrschende individualistische Theorie sprechen zum einen systematische Einwände. Das Konzept, dass auschließlich die Gesellschafter Zuordnungsobjekt der Rechte und Pflichten nach den Regeln des Schuldrechts seien, führe zu Spannungen. Denn demnach wäre die „Gesellschaftsverbindlichkeit“ lediglich als gemeinschaftliche Verbindlichkeit der Gesellschafter iSd. § 427 BGB zu betrachten, wohingegen der einzelne Gesellschafter den geschuldeten Gegenstand gemäß § 719 I BGB nicht selbst erbringen könne, sofern sich dieser im Gesellschaftsvermögen befinde. Die Zuerkennung der Rechtssubjektivität der BGB-Gesellschaft bringt ferner den Vorteil mit sich, dass der Wechsel des Mitgliederbestandes keine Auswirkung auf die mit der Gesellschaft bestehenden Rechtsverhältnisse hat; bei strikter Anwendung der individualistischen Theorie müssten Dauerschuldverhältnisse bei jedem Wechsel des Mitgliederbestandes neu geschlossen bzw. bestätigt werden.

Beide Theorien haben dennoch ihren Anwendungsbereich, jedoch ist nach den verschiedenen Typen der BGB-Gesellschaft zu unterscheiden. Zum einen ist die BGB-Gesellschaft zu betrachten, die „als solche“, also als GbR „nach außen“, d.h. im Rechtsverkehr, auftritt und die über Ansätze einer organschaftlichen Struktur verfügt, die z.B. in einer von der Gesamtvertretung gemäß §§ 709, 714 BGB abweichenden Vereinbarungsregelung Ausdruck finden kann. Für diesen Typ der BGB-Gesellschaft (sog. Außen-GbR) ist wegen ihrer der OHG angenäherten organschaftlichen Struktur auch die Rechtsfähigkeit adäquat und sachdienlich. Anders werden jedoch BGB-Gesellschaften behandelt bei denen diese organschaftlichen Voraussetzungen nicht vorliegen und die sich quasi in dem vertraglichen Zusammenschluß der Gesellschafter erschöpfen (sog. Innen-GbR). Einer solchen Innengesellschaft kommt auch nach der Rechtsprechungsänderung des BGH mangels einer organschaftlichen Struktur keine Teilrechtsfähigkeit zu, sondern es ist insoweit entsprechend der „individualistischen Theorie“ nur auf die Gesellschafter als Rechtsträger abzustellen. Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der „Palm Beach GbR mbH“ um eine GbR, die als solche auch nach außen, d.h. im Rechtsverkehr, auftritt, wobei sich organschaftliche Ansätze in der Ausgestaltung der Einzelvertretung durch jeden Gesellschafter zeigen. Daher ist die „Palm Beach GbR mbH“ eine sog. Außen GbR und damit als teilrechtsfähig anzusehen und kann somit grundsätzlich durch den mit V geschlossenen Mietvertrag verpflichtet werden.

III. Die Vertretung der BGB-Gesellschaft

Das Zustandekommen des Mietvertrages zwischen der „Palm Beach GbR mbH“ und V setzt weiterhin voraus, dass die BGB-Gesellschaft gmäß § 164 I BGB von C wirksam vertreten worden ist.  Demnach müsste er gemäß § 164 I BGB im Rahmen seiner Vertretungsmacht ein eigene Willenserklärung im fremden Namen abgegeben haben. C hat seine Unterschrift unter den Mietvertrag gesetzt und diesen mit dem Stempelaufdruck „Palm Beach GbR mbH“ versehen. Damit hat er eine eigene Willenserklärung in fremden Namen abgegeben. Fraglich ist, ob C die BGB-Gesellschaft allein vertreten konnte. Nach der Auslegungsregel des § 714 BGB gilt die im Gesellschaftsvertrag hinsichtlich der Geschäftsführung vereinbarte Regelung auch für die Vertretung. § 709 I BGB ordnet wiederum vorbehaltlich einer abweichenden gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung den gesetzlichen Regelfall an, dass alle Gesellschafter zur Geschäftsführung befugt sind. Eine abweichende Vereinbarung stand des Gesellschaftern also frei. In dem zur Gründung der „Palm Beach GbR mbH“ geschlossenen Gesellschaftsvertrag wurde jeder Gesellschafter einzeln mit der Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft betraut. Damit hielt sich C mit der Einzelvertretung der Gesellschaft auch im Rahmen seiner Vertretungsmacht und hat die Gesellschaft wirksam vertreten. Zwischen der „Palm Beach GbR mbH“ und V ist somit ein Mietvertrag zustande gekommen. V hat demnach einen Anspruch gegen die „Palm beach GbR mbH“ auf Zahlung der ausstehenden Mietzinsen gemäß § 535 II BGB.

B. Anspruch V gegen die Gesellschafter

Fraglich ist, ob V auch einen Anspruch auf Zahlung der ausstehenden Mietzinsen gegen B und C persönlich geltend machen kann. Das setzt voraus, dass die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft auch persönlich haften und die Haftung von B und C nicht aufgrund einer Haftungsbeschränkung ausgeschlossen ist.

I. Die persönliche Haftung der Gesellschafter

Eine § 128 HGB entsprechende Norm hinsichtlich der Haftungserstreckung auf die Gesellschafter ist in den Regelungen zu der BGB-Gesellschaft nicht enthalten. Bezüglich der persönlichen Haftung der Gesellschafter einer GbR werden zwei dogmatisch unterschiedliche Ansätze vertreten. Die „Akzessorietätstheorie“ begründet die Haftung der Gesellschafter mit einer akzessorischen Haftungserstreckung von der Gesellschaft auf die Gesellschafter, die der persönlichen Haftung der OHG-Gesellschafter gemäß § 128 HGB entspricht. Die Gesellschafter haften demnach gemäß § 128S.1 HGB analog akzessorisch zu der Gesellschaft mit ihrem Privatvermögen. Die akzessorische Haftung der Gesellschafter wird als eine Konsequenz der Anerkennung der beschränkten Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft begründet. Nach der älteren „Theorie der Doppelverpflichtung“ hingegen wird unterstellt, dass die Mitgesellschafter als solche neben der BGB-Gesellschaft vertraglich verpflichtet werden. Ihre persönliche Haftung beruht somit unmittelbar auf einem rechtsgeschäftlichem Akt. Sie haben für die entstandenen Verbindlichkeiten mit ihrem Privatvermögen einzustehen, während die Gesellschaft mit dem Gesellschaftsvermögen haftet. Gegenüber der Akzessorietätstheorie war die Gesellschafterhaftung nach der Theorie der Doppelverpflichtung in Einzelfällen wenig streng, denn auf dieser rein vertraglichen Grundlage war die Gesellschafterhaftung für gesetzliche Gesamthandsverbindlichkeiten, sowie die Haftung von neu eingetretenen Gesellschaftern für Altschulden grundsätzlich nicht zu begründen. Da im gegebenen Fall beide Ansätze grundsätzlich zu der persönlichen vertraglichen Haftung von B und C führen, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung für eine der beiden Theorien.

II. Vertragliche Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen

Einer persönlichen Haftung der Gesellschafter könnte jedoch entgegenstehen, dass die Haftung aufgrund einer individualvertraglichen Vereinbarung auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt worden ist. Die Abbedingung der Haftung der Gesellschafter durch eine individuelle vertragliche Vereinbarung mit dem Gläubiger ist zulässig. C hat zwar unter den Vertrag einen Stempel mit dm Zusatz „mbH“ für „mit beschränkter Haftung“ gesetzt. Eine Haftungsbeschränkung war jedoch nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen oder des Vertragstextes. Der bloßen Verwendung des Stempels kann kein vertraglicher Gehalt entnommen werden. Daher wurde die Gesellschafterhaftung nicht in dem Mietvertrag individualvertraglich ausgeschlossen.

III. Die Beschränkung der Vertretungsmacht

Möglicherweise besteht jedoch ein Ausschluß der persönlichen Gesellschafterhaftung, weil die Vertretungsbefugnis des C durch den Gesellschaftsvertrag diesbezüglich beschränkt war.

a.) Akzessorietätstheorie

Nach der Akzessorietätstheorie kommt ein Ausschluß der Haftung durch die Beschränkung der Vertretungsmacht nicht in Betracht. Denn nach diesem Haftungsmodell beruht die Haftung gerade nicht auf rechtsgeschäftlicher Grundlage, sondern stellt eine gesetzliche Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden dar; sie steht darum auch in keinerlei Zusammenhang mit einer diesbezüglichen Vertretungsmacht des vertragsschließenden Gesellschafters.  Diese Haftungspflicht der Gesellschafter kann demnach nur durch individualvertragliche Vereinbarung mit dem Gläubiger abbedungen werden.

b.) Theorie der Doppelverpflichtung

Nach der Theorie der Doppelverpflichtung kann die Haftung der übrigen nicht am Abschluß des Rechtsgeschäfts mitwirkenden Gesellschafter grundsätzlich auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt werden, indem wiederum die Vertretungsmacht des geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafters derart beschränkt wird, dass sie nur noch dazu berechtigt, die Gesellschaft und nicht mehr die übrigen Mitgesellschafter durch Rechtsgeschäft zu binden. Indes soll nach der Rechtsprechung des BGH, der früher noch der Theorie der Doppelverpflichtung folgte, eine solche Haftungsbeschränkung nicht durch bloße einseitige Erklärung der geschäftsführungsbefugten Gesellschafter möglich sein. Eine solche Haftungsbeschränkung durch einen einseitigen Akt käme de facto der Schaffung einer neuen Gesellschaftsform gleich. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu dem allgemeinen bürgerlich- und handelsrechtlichen Grundsatz, dass derjenige, der gemeinsam mit anderen Geschäfte betreibt, für die daraus entstehenden Verpflichtungen haftet, solange sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt – wie für die GmbH die Haftungsbeschränkung aus § 13 II GmbHG – oder mit dem Vertragspartner Abweichendes vereinbart worden ist. Außerdem besteht für eine solche Form der BGB-Gesellschaft kein legitimes Bedürfnis. Zum anderen bietet die Rechtsform der KG die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung der Kommanditisten. Dies gilt umso mehr, als seit der Neufassung des § 105 II HGB diese Rechtsform auch kleingewerblichen und vermögensverwaltenden Gesellschaftern offen steht. Die speziellen Haftungsbeschränkungen, die die Rechtsordnung mit bestimmten Organisationsformen (GmbH, AG, KGaA) zur Verfügung stellt, würden unterlaufen, wenn es den Gesellschaftern einer BGB-Gesellschaft möglich wäre einseitig die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken. Bei der Rechtsform der GmbH beispielsweise steht dem Privileg der fehlenden persönlichen Haftung die gesetzliche Pflicht zur Aufbringung und Erhaltung eines Mindestkapitals gegenüber. Es könnten Gefahren für die Rechtssicherheit daraus erwachsen, wenn mangels entsprechender gesetzlicher Vorgaben über das Gesellschaftsvermögen eine BGB-Gesellschaft ohne eine genügende Haftungsgrundlage dastünde und zudem die Gesellschafter sich durch die Beschränkung der Vertretungsmacht ihrer persönlichen Haftung entziehen könnten. Damit wurde nach beiden Ansichten die Haftung der Gesellschafter B und C nicht wirksam ausgeschlossen. Sie haften folglich V als Gesamtschuldner gemäß § 535 II BGB (iVm § 128 S.1 HGB analog) persönlich für die Mietverbindlichkeiten der „Palm Beach GbR mbH“.

Frage 2: Ansprüche der Sparkasse gegen B und C

A. Anspruch gemäß § 488 I S.2 BGB, 28 I HGB iVm. § 128 S.1 HGB analog

Die Sparkasse könnte gegen B und C einen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens aus § 488 I S.2 BGB, 28 I HGB iVm. § 128 S.1 HGB analog haben.

I. Darlehensvertrag

Dies würde grundsätzlich voraussetzen,dass gemäß § 488 I S.2 BGB ein Darlehensvertrag zwischen der Sparkasse und der Gesellschaft geschlossen und die Darlehenssumme ausgezahlt wurde. Der Abschluss des Darlehensvertrages und die Auszahlung erfolgten im Februar, jedoch war zu dieser Zeit nur A Vertragspartner der Sparkasse, der ohne die Beteiligung von B und C das Sonnenstudio „Sun+Fun“ allein betrieb.

II. Haftungserstreckung gemäß § 28 I HGB

Indem A, B und C im April einen notariellen Vertrag über die Gründung der „Sunshine GmbH“ geschlossen haben, könnte sich möglicherweise infolgedessen eine persönliche und gesamtschuldnerische Haftung von B und C als Gesellschafter gemäß § 28 I HGB iVm § 128 HGB analog ergeben.

1. Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns

Gemäß § 28 I HGB müssen B und C in das Geschäft eines Einzelkaufmanns eingetreten sein. Für den Betrieb des kleinen Sonnenstudios des A war ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb nicht erforderlich, es handelte sich somit zu dem Zeitpunkt des Eintretens von B und C nicht um ein kaufmännisches Handelsgewerbe iSv § 1 I S.2 HGB. Damit ist § 28 I HGB zumindest nicht unmittelbar einschlägig. Zum Teil wird jedoch die analoge Anwendung des § 28 I HGB auf nichtkaufmännische Unternehmen vertreten. § 28 I HGB sei ein Ausdruck des Gedankens der Unternehmenskontinuität. Das Problem der Weiterhaftung nach Überführung in ein Gesamthandsvermögen beschränke sich nicht auf den in § 28 I HGB genannten Fall. Dagegen beharrt die Gegenansicht darauf, dass nach dem Wortlaut des § 28 I HGB ein kaufmännisches Handelsgeschäft im Rechtsinne vorliegen müsse. Eine Entscheidung dieser Streitfrage ist jedoch entbehrlich, wenn die Vorschrift ohnehin auf den nach dem Eintritt von B und C entstandenen Personenverbund keine Anwendung findet.

2.Die Neugründung einer Personengesellschaft

§ 28 I HGB erfordert nach seinem Wortlaut den Eintritt in das Geschäft eines Einzelkaufmanns als persönlich haftender Gesellschafter oder Kommanditist; die neu gegründete Gesellschaft muss demnach eine Personenhandelsgesellschaft, d.h. eine OHG oder eine KG sein. A, B und C hingegen beabsichtigen die Gründung einer juristischen Person in der Rechtsform einer GmbH. Wie oben dargestellt lag jedoch mangels der Handelsregistereintragung gemäß § 11 I GmbHG lediglich eine Vor-GmbH vor.

a.) Anwendbarkeit auf die zunächst entstandene Vor-GmbH

Fraglich ist, ob § 28 I HGB analog auf eine solche Gesellschaft angewendet werden kann. Nach dem Wortlaut des § 28 I HGB soll die Norm auf juristische Personen, z.B. eine GmbH, keine Anwendung finden. Dem folgt auch die überwiegende Meinung. Nach einer Gegenansicht, die § 28 I HGB auf juristische Personen analog anwenden möchte, ist der Wortlaut des § 28 I HGB zu eng gefasst. Von dem Gesichtspunkt der Gläubigergefährdung, welcher der wesentliche Grund der Vorschrift sei, seien juristische Personen gleichermaßen betroffen. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm ist jedoch dem wortgetreuen Verständnis der Norm zuzustimmen. Denn der Gesetzgeber hat in § 28 I HGB nur den Bereich der Personengesellschaften regeln wollen. Er hat für die juristischen Personen bewußt keine solche Haftungsordnung getroffen und eine sich daraus ergebende Benachteiligung der Gläubiger billigend in Kauf genommen. Die Vor-GmbH hingegen ist weder eine Personengesellschaft noch eine juristische Perosn, sondern wird als eine Personenvereinigung eigener Art qualifiziert. Bis auf die noch fehlende, erst mit der Eintragung entstehenden, Rechtsfähigkeit entspricht die Vor-GmbH als deren Vorstufe bereits der künftigen GmbH. Daher sind die Vorschriften des GmbH-Rechts auf sie anzuwenden, soweit diese nicht die Rechtsfähigkeit voraussetzen bzw. die besonderen Verhältnisse des Gründungsstadiums nicht hinreichend berücksichtigen. In Bezug auf § 28 I HGB ist die Vor-GmbH in diesem Sinne grundsätzlich nicht anders als die spätere GmbH zu behandeln. Insoweit ist § 28 I HGB nicht auf die von A, B und C gebildete Vor-GmbH anwendbar.

b.) Die Bedeutung des Scheiterns der GmbH-Gründung

Das Scheitern der Gründung der „Sunshine GmbH“ könnte jedoch eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertigen. Eine Vor-GmbH wandelt sich zu dem Zeitpunkt in eine Personengesellschaft um, zu dem die Gesellschafter die Absicht der Eintragung und Entstehung der GmbH aufgeben, sofern sie den Rechtsbetrieb trotzdem fortführen. Dieser Personenzusammenschluss unterliegt fortan dem Recht der OHG oder der BGB-Gesellschaft, je nachdem, ob der gemeinsame Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist oder nicht. Daraus ergibt sich die persönliche unbeschränkte Haftung der Gesellschafter, die auch die Altschulden der Vor-GmbH umfasst. Spätestens mit der Gewerbeanmeldung des Sonnenstudios unter der Bezeichnung „Palm Beach GbR mbH“ haben B und C die Absicht aufgegeben, das Unternehmen als GmbH anzumelden. Da ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb für das Betreiben des Sonnenstudios auch weiterhin nicht erforderlich war, lag kein Handelsgewerbe vor und es ist eine BGB-Gesellschaft gemäß §§ 705 ff BGB entstanden, für deren Schulden die Gesellschafter B und C persönlich haften. Auf eine Haftung der BGB-Gesellschaft für die Verbindlichkeit aus dem Darlehensvertrag des A könnte dann zu schließen sein, wenn sich nicht nur die persönliche Haftung der Gesellschafter auf die Vor-GmbH zurückbeziehen würde, sondern überdies auch § 28 I HGB rückwirkend zur Anwendung käme. Dagegen ist einzuwenden, dass die Personengesellschaft in diesem Falle für Schulden haften müsse, für welche die Vor-GmbH zuvor nicht einzustehen hatte. Verbindlichkeiten, die nicht für die Vorgängergesellschaft bestanden, dürfen auch nicht durch § 28 I HGB , der die Fortsetzung eines Unternehmens regelt, begründet werden. Außerdem würde ansonsten die Haftung der Personengesellschaft und der Gesellschafter entstehen, ohne dass sie die gesetzliche Möglichkeit des § 28 II HGB hätten ausüben können, eine Haftungsbeschränkung zu erreichen. Dadurch würde die Regelung des § 28 II HGB über den Haftungsausschluss in unzulässiger Weise unterlaufen. Aus diesen Gründen kann das Scheitern der GmbH-Gründung nicht zu einer rückwirkenden Anwendung des § 28 I HGB analog führen. Somit haftet die BGB-Gesellschaft nicht gegenüber der Sparkasse auf Rückzahlung des zu den Altschulden des A zählenden Darlehens, so dass auch eine Gesellschafterhaftung von B und C gemäß §§ 488 I S.2 BGB, 28 IHGB analog iVm. § 128 I HGB analog ausscheidet.

B. Anspruch gemäß § 488 I S.2 BGB, 25 I HGB analog iVm § 128 S.1 HGB analog

Fraglich ist, ob die Sparkasse die Rückzahlung des Darlehens von B und C gemäß § 488 I S.2 BGB, 25 I HGB iVm. § 128 S.1 HGB analog verlangen kann. Dies setzt gemäß § 25 I HGB voraus, dass die von A, B und C gebildete Vor-GmbH ein unter Lebenden erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fortgeführt hat. Das von A betriebene Sonnenstudio war jedoch kein Handelsgewerbe iSd. § 1 I 2 HGB. Daher stellt sich die Frage, ob § 25 I HGB analog anwendbar ist auf Unternehmen, die den Anforderungen an § 1 II HGB nicht entsprechen. Die Lage ist jedoch hinsichtlich der Firmenfortführung gemäß § 25 I HGB anders als bei § 28 I HGB zu bewerten. Denn § 25 I HGB knüpft im Unterschied zu § 28 I HGB daran an, dass die Firma fortgeführt wird. Eine Firma kann gemäß § 17 HGB jedoch nur ein Kaufmann führen. Wer nicht Kaufmann ist, ist mangels Handelsregistereintragung auch nicht imstande, einen Haftungsausschluss gemäß § 25 II HGB in das Handelsregister eintragen zu lassen. Im übrigen wird ein Nicht-Kaufmann nicht mit der strengen Haftung des § 25 II HGB rechnen können. Daher ist eine Analogie des § 25 I HGB abzulehnen. Zudem fehlt es auch an der gemäß § 25 I HGB erforderlichen Firmenfortführung durch die Vor-GmbH oder die BGB-Gesellschaft. Zwar sind Abweichungen der Unternehmensbezeichnung zulässig, jedoch wird verlangt, dass der Firmenkern nach der Verkehrsanschauung derselbe geblieben ist. Dies kann jedoch für die Bezeichnung „Sunshine“ und „Palm Beach“ gegenüber der von A verwendeten Bezeichnung „Sun+Fun“ nicht angenommen werden, zumal es gerade im Sektor von Sonnenstudios sehr gebräuchlich ist, in die Firmenbezeichnung Assoziationen von Sonne, Strand etc. aufzunehmen und eine solche assoziative Nähe der Bezeichnungen somit nicht eine Unternehmenskontinuität nahelegt. Daher haftet die Vor-GmbH und spätere BGB-Gesellschaft gegenüber der Sparkasse nicht gemäß § 488 I S.2 BGB, § 25 I HGB analog, so dass auch eine persönliche Haftung der Gesellschafter B und C nicht in Betracht kommt.

Anmerkung

Zu dem Thema dieses Artikels kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Ergänzt wird diese Klausur durch den Aufsatz über die Anspruchsgrundlagen im Gesellschaftsrecht.

Für eine Übersicht aller Beiträge und Klausurfälle siehe unter „Artikel“.

Näheres zur verfassungsrechtlichen Bedeutung des Eigentums: Das Eigentum Art. 14 I 1 GG

siehe auch: Klausur Forderungsabtretung

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausurfall zur BGB-Gesellschaft auf unserer Website Jura Individuell.

Klausurfall Sicherungsübereignung

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Fall:

A betreibt einen Sportbootverleih. Die dafür erforderlichen Sportboote bezieht er regelmäßig bei der Werft B.  Am 01.06.2008 werden ihm 10 Boote von der B geliefert. Dabei vereinbaren A und B Ratenzahlung mit Eigentumsvorbehalt. A lässt anschließend zwischen dem 10. und 20.07.2008 bei der C-GmbH in die gelieferten 10 Sportboote Sitzbänke montieren. Die Sitzbänke sind so ausgelegt, dass sie abgeschraubt werden und in andere Boote montiert werden können. Für diese Sitzbänke wird zwischen A und der C-GmbH ebenfalls Ratenzahlung mit Eigentumsvorbehalt vereinbart. A gerät anschließend in finanzielle Schwierigkeiten. Die B verlangt daher von A weitere Sicherheiten für die noch ausstehenden Kaufpreisraten. A und B vereinbaren daher am 05.09.2008 eine Sicherungsübereignung der Sitzbänke mit der Bestimmung, dass A weiterhin berechtigt sein soll, die Sitzbänke im Rahmen seiner Sportbootvermietung zu benutzen. Die B hat bei dieser Vereinbarung keine Kenntnis von dem Eigentumsvorbehalt seitens der C-GmbH. Die B sicherungsübereignet am 20.10.2008 im Rahmen einer Refinanzierung die 10 Sportboote samt Sitzbänken an die D-Bank unter Abtretung des Herausgabeanspruches. Am 15.11.2008 bestätigt A gegenüber der C-GmbH, die ebenfalls von den finanziellen Schwierigkeiten des A gehört hatte, in einem telefonischen Gespräch, dass die Sitzbänke weiterhin von ihm für die C-GmbH verwahrt würden. Am 25.11.2008 muss A aufgrund zunehmender finanzieller Schwierigkeiten seine Zahlungen einstellen. Anschließend stellt sich die Sachlage für alle Beteiligten heraus. A gibt die Sportboote auf Verlangen der D-Bank an diese heraus. Hiermit ist die C-GmbH nicht einverstanden. Wegen der Zahlungsrückstände des A tritt die C-GmbH vom Vertrag mit A zurück und verlangt anschließend von der D-Bank Herausgabe der Sitzbänke.

Zu Recht ?

Lösung:

Anspruch aus § 985 BGB

Die C-GmbH verlangt von der D-Bank Herausgabe der Sitzbänke. Anspruchsgrundlage hierfür könnte § 985 BGB sein, wonach der Eigentümer vom Besitzer die Herausgabe verlangen kann. Da sich die B im Besitz der Sitzgruppen befindet, ist allein fraglich, ob die C-GmbH noch Eigentümerin ist.

1. Eigentumsverlust von C-GmbH an A gemäß § 929 BGB

Die C-GmbH könnte ihr ursprünglich bestehendes Eigentum an den Sitzbänken nach § 929 BGB an die Sportbootvermietung A verloren haben. Allerdings erfolgte die Lieferung unter Eigentumsvorbehalt. Dann ist gemäß § 449 I BGB im Zweifel anzunehmen, dass die Übertragung des Eigentums unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Zahlung des Kaufpreises erfolgt ist. Diese aufschiebende Bedingung ist aber bisher noch nicht eingetreten, sodass ein Eigentumsverlust an A nicht gegeben ist.

2. Eigentumsverlust von C-GmbH an B

Fraglich ist, ob die C-GmbH ihr Eigentum an B verloren hat

a.) Gesetzlicher Eigentumserwerb von B gemäß § 947 II BGB

Denkbar ist zunächst ein gesetzlicher Eigentumserwerb von B gemäß § 947 II BGB durch Verbindung der Sitzbänke mit den Sportbooten. Die Sportboote standen nämlich aufgrund des auch im Verhältnisses zwischen B und A vereinbarten Eigentumsvorbehaltes noch im Eigentum von B. Voraussetzung für eine Anwendbarkeit des § 947 II BGB wäre allerdings, dass die Sitzbänke und Sportboote derart miteinander verbunden wären, dass sie wesentliche Bestandteile einer einheitlichen Sache i.S.v. § 93 BGB geworden und die Sitzbänke dabei zugleich die Hauptsache i.S.v. § 947 II BGB anzusehen wären.

Wesentlich sind nach § 93 BGB nur solche Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können ohne, dass der eine oder andere Teil zerstört oder in seinem Wesen verändert wird. Entscheidend ist insoweit also nicht, ob die Gesamtsache – hier die Sportboote mit Sitzbänken – nach der Trennung noch in ihrem bisherigen Wesen genutzt werden kann, sondern ob die Teile je für sich durch die Trennung zerstört oder in ihrem Wesen beeinträchtigt würden. Dies ist bei den Fahrzeugen nicht der Fall, da weder die Sportboote noch die Sitzbänke durch die Trennung verändert würden, die Sitzbänke vielmehr abgeschraubt und in andere Boote montiert werden können. Ein gesetzlicher Eigentumserwerb von B hat danach auszuscheiden.

b.) Gutgläubiger Erwerb der B von A gemäß §§ 930, 933 BGB

Möglich ist aber, dass die C-GmbH das Eigentum durch einen rechtsgeschäftlichen, gutgläubigen Erwerb der B von A gemäß §§ 930, 933 BGB verloren hat. Die erforderliche Einigung über den Eigentumsübergang ist zwischen A und B im Rahmen der Sicherungsübereignung ebenso erfolgt, wie die Vereinbarung eines Besitzmittlungsverhältnisses i.S.v. § 868 BGB. Letzteres liegt in dem schuldrechtlichen Sicherungsvertrag begründet, der die Rechte und Pflichten in Bezug auf die Benutzung der Sache regelt.

Wegen der oben schon aufgezeigten Nichtberechtigung von A wäre gemäß § 933 BGB für einen gutgläubigen Erwerb der B aber zusätzlich die spätere Übergabe von A an B und deren Gutgläubigkeit zu diesem Zeitpunkt erforderlich gewesen.  Die Übergabe ist aber nicht erfolgt, weil A den unmittelbaren Besitz an den Sitzbänken behalten und damit der für die Übergabe erforderliche Besitzverlust des Veräußerers nicht stattgefunden hat.

Ob in der späteren Herausgabe der Sitzbänke an die D-Bank zugleich eine Übergabe im Wege des Geheißerwerbs an B lag, kann offen bleiben, da sich die wahre Sachlage schon zuvor für alle Beteiligten herausgestellt hatte und B daher jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gutgläubig war.

Im Ergebnis kommt daher ein gutgläubiger Erwerb der B von A gemäß §§ 930, 933 BGB nicht in Betracht.

3. Gutgläubiger Erwerb der B von A gemäß §§ 931, 934 BGB

Fraglich könnte aber sein, ob die C-GmbH ihr Eigentum an den Sitzbänken vielleicht durch gutgläubigen Erwerb der D-Bank von B verloren hat. Ein derartiger Erwerb könnte sich gemäß §§ 931, 934 BGB vollzogen haben.

Die erforderliche Einigung über den Eigentumsübergang ist zwischen B und D-Bank im Rahmen der Refinanzierung durch die insoweit vereinbarte Sicherungsübereignung erfolgt. Fraglich ist daher allein, ob die wirksame Abtretung eines Herausgabeanspruches der B an die D-Bank vorliegt. Da B als Nichtberechtigte verfügt hat, ist gemäß § 934 BGB danach zu unterscheiden, ob B im Zeitpunkt der Abtretung des Herausgabanspruchs mittelbarer Besitzer gem. § 934 1. Alt. BGB war oder nur ein vermeintlich bestehender Herausgabeanspruch abgetreten wurde nach § 934 2. Alt. BGB. In letzterem Fall wäre ein gutgläubiger Erwerb der D-Bank ausgeschlossen, da insoweit eine Gutgläubigkeit bis zum Zeitpunkt der Übergabe erforderlich gewesen wäre.  Die D-Bank  hatte aber schon vor der Besitzerlangung von A Kenntnis von der wahren Sachlage erlangt und war insoweit nicht mehr gutgläubig in Bezug auf das Eigentum von B.

a.) mittelbarer Besitz nach § 934, 1. Alt. BGB

Daher ist zu fragen, ob B im Sinne der 1. Alt. des § 934 BGB mittelbaren Besitz an den Sitzbänken hatte. Insoweit könnte problematisch sein, dass A zwar mit dem B eine Sicherungsübereignung der Sitzbänke und somit auch ein im Sicherungsvertrag liegendes Besitzmittlungsverhältnis vereinbart hat, die Übereignung aber an der fehlenden Übergabe gescheitert ist. Man könnte insoweit die Auffassung vertreten, dass die fehlgeschlagene Sicherungsübereigung nach § 139 BGB auch das Besitzmittlungsverhältnis erfasst und B damit nicht in der Lage gewesen wäre, den mittelbaren Besitz durch Abtretung des Herausgabeanspruchs auf die D-Bank  zu übertragen.

Ob § 139 BGB im Hinblick auf das Abstraktionsprinzip überhaupt im Verhältnis zwischen schuld- und sachenrechtlichem Geschäft Anwendung finden kann, muss hier nicht entschieden werden, da auch unabhängig von dieser Frage eine Nichtigkeit des Besitzmittlungsverhältnisses nicht angenommen werden kann. Insoweit ist nämlich zu bedenken, dass in der fehlgeschlagenen Sicherungsübereignung im Verhältnis zwischen B und A die wirksame Übertragung des Anwartschaftsrechts auf Erlangung des Vorbehaltseigentums gesehen werden kann. Ob dieses Ergebnis bereits aus einer interessengerechten Auslegung der Sicherungsübereignung oder aus einer Umdeutung folgt, kann dabei offen bleiben, da die Übertragung des Anwartschaftsrechts jedenfalls der Interessenlage der Parteien entspricht und A im Hinblick auf das Anwartschaftsrecht als Berechtigter verfügen konnte. War aber die Übertragung des Anwartschaftsrechts wirksam, dann besteht auch kein Grund dafür, dass das Besitzmittlungsverhältnis nichtig sein könnte. Damit aber bestand auch ein Herausgabeanspruch von B gegenüber A, der im Sinne der 1. Alt. des § 934 BGB an die D-Bank abgetreten werden konnte.

Da die D-Bank zu diesem Zeitpunkt der Abtretung auch noch gutgläubig i.S.v. §§ 934, 932 II BGB war und die Aufbauten der C-GmbH mangels unfreiwilligen Verlustes des unmittelbaren Besitzes auch noch abhanden gekommen waren gem. § 935 BGB, wäre der Erwerbstatbestand des § 934 1. Alt. BGB eigentlich erfüllt, sodass die C-GmbH ihr Eigentum an die D-Bank verloren hätte.

b.) Nebenbesitz

Fraglich ist aber, ob eine Einschränkung nicht mit der Erwägung vertreten werden könnte, dass B in Wirklichkeit nur einen „minderwertigen“, gleichgestuften Nebenbesitz hatte, weil auch im Verhältnis zwischen A und dem Vorbehaltsverkäufer C-GmbH ein Besitzmittlungsverhältnis bestand. Eine derartige Betrachtungsweise wäre aber rechtlich nicht zutreffend. Im Sachenrecht gilt ein nummerus clausus, der die Annahme eines im Gesetz nicht geregelten Nebenbesitzes nicht zuläßt. Außerdem ist zu bedenken, dass der ursprünglich im Rahmen des EV zwischen C-GmbH und A bestehende mittelbare Besitz durch die Vereinbarung des neuen Besitzmittlungsverhältnisses mit B geendet ist. Durch diese Vereinbarung hat A nämlich nach außen zu erkennen gegeben, dass er die Sitzbänke nunmehr für B und nicht mehr für den Vorbehaltslieferanten C-GmbH besitzen will. Ein möglicherweise entgegenstehender innerer Wille von A ist dabei unerheblich, weil es bei der Begründung des Besitzmittlungsverhältnisses zu B – wie auch sonst bei Rechtsgeschäften – auf den erklärten Willen ankommt. Die C-GmbH hat daher ihren mittelbaren Besitz bei Vereinbarung der Sicherungsübereignung zwischen A und B am 05.09.2008 verloren.

Ob eine ausdrückliche Bestätigung des Besitzwillens, wie sie hier am 15.11.2008 von A gegenüber der C-GmbH erfolgte, geeignet ist, den einmal beendeten mittelbaren Besitz neu zu begründen, kann offen bleiben, da der in Rede stehende Erwerbsvorgang der D-Bank jedenfalls schon zuvor, nämlich am 01.08.2004,  abgeschlossen war.

c.) Voraussetzungen des § 934, 1. Alt. BGB

Ein Eigentumserwerb der D-Bank gemäß § 934 BGB könnte aber möglicherweise im Hinblick auf die sonstigen vom Gesetzgeber für den gutgläubigen Erwerb aufgestellten Grundsätze als zweifelhaft erscheinen. Auf den ersten Blick könnte das Ergebnis eines Eigentumserwerbs der D-Bank deshalb als widersprüchlich erscheinen, weil die D-Bank als zweiter Sicherungsnehmer der Vorbehaltssache ferner steht als der erste Sicherungsnehmer B, der gemäß § 933 BGB kein Eigentum erwerben konnte. Man könnte insoweit argumentieren, dass sich die Voraussetzungen des § 933 BGB, der eine Übergabe verlangt, leicht dadurch umgehen ließen, dass die Sache bei einem Dritten eingelagert und dann der Herausgabeanspruch abgetreten wird. Insoweit könnte eine teleologische Reduktion des § 934 1. Alt. BGB dahingehend veranlasst sein, dass ebenso wie bei § 933 BGB eine spätere Übergabe der Sache und Gutgläubigkeit bis zu diesem Zeitpunkt verlangt wird.

Dagegen spricht aber der eindeutige Wortlaut des § 934 BGB, der ausdrücklich zwischen verschiedenen Fällen differenziert und für die 1. Alt. allein die Abtretung genügen lässt. Diese Bestimmung ist – auch im Verhältnis zu § 933 BGB – durchaus systemgerecht, weil der gutgläubige Erwerb nach §§ 932 ff BGB immer dann eintritt, wenn der Veräußerer jeglichen Besitz verliert. Das aber ist bei der Abtretung des Herausgabeanspruches im Gegensatz zu § 933 BGB der Fall. Bei der Übereignung nach §§ 930, 933 BGB bleibt der Veräußerer nämlich unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer der Sache. Da der Gesetzgeber also den gutgläubigen Erwerb jeweils an den vollständigen Besitzverlust des Veräußerers geknüpft hat, kann von dieser Regelung nicht durch teleologische Reduktion des § 934 1. Alt. BGB abgewichen werden. Es fehlt im Hinblick auf die vom Gesetzgeber erkannte Differenzierung bereits an der erforderlichen verdeckten Regelungslücke.

4. Ergebnis

Im Ergebnis bleibt es daher dabei, dass die D-Bank bereits zur Zeit der Abtretung des Herausgabeanspruchs am 20.10.2008 das Eigentum an den Sitzbänken erworben und die C-GmbH dieses verloren hat. Mangels fortbestehenden Eigentums der C-GmbH kann diese von der D-Bank nicht gemäß § 985 BGB die Herausgabe verlangen.

Anmerkung

Zu dem Thema dieses Falles kann jederzeit ein vertiefender Crahskurs gebucht werden.

Dieser Fall hat die im Blog-Beitrag: „Vorstellung der Klausur im Mobiliarsachenrecht“ genannten Themenbereiche zum Gegenstand. Einen grundsätzlichen Artikel zum Mobiliarsachenrecht findet ihr unter „Klausur im Mobiliarsachenrecht“. Eine Übersicht aller Beiträge und Klausurfälle findet ihr unter „Artikel“.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausurfall Sicherungsübereignung auf unserer Website Jura Individuell.

Klausurfall Verbrauchervertrag

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Fall:

K will für sich und seine Frau F, die sich gerade auf einer mehrwöchigen Urlaubsreise befindet, einen neuen Fernseher kaufen und begibt sich deswegen am 18.07.2004 in das Fachgeschäft von V. Dort entdeckt er einen Sony-Fernseher zum Preis von 1000.- Euro, der genau seinen Vorstellungen entspricht. K entschließt sich zum Kauf und einigt sich mit V. Obwohl K und F in einer geräumigen Mietwohnung wohnen und beide teure Autos fahren, kann K den Kaufpreis wegen eines aktuellen Zahlungsengpasses nicht sofort bezahlen. V schlägt deswegen vor, hinsichtlich der Finanzierung des Fernsehers die ihm verbundene B-Bank AG einzuschalten, bei der besonders günstige Konditionen gewährt werden. Diese soll den Darlehensbetrag direkt an V auszahlen. V hat entsprechende Kreditformulare der B vorrätig und er ist außerdem befugt, im Namen der B entsprechende Verträge abzuschließen. K ist mit dem Vorschlag einverstanden und V setzt daraufhin einen Kreditbetrag in Höhe von 1000.- Euro in das Formular ein. Der Kredit soll in 10 Monaten à 100.- Euro plus Zinsen rückzahlbar sein. Alle gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtangaben und Belehrungen werden ordnungsgemäß gemacht. Das Kreditformular wird von V im Namen der B sowie von K unterzeichnet. Wie vorgesehen zahlt B kurz darauf den Kreditbetrag an V aus. Der gekaufte Fernseher bereitet jedoch nicht lange Freude. Nach drei Wochen implodiert der Fernseher aufgrund eines Mangels. K wendet sich empört an V, der die Lieferung eines neuen Fernsehers jedoch strikt ablehnt. K erklärt daraufhin gegenüber V den Rücktritt und verweigert gegenüber B die Zahlung der fälligen Raten.

1. Steht der B gegen K ein Anspruch auf Zahlung der Raten zu ?

2.K hat bereits zwei Monatsmieten an die B gezahlt. Hat er einen Anspruch gegen B auf Rückzahlung der Raten?

Lösung:

A. Frage 1

I. Anspruch der B gegen K auf Zahlung der Raten aus § 488 I S. 2 BGB

Die nach § 1 AktG rechtsfähige B könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung der Raten aus § 488 I S. 2 BGB haben.

1. Anspruch entstanden

Dann müsste der Anspruch zunächst entstanden sein. Dafür müssten B und K einen wirksamen Darlehensvertrag geschlossen haben. Zwischen B und K gab es keinen direkten geschäftlichen Kontakt, jedoch hat V gemäß § 164 I BGB für die B ein Angebot zum Abschluss eines Darlehensvertrages abgegeben. K müsste dieses Angebot auch angenommen haben und sofern es sich um einen Verbraucherdarlehensvertrag im Sinne des § 491 BGB handelte, müsste dies gemäß § 492 BGB auch schriftlich geschehen sein.

B hat das Darlehen im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit gewährt und handelte somit als Unternehmerin gemäß § 14 I BGB. K wollte den Kredit zum Kauf eines Fernsehers für private Zwecke aufnehmen und handelte daher als Verbraucher im Sinne des § 13 I BGB. Damit liegt ein Verbraucherdarlehensvertrag nach § 491 BGB vor. K hat das Angebot der B zum Abschluß dieses Vertrages angenommen. Der Vertrag wurde auch in schriftlicher Form geschlossen, sodass der Verbraucherdarlehensvertrag auch wirksam zustande gekommen ist.

Voraussetzung für die Entstehung des Rückzahlungsanspruches ist darüber hinaus die Auszahlung des Darlehensbetrages. B hat den Betrag hier nicht an K, sondern an V ausbezahlt. Gemäß § 362 II BGB gilt jedoch auch die Leistung an einen Dritten als Erfüllung, wenn der Gläubiger gemäß § 185 BGB einwilligt. K hatte hier vertraglich eingewilligt, da das Darlehen der Finanzierung des bei V gekauften Fernsehers diente. Der Rückzahlungsanspruch der B ist somit entstanden.

2. Anspruch nicht untergegangen

Bezüglich des Darlehensvertrages steht dem K auch kein Widerrufs- oder Rücktrittsrecht zu, sodass der Anspruch auch nicht untergegangen ist.

3. Einwendungsdurchgriff

Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs könnte aber § 359 S. 1 BGB entgegenstehen. Dieser regelt den sog. Einwendungsdurchgriff. Er wurde von der Rechtsprechung zunächst auf der Grundlage von § 242 BGB entwickelt, sodann in § 9 VerbrKrG und nun in § 359 BGB normiert. Danach kann K der B möglicherweise Einwendungen aus dem Kaufvertrag mit V entgegenhalten.

Erste Vorausetzung hierfür ist, dass es sich sowohl bei dem Darlehens- als auch bei dem Kaufvertrag um einen Verbrauchervertrag handelt. Für den Darlehensvertrag wurde dies bereits oben dargelegt. Da V ebenso wie B Unternehmer nach § 14 I BGB ist und K wiederum Verbraucher im Sinne des § 13 I BGB ist, handelt es sich auch bei dem Kaufvertrag um einen Verbrauchervertrag.

Des Weiteren müssten die Verträge verbunden sein. Nach der Legaldefinition des § 358 III BGB liegt eine solche Verbundenheit vor, wenn das Darlehen ganz oder teilweise der Finanzierung des anderen Vertrages dient und beide Verträge eine wirtschaftliche Einheit bilden. Das Darlehen dient hier der Finanzierung des Fernsehkaufs. Eine wirtschaftliche Einheit liegt nach § 358 III S. 2 BGB insbesondere dann vor, wenn sich der Darlehensgeber bei der Vorbereitung oder dem Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages der Mitwirkung des Unternehmers bedient, der den verbundenen Vertrag geschlossen hat, § 358 III S. 2 ,2. Alt. BGB. Es handelt sich hierbei um eine unwiderlegbare Vermutung. Hier hatte V bereits Kreditformulare der B vorrätig. Die B bediente sich also des V für die Vorbereitung und den Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrages. Eine wirtschaftliche Einheit zwischen beiden Verträgen liegt damit gemäß § 358 III S. 2, 2. Alt. BGB vor. Es handelt sich somit um verbundene Geschäfte im Sinne des § 358 III S. 1 BGB.

Schließlich setzt § 359 S. 1 BGB voraus, dass dem Verbraucher bezüglich des mit dem Darlehensvertrag verbundenen Geschäfts eine Einwendung zusteht, die ihn zur Leistungsverweigerung berechtigen würde. Damit sind alle Einreden im weiteren Sinne gemeint, nach allgemeiner Ansicht fallen auch Gestaltungsrechte hierunter, sofern sie ausgeübt wurden. K könnte hier wirksam von dem mit V geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten sein. Eine nach § 349 BGB erforderliche Rücktrittserklärung hat K abgegeben. Ein Rücktrittsgrund könnte sich für ihn aus §§ 437 Nr. 2, 1. Alt., 323 BGB ergeben haben. Ein Kaufvertrag zwischen K und V lag vor. Der gekaufte Fernseher war auch mit einem Mangel im Sinne des § 434 BGB behaftet, sodass K gemäß § 437 Nr. 2, 1. Alt. BGB unter den weiteren Voraussetzungen des § 323 BGB ein Rücktrittsrecht zustand. Neben der nicht vertragsgemäßen Leistung stellt § 323 I BGB noch das Erfordernis des erfolglosen Ablaufs einer angemessenen Frist auf. Eine Frist hat K nicht gesetzt. Gemäß § 323 II Nr. 1 BGB ist dies jedoch entbehrlich, wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. Hier hat V die Lieferung eines neuen Fernsehers strikt abgelehnt. K konnte daher auch ohne Fristsetzung wirksam zurücktreten. Ihm steht somit eine Einwendung aus dem Kaufvertrag zu, die ihn zur Leistungsverweigerung berechtigt.

Letztlich setzt die Verweigerung der Darlehensrückzahlung nach § 359 S. 3 BGB noch voraus, dass eine mögliche Nacherfüllung fehlgeschlagen ist. Hier war eine Nacherfüllung möglich. V hat diese jedoch ernsthaft und endgültig verweigert. Fraglich ist, ob dies gleichbedeutend mit einem Fehlschlagen ist. In § 440 S. 1 BGB sind der Fehlschlag und die Leistungsverweigerung getrennt aufgeführt, was zeigt, dass hiermit zunächst mal nicht das gleiche gemeint ist. Die Rechtsfolgen sind jedoch auch dort die gleichen, wodurch deutlich wird, dass die Interessenlage gleich bewertet wird. Es erscheint auch im Rahmen des § 359 BGB widersinnig, dem Verbraucher ein Verweigerungsrecht nicht zuzuerkennen, wenn ihm eine vertragsgemäße Leistung verweigert wurde. Wie es auch in Bezug auf den früheren § 9 VerbrKrG anerkannt war, wird im Rahmen des § 359 S. 3 BGB die Leistungsverweigerung daher dem Fehlschlagen der Nacherfüllung gleichgesetzt. § 359 S. 3 BGB steht dem Einwendungsdurchgriff somit nicht entgegen. Indem K die Zahlung gegenüber B verweigert hat, hat er die Einrede des § 359 S. 1 BGB auch erhoben. Die Voraussetzungen des Einwendungsdurchgriffs nach § 359 S. 1 BGB liegen somit vor.

II. Ergebnis

Der Anspruch der B auf Rückzahlung der fälligen Raten aus § 488 I S. 2 BGB besteht somit, er ist jedoch aufgrund des Einwendungsdurchgriffes nach § 359 S. 1 BGB nicht durchsetzbar.

B. Frage 2

I. Rückforderungsanspruch des K gegen B aus § 346 I BGB

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung der aufgrund des Darlehensvertrages geleisteten Raten aus § 346 I BGB haben. Dann müsste K ein Rücktrittsrecht bezüglich des Darlehensvertrages zustehen. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum Finanzierungsleasing kommt hier § 313 III S. 1 BGB als Rücktrittsgrund in Betracht. Der BGH geht hierbei davon aus, dass die Geschäftsgrundlage zwischen Leasinggeber und Leasingnehmer ex tunc entfällt, sofern der Leasinggegenstand mangelhaft ist und der Kaufvertrag zwischen Leasinggeber und Lieferant rückabgewickelt werden muss. Die Mangelhaftigkeit des Fernsehers als Kaufsache könnte somit hier die Geschäftsgrundlage des Darlehensvertrages entfallen lassen. Der BGH hat jedoch in späteren Entscheidungen klargestellt, dass seine Überlegungen zum Finanzierungsleasing darauf basieren, dass die vertragstypische Verpflichtung des Leasinggebers in der mangelfreien Überlassung des Gebrauchs der Leasingsache besteht. Demgegenüber kommt dem Darlehensgeber beim verbundenen Geschäft eine reine Finanzierungsfunktion zu. Das Risiko, dass die Kaufsache mangelhaft ist, fällt zunächst allein in den Risikobereich des Kaufvertrages, der hier zwischen V und K besteht. Die Mangelhaftigkeit der Kaufsache ist mithin nicht die Geschäftsgrundlage des Darlehensvertrages, sodass es hier zumindest nicht zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage mit Wirkung ex tunc zwischen K und B kommt. Es kommt lediglich eine Änderung der Geschäftsgrundlage ex nunc in Betracht. Ein Rückforderungsanspruch bezüglich der bereits geleisteten Raten kann aber auf diesem Wege nicht erreicht werden.

II. Rückforderungsanspruch aus §§ 346 I, 357, 358 IV S. 5 BGB analog

K könnte aber einen Rückforderungsanspruch gegen B aus §§ 346 I, 357, 358 IV  S. 5 BGB analog haben. § 358 IV S. 5 BGB bestimmt, dass im Falle eines Widerrufs seitens des Verbrauchers der Darlehensgeber in die Rechte unf Pflichten des Unternehmers eintritt. Die B würde demnach in die Rechtsstellung des V eintreten, sofern K den Kaufvertrag wirksam widerrufen würde. Sie wäre dann wie V gemäß §§ 357, 346 I BGB zur Rückgewähr der bereits empfangenen Leistungen verpflichtet. Hier hat K den Kaufvertrag jedoch nicht widerrufen, sondern ist von ihm zurückgetreten. Fraglich ist, ob § 358 IV S. 3 BGB in diesem Fall analog anzuwenden ist. Es gibt für den Rücktritt keine § 358 IV S. 3 BGB entprechende Regelung, sodass eine Regelungslücke besteht. Aus der Verweisung von § 358 IV S. 1 BGB auf § 357 BGB zeigt sich auch, dass das Gesetz die Interessenlage bei einer Rückabwicklung nach einem Rücktritt zumindest ähnlich beurteilt wie bei einem Widerruf. Der BGH hat zudem für den alten § 9 III VerbrKrG eine analoge Anwendung des damaligen § 9 II S. 4 VerbrKrG angenommen und somit in allen Fällen des Einwendungsdurchgriffs eine Rückforderung zugelassen. Zwar ist die Regelungslücke nach den Ausführungen des BGH nicht planwidrig, der Gesetzgeber soll danach aber die Lösung des Problems bewusst Rechtsprechung und Lehre überlassen haben. Demnach wäre in den Fällen des Einwendungsdurchgriffs stets auch ein Rückforderungsdurchgriff möglich, also auch im hier vorliegenden Fall des Rücktritts vom verbundenen Vertrag.

Im Schrifttum wird die Analoge dagegen überwiegend abgelehnt. Zur Begründung wird zum einen angeführt, dass der Einwendungsdurchgriff den Verbraucher lediglich von den Folgen einer formalen Aufspaltung der Verträge schütze, § 358 IV S. 5 BGB dagegen stelle bereits eine Sonderregelung dar, welche den Verbraucher über das Aufspaltungsrisiko hinaus privilegiere. Als solche Sonderegelung sei die Vorschrift nicht auf die weiteren Fälle des Einwendungsdurchgriffs zu erweitern. Des Weiteren wurde zur Regelung des § 9 VerbrKrG vorgetragen, dass zumindest aus dem Referentenentwurf des VerbrKrG eindeutig hervorginge, dass ein Rückforderungsdurchgriff nicht gewollt sei. Dass der Gesetzgeber ihn dann nicht aufgenommen hat deutet in der Tat darauf hin, dass sich an dieser Entscheidung bis zum Ende des Gesetzgebungsverfahrens nichts geändert hat. Auch im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung hat der Gesetzgeber bei der Schaffung der §§ 358, 359 BGB auf eine solche Regelung verzichtet. Daher wird auch angmerkt, von einer planwidrigen Regelungslücke könne nicht ausgegangen werden. Zudem besteht trotz ähnlichkeit von Widerruf und Rücktritt ein wichtiger Unterschied bezüglich deren Voraussetzungen: Das Widerrufsrecht besteht für den Verbraucher unabhängig von einem vertraglichen Fehlverhalten der anderen Partei. Das Gesetz räumt dem Verbraucher dieses Recht in einigen Fällen ein, um ihn besonders vor übereilten Entscheidungen zu schützen. § 358 IV S. 5 BGB führt diese Privilegierung fort. Das gesetzliche Rücktrittsrecht setzt jedoch ein vertragliches Felverhalten der anderen Partei voraus. Streitigkeiten hierüber müssen ebenso zwischen den Vertragsparteien bleiben wie daraus resultierende Rückabwicklungen. Maßgeblich bleibt die konkrete Leistungsbeziehung, sodass jede Partei auch das Insolvenzrisiko ihres Vertragspartners tragen muss. Eine für den Verbraucher günstigere Rückforderungsmöglichkeit in Form eines Rückforderungsdurchgriffs gegenüber dem Darlehensgeber ist nicht gerechtfertigt. Der Verbraucher würde hier letztlich besser stehen, als wenn er nur mit dem Verkäufer einen Teilzahlungskauf vereinbart hätte. Eine solche Besserstellung ist aber vom Gesetz nicht vorgesehen.

III. § 812 I S. 1, 1. Alt. oder S. 2, 1. Alt. BGB

K könnte gegen B Rückforderungsansprüche aus § 812 I S. 1, 1. Alt. oder S. 2, 1. Alt. BGB haben. K hat an den B zwei Raten geleistet. Jedoch ist der Darlehensvertrag weiterhin wirksam, sodass dies mit Rechtsgrund geschehen ist. Diese Ansprüche scheiden daher aus.

IV. § 812 I S. 2, 2. Alt. BGB

In Betracht kommt auch ein Rückforderungsanspruch gemäß § 812 I S. 2, 2. Alt. BGB. Dann müsste K jedoch an B geleistet haben, um diese zu einem rechtsgeschäftlich nicht geschuldeten Verhalten zu bewegen. K zahlt jedoch die Darlehensraten, weil er dazu gemäß § 488 I S. 2 BGB verpflichtet ist. Primär bezweckt K also die Befreiung von seiner Verbindlichkeit. Bei einer Leistung im gegenseitigen Vertrag ist der Leistende jedoch grundsätzlich auf die Rechtsbehelfe des Vertragsrechts zu verweisen. Ausnahmsweise lässt die Rechtsprechung die condictio ob rem hier zu, wenn ein über die Hauptleistung hinausgehender Erfolg nach der Einigung der Parteien als zusätzliche Zweckvereinbarung eintreten sollte. Das K einen mangelfreien Fernseher haben will, ist jedoch ein einseitiges Motiv. Eine zusätzliche Zweckvereinbarung mit B liegt hier nicht vor. Die Leistung des K erfolgte auch nicht in der Erwartung, die B zur Lieferung eines mangelfreien Fernsehers zu bewegen. Ein Anspruch aus § 812 I S. 2, 2. Alt. BGB besteht für K daher nicht.

V. § 813 I S. 1 BGB

Ein Rückforderungsanspruch könnte sich letztlich noch aus § 813 I S. 1 BGB ergeben. Dieser setzt das Bestehen einer Einrede zum Zeitpunkt der Leistung voraus. Der hier vorliegende Rücktritt führt allerdings zu einer Umgestaltung des Vertrages mit Wirkung ex nunc und begründet somit erst von diesem Zeitpunkt an gemäß § 359 S. 1 BGB ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber der Darlehensgeberin B. Damit scheidet auch ein Rückforderungsanspruch aus § 813 I S. 1 BGB aus.

VI. Ergebnis

K hat somit keinen Rückforderungsanspruch bezüglich der bereits gezahlten Raten gegen B.

Anmerkung:

Zu diesem Thema kann ein erklärender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Zur Übersicht über alle aktuellen Klausuren und Beiträge siehe „Artikel“.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausurfall Verbrauchervertrag auf unserer Website Jura Individuell.

Klausurfall zum § 181 BGB

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Fall

Der großzügige verwitwete Vater Viktor will die Konfirmation seines 15-jährigen Sohnes Stefan zum Anlass nehmen, diesem ein bebautes Grundstück zu schenken. Er wendet sich mit seinem Anliegen an das Bauunternehmen Hofer-GmbH, deren auch zu Grundstücksverkäufen berechtigter Prokurist Paul ein guter Bekannter von Viktor ist.

Paul, der den wenig arbeitnehmerfreundlichen Teilhabern der Hofer-GmbH schon länger „eins auswischen“ möchte, bietet Viktor ein exzellent gelegenes, bebautes Grundstück (Wert: 400.000.- Euro), das im Eigentum der GmbH steht, für 200.000.- Euro an. Viktor erkennt, dass der äußerst niedrige Preis auch mit dem Konflikt zwischen Paul und seiner Arbeitgeberin zu tun hat, will sich aber die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen. Das Grundstück wird von Paul an Viktor im Namen der Hofer-GmbH formgerecht verkauft und aufgelassen; bis zur Konfirmation ist es noch einige Zeit; Auflassung und Eintragung als Eigentümer im Grundbuch erfolgen zunächst u.a. aus steuerlichen Gründen zugunsten Viktors, der das Grundstück längerfristig vermietet.

Anläßlich der Konfirmation von Stefan schenkt Viktor dem Stefan formgerecht das Grundstück. Wenige Tage später erfolgt die ebenfalls formgerechte Auflassung des (derzeit vermieteten) Grundstücks durch Viktor an Stefan, wobei Stefan durch Viktor vertreten wird. Kurz nach der Eintragung des Stefan als Eigentümer im Grundbuch entdeckt die Geschäftsführung der Hofer-GmbH das Geschäft zwischen Paul und Viktor und die unangemessene Preisgestaltung.

1. Hat die Hofer-GmbH gegen Stefan einen Anspruch auf Bewilligung ihrer Wiedereintragung in das Grundbuch als Eigentümerin des Grundstücks?

2. Abwandlung: Erst nach Stefans 18. Geburtstag erklären Viktor und Stefan vor dem Notar die Auflassung. Einige Tage später wird Stefan als Eigentümer ins Grundbuch eingetragen. Welche Ansprüche stehen der Hofer-GmbH gegen Stefan in diesem Fall zu ?

Lösung

Frage 1:

Anspruch der Hofer-GmbH (H) gegen Stefan (S) auf Bewilligung (§ 19 GBO) ihrer Wiedereintragung in das Grundbuch als Eigentümerin des Grundstücks

A. gemäß § 894 BGB

I. Unrichtigkeit des Grundbuchs

Grundbuch unrichtig, wenn Bucheigentümer S nicht auch tatsächlich Eigentümer des Grundstücks. Ursprünglich Eigentümer des Grundstücks: H; möglicherweise Eigentumsverlust durch Übereignung an V oder durch Übereignung von V an S gemäß §§ 873 I, 925 BGB.

1. Auflassung von H gegenüber V, §§ 873, 925 BGB: Auflassung von H gegenüber V, wenn H durch P wirksam vertreten (§§ 164 ff BGB).

a.) Eigene Willenserklärung in fremden Namen, § 164I BGB (+)

b.) Vertretungsmacht, § 167 BGB, §§ 48 ff HGB (§§ 13 III GmbHG, 6 I HGB)

aa.) gegenständliche Reichweite (§ 49 I HGB); Generell betriebstypische Geschäfte; an sich Ausschluss von Grundstücksgeschäften; § 49 II HGB; hier aber besondere Ermächtigung.

bb.) Einschränkung durch Kollusion/Missbrauch

Grundsatz, dass Innen- und Außenverhältnis voneinander unabhängig (Abstraktionsprinzip); aber Durchbrechung?

Nichtigkeit des Vertretergeschäfts wegen Kollusion, § 138 I BGB: (-), da kein einvernehmliches Zusammenwirken zwischen P und V zum Nachteil von H.

Missbrauch der Vertretungsmacht?

(1) Voraussetzungen auf Seiten des Dritten (+), wenn sich Missbrauch dem Dritten geradezu aufdrängen muss (ähnlich grober Fahrlässigkeit). Hier: Missbrauch für V nicht nur evident, sondern auch mit dolus eventualis bewusst.

(2) Voraussetzungen auf Seiten des Vertreters (+), wenn Vertreter bewusst unter Verletzung seiner Pflichten aus dem Innenverhältnis handelte (erhöhte Anforderungen an Missbrauch der Vertretungsmacht bei Prokura, da wegen gesetzlich typisierter Vollmacht des Handelsrechts erhöhter Vertrauensschutz): Hier (+), da P den Gesellschaftern „eins auswischen“ will.

(3) Rechtsfolge: Rspr.: § 242 BGB; h.L.: Begrenzung der Vertretungsmacht, § 177 ff. BGB analog. H.L. vorzugswürdig, weil Vertretene danach RG noch genehmigen kann und dogmatisch Ausnahme vom Abstraktionsprinzip berücksichtigt; Folge: Auflassung entsprechend § 177 I BGB schwebend unwirksam. Hier Genehmigung von S verweigert (Wiedereintragungsverlangen), sodass endgültige Unwirksamkeit die Folge.

cc.) Zwischenergebnis: H hat durch die zwischen P und V erklärte Auflassung nicht das Eigentum verloren.

2. Auflassung von V gegenüber S, §§ 873, 925 BGB;

a.) Fehlendes Eigentum des V: Zwar V nicht Eigentümer; aber § 892 I 1 BGB ? Unrichtigkeit dem Erwerber bekannt? Für Kenntnis des S auf Kenntnis des V abzustellen (§ 166 I BGB). V zwar Missbrauch bewusst (dolus eventualis); jedoch keine Kenntnis von schwebender Unwirksamkeit; jedenfalls keine Kenntnis iSd § 892 I 1 BGB.

b.) Form, hier (+).

c.) Einigung: Erklärung des V im eigenen Namen (Veräußerer) und im Namen von S (Erwerber). Wirksame Vertretung des S durch V gemäß §§ 164 ff. BGB? Handeln im Namen des S, § 164 I BGB (+). Vertretungsmacht? Grundsätzlich unbeschränkt, §§ 1626 I 1, 1629 I 1, 1680 I BGB (§ 1643 I BGB iVm. § 1821 Nr.1 BGB (-), weil S nicht Verfügender, sondern durch die Verfügung begünstigt; § 1643 I 1 BGB iVm. § 1821 Nr.5 (-), weil kein entgeltlicher Erwerb). Ausnahme: Verbot des Insichgeschäfts, § 1629 II 1 BGB iVm. § 1795 I bzw. §§ 1795 II, 181 BGB (ratio: Vermeidung von Interessenkollisionen): § 1795 I (-); §§ 1795 II, 181 BGB: Selbstkontrahieren (+): Ausnahme wegen bloßer Erfüllung einer Verbindlichkeit, § 181 BGB a.E.? Hier Verbindlichkeit des V gegenüber S aus Schenkungsvertrag (§ 516 BGB)? Hat V den S bei Abschluss des Schenkungsvertrages wirksam vertreten? §§ 1629 II, 1795 II, 181: Selbstkontrahieren (+), aber Ausnahme aufgrund teleologischer Reduktion, wenn in festumrissenen Rechtsbereich die Gefahr einer Interessenkollision schlechthin ausgeschlossen, wie etwa bei rechtlichem Vorteil für den Vertretenen. Rechtlicher Nachteil wegen öffentlicher Lasten (Steuern, Gebühren, etc.) (-), weil nicht durch Rechtsgeschäft, sondern durch öffentliches Recht begründet. Außerdem Haftung auf Grundstück beschränkt (vgl. § 1147 BGB). Rechtlicher Nachteil durch Schenkungsvertrag wegen Vermietung des Grundstücks ( § 566 I BGB)? Nein, weil durch den schuldrechtlichen Vertrag keine persönlichen Pflichten des Beschenkten begründet und keine Rechte des Minderjährigen aufgehoben werden; aber rechtlicher Nachteil bei Eigentumserwerb (Verfügungsgeschäft) wegen Eintritt in das Mietverhältnis (§ 566 I BGB) und daraus resultierende persönliche Haftung; allerdings grundsätzlich Abstraktionsprinzip; gleichwohl Nachteil aus Verfügungsgeschäft schon bei zugrundeliegendem Verpflichtungsgeschäft zu berücksichtigen als Durchbrechung des Abstraktionsprinzips? Andernfalls Schenkungsvertrag wirksam und Auflassung in Erfüllung einer Verbindlichkeit (+), sodass der gesetzliche Vertreter rechtlich nachteilige Erfüllungsgeschäfte für bzw. mit dem Minderjährigen entgegen den Wertungen der §§ 107, 181 BGB vornehmen könnte, h.M.: Gesamtbetrachtung: mögliche Nachteile aus dem Erfüllungsgeschäft sind schon bei der Beurteilung der rechtlichen Vorteilhaftigkeit des schuldrechtlichen Geschäftes zu berücksichtigen: Schenkungsvertrag schwebend unwirksam (§ 108 I BGB), Auflassung nicht Erfüllung einer (wirksamen) Verbindlichkeit iSd. § 181 BGB; Auflassung schwebend unwirksam nach § 177 I BGB; H weiterhin Eigentümerin des Grundstücks.

A.A.: Teleologische Reduktion von § 181 BGB dahin, dass zu erfüllende Verbindlichkeit rechtlich vorteilhaft sein muss. Hier: (-). Ergebnis wie bei h.M.

3. Zwischenergebnis: S wurde nicht Eigentümer des Grundstücks. Grundbuch daher unrichtig.

II. Aktivlegitimation von H (grundbuchfähig, § 13 I GmbHG) (+), weil ihr Eigentum fälschlicherweise nicht eingetragen ist.

III. Passivlegitimation von S (+), weil Bucheigentümer.

IV. Ergebnis: H kann von S gemäß § 894 BGB Bewilligung zu ihrer Eintragung als Grundstückseigentümerin verlangen.

B. gemäß § 812 I 1 BGB: 1. Alt.

(-), weil danach nur Rückabwicklung in den Leistungsverhältnissen H – V und V – S; wegen Vorrang der Leistungskondiktion § 812 I 12. Alt. (-).

C. gemäß § 822 BGB

1. Etwas Erlangt/Zuwendung: Vermögensvorteil durch Erlangung der Buchposition (+), weil dadurch Möglichkeit über das Grundstück zu verfügen

2. Bereicherungsanspruch H – V wegen Erlangung der Buchposition? Kaufvertrag und Erfüllungsgeschäft wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht durch P unwirksam; V hat Buchposition also ohne Rechtsgrund erlangt, so dass V gemäß § 812 I 11. Alt. BGB gegenüber H zur Bewilligung der Wiedereintragung von H verpflichtet ist.

3. (Wirksame) Unentgeltliche Zuwendung an Dritten? V bezüglich Buchposition Berechtigter, der S unentgeltlich zur Buchposition verholfen hat.

4. Verpflichtung des V zur Herausgabe der Bereicherung ausgeschlossen? (+), weil Verpflichtung des V infolge Verlusts der Buchposition ausgeschlossen.

5. Ergebnis: H hat gegen S Anspruch auf Bewilligung ihrer Wiedereintragung auch aus § 822 BGB

Frage 2:

A. Anspruch von H gegen S gemäß § 894 BGB

I. Unrichtigkeit des Grundbuchs

1. Auflassung und Eintragung, §§ 873 I, 925 BGB (+)

2. Berechtigung des V?

a.) Wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht kein Eigentumserwerb; Verfügung als Nichberechtigter; keine nachträgliche Genehmigung durch H ( §§ 185 II 1. Alt., 184 I BGB).

b.) Eigentümerstellung des H wegen § 892 I 1 BGB ?

aa.) Unrichtigkeit des Grundbuchs (+), weil V eingetragen, obwohl H Eigentümerin.

bb.) Begünstigter Personenkreis: Beschränkung auf rechtsgeschäftlichen Erwerb, hier (+).

cc.) Ausschlussgründe? positive Kenntnis des Erwerbers von der Unrichtigkeit oder Eintragung eines Widerspruchs (-).

dd.) Rechtsfolge: Grundbuch gilt als richtig (Fiktion). V gilt also zugunsten des S als Eigentümer.

II. Ergebnis: S hat Eigentum an dem Grundstück erworben. Grundbuch war mit Eintragung des S nicht mehr unrichtig. Kein Anspruch gemäß § 894 BGB.

B. Anspruch von H gegen S gemäß § 816 I 2 BGB

I. Verfügung eines Nichtberechtigten?: (+), wegen Übereignung durch Nichteigentümer V.

II. Wirksamkeit gegenüber dem Berechtigten? (+), wegen gutgläubigem Erwerb (§ 892 I 1 BGB): sachenrechtlicher Verkehrsschutz führt zu rechtsgrundlosem Erwerb, der wegen der geringeren Schutzbedürftigkeit des entgeltlichen Erwerbers schuldrechtlich rückabzuwickeln ist.

III. Unentgeltlichkeit der Verfügung? (+), weil Rechtsgrund der Übereignung Schenkung.

IV. Anspruchsinhalt: Eigentum an dem Grundstück ist herauszugeben.

Anmerkung

Zu diesem Klausurfall gibt es einen verständnisorientierten Artikel über das Abstraktionsprinzip sowie den Aufsatz über neutrale Geschäfte beschränkt Geschäftsfähiger.

Zu dem Thema dieses Klausurfalles kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Alle aktuellen Aufsätze und Klausurfälle sind unter „Artikel“ aufgeführt.

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Arbeitnehmerhaftung als Klausur

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Fall

Der  K ist bei der X-GmbH Vollzeit angestellt. Er ist für die Kundenbetreuung im Außendienst zuständig und bezieht ein jeweils am Monatsende fälliges monatliches Gehalt von 1200.– Euro brutto (850.– Euro netto). Im Arbeitsvertrag wurde vereinbart, dass die X-GmbH dem K ein auf sie zugelassenes Firmenfahrzeug zur Verfügung stellt. Darüber hinaus wurde im Arbeitsvertrag unter dem Punkt „Sonstiges“ handschriftlich folgendes vereinbart:

„Jede schuldhafte Beschädigung des Fahrzeugs wird dem Mitarbeiter in Rechnung gestellt, soweit sie nicht durch Versicherungen abgedeckt ist“.

Nach einem Verkaufsgespräch bei einem Kunden stieß K Anfang September 2006, als er rückwärts aus einer Parklücke fuhr, aufgrund leichter Unaufmerksamkeit mit dem Fahrzeug des B zusammen, der ebenfalls gerade rückwärts ausparkte. An dem von K geführten Fahrzeug der X-GmbH entstand ein Sachschaden von 1600.– Euro. Da die beteiligten Vericherungsunternehmen -zutreffend- von einer Fahrlässigkeit der beiden Fahrer in gleicher Höhe ausgingen, erhielt die X-GmbH von der Versicherung des B nur 800.– Euro ersetzt. Die restlichen 800.– Euro zog die X-GmbH dem K unter Hinweis auf die vertragliche Vereinbarung vom Nettogehalt für September 2006 ab.

K ist der Ansicht, dass er den Schaden an dem Fahrzeug nicht ersetzen müsse. K konsultiert einen Rechtsanwalt, welcher für ihn am 03.November 2006 Klage bei dem zuständigen Arbeitsgericht erhebt. Mit dieser Klage wird die Zahlung der von der X-GmbH einbehaltenen 800.– Euro begehrt.

Aufgabe: Prüfen Sie die Begründetheit der Klage und gehen dabei, gegebenenfalls hilfsgutachterlich, auf alle relevanten Rechtsfragen ein. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen sind nicht zu erörtern.

Lösung

A. Begründetheit der Leistungsklage auf Lohnzahlung

I. Anspruch des K gegen die X-GmbH auf Zahlung des einbehaltenen Lohns in Höhe von 800.- Euro gem. § 611 I BGB

1. Anspruch entstanden

K könnte einen Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Lohns in Höhe von 800.- Euro gem. § 611 I BGB gegen die X-GmbH haben. A und die X-GmbH haben laut Sachverhalt im Jahre 1999 einen wirksamen Arbeitsvertrag geschlossen. Somit hat A grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Lohns in Höhe von 800.- Euro.

2. Anspruch untergegangen

Allerdings könnte der Anspruch des K gem. §§ 389, 387 BGB erloschen sein. Voraussetzung ist, dass die Einbehaltung des Nettogehalts für September 2006 in Höhe von 800.- Euro unter Hinweis auf die vertragliche Vereinbarung eine wirksame Aufrechnung darstellt. Eine solche liegt vor, wenn bei bestehender Aufrechnungslage eine Aufrechnungserklärung gegenüber dem Anderen abgegeben wird und kein Aufrechnungsverbot existiert.

a.) Aufrechnungserklärung

Mithin bedurfte es vorerst einer ordnungsgemäßen Aufrechnungserklärung der X-GmbH an K. Die Aufrechnungserklärung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Eine Aufrechnungserklärung könnte in dem Hinweis der X-GmbH auf die vertragliche Vereinbarung und die Einbehaltung des Nettogehalts für September 2006 in Höhe von 800.- Euro liegen. Aus dieser Erklärung konnte K eindeutig erkennen, dass die X-GmbH zwei bestehende Forderungen miteinander verrechnen wollte. Eine Aufrechnungserklärung der X-GmbH an K lag mithin vor.

b.) Aufrechnungslage

Die Wirkung der Aufrechnung tritt jedoch nur ein, wenn ein wirksamer und durchsetzbarer Gegenanspruch des Aufrechnenden besteht. Mithin müsste der X-GmbH ein solcher Gegenanspruch gegen K zugestanden haben. Vorliegend kommt nur der von der X-GmbH geltend gemachte gleichartige Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung des PKW in Höhe von 800.- Euro in Betracht.

aa.) Schadensersatzanspruch gemäß § 280I BGB iVm. der vertraglichen Haftungsvereinbarung

Die X-GmbH könnte einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 280I BGB iVm. der zwischen K und der X-GmbH im Arbeitsvertrag getroffenen Haftungsvereinbarung haben.

(1) Schuldverhältnis

Wie bereits erörtert besteht zwischen der X-GmbH und K ein wirksamer Arbeitsvertrag, so dass das gem. § 280I BGB erforderliche Schuldverhältnis besteht.

(2) Verschuldete Pflichtverletzung

Darüber hinaus müsste K eine Pflicht verletzt haben. In Betracht kommt hier die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter des anderen Vertragsteils aus § 241 II BGB. Indem K das Eigentum der X-GmbH beschädigt hat, hat er deren Rechtsgüter verletzt. Allerdings müsste K die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben.

Der Maßstab des Verschuldens richtet sich nach § 276 BGB. Demnach hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. K hat aufgrund seiner leichten Unachtsamkeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und somit fahrlässig gehandelt gem. § 276 II BGB. Ob K nur leicht oder gar grob fahrlässig gehandelt hat, spielt für den Bereich des haftungsbegründenden Verhaltens keine Rolle, da grundsätzlich jede Form von Fahrlässigkeit zur Haftung führt.

(3) kausaler Schaden

K hat zudem durch sein fahrlässiges Verhalten einen Schaden an dem im Eigentum der X-GmbH stehenden PKW in Höhe von 1600.– Euro verursacht.

(4) Haftungsmilderung

Zu Gunsten des K könnten jedoch die Grundsätze der Einschränkung der Arbeitnehmerhaftung in entsprechender Anwendung des § 254 BGB eingreifen. Die Haftungsmilderung im Arbeitsverhältnis ist vom Gedanken der Verantwortung des Arbeitgebers für die Organisation des Betriebes und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen sowie des darin liegenden Betriebsrisikos beherrscht. Der Arbeitnehmer kann den vorgegebenen Arbeitsbedingungen weder tatsächlich noch rechtlich ausweichen. Auf Grund des Weisungsrechts bestimmt der Arbeitgeber die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung und prägt zusammen mit der von ihm gesetzten Organisation des Betriebes das Haftungsrisiko für den Arbeitnehmer. Die Mitverantwortung des Arbeitgebers für diese das Schadensrisiko erhöhende Fremdbestimmung rechtfertigt gemäß § 254 BGB analog die Haftungsmilderung für die Arbeitnehmer. Auch wenn im Zuge der Schuldrechtsreform § 276I1 BGB neu formuliert wurde, ist die Rechtsgrundlage des innerbetrieblichen Schadensausgleichs nach wie vor die analoge Anwendung des § 254 BGB. Wegen der ursächlichen Mitverantwortung des Arbeitgebers kann es also für die Anwendung der Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung nicht darauf ankommen, ob die Arbeit gefahrgeneigt ist, was früher das Abgrenzungskriterium bildete. Die Haftungsmilderung greift vielmehr schon für alle Arbeiten ein, die durch den Betrieb veranlasst sind und auf Grund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Für die Frage der Haftungsmilderung kommt es nach der Rechtsprechung vor allem auf den Grad des Verschuldens an, der über eine volle (regelmäßig bei grober Fahrlässigkeit) oder anteilmäßige (bei normaler bzw. mittlerer Fahrlässigkeit) Haftung des Arbeitnehmers für den Schaden oder eine völlige Haftungsbefreiung (bei leichtester Fahrlässigkeit) entscheidet.

Laut Sachverhalt wurde der Unfall von K leicht fahrlässig verursacht. Die Schädigung geschah auch durch eine betrieblich veranlasste Tätigkeit, da sich K auf dem Rückweg eines für die X-GmbH getätigten Verkaufsgesprächs befand. Mithin wäre nach den Grundsätzen des BAG zur Haftungsmilderung die X-GmbH verpflichtet, den Schaden in voller Höhe zu tragen. Etwas anderes könnte sich jedoch aus der vertraglichen Haftungsvereinbarung zwischen K und der X-GmbH ergeben. In dieser haben die Vertragsparteien eine verschuldensunabhängige Haftung für alle Schäden, die nicht von der Versicherung gedeckt sind, vereinbart, so dass K trotz leichter Fahrlässigkeit für den Schaden in Höhe von 800.– Euro haften müsste.

(a) Unwirksamkeit der Vereinbarung gem. § 307 I BGB

Eine solche Haftungsvereinbarung könnte jedoch gegen § 307 I BGB verstoßen und mithin unwirksam sein. Dazu müssten vorerst die §§ 305 ff BGB anwendbar sein. Grundsätzlich sind die §§ 305 ff BGB unter der Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts auf Arbeitsverträge anwendbar, § 310 IV BGB. Allerdings haben K und die X-GmbH die Haftungsvereinbarung individuell vereinbart. Es handelt sich folglich um eine individualvertragliche Regelung, die gem. § 305b BGB einer Inhaltskontrolle nicht unterliegt. Ein Verstoß gegen § 307 BGB liegt daher nicht vor.

(b) Unwirksamkeit der Haftungsregel wegen Verstoß gegen die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung

Allerdings könnte die individualvertragliche Regelung wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung nichtig sein, da die Vereinbarung erheblich von diesen abweicht. Grundsätzlich ist es nach den Regeln der Privatautonomie den Arbeitsvertragsparteien freigestellt, welche Regelungen sie treffen, soweit sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Vorliegend haben K und die X-GmbH eine Vereinbarung über die Haftung des Arbeitnehmers gechlossen. Eine explizite Kodifizierung hinsichtlich der Arbeitnehmerhaftung kennt das nationale Arbeitsrecht nicht. Lediglich in § 619a BGB hat der Gesetzgeber festgehalten, dass anders als in § 280I  BGB das Verschulden des Arbeitnehmers nicht vermutet wird und indes vom Arbeitgeber zu beweisen ist. Mithin verstößt die Regelung nicht gegen positives Recht.

Allerdings könnte die in Frage stehende Vereinbarung gegen die oben dargelegten Grundsätze der Haftungserleichterung verstoßen. Das BAG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Grundsätze zur Haftungserleichterung einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht sind, von dem weder individual – noch kollektivvertraglich abgewichen werden könne. Eine unzulässige Abweichung sei offenslchtlich, wenn die Haftung für jede Form der Fahrlässigkeit begründet wird. Demzufolge wäre die Vereinbarung zwischen K und der X-GmbH, nach der K unabhängig von seinem Verschuldensgrad für jeden nicht von der Versicherung ersetzten Schaden haftet, unwirksam.

Allerdings kann eine vertragliche Abweichung ausnahmsweise auch nach Ansicht der Rechtsprechung zulässig sein. In den Fällen der so genannten Mankohaftung hat die Rechtsprechung des BAG durchaus anerkannt, dass eine individualvertragliche Haftungsvereinbarung zulässig ist, soweit sie das durch die Haftungserleichterung gewählte Schutzniveau nicht unterläuft. So hält das BAG es für angemessen, wenn der Arbeitnehmer für Schäden haftet, die durch einen gewissen Risikoausgleich gedeckt sind. Demzufolge ist es entscheidend, dass keine Verschärfung der beschränkten Arbeitnehmerhaftung eintritt. Folglich bedürfte die Vereinbarung zwischen K und der X-GmbH zu ihrer Wirksamkeit eines kompensatorischen Ausgleichs für die Haftung des K. K und die X-GmbH haben lediglich eine Haftungsverschärfung für K vereinbart. Besondere Vergütungen sind nicht ersichtlich. Fraglich ist, ob die Überlassung des Dienstwagens zu privaten Zwecken eine zusätzliche Vergütung darstellt, die einen Ausgleich zur Haftungsverschärfung schafft. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Möglichkeit, einen Dienstwagen auch für Privatfahrten zu nutzen, grundsätzlich eine zusätzliche Gegenleistung. Allerdings könne eine solche zusätzliche Nutzungsmöglichkeit nicht eine Haftung des Arbeitnehmers für jede fahrlässige Beschädigung des Wagens im Rahmen betrieblich veranlasster Fahrten rechtfertigen. Allenfalls könnte eine Vereinbarung über die verschärfte Haftung des Arbeitnehmers bei privater Nutzung des Dienstwagens zulässig sein. K hat folglich keinen kompensatorischen Ausgleich erhalten, so dass die Vereinbarung zwischen K und der X-GmbH auch nach den Grundsätzen zur Mankoabrede nicht zulässig wäre. Teilweise wird jedoch vertreten, dass die Grundsätze der Haftungserleichterung gerade nicht zwingendes, sondern dispositives Recht sind. Dies zeige insbesondere die Veränderung der Schuldrechtsreform. Zwar wollte der Reformgesetzgeber nicht in die Grundsätze zum innerbetrieblichen Schadensausgleich eingreifen. Allerdings sind diese Grundsätze über die analoge Anwendung des § 254 BGB oder gar direkte Anwendung des § 276I BGB in das allgemeine Haftungssystem des BGB integriert worden. Dieses sei jedoch seinerseits dispositiv. Eine für die Arbeitnehmerhaftung geltende Bereichsausnahme sei nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte nicht ersichtlich. Die Arbeitnehmerhaftung sei somit als durch die Schuldrechtsreform anerkannte Fortbildung des dispositiven privatrechtlichen Haftungsrechts zu qualifizieren. Nach dieser Ansicht wäre eine vertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Haftung des Arbeitnehmers zwischen K und der X-GmbH zulässig gewesen und K müsste für den Schaden in Höhe von 800.– Euro haften.

(c) Stellungnahme

Der Ansicht der Rechtsprechung ist zu folgen. Die Grundsätze der Haftungserleichterung wurden entwickelt, um das Betriebsrisiko nicht vollständig dem Arbeitnehmer aufzubürden. Ließe man mit der Gegenmeinung eine Abdingbarkeit dieser Regelung zu, so könnte der von der Rechtsprechung eingeführte Arbeitnehmerschutz durch einfache vertragliche Vereinbarung ausgehöhlt werden.

Mithin ist die Haftungsvereinbarung zwischen K und der X-GmbH unwirksam. Maßgeblich für die Haftungsmilderung bleiben daher die richterrechtlich entwickelten Grundsätze der Haftungserleichterung. Vorliegend hat K leicht fahrlässig gehandelt, so dass er vollständig von der Haftung befreit ist.

bb.) Zwischenergebnis

Der X-GmbH steht mithin kein Anspruch auf Schadensersatz gem. § 280I BGB iVm. der vertraglichen Haftungsvereinbarung zu. Somit fehlt ein wirksamer und durchsetzbarer Gegenanspruch der X-GmbH und eine wirksame Aufrechnungslage besteht nicht. Die X-GmbH kann daher nicht wirksam mit der Lohnforderung des K in Höhe von 800.– Euro aufrechnen.

II. Ergebnis zu A.

K hat gegen die X-GmbH einen Anspruch auf Zahlung des einbehaltenen Lohns in Höhe von 800.– Euro gem. § 611 BGB. Die Leistungsklage ist somit begründet.

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Klausurfall Vollstreckungsrecht

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Fall

B erlangt einen für vorläufig vollstreckbar erklärten Zahlungstitel über 3000.- Euro gegen C, der diesem ordnungsgemäß zugestellt wird. Der mit der Vollstreckung beauftragte Gerichtsvollzieher sucht die Wohnung der Eheleute C auf. Unter den Gegenständen, die der Gerichtsvollzieher zu pfänden gedenkt, befindet sich eine antike Standuhr und eine goldene Damenarmbanduhr. Die anwesende Ehefrau E ist mit der Pfändung dieser Gegenstände nicht einverstanden: Standuhr und Armbanduhr seien ihr Eigentum und befänden sich auch in ihrem Gewahrsam.

Obwohl E Quittungen vorlegt, die ihre Eigetümerstellung nachweisen, pfändet der Gerichtsvollzieher. E will wissen, ob sie mit Erfolg gegen die Pfändung vorgehen kann.

Lösung

A. Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 I ZPO

Als Rechtsbehelf kommt zunächst eine Vollstreckungserinnerung der E gemäß § 766 I ZPO in Betracht.

I. Zulässigkeit

Die Vollstreckungserinnerung müsste zulässig sein.

1.Statthafter Rechtsbehelf

Der Rechtsbehelf der Vollstreckungserinnerung ist statthaft gegen Maßnahmen des Vollstreckungsgerichts, des Rechtspflegers oder des Gerichtsvollziehers im Vollstreckungsverfahren, wobei Pfändungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers stets der Vollstreckungserinnerung gem. § 766 I ZPO unterliegen. Die Vollstreckungserinnerung gegen die Pfändung der Stand- sowie der Armbanduhr ist somit statthaft.

2. Zuständiges Gericht

Zuständig ist gemäß § 766I ZPO das Vollstreckungsgericht. Das ist gemäß § 764 ZPO das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Vollstreckungsmaßnahme stattgefunden hat.

3. Erinnerungsbefugnis

Fraglich ist, ob E erinnerungsbefugt ist. Erinnerungsbefugt können nicht nur Vollstreckungsgläubiger und -schuldner sein, sondern auch jeder Dritte, der geltend machen kann, durch die Art und Weise der Zwangsvollstreckung beschwert zu sein. Voraussetzung dafür ist, dass der Dritte die Verletzung einer (zumindest auch) drittschützenden Norm rügt. E kann als mutmaßliche (Mit)-Gewahrsamsinhaberin die Verletzung des § 809 ZPO als einer auch drittschützenden Norm rügen und ist damit erinnerungsbefugt.

4. Form und Frist

Die Vollstreckungserinnerung ist nicht fristgebunden. Einzulegen ist sie schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle.

5. Rechtsschutzbedürfnis

Zu prüfen ist das Rechtsschutzbedürfnis der E. Das Rechtsschutzbedürfnis ist vom Beginn bis zum Abschluss der Vollstreckungsmaßnahme gegeben. Vorliegend ist es noch nicht zur Verwertung der Gegenstände gekommen, die Vollstreckungsmaßnahme ist also noch nicht beendet, so dass das Rechtsschutzbedürfnis der E besteht.

II. Begründetheit

Die Vollstreckungserinnerung ist begründet, wenn ein Verfahrensfehler vorliegt. Das Gericht prüft nur die gerügte Verletzung der drittschützenden Norm.

1. Verstoß gegen § 809 ZPO

Zu prüfen ist demnach, ob der Gerichtsvollzieher durch die Pfändung der Standuhr und der Damenarmbanduhr gegen § 809 ZPO verstoßen hat. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass E an den gepfändeten Gegenständen (Mit-) Gewahrsam hatte. Die Gegenstände befanden sich in der gemeinsamen Wohnung von C und E, so dass von (Mit-)Gewahrsam der E auszugehen ist. Dem könnte allerdings die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO entgegenstehen. Danach gilt bei Eheleuten der Vollstreckungsschuldner gegenüber seinen Gläubigern als alleiniger Gewahrsamsinhaber, sofern der schuldende Ehegatte nach der Eigentumsvermutung des § 1362I1 BGB als Eigentümer der betroffenen Sache anzusehen ist.

a.) Voraussetzung der Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO ist demnach, dass die Eigentumsvermutung des § 1362I1 BGB eingreift. Gemäß § 1362I1 BGB wird zugunsten der Gläubiger des Schuldners vermutet, dass die im Besitz eines oder beider Ehegatten befindlichen Sachen im Eigentum des Schuldners stehen. E und C sind verheiratet und führen einen gemeinsamen Hausstand. Die gepfändeten Sachen befanden sich in der gemeinsamen Wohnung und somit im Besitz eines oder beider Ehegatten. Bezüglich der gepfändeten Gegenstände greift die Eigentumsvermutung des § 1362I1 BGB demnach ein, so dass die Voraussetzung für die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO gegeben ist.

b.) Etwas anderes könnte sich aber aus § 1362 II BGB ergeben. Bei ausschließlich zum persönlichen Gebrauch eines Ehegatten bestimmten Gegenständen wird vielmehr vermutet, dass sie im Eigentum dieses Ehegatten stehen.

aa.) Die gepfändete antike Standuhr steht nicht ausschließlich im Gebrauch eines Ehegatten, so dass § 1362 II BGB hier nicht eingreift.

bb.) Bei der goldenen Damenarmbanduhr kann allerdings davon ausgegangen werden, dass sie ausschließlich im Gebrauch der E steht. Wenn sich der persönliche Gebrauch eines Ehegatten klar aus einer „geschlechtsspezifischen“ Auslegung ergibt, ist ein konkreter Hinweis der ausschließlich persönlichen Gebrauchsbestimmung nicht erforderlich.

c.) Die Damenarmbanduhr unterliegt also nicht der Eigerntumsvermutung des § 1362 BGB. Damit entfällt auch die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO. An der Armbanduhr har demnach die E Gewahrsam.

Ob die Vollstreckungserinnerung bezüglich der Armbanduhr, die nicht dem § 739 ZPO unterliegt, begründet ist, hängt davon ab, ob E eine nicht herausgabebereite Dritte iSd. § 809 ZPO ist. E war mit der Pfändung der Armbanduhr nicht einverstanden, so dass diese Voraussetzung gegeben ist. Damit war die Pfändung der Uhr durch den Gerichtsvollzieher gemäß § 809 ZPO fehlerhaft. Bezüglich der Armbanduhr ist die Vollstreckungserinnerung damit begründet.

d.) Bei der Standuhr wird das Eigentum des C aber gemäß § 1362I1 BGB vermutet. Fraglich ist, ob eine nachträgliche Widerlegung dieser Fiktion auch die Gewahrsamsvermutung des § 739 ZPO entfallen lässt. Teilweise wird dies bejaht. Da mit der Widerlegung der Eigentumsvermutung die einzige Voraussetzung für die Anwendung des § 739 ZPO entfalle, sei es nur konsequent, die Gewahrsamsfiktion zu verneinen. Eine andere Sichtweise würde eine unzulässige Benachteiligung der ehelichen Lebensgemeinschaft gegenüber nichtehelichen Lebensgemeinschaften bedeuten; denn der Gerichtsvollzieher müsse ja auch bei jedem unverheirateten Dritten die Gewahrsamsverhältnisse im Einzelnen prüfen. Demnach würde die Vermutung des § 739 ZPO entfallen. Dem läßt sich jedoch entgegenhalten, dass die Vorschrift des § 739 ZPO eine Vereinfachung des Vollstreckungsverfahrens bezweckt, da die Gewahrsamsverhältnisse in ehelichen Haushalten oft nur schwer feststellbar sind. Diese Vereinfachungsfunktion würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn der Gerichtsvollzieher sich im Rahmen einer Prüfung des § 1362I1 BGB eingehend mit der Eigentumslage befassen müsste. Die Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO wäre dann wertlos. Es kann nicht Aufgabe des Gerichtsvollziehers sein, über materiell-rechtliche Fragen, wie die Klärung der Eigentumsverhältnisse unter Ehegatten, zu unterscheiden. Seine Kompetenz und Fähigkeiten erschöpfen sich darin, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1362I1 BGB festzustellen. Schließlich spricht auch die Kompetenzverteilung der Kontrollinstanzen dagegen, die Vollstreckungserinnerung auf solche Fälle auszuweiten. Für die Erinnerung ist das Vollstreckungsgericht und für die Drittwiderspruchsklage nach § 771I ZPO das Prozessgericht zuständig. Da die Prüfung der Eigentumsverhältnisse aber zum Erkenntnisverfahren zählt, sprechen die besseren Gründe dafür, die Rüge der Pfändung einer schuldnerfremden Sache nur im Rahmen von § 771I ZPO zuzulassen.

e.) Mithin gilt die Standuhr gemäß § 739 ZPO als im Alleingewahrsam des Schuldners C stehend, so dass E keine Verletzung ihrer Rechte aus § 809 ZPO geltend machen kann.

2. Evident schuldnerfremde Sache

Möglicherweise kann E die Erinnerung bzgl. der Standuhr aber darauf stützen, dass der Gerichtsvollzieher eine evident nicht im Eigentum des Schuldners stehende Sache gepfändet hat. Bei der Pfändung evidenten Dritteigentums missbraucht der Gerichtsvollzieher nämlich seine Befugnisse nach § 808I ZPO, wenn er Gegenstände pfändet, die sich zwar im Gewahrsam des Schuldners befinden, aber so offensichtlich im Eigentum eines anderen stehen, dass der Gerichtsvollzieher nach Lage der Dinge keine vernünftigen Zweifel an der Drittberechtigung haben kann. Allerdings reicht die Vorlage einer Quittung, um von einer evidenten Eigentumslage zugunsten der E sprechen zu können, nicht aus, da sich das Dritteigentum aus der Sache selbst ergeben muss und der Gerichtsvollzieher die Wirksamkeit der Eigentumsübertragung nicht zweifelsfrei beurteilen kann und soll, wie oben festgestellt. Eine Verletzung des § 808 ZPO liegt daher nicht vor.

3. Im Ergebnis ist die Erinnerung demnach wegen § 739 ZPO für die Standuhr unbegründet.

4. Hinsichtlich der Armbanduhr ist die Vollstreckungserinnerung begründet, hinsichtlich der Standuhr ist die Erinnerung aufgrund der Gewahrsamsfiktion des § 739 ZPO unbegründet.

B. Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO

Möglicherweise könnte E gegen die Pfändung auch mit der Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO vorgehen.

I. Zulässigkeit

Die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO müsste zulässig sein.

1. Zuständigkeit

Örtlich zuständig für die Drittwiderspruchsklage ist gemäß §§ 771I,802 ZPO ausschließlich das Gericht in dessen Bezirk die Vollstreckungsmaßnahme erfolgt. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§§ 23,71 GVG). Aus der Höhe des vollstreckungsfähigen Titels des B gegen C (3000.- Euro) folgt gemäß § 23 GVG die Zuständigkeit des Amtsgerichtes.

2. Prozessführungsbefugns

Prozessführungsbefugt ist bei der Drittwiderspruchsklage ein Dritter, der „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ iSv. § 771I ZPO am Pfandrecht geltend macht. Ein solches liegt vor, „wenn der Schuldner selbst, veräußere er den Vollstreckungsgegenstand, widerrechtlich in den Rechtskreis des Dritten eingreifen würde und der Dritte den Schuldner an der Veräußerung hindern könnte“. E macht ihr Eigentumsrecht an den gepfändeten Gegenständen geltend, was ein die Veräußerung hinderndes Recht darstellt, des weiteren ist sie weder Gläubiger noch Schuldner, somit Dritte.

3. Rechtsschutzbedürfnis

Das Rechtsschutzbedürfnis für die Drittwiderspruchsklage besteht vom Beginn bis zum Ende der Zwangsvollstreckung. Die Verwertung der gepfändeten Gegenstände ist noch nicht erfolgt, damit liegt auch das Rechtsschutzinteresse vor. Auch die mögliche Erinnerung lässt das Rechtsschtuzbedürfnis nicht entfallen. Anders als bei der Vollstreckungserinnerung, bei der nur die Verletzung von Verfahrensverstößen gerügt werden kann, werden bei der Drittwiderspruchsklage auch materiellrechtliche Gesichtspunkte geprüft.

II. Begründetheit

1. Vorausetzung der Begründetheit der Drittwiderspruchsklage ist zunächst „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ des Dritten. Der Wortlaut des § 771 ZPO ist allerdings missverständlich. Sogar fremdes Eigentum als das stärkste Recht kann die Veräußerung an einen gutgläubigen Dritten nicht verhindern. Gemeint ist vielmehr das rechtliche Dürfen. Entscheidend ist daher, ob sich eine Veräußerung gegenüber dem Kläger als materiell rechtswidrig darstellt, wie oben festgestellt.

Rechte iSv. § 771 ZPO sind solche, die bewirken, dass der Gegenstand nicht zum Vermögen des Schuldners gehört. Hierzu zählt insbesondere das Eigentum des Dritten an den betroffenen Gegenständen. Zu prüfen ist daher, ob E Eigentümerin der gepfändeten Gegenstände ist.

a.) Hinsichtlich der Armbanduhr ergibt sich das bereits aus § 1362 II BGB zugunsten des B. Zudem kann sie anhand der Quittungen ihre Eigentümerstellung nachweisen.

b.) Hinsichtlich der Standuhr greift zwar die Vermutung des § 1362I1 BGB zu Lasten des E ein, diese Fiktion ist allerdings widerlegbar. Anhand von Quittungen und anderer Beweismittel kann die E die Vermutung des § 1362I1 BGB im Prozess wiederlegen, wie oben geprüft.

c.) E hat demnach ein die Veräußerung hinderndes Recht sowohl an der Standuhr als auch an der Armbanduhr.

2. Weitere Voraussetzung der Drittwiderspruchsklage ist, dass der Dritte nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet ist. Dafür finden sich hier aber keine Anhaltspunkte.

3. E ist Eigentümerin der gepfändeten Gegenstände und nicht zur Duldung der Zwangsvollstreckung verpflichtet. Die Drittwiderspruchsklage ist damit begründet.

Anmerkung

Siehe zur Ergänzung dieser Klausur auch den „Klausurfall Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung“ und den Beitrag „Vollstreckungsrecht“ sowie den Beitrag „Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen“, „Klausur zum Vollstreckungsverhältnis„.

Zu dem Thema dieser Klausur kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Für alle aktuellen Aufsätze und Klausurfälle siehe unter „Artikel“.

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Vorvertragliches Schuldverhältnis gem. § 311 II BGB – Klausurfall c.i.c.

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Sachverhalt

B aus München möchte mit seiner Tochter deren bestandene Abiturprüfung feiern. Er reserviert telefonisch im edlen Restaurant K, in dem grundsätzlich Tische nur gegen Reservierung vergeben werden, für einen Freitagabend einen Tisch für zwei Personen. K hat für diesen Tag nur noch einen Vierer-Tisch frei, den er für B vorsieht. Auf Bitte des K bestätigt B die Reservierung noch einmal schriftlich. Einen Tag vor dem Restaurantbesuch kommt es zwischen B und seiner Tochter zu einem Streit. An ein gemeinsames Essen ist nicht mehr zu denken. B vergisst aufgrund des Streites, die Reservierung bei K zu stornieren.

Am Freitagmorgen fragt D bei K an, ob am Abend noch ein Tisch für 4 Personen frei sei, was K mit Hinweis darauf verneint, dass alles ausgebucht sei.

Als B am Abend nicht erscheint, ist K empört. Er verlangt von B die Zahlung von 140 Euro. K behauptet dazu, sein durchschnittlicher Umsatz pro Gast liege bei 75 Euro. Unter Abzug seiner Aufwendungen ergebe sich daraus ein durchschnittlicher Gewinn von 35 Euro pro Person. Durch die Abweisung des D sei ihm dementsprechend ein Gewinn von 140 Euro entgangen.

Hat K gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 140 Euro ?

Lösung

I. Vertraglicher Zahlungsanspruch gem. § 311 I BGB

Ein Zahlungsanspruch des K gegen B in Höhe von 140 Euro könnte sich als Erfüllungsanspruch aus einem Bewirtungsvertrag ergeben. Das setzt voraus, dass zwischen K und B ein Bewirtungsvertrag auch tatsächlich vereinbart wurde. Ein Bewirtungsvertrag ist ein gemischt-typischer Vertrag, der Elemente des Kauf-, Miet-, Dienst-, Werk- und auch Verwahrungsvertrages enthält und vor allem darauf gerichtet ist, dass Speisen und Getränke gegen Entgelt in einer bestimmten Räumlichkeit konsumiert werden. Hier liegt eine telefonische und anschließend auch schriftlich bestätigte Reservierung eines Tisches für einen bestimmten Zeitpunkt vor. Diese Reservierungsvereinbarung enthält allerdings keinerlei Abrede über die Art und Menge der zu konsumierenden Speisen und Getränke und damit auch nichts über die Höhe des zu leistenden Entgelts. Es fehlt also an einer Einigung über die wesentlichen Vertragsbestandteile des Bewirtungsvertrages. Da ein Vertrag ohne Willenseinigung über die essentialia negotii aber nicht zustande kommt, ist in der vorliegenden Reservierungsvereinbarung kein Abschluss eines Bewirtungsvertrages zu sehen. Ein Erfüllungsanspruch auf Zahlung kann sich daraus folglich nicht ergeben.

II. Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 I, 311 I, 241 II, 249 S. 1 BGB

Möglicherweise könnte aber B dem K gemäß §§ 280 I, 311 I BGB zum Ersatz des ihm entstandenen Schadens wegen Verletzung einer Nebenpflicht aus einem Vorvertrag verpflichtet sein.

1. Bestehen eines Vorvertrages

In der Reservierung eines Restauranttisches lässt sich ohne Hinzutreten weiterer Umstände grundsätzlich kein verbindlicher Vorvertrag auf den späteren Abschluss eines Bewirtungsvertrages sehen. Zwar möchten sich Wirt und Gast mit der Reservierung jeweils die Chance eröffnen, dass es zu einer entgeltlichen Bewirtungsleistung kommt. Fehlt es jedoch wie hier vollständig an einer Konkretisierung der zu erbringenden Leistungen, ist eine rechtliche Bindung in der Regel nicht gewollt.

2. Ergebnis

Ein Anspruch aus §§ 311 I, 241 II BGB scheidet mithin aus.

III. Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 I, 311 II Nr. 1, 241 II, 249 S. 1 BGB

Möglicherweise ist B jedoch eine culpa in contrahendo (c.i.c.) vorzuwerfen, also die Verletzung einer vorvertraglichen Rücksichtnahmepflicht.

1. Schuldverhältnis nach § 311 II Nr. 1 BGB

Gemäß § 311 II Nr. 1 BGB entsteht ein Schuldverhältnis mit Rücksichtnahmepflichten aus § 241 II BGB durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen. Die Reservierung eines Restauranttisches ist ein Vorbereitungsakt zum späteren Abschluss eines Bewirtungsvertrages und dient seiner Anbahnung. Durch die vorliegende Reservierungsvereinbarung ist also ein vorvertragliches Schuldverhältnis im Sinne des § 311 II BGB entstanden.

2. Pflicht aus § 311 II Nr. 1 BGB

Fraglich ist nun, ob B eine hieraus resultierende Pflicht verletzt hat. Eine der wichtigsten Fallgruppen der c.i.c. liegt in dem grundlosen Abbruch von Vertragsverhandlungen, wenn der Eindruck eines sicheren Vertragsschlusses erweckt wurde. Ob hier ein derartiger Fall vorliegt, ist zweifelhaft, da B nach dem Zerwürfnis mit seiner Tochter einen triftigen Grund hatte, auf das gemeinsame Essen zu verzichten und vom Abschluss des ursprünglich geplanten Bewirtungsvertrages Abstand zu nehmen.

3. Pflicht aus §§ 311 II, 241 II BGB

Eine Pflichtverletzung im Sinne der c.i.c. ist nicht nur bei grundlosem Abbruch der Vertragsverhandlungen gegeben. Gemäß §§ 311 II, 241 II BGB ist allgemein auf die Interessen der Gegenseite Rücksicht zu nehmen, was im Einzelfall auch dazu verpflichten kann, die Entscheidung über die Abstandnahme vom Vertragsschluss der Gegenseite zur Kenntnis zu bringen, wenn diese daraufhin entsprechend umdisponieren muss. Insoweit ist hier besonders zu beachten, dass in dem Restaurant des K Tische üblicherweise nur gegen Reservierung vergeben werden und mit Zufallskundschaft, an die ein ursprünglich reservierter Tisch notfalls vergeben werden könnte, grundsätzlich nicht zu rechnen ist. Angesichts dessen durfte K darauf vertrauen, dass B für den Fall seiner Verhinderung rechtzeitig die Reservierung absagen würde, damit der Platz im Restaurant noch anderweitig vergeben werden könnte. Indem B die Reservierung aber nicht in dem Moment stornierte, als er sich zum Nichterscheinen entschloss, hat er die berechtigten und für ihn erkennbaren Interessen des B missachtet und eine Rücksichtnahmepflicht im Sinne des § 241 II BGB schuldhaft – mindestens fahrlässig nach § 276 II BGB – verletzt.

4. Rechtsfolge: Schadensersatz

Fraglich ist die Höhe des dem Grunde nach gegebenen Schadensersatzanspruchs. Der durch die nicht erfolgte Stornierung der Reservierung verursachte Schaden könnte darin liegen, dass K den D nicht bewirten konnte und ihm daraufhin nach eigener – als zugestanden anzusehender – Darstellung ein Gewinn in Höhe von 4 x 35 Euro (140 Euro) entgangen ist. Möglicherweise ist der ersatzfähige Schaden aber auch nur darin zu sehen, dass B nicht verabredungsgemäß mit seiner Tochter am Freitagabend zum Essen erschienen ist und K so ein Gewinn in Höhe von 2 x 35 Euro (70 Euro) entging.

a.) Grundsätzlich negatives Interesse

Der Schadensersatz wegen c.i.c. richtet sich nach § 249 I BGB und ist grundsätzlich auf das sogenannte negative Interesse gerichtet: Der Geschädigte ist so zu stellen, wie er ohne das schädigende Verhalten des anderen Teils gestanden hätte, wenn er also nicht auf das Zustandekommen des geplanten Geschäfts vertraut hätte (daher auch sog. Vertrauensschaden). Hätte er ohne das schädigende Verhalten einen günstigeren Vertrag mit einem Dritten geschlossen, wird ebenfalls der insoweit entgangene Gewinn erfasst.

b.) Begrenzung durch Erfüllungsinteresse

Als die c.i.c. allerdings noch kein gesetzlich normiertes Rechtsinstitut war, sondern über eine Analogie zu den §§ 122, 179, 307 BGB hergeleitet wurde, war umstritten, ob das positive Interesse (auch Erfüllungsinteresse) das negative Interesse begrenze. Bei Ersatz des Erfüllungsinteresses ist der Geschädigte so zu stellen, wie er bei vertragsgemäßer Leistung gestanden hätte.

aa.) Befürwortende Ansicht

Für diese Art der Begrenzung wurde angeführt, dass der Geschädigte nicht besser stehen dürfe, als er bei Abschluss und ordnungsgemäßer Erfüllung des in Aussicht genommenen Vertrages gestanden hätte. Demgegenüber wurde betont, dass es für eine solche Begrenzung an einer Regelung fehle, wie sie in §§ 122 I, 179 II, 307 BGB a.F. für die dortigen Fälle getroffen sei. Dieses systematische Argument mag früher verwundert haben, war doch die Rechtsfigur der c.i.c. insgesamt nicht gesetzlich geregelt.

bb.) Ablehnende Ansicht

Heutzutage aber lässt sich dieses Argument gegen eine Begrenzung auf das Erfüllungsinteresse nutzbar machen. Denn nach den einschlägigen §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB ist der durch die Pflichtverletzung entstehende Schaden zu ersetzen, wobei die Absätze 2 und 3 von § 280 BGB lediglich für Verzögerungsschäden und für den Schadensersatz statt der Leistung Einschränkungen enthalten. Entsprechende Regelungen wie in §§ 122 I, 179 II BGB finden sich nicht.

cc.) Stellungnahme

Der zuletzt genannten Ansicht ist zu folgen. Weitere Begrenzungen wie bei §§ 122 I, 179 II BGB sind gerade nicht vorgesehen, so dass eine Höhenbeschränkung vom Gesetz offensichtlich nicht gewollt ist. Im Übrigen kann in einer Konstellation wie der vorliegenden ja gerade nicht davon die Rede sein, dass der Gläubiger der Rücksichtnahmepflicht nicht mehr als die Erfüllung des ursprünglich angestrebten Vertrages erwarten durfte. Hätte B sich hier ordnungsgemäß verhalten und rechtzeitig die Reservierung storniert, wäre kein Bewirtungsvertrag zwischen ihm und K geschlossen worden, sondern zwischen K und D mit der Folge eines behaupteten Gewinns von 140 Euro. Nach alledem ist der Schaden also in Höhe von 140 Euro maßgebend.

IV.Ergebnis

K hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 140 Euro.

Anmerkung

Zu dem Thema dieser Klausur kann ein vertiefender Crashkurs gebucht werden.

Eine Übersicht aller aktuellen Beiträge und Klausurfälle findet man unter „Artikel“.

siehe auch: Pflichtverletzung nach § 280 I BGB beim Kauf

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Gewillkürte Prozessstandschaft – Klausurfall

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Fall

E ist Eigentümer eines Grundstücks mit der Flur-Nr.64. Aus historischen Gründen besteht das im Grundbuch als Einheit eingetragene Grundstück aus zwei Teilgrundstücken, die im Kataster als 64/1 und 64/2 bezeichnet sind.

N (der unmittelbare Nachbar des E) wollte das neben seiner Garage gelegene Teilgrundstück 64/2 erwerben. Darüber wurde im Jahre 2004 ein privatschriftlicher Tauschvertrag zwischen E und N geschlossen. Seither nutzt N das Grundstück 64/2 als Autostellplatz, hat es mit einer kleinen Mauer umgeben, die auch sein eigenes Grundstück umfasst, und zusammen mit seinem eigenen Grundstück einheitlich rot gepflastert. Im Tauschwege nutzte E seither eine kleine Teilfläche von N.

Im Jahre 2007 verkaufte und übereignete E sein Grundstück Nr.64 an den Erwerber B in notarieller Form. Vorher hatten E und B das Grundstück besichtigt, das mit Ausnahme der Teilfläche 64/2 einheitlich grau gepflastert ist, um den B über den Zustand des Grundstücks, dessen Lage und ungefähre Größe zu unterrichten. B wurde noch im Jahre 2007 in das Grundbuch als Eigentümer des Grundstücks Flur-Nr. 64 eingetragen. Als N dies erfuhr, machte er E Vorhaltungen im Hinblick auf den zwischen E und N praktizierten Tausch und erinnerte E daran, dass dieser ihm das Eigentum an dem Teil 64/2 zugesagt habe. E entgegnete, er habe das Teilstück 64/2 selbstverständlich nicht mit verkaufen und übertragen wollen, und bot N deshalb ausdrücklich an, dass dieser alle Rechte gegenüber B gerichtlich geltend machen darf.

Nunmehr klagt N gegen B vor dem zuständigen Gericht. Er macht geltend, B müsse dem E das Grundstück 64/2 in grundbuchmäßiger Hinsicht „zurückgeben“, aus welchem Rechtsgrund auch immer.

Wie wird das Gericht über die Zulässigkeit der Klage entscheiden ?

Lösung

Das angerufene Gericht wird die Zulässigkeit der von N eingereichten Klage prüfen.

A. Zulässigkeit

Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen ausschließlich in Hinblick auf den notwendigen Klageinhalt gemäß § 253 II Nr.2 ZPO sowie bzgl. der Prozessführungsbefugnis des N.

I. Notwendiger Inhalt der Klageschrift

Damit durch Zustellung des Schriftsatzes gemäß § 261 I iVm. § 253 I ZPO Rechtshängigkeit eintritt, muss die Klageschrift den innhaltlichen Anforderungen des § 253II ZPO genügen, insbesondere gemäß § 253 II Nr.2 ZPO einen bestimmten Antrag aufweisen, sowie den Gegenstand und Grund des Anspruchs in bestimmter Form angeben.

1.Bestimmter Antrag

Indem N die „Rückgabe“ des Teilgrundstücks 64/2 an E in grundbuchmäßiger Hinsicht begehrt, stellt er zwar einen Antrag, der nach zulässiger Auslegung eindeutig auf Berichtigung der Grundbuchlage an dem Teilgrundstück 64/2 gerichtet und daher hinreichend bestimmt iSv. § 253 II Nr.2 ZPO ist.

2. Bestimmtheit von Klagegegenstand und Klagegrund

Jedoch ist angesichts der Berufung des N auf jedweden in Betracht kommenden Rechtsgrund fraglich, ob die Angabe von Gegenstand sowie Grund des erhobenen Anspruchs den Bestimmheitsanforderungen genügt. Gegenstand i.S.v. § 253 II Nr.2 ZPO ist nicht das gegenständliche Objekt der Klage, sondern der zugrundeliegende Lebenssachverhalt., aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Anspruchsgrund). Sobald N die eigentumsrelevanten Vorgänge am Teilgrundstück 64/2 in tatsächlicher Hinsicht darlegt, gibt er demnach Gegenstand und Grund des Anspruchs hineichend bestimmt an. Rechtliche Qualifizierungen, etwa die Benennung einer materiellrechtlichen Anspruchsgrundlage, sind demnach wegen des Grundsatzes „iura novit curia“ entbehrlich.

3.Ergebnis

Mithin genügt die Klageschrift des N den Anforderungen des § 253 II ZPO.

II. Prozessführungsbefugnis des N

Angesichts der unterbliebenen Übereignung des Teilgrundstücks 64/2 an N macht dieser mit der Berufung auf eine eigentumsrechtliche Position erkennbar ein Recht des E geltend und zwar nicht als dessen Vertreter, sondern im eigenen Namen, so dass seine Prozessführungsbefugnis in Frage steht. Prozessführungsbefugt ist neben dem Inhaber der Sachbefugnis über ein Recht derjenige, dem das materielle Recht bzw. das Prozessrecht die Wahrnehmung fremder Rechtsinteressen im eigenen Namen gestattet (sog. gesetzliche Prozessstandschaft) oder der von Sachbefugten zulässigerweise dazu ermächtigt worden ist (sog. gewillkürte Prozessstandschaft).

Eine gesetzliche Prozessstandschaft des N kommt nicht in Betracht.

Fraglich ist demgegenüber, ob E den N durch Rechtsgeschäft zum Prozessstandschafter bestellt hat. Die allgemein anerkannte gewillkürte Prozessstandschaft ist in der ZPO nicht grundlegend geregelt. Um Popularklagen zu vermeiden, verlangen Rechtsprechung und Literatur als Wirksamkeitsvoraussetzungen, dass der Sachbefugte einen Dritten zur Prozessstandschaft ermächtigt und dieser Dritte ein schutzwürdiges rechtliches Interesse an der Prozessstandschaft hat.

1. Ermächtigung durch den Sachbefugten

Indem er dem N anbot, dass dieser alle Rechte gegenüber B gerichtlich geltend machen darf, könnte E den N rechtsgeschäftlich zur Prozessstandschaft ermächtigt haben. Zwar gestattet E dem N nicht ausdrücklich eine Prozessführung im eigenen Namen, so dass seine Erklärung auf eine Klageerhebung des N in fremden Namen, also eine Bevollmächtigung zur Prozessvertretung, gerichtet sein könnte. Dagegen sprechen jedoch die für die Auslegung gemäß §§ 133,157 BGB heranzuziehenden Begleitumstände im Vorfeld der Willenserklärung. Zu diesem Zeitpunkt sah sich E mit den Vorhaltungen des N konfrontiert, der nach erfolgtem Geländetausch und Durchführung baulicher Maßnahmen auf fremden Grund ein -für E erkennbares- wirtschaftliches Interesse an der Nutzung und dem künftigen Erwerb des Teilgrundstücks 64/2 hatte. Nach dem objektivierten Empfängerhorizont (§§ 133,157 BGB) war die Gestattung durch E daher jedenfalls nicht als Bevollmächtigung zur Prozessvertretung zu verstehen.

Weiterhin ist fraglich, ob die Gestattung durch E ein Angebot auf Abtretung (§ 398 BGB) eines etwaigen Anspruchs auf Beseitigung der Buchposition des Erwerbers B darstellt, welches N mit Klageerhebung konkludent (sowie gemäß § 151 S.1 BGB) angenommen haben könnte. Dem könnte bereits entgegenstehen, dass ein solcher, unmittelbar aus dem Eigentum erwachsener dinglicher Anspruch nach heute ganz überwiegender Ansicht nicht abtretbar ist. Diese Frage kann jedoch dahinstehen, weil E erkennbar eine Beseitigung der vorhandenen Buchposition des B zu seinen eigenen Gunsten verfolgt, um anschließend der -wegen Formnichtigkeit des Grundstückstauschvertrages gemäß § 311 b I S.1,125 S.1 BGB rechtlich unverbindlichen- Zusage auf Eigentumsverschaffung gegenüber N nachzukommen. Demnach scheidet ein Angebot des E auf Abtretung seines etwaigen Anspruchs ohnehin aus.

Die Gestattung des E ist somit als Ermächtigung zur Prozessstandschaft auszulegen und beurteilt sich als einseitige empfangsbedürftige Erklärung des Sachbefugten und formlose Prozesshandlung in ihrer Wirksamkeit nach § 185 I BGB analog. Die dem N mündlich erteilte Einwilligung in die gerichtliche Geltendmachung von Rechten des E im eigenen Namen ist damit eine grundsätzlich taugliche rechtsgeschäftliche Ermächtigung zur Prozessstandschaft. Zweifelhaft ist allerdings, ob die Ermächtigung hinsichtlich des in Frage stehenden Grundbuchberichtigungsanspruches aus § 894 BGB ihre prozessrechtliche Wirkung entfaltet. Nach heute in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegender Auffassung ist der Anspruch aus § 894 BGB nicht isoliert abtretbar. Auf das Verfahrensrecht übertragen, könnte dieser materiellrechtliche Befund einer Geltendmachung des Grundbuchberichtigungsanspruchs im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft entgegenstehen. Nach allgemeiner Meinung soll der Ausschluss der selbständigen Abtretbarkeit die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs durch einen gewillkürten Prozessstandschafter allerdings nicht hindern. Für eine wirkame Ermächtigung zur Prozessstandschaft sei eine Abtretbarkeit des Rechts selbst nicht erforderlich. Es genüge vielmehr, dass die Rechtsausübung überlassungsfähig ist. Gerade weil im materiellen Recht eine Abspaltung des untrennbar mit dem Eigentum als Stammrecht verbundenen dinglichen Anspruchs ausscheidet, besteht ein praktisches Bedürfnis für die Geltendmachung dinglicher Ansprüche im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft. Im Unterschied zu einer -nach ganz überwiegender Auffassung unzulässigen- Vollstreckungsabtretung des Anspruches aus § 894 BGB verbleibt dem Sachbefugten bei der gewillkürten Prozessstandschaft auch nicht bloß nacktes Eigentum, weil er die Ermächtigung gemäß § 185 I BGB analog jederzeit widerrufen kann.

Daher ist die prozessuale Rechtsausübung hinsichtlich des Grundbuchberichtigungsanspruches überlassungsfähig, so dass E den N wirksam zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt hat.

2. Schutzwürdiges rechtliches Interesse des Prozessstandschafters

Ferner müsste N ein schutzwürdiges rechtliches Eigeninteresse an der gerichtlichen Geltendmachung von Rechten des E haben. Rein persönliche oder wirtschaftliche Interessen des Klägers reichen nicht aus.

a.) Rechtliches Interesse des N

Ein rechtliches Interesse an der „grundbuchmäßigen Rückgabe“ des Teilgrundstücks 64/2 an E könnte sich für N aus dem Geländetauschvertrag sowie aus der Nutzung des Grundstücks zu eigenen Zwecken ergeben.

Ob der gemäß § 311 b I S.1, 125 S.1 BGB formnichtige Tauschvertrag (§ 480 BGB) aus dem Jahre 2004 ein rechtliches Interesse des N begründet, ist jedoch zweifelhaft. Mangels wirksamer schuldrechtlicher Verpflichtung des E i.S.d. §§ 480,433 I S.1 BGB hat N allenfalls eine Aussicht auf künftigen Eigentumserwerb von E. Diese bloße Erwerbschance begründet zwar sein wirtschaftliches Interesse an der Prozessstandschaft, reicht allerdings für ein rechtliches Eigeninteresse nicht aus.

Ein solches könnte sich jedoch aus der Nutzung des Teilgrundstücks 64/2 durch N ergeben, soweit diesem Gebrauch eine vertragliche Abrede zugrundeliegt. Obwohl der privatschriftliche Vertrag über den Geländetausch aus dem Jahre 2004 im Hinblick auf eine Verpflichtung zur Übergabe und Eigentumsverschaffung formnichtig ist, könnte er zumindest eine wirksame Nutzungsabrede beinhalten. Das E und N mit dem Geländetausch jedenfalls eine wechselseitige Gebrauchsgewährung, d.h. zwei Mietverträge mit Entgeltleistung in Form der Gebrauchsüberlassung vereinbaren wollten, legt schon die Beutzung der fremden Teilfläche durch den jeweiligen Nachbarn im Anschluß an den Vertragsschluss nahe. Ob sich diese wechselseitige Nutzungsabrede aus dem privatschriftlichen Taschvertrag im Wege der Auslegung (§§ 133,157 BGB) oder der Umdeutung (§ 140 BGB) ergibt, kann dahinstehen. Jedenfalls hat N als obligatorisch Nutzungsberechtigter an der Teilfläche 64/2 eine taugliche Rechtsstellung inne.

Aus dieser Nutzungsberechtigung müsste sich ein rechtliches Interesse daran ergeben, die Buchposition des B als eingetragener Eigentümer mit einer Klage im eigenen Namen anzugreifen. Ob N wie E ein rechtliche Interesse an der Geltendmachung „grundbuchmäßiger Rückgaberechte“ gegen den Erwerber B hat, um beispielsweise den redlichen Erwerb durch einen Dritten gemäß § 892 I 1 BGB zu verhindern, ist zweifelhaft. Jedenfalls könnte das rechtliche Interesse des N darin bestehen, mit der Grundbucheintragung zugleich deren Legitimationswirkung zugunsten des Buchberechtigten B zu beseitigen. Auf diese Weise wäre N in der Lage, eine drohende Inbesitznahme des Teilgrundstücks 64/2 durch B zu verhindern. Die Gefahr einer faktischen Störung des Nutzungsrechts durch den Buchberechtigten B begründet demnach ein hinreichendes rechtliches Eigeninteresse des Prozessstandschafters N.

b.)Schutzwürdigkeit des rechtlichen Interesses

Sein rechtliches Eigeninteresse müsste demnach schutzwürdig sein. Die Schutzwürdigkeit scheidet insbesondere aus, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung unbillig benachteiligt würde. Dafür, dass B als Beklagter durch die Klägereigenschaft des N unbillige Nachteile erleidet, ist nichts ersichtlich. Insbesondere ist B gegen die Gefahr, nicht nur von N, sondern auch von E mit einem Prozess überzogen zu werden, durch die Einrede der Rechtshängigkeit (§ 261 III Nr.1 ZPO) sowie -nach rechtskräftigem Abschluss eines Prozesses- durch die Einrede der Rechtskraft hinreichend geschützt.

Mithin hat N ein schutzwürdiges rechtliches Eigeninteresse an der Geltendmachung der Rechte des E im eigenen Namen.

3. Ergebnis

N ist demnach prozessführungsbefugt.

B. Ergebnis

Die Klage des N ist somit zulässig.

C. Anmerkung

Zu dem Thema dieses Falles kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

Für eine Übersicht aller aktuellen Aufsätze und Klausur-Fälle siehe unter „Artikel“.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Gewillkürte Prozessstandschaft – Klausurfall auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Globalzession

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Fall

Das Zementwerk Z liefert dem Baustoffgroßhändler H aufgrund eines Kaufvertrages vom 01.04.2002 100 Sack Zement unter verlängertem Eigentumsvorbehalt. H veräußert die Ware am 01.07.2002 zum Preis von 125.000 Euro weiter an B, der den Zement für den Bau einer Terasse an seinem Haus benötigte.

Als H in Schwierigkeiten kommt, verlangt Z unter Hinweis auf seinen verlängerten Eigentumsvorbehalt Zahlung von B. Ebenfalls Zahlung verlangt jedoch die Sparkasse S, der H mit Kreditsicherungsvertrag vom 01.04.2000 seine sämtlichen (derzeitigen und künftigen) Außenstände gegenüber Kunden mit den Buchstaben A-K abgetreten hatte, sowie der Factorbank F, der H ein Jahr später, nämlich durch Vereinbarung vom 01.04.2001, ebenfalls alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen derselben Buchstabengruppe abgetreten hatte. Im Rahmenvertrag zwischen F und H war vereinbart worden, daß F dem H jeweils 88% des Nennwertes der abgetretenen Forderung sofort und endgültig zur Verfügung zu stellen hatte, so daß insbesondere das Insolvenzrisiko des B bei F lag. Eine entsprechende Zahlung von F ist an H erfolgt.

1. Wem steht die ursprüngliche Forderung des H gegen B jetzt zu ?
2.Wie wäre die Frage zu beurteilen, wenn die Abtretung von H an F erst am 01.06.2002 erfolgt ?

Lösung

Frage 1: Wem steht die Forderung des H gegen B zu ?

Im vorliegenden Fall geht es um die Kollision von drei konkurrierenden Vorausabtretungen. Zur Beantwortung der Rechtsfrage, wem die ursprüngliche Forderung des H gegen B zusteht, muss grundsätzlich das Prioritätsprinzip herangezogen werden: die zeitlich frühere Abtretung geht einer späteren Abtretung vor, weil bei dieser dem Zedent die Forderung nicht mehr zusteht. Die Wirksamkeit der Vorausabtretungen wird demnach historisch geprüft.

I. Wirksamkeit der Abtretung an die Sparkasse S am 01.04.2000

Die Forderung des H gegen B aus § 433 II BGB könnte der Sparkasse S zustehen, wenn eine Vorausabtretung zulässig ist und ein wirksamer Abtretungsvertrag zwischen H und S vorliegt.

1.Wirksamer Abtretungsvertrag nach § 398 S.1 BGB

a.) Einigung

Die rechtsgeschäftliche Übertragung einer Forderung geschieht nach § 398 S.1 BGB durch einen Abtretungsvertrag, d.h. durch eine Vereinbarung zwischen dem bisherigen und dem neuen Gläubiger, dass die Forderung übertragen werden soll. Eine rechtsgeschäftliche Einigung im Sinne von § 398 S.1 BGB zwischen H und S liegt vor.

b.) Zulässigkeit der Vorausabtretung

Der Abtretungsvertrag zwischen H und S wurde geschlossen, als die Kaufpreisforderung des H gegen B noch nicht entstanden war. Auch eine erst künftig entstehende Forderung kann wirksam im voraus abgetreten werden. Im Zeitpunkt der Abtretung braucht nicht einmal der Rechtsgrund für die Forderung geschaffen sein; es genügt vielmehr, dass das zukünftige Entstehen der Forderung als wahscheinlich angenommen wird. Wirksam wird die Abtretung jedoch erst mit der Entstehung der Forderung. Denn erst dann lässt sich die Anordnung nach § 398 S.2 BGB verwirklichen, dass mit dem Abtretungsvertrag der Neugläubiger an die Stelle des Altgläubigers treten soll.

c.) Bestimmtheitserfordernis

Besondere Bedeutung erlangt das Erfordernis der Bestimmtheit bei sogenannten Vorausabtretungen. Die abzutretende Forderung muss, wie jeder Gegenstand einer Verfügung, bestimmt oder zumindest bestimmbar sein. Es steht dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht entgegen, dass im Zeitpunkt der Abtretungserklärung die Person des zukünftigen Schuldners noch nicht bezeichnet werden kann. Eine Abtretung genügt dem Bestimmtheitserfordernis, wenn die abzutretende Forderung spätestens zum Zeitpunkt ihrer Entstehung bestimmbar ist. H und S haben sich darauf geeinigt, dass sämtliche „Außenstände“ -gemeint sind damit sämtliche offenen Geldforderungen- der Buchstabengruppe A-K an S im Wege der Globalzession abgetreten werden sollen. Somit genügt der Abtretungsvertrag dem Bestimmtheitserfordernis, da eine Forderung des H mit dem Zeitpunkt ihres Entstehens eindeutig zugeordnet werden kann.

2. Nichtigkeit der Abtretung wegen Verleitung zum Vertragsbruch

Die Globalzession könnte nach § 138 I BGB sittenwidrig sein, wenn der verlängerte Eigentumsvorbehalt des Z dieselbe Forderung des H gegen K umfassen würde. Bei der Kollision der Globalzession mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt würde der Grundsatz der Priorität die Globalzession begünstigen, während der Zedent durch die zeitlich frühere Globalzession zu vertragsuntreuem Verhalten gegenüber dem späteren Lieferanten gezwungen wird.

Die Globalzession zugunsten der S vom 01.04.2000 könnte aufgrund der Priorität in Konflikt stehen mit dem am 01.04.2002 mit Z vereinbarten verlängerten Eigentumsvorbehalt. Ein verlängerter Eigentumsvorbehalt bedeutet, dass sich der Verkäufer das Eigentum an der Ware vorbehält, jedoch den Käufer ermächtigt, diese im ordentlichen Geschäftsverkehr zu veräußern, bevor sie bezahlt ist. Aus dem Erlös, der durch den Weiterverkauf erzielt wird, soll der Käufer seine Schuld gegenüber dem Verkäufer tilgen. Der Eigentumserwerb des Dritten hat zur Folge, dass der Verkäufer das Eigentum verliert. Die Vertragsparteien vereinbaren deshalb, dass der Käufer schon beim Abschluss des Vertrages die künftige Kaufpreisforderung gegen den Dritten abtritt. Diese Vorausabtretung erfolgt ohne ihre Offenlegung gegenüber dem Dritten als Schuldner der abgetretenen Forderung. Dieser kann also befreiend an den Käufer zahlen. Der verlängerte Eigentumsvorbehalt ist grundsätzlich nicht sittenwidrig und verstößt nicht gegen § 307 BGB, solange nicht ein Fall der Übersicherung vorliegt.

Z hat dem H die 100 Zementsäcke unter verlängertem Eigentumsvorbehalt verkauft; es besteht somit ein Konflikt zwischen der früheren Globalzession an die Sparkasse S und der späteren Sicherungsabtretung der Forderung gegen B an Z.

Zu prüfen ist daher, ob die Globalzession gemäß § 138 BGB nichtig ist.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in vielen Fällen der Käufer einer Ware sowohl auf den Kredit seines Lieferanten als auch auf den Kredit von Banken angewiesen ist. Den Banken ist bekannt, dass der Käufer die Ware von seinen Lieferanten nur unter verlängertem Eigentumsvorbehalt erhält, also gezwungen ist, die frühere Globalzession zu verschweigen. Die Bank beteiligt sich daher durch die Globalzession an künftigen Vertragsbrüchen des Käufers gegenüber dem Verkäufer. Eine derartige Beteiligung macht die Globalzession sowohl objektiv als auch subjektiv gemäß § 138 BGB nichtig.

Daher ist die Globalzession wegen der Verleitung zum Vertragsbruch nichtig, soweit sie sich auf Forderungen erstreckt, die vom verlängerten Eigentumsvorbehalt erfasst werden.

Sollte sich S schuldrechtlich verpflichtet haben (oder nunmehr dazu bereit sein) dem Lieferanten gegenüber auf die Globalzession zu verzichten oder ihm den Erlös herauszugeben, wenn ihr nachgewiesen wird, dass die Forderung, die ihr global abgetreten ist, dem Lieferanten aufgrund eines verlängerten Eigentumsvorbehalts zusteht, führt dies nicht zur Ausschließung des § 138 BGB.

Demzufolge ist die Globalzession wegen Verleitung zum Vertragsbruch nach § 138 I BGB nichtig.

II. Wirksamkeit der Abtretung an die Factorbank F am 01.04.2001

1. Wirksamer Abtretungsvertrag nach § 398 S.1 BGB

Es liegt auch hier eine Einigung vor, alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen der Buchstabengruppe A-K an die Factorbank abzutreten. Bezüglich der Zulässigkeit einer Vorausabtretung und der Bestimmbarkeit der Forderung wird auf die Ausführungen bei der Globalzession an die Sparkasse S verwiesen. Die Voraussetzungen einer wirksamen Abtretung nach § 398 S.1 BGB sind gegeben.

2. Nichtigkeit wegen Verleitung zum Vertragsbruch nach § 138 I BGB

Auch zwischen der Globalzession an die Factorbank und dem verlängerten Eigentumsvorbehalt besteht eine Kollisionslage, welche nach dem Prioritätsprinzip grundsätzlich die Globalzession an die Factorbank begünstigen würde. Die Globalzession an die F wäre nach § 138 I BGB wegen der Verleitung zum Vertragsbruch nichtig, wenn die Globalzession an eine Factorbank dieselben Rechtsfolgen auslösen würde wie die oben dargestellte Globalzession an die Sparkasse S.

a.) Factoring

Das Factoring ist ein Rechtsinstitut, das gesetzlich nicht geregelt ist. Beim Factoring tritt ein Unternehmer seine gesamten (künftigen) Forderungen gegen seine Abnehmer an den Factor in einem Rahmenvertrag ab. Die Abtretung erfolgt unter der aufschiebenden Bedingung, dass zwischen dem Unternehmer und dem Factor ein Kaufvertrag über diese Forderung zustande kommt. Der Unternehmer verpflichtet sich, dem Factor alle Forderungen (aus den Kaufverträgen über die Ware mit seinen Abnehmern) zum Kauf anzubieten. Nimmt der Factor das Angebot an, so wird der Kaufvertrag über die Forderungen hierdurch abgeschlossen. Der Vorteil des Unternehmers liegt beim Factoring darin, dass er den Kaufpreis, den der Factor für die angekaufte Forderung zu zahlen hat – mit einem Abschlag – sofort erhält, während sein Abnehmer den Kaufpreis erst nach 30 oder 60 Tagen zu zahlen braucht.

Bei der Frage, ob auch bei der Globalzession an eine Factorbank die „Vertragsbruchtheorie“ anwendbar ist, muss zwischen sogenannten echtem und unechtem Factoring unterschieden werden.

aa.) echtes Factoring

Beim echten Factoring trägt der Factor das Risiko, dass die an ihn abgetretene Forderung wegen Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Schuldners nicht oder nur mit großer zeitlicher Verzögerung und nach einem Rechtsstreit durchgesetzt werden kann.

bb.) unechtes Factoring

Beim unechten Factoring verbleibt dieses Risiko bei dem Unternehmer.

cc.) Ergebnis

Im vorliegenden Fall liegt gemäß der vertraglichen Vereinbarung das Insolvenzrisiko des B bei F, es handelt es sich hier somit um echtes Factoring.

b.) Anwendbarkeit Vertragsbruchtheorie

Es ist fraglich, ob auch beim echten Factoring die „Vertragsbruchtheorie“ anzuwenden ist. Auch hier wird der Käufer dem Verkäufer die  Globalabtretung an die Factoring-Bank nicht mitteilen. Anders als bei der Globalzession an die Bank, erhält beim echten Factoring der Käufer sofort den Kaufpreis, den er an seinen Verkäufer abführen kann. Es ist nicht anders, als wenn der Vorbehaltsverkäufer den Kaufpreis unmittelbar und sofort von seinem Käufer erhalten hätte. Zu bedenken ist hier jedoch, dass der Vorbehaltskäufer nicht den vollen Kaufpreis von der Factoring-Bank erhält. Allerdings wird dieser Abschlag in der Regel niedriger sein, als der Gewinn, den der Vorbehaltskäufer aus dem Verkauf erzielt. Von daher könnte auch die Einziehungsermächtigung, die der Vorbehaltsverkäufer dem Vorbehaltskäufer erteilt hat, die Abtretung der Forderung an die Factorbank mit umfassen, so dass insoweit überhaupt kein Konfliktfall vorliegen kann. Der verlängerte Eigentumsvorbehalt schützt den Vorbehaltslieferanten nicht vor einer abredewidrigen Verwendung des Geldes, so dass die Rechtsstellung sich durch das echte Factoring nicht verschlechtert.

Vorliegend haben sich H und F darauf geeinigt, dass F dem H jeweils 88% des Nennwertes der abgetretenen Forderung sofort und endgültig zur Vefügung zu stellen hatte.  Insbesondere das Insolvenzrisiko des Schuldners sollte nach der Vereinbarung bei F liegen. Demnach liegt ein Fall des sogenannten echten Factorings vor. F hat dem H auch tatsächlich 88% der Forderung des H gegen B zur Verfügung gestellt. Da die Globalzession an die F nach allen genannten Auffassungen wirksam ist, bedarf der dargestellte Streitstand keiner abschließenden Stellungnahme.

III. Ergebnis

Die Globalzession an die Factorbank F wird als sogenanntes echtes Factoring nach dem Prioritätsprinzip behandelt. Demnach geht die Faktorzession dem zwischen Z und H vereinbarten verlängerten Eigentumsvorbehalt vor. Die Forderungen des H gegen B stehen der F zu.

Frage 2: Rechtslage, wenn der verlängerte Eigentumsvorbehalt zeitlich vor der Factorzession vom 01.06.2002 vereinbart wird.

Da der verlängerte Eigentumsvorbehalt vom 01.04.2002 der Abtretung der Forderung an die Factorbank am 01.06.2002 zeitlich vorrangig vereinbart worden ist, geht er grundsätzlich der Factorzession vor.

1.Auslegung des verlängerten Eigentumsvorbehalts

In der Vereinbarung eines verlängerten Eigentumsvorbehalts wird konkludent erklärt, dass der Vorbehaltskäufer berechtigt sein soll, die Forderungen gegen den Schuldner im eigenen Namen einzuziehen. Zu prüfen ist, ob die Einziehungsermächtigung auch die Abtretung der Forderung an eine Factorbank umfasst. Für die Beantwortung dieser Frage müssen die Eigenarten des echten Factoring betrachtet werden. Bei einem verlängertem Eigentumsvorbehalt trägt der Warenlieferant im Innenverhältnis das Risiko, dass sich der Ermächtigte vertragstreu verhält.

Maßgebliches Argument dafür, dass die Einzungsermächtigung des H auch die Abtretung der Forderung an eine Factorbank erfasst, ist die Tatsache, dass dem Vorbehaltskäufer im Rahmen des echten Factoring hier 88% des Forderungsbetrages sofort und zwar regelmäßig lange bevor der Anspruch gegenüber dem Zweitkäufer fällig wird, bezahlt werden. Demzufolge ist die Gegenleistung des echten Factoring nicht anders zu bewerten als eine entsprechende Zahlung des Zweitkäufers selbst.

2.Ergebnis

Der verlängerte Eigentumsvorbehalt wäre grundsätzlich nach dem Prioritätsprinzip vorrangig gegenüber der Globalzession an die Factorbank. Die Einziehungsermächtigung umfasst auch die Verwertung der Forderung gegen den Zweitkäufer durch eine Factorglobalzesson. Die Rechtsstellung des Vorbehaltsverkäufers wird durch das echte Factoring nicht beeinträchtigt. Demzufolge steht die Forderung des H gegen B der Factorbank zu. Diese stellt als Gegenleistung dem H 88% des Nennwertes der Forderung gegen B zur Verfügung. Damit kann der Warenlieferant befriedigt werden.

Anmerkung

Zu dem Thema dieser Klausur kann jederzeit ein vertiefender Crashkurs gebucht werden oder ein Coaching im Repetitorium stattfinden.

siehe auch Klausur Forderungsabtretung

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Vertragsschluss bei Internetauktionen

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Fall:

Kaufmann B mit Sitz in Köln möchte einen ihm gehörenden gebrauchten Pkw der Luxusklasse (derzeitiger Marktwert etwa 50.000.- Euro) im Rahmen einer Versteigerung im Internet (Online-Auktion) veräußern. Hierzu wendet sich B an ein Auktionshaus, das seinen Kunden eine technische Plattform für solche Auktionen anbietet. Daraufhin wird die genaue Beschreibung des Pkw auf den Internet-Seiten des Auktionshauses veröffentlicht. Es wird eine Frist von einer Woche zur Abgabe von Geboten festgelegt, die am 01.Juli 2005 ablaufen soll. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auktionshauses, die von allen Anbietern und Kunden dieses Auktionshauses anerkannt worden sind, kann der jeweilige Anbieter während des zeitlichen Laufes der Versteigerung sein Angebot nicht mehr zurücknehmen. Allen Kunden des Auktionshauses wird die Möglichkeit eingeräumt, über das Internet Gebote abzugeben. Die Liste der abgegebenen Gebote ist im Internet abrufbar. Hierdurch läßt sich für jeden Bieter erkennen, in welcher Höhe das aktuelle Meistgebot abgegeben worden ist. Neben der zeitlichen Befristung der Abgabe von Geboten enthalten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur noch den Hinweis, dass für das Zustandekommen von Verträgen die Regelungen des BGB gelten.

Mit Ablauf des 01.Juli 2005 sind im konkreten Fall 963 Gebote abgegeben worden.  Das letzte und höchste Gebot hat die Krüger OHG (K) in Höhe von 26.000.- Euro abgegeben. Beim Abruf der abgegebenen Gebote am 02.Juli 2005 stellt K fest, dass sie beim Ablauf der Frist das Meistgebot abgegeben hat. K freut sich über diesen geschäftlichen Erfolg. Sie zahlt die gebotene Geldsumme nach den Vertragsbedingungen an B und verlangt die Übereignung des Pkw. B verweigert die Herausgabe des Wagens mit dem Hinweis, es sei ein Zuschlag an K nicht erfolgt. Tatsächlich übermittelt das Auktionshaus im Normalfalle dem Meistbietenden nach Ablauf der Frist ein Schreiben, worin der Zuschlag zum Ausdruck gebracht wird. Dieses Schreiben hat das Auktionshaus im konkreten Fall auf Bitten des B wegen des zu niedrigen Preises nicht versandt. K ist der Auffassung, dass es auf ein solches Schreiben nicht ankommen könne. Der Vertrag sei bereits mit Fristablauf geschlossen. Jedenfalls habe sie einen zwingenden Anspruch auf den Zuschlag, da B sein Angebot während der Versteigerung nach den Geschäftsbedingungen nicht zurückziehen konnte.

Hat K einen Anspruch auf Herausgabe des PKW gegen B ?

Lösung:

I. Anspruch aus § 433 I S.1 BGB

K könnte einen Anspruch auf Herausgabe und Übereignung des Pkw gegen B aus § 433 I S.1 BGB haben. Dann müßte ein Kaufvertrag über den Pkw zwischen K und B zustande gekommen sein.

Ein Vertrag kommt durch zwei korrespondierende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande. Die allgemeinen Regeln des BGB gelten auch für im Internet online abgegebene Erklärungen. Dies könnte sich in bezug auf die dispositiven Vorschriften auch aus den AGB des Auktionshauses ergeben. AGB können auch online anerkannt werden, wenn vom Verwender auf sie hingewiesen wurde und der Kunde die Möglichkeit hat, in zumutbarer Weise von ihnen Kenntnis zu nehmen. Vorliegend sind die AGB des Auktionshauses von allen Kunden des Auktionshauses anerkannt worden, Anhaltspunkte für Zweifel an der Wirksamkeit ihrer Einbeziehung bestehen nicht. Die AGB bilden daher die rechtliche Grundlage der Geschäfte und können auch hinsichtlich der Frage des Vertragsschlusses im Verhältnis des Anbieters zum Bieter als Auslegungsgrundlage herangezogen werden. Auch nach den AGB gelten damit die allgemeinen Regeln des BGB.

Ein Angebot von Seiten des B könnte in dem von ihm veranlassten Einstellen der genauen Beschreibung des Pkw auf die Internet-Seite des Auktionshauses zu sehen sein. Angebot und Annahme können auch per Mausklick online abgegeben werden. Dann müsste in dem Einstellen eine von entsprechendem Rechtsbindungswillen getragene Willenserklärung zu sehen sein. Der Rechtsbindungswille könnte sich hier aus der Verpflichtung des Anbieters, sein Angebot während des zeitlichen Laufes der Versteigerung nicht zurückzunehmen, ergeben. Gegen einen Rechtsbindungswillen spricht aber, dass der Anbieter bei einer Auktion nicht mit allen Interessenten, sondern nur mit einem einzigen einen Vertrag abschließen möchte. Dies deutet eher auf eine invitation ad offerendum hin. Allerdings könnte man auch argumentieren, aus dem Umstand, dass es sich um eine Auktion handelt, ergebe sich mit hinreichender Deutlichkeit, dass das Produkt nur an den Meistbietenden verkauft wird.

Zu beachten ist jedoch, dass bei privatrechtlichen Versteigerungen nach § 156 I S.1 BGB der Vertrag erst mit dem Zuschlag zustande kommt, so dass ein Angebot erst im Gebot der Bieter zu sehen wäre. Fraglich könnte sein, ob § 156 BGB auf Interent-Auktionen überhaupt anwendbar ist. Die AGB des Auktionshauses bedingen die dispositive Vorschrift nicht ab. Zweifel könnten durchaus erwachsen, dass bei Internet-Auktionen das Ende der Versteigerung üblicherweise durch den Ablauf einer bestimmten Frist festgesetzt ist, worin man dann auch den Zeitpunkt des Zustandekommens des Kaufvertrages sehen könnte. Auf einen Zuschlag käme es nicht mehr an. Es ist aber fraglich, in der Fristbestimmung eine Abbedingung des § 156 S.1 BGB zu sehen, da die Frist auch als bloßer Endzeitpunkt für die Möglichkeit der Abgabe für ein Gebot angesehen werden kann und vor allem weil die AGB explizit auf die Regeln des BGB verweisen und das Auktionshaus im Normalfall dem Meistbietenden ein Schreiben übermittelt, worin der Zuschlag zum Ausdruck gebracht wird. Soweit daher durch das Auktionshaus durch ein entsprechendes Schreiben dennoch ein Zuschlag erfolgt, kann § 156 BGB, der einzig den Vertragsschluss regelt, zur Bestimmung desselben ebenso herangezogen werden. Der Zuschlag ist dann als Annahme zu verstehen. Angebote erfolgen durch die Bieter in ihren Geboten. Die Veröffentlichung auf der Internetseite durch den Anbieter stellt einzig eine invitatio ad offerendum dar und ist folglich mangels Rechtsbindungswillens kein Angebot im Sinne des BGB. Die Klausel, nach der der Anbieter während der Versteigerung sein Angebot nicht zurückziehen kann, steht dem nicht entgegen, da eine solche Bestimmung dem Ablauf der Versteigerung selbst dient. Auf die Frage, ob ein Angebot seitens des B mangels Bestimmtheit aufgrund fehlender essentialia negotii verneint werden muss, kommt es deshalb nicht mehr an.

Daher liegt das Angebot in dem Gebot der K. Anhaltspunkte für Zweifel an der Wirksamkeit der Willenserklärung sind nicht ersichtlich. Das Angebot der K ist auch nicht durch ein höheres Gebot nach § 156 S.2 BGB erloschen. Ein Zuschlag an K ist jedoch nicht erfolgt. Ein entsprechendes Schreiben des Auktionshauses wurde nicht versandt. Wie schon gesehen ist der Vertrag auch nicht entsprechend der Auffassung der K durch Fristablauf zustande gekommen. Der Vertrag ist damit noch nicht geschlossen worden.

II. Anspruch auf Erteilung des Zuschlags

K könnte aber einen Anspruch auf Erteilung des Zuschlages haben. Eine Klage des Höchstbieters auf Leistung des Ersteigerten könnte dann wie eine Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises im Falle erklärter Wandlung nach altem Recht dahingehend auszulegen sein, dass es dem Kläger erlaubt ist, gleich auf Erbringung der Leistung zu klagen, und die Abgabe der Willenserklärung des Beklagten, auf die der Kläger Anspruch hat, nach dem Rechtsgedanken des § 894 I ZPO fingiert wird (nach altem Recht im Rahmen der Wandlung sog. modifizierte Vertragstheorie/Theorie des richterlichen Gestaltungsaktes). Während jedoch ein Anspruch auf Wandlung nach §§ 462,465 BGB a.F. allgemein anerkannt war, wird ein Anspruch des Höchstbieters auf Erteilung des Zuschlags bei § 156 BGB allgemein verneint. Fraglich ist, ob sich hier etwas anderes daraus ergeben könnte, dass der Anbieter während der Versteigerung nach den AGB des Auktionshauses sein Angebot nicht zurücknehmen konnte. Eine solche Bestimmung dient jedoch, wie schon angemerkt, dem vollständigen Ablauf der Auktion selbst. Es ist nicht erkennbar, dass aus ihr auch ein Anspruch auf Erteilung des Zuschlages folgen soll. K hat also keinen Anspruch auf Erteilung des Zuschlages. Ein Vertrag zwischen B und K ist damit nicht zustande gekommen. Ein Anspruch des K auf Herausgabe und Übereignung des Pkw nach § 433 I S.1 BGB besteht nach den vorgetragenen Tatsachen nicht.

Anmerkungen

Besuchen Sie auch unsere weiteren Artikel zum Thema Willenserklärung: „Bestandteile einer Willenserklärung“ „Wirksamwerden einer Willenserklärung„, „Haftung im Gefälligkeitsverhältnis„, „Schweigen als Willenserklärung„, „Auslegung einer Willenserklärung„, „Auslegung von Testamenten

siehe auch Klausur Forderungsabtretung, Pflichtverletzung nach § 280 I BGB beim Kauf

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Klausur Rücknahme unionsrechtswidriger VA

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Rückforderung von Subventionen

A. Sachverhalt

Die Goethe-GmbH übersetzt deutsche Literaturklassiker in die englische, französische und spanische Sprache und vertreibt die übersetzten Werke im europäischen Ausland (Frankreich, Großbritannien, Irland, Spanien und Luxemburg). Das Kultusministerium Bayern hatte der Goethe-GmbH, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, mittels eines Verwaltungsaktes am 01.07.2009 einen Zuschuss von 250.000 Euro und auf der Grundlage eines mit dem Kultusministerium von Bayern geschlossenen zivilrechtlichen Vertrages ein Darlehen in Höhe von 500.000 Euro gewährt, ohne das die Europäische Kommission hiervon vorher informiert wurde. Nachdem die Kommission von diesem Vorgang Kenntnis erlangt hatte, hat sie – nachdem sie den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat – am 01.09.2009 einen begründeten Beschluss erlassen und am gleichen Tag den Betroffenen auch bekanntgegeben, dass der vom Land Bayern der Goethe-GmbH gewährte Zuschuss und auch das Darlehen unzulässig seien, da ein Verstoß gegen Art. 107, 108 AEUV vorliege. Weder die Bundesrepublik Deutschland noch das Land Bayern noch die Goethe-GmbH haben rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der Kommission unternommen.

Aufgabe 1:

Am 01.10.2010 erlässt das Kultusministerium des Landes Bayern – nach Anhörung der Goethe-GmbH – einen mit einer Begründung versehenen Bescheid an die Goethe-GmbH, in dem sie den Zuwendungsbescheid vom 01.07.2009 zurücknimmt und das gezahlte Geld in Höhe von 250.000 Euro zurückfordert. Die Goethe-GmbH wendet hiergegen ein, dass das Unionsrecht keine Vorschriften über die Rückforderung von staatlichen Zuschüssen enthalte und die Entscheidung der Kommission nicht rechtmäßig gewesen sei. Ferner beruft sich die Goethe-GmbH auf Vertrauensschutz, da der gesamte Zuschuss inzwischen verbraucht worden sei. Ist der Bescheid des Kultusministeriums vom 01.10.2010 rechtmäßig?

Aufgabe 2:

Anfang Dezember 2010 fordert das Kultusministerium des Landes Bayern die Rückabwicklung des Darlehens. Hierauf erwidert die Goethe-GmbH, sie habe mittlerweile private Investoren gefunden und das Darlehen vollständig zurückbezahlt; zudem beruft sich die GmbH auf Vertrauensschutz. Das Ministerium beansprucht jedoch die Zahlung eines marktüblichen Zinses für die Zeit der Gewährung bis zur Rückzahlung des Darlehens und stützt sich dabei auf Bereicherungsrecht, da der Darlehensvertrag wegen Verstoßes gegen Art. 108 III 3 AEUV nichtig sei. Steht dem Ministerium der Zinsanspruch zu?

B. Lösung

Aufgabe 1:

A. Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheids vom 1.10.2010

I. Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung könnte Art. 48 I 1, II BayVwVfG sein. Die GmbH wendet ein, dass das Unionsrecht keine Vorschriften über die Rückforderung von staatlichen Zuschüssen enthält. Dies trifft auch zu. Es existieren keine EU-Vorschriften über die Rücknahme von rechtswidrig gewährten Zuschüssen. Auf EU-Ebene gibt es keine Verfahrensvorschriften, die denen der Mitgliedstaaten ähnlich wären. Der Grund dafür ist, dass es nicht zulässig wäre in die Autonomie der Mitgliedstaaten einzugreifen. Eine einheitliche Verfahrensordnung, die nicht auf die jeweiligen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten zugeschnitten ist, wäre nicht tragbar. Deshalb ist auf die nationalen Vorschriften zurückzugreifen, vorliegend damit auf Art. 48 I 1, II BayVwVfG.

II. Formelle Rechtmäßigkeit

1. Zuständigkeit

Nach Art. 48 V BayVwVfG entscheidet die nach Art. 3 BayVwVfG zuständige Behörde. Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt kann davon ausgegangen werden, dass das Kultusministerium des Landes Bayern, das den Zuschuss genehmigt hat, auch für die Rücknahme derselben zuständig ist.

2.Verfahren und Form

Laut Sachverhalt wurde die GmbH vor Erlass des VA angehört, Art. 28 I BayVwVfG. Der VA wurde zudem mit einer ordnungsgemäßen Begründung nach Art. 39 I  BayVwVfG versehen. Von der Einhaltung der übrigen Voraussetzungen ist auszugehen.

III. Materielle Rechtmäßigkeit

Voraussetzung für eine rechtmäßige Rücknahme ist, dass die Tatbestandsmerkmale des Art. 48 I 1, II BayVwVfG vorliegen.

1. Rechtswidrigkeit des Ausgangs-VA

Der Ausgangs-VA müßte rechtswidrig erlassen worden sein. Das ist der Fall, wenn er auf keiner rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage beruht und/oder formell sowie materiell rechtswidrig erlassen worden ist.

a) Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für die Gewährung von Zuschüssen ist das Landeshaushaltsgesetz i.V.m. den einschlägigen Verwaltungsvorschriften

b) Formelle Rechtswidrigkeit

Nach Art. 108 III AEU muss die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen rechtzeitig unterrichtet werden. Nach Satz 3 darf der Mitgliedstaat die Maßnahme nicht vor dem Beschluss der Kommission durchführen. Hier wurde sowohl der Zuschuss, als auch das Darlehen gewährt ohne dass die Kommission darüber informiert worden ist. Folglich wurde das erforderliche Notifizierungsverfahren nicht durchgeführt. Damit ist die Mittelgewährung bereits formell rechtswidrig. Eine Heilung nach § 45 I BayVwVfG ist insoweit nicht möglich.

c) Materielle Rechtswidrigkeit

Fraglich ist, ob die Gewährung auch materiell rechtswidrig ist. Die Kommission sieht in der Gewährung des Zuschusses sowie des Darlehens durch das Land Bayern einen Verstoß gegen Art. 107, 108 AEUV. Art. 107 AEU enthält ein grundsätzliches Verbot wettbewerbsverfälschender Subventionen. Ausnahmen sind aber nach Art. 107 II und III AEU vorgesehen, da in diesen Fällen eine Vereinbarkeit mit dem Binnenmarktsystem vorliegt. Absatz 2 enthält keine Ausnahme, die auf die vorliegende Konstellation der Unterstützung von Unternehmen aufgrund finanzieller Probleme passen würde. Möglicherweise wäre eine Ausnahme nach Art. 107 III d) AEU denkbar. Ausgenommen vom Beihilfeverbot sind Zuschüsse zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Die GmbH übersetzt deutsche Literaturklassiker in drei verschiedene Sprachen und verbreitet diese Werke im europäischen Ausland. Dies dient der Verbreitung des deutschen Literaturgutes, das einen bedeutenden Teil der deutschen Kultur darstellt. Fraglich ist aber, ob unter Förderung der Kultur auch die Verbreitung im Ausland gemeint ist. Möglicherweise soll nur kulturell wertvolles Handeln im Inland gefördert und unterstützt werden. Allerdings dient die Übersetzung und Verbreitung der Erhaltung des kulturellen Erbes, da die Werke so nicht in Vergessenheit geraten und immer wieder zu neuen Diskussionen anregen. Fraglich ist aber weiterhin, ob die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht beeinträchtigt werden. Sicherlich ist die G-GmbH nicht das einzige Übersetzungsinstitut in der BRD. Durch die Subvention greift das Land in die Wettbewerbsordnung ein und verändert die Handelsbedingungen. Vorliegend ist auch nicht eindeutig, ob die GmbH vor dem existentiellen Aus steht. Laut Sachverhalt befindet sie sich lediglich in finanziellen Schwierigkeiten. Diese Probleme könnten möglicherweise auch vom Unternehmen selbst durch Umstrukturierungsmaßnahmen behoben werden. Ein gemeinsames Interesse ist jedenfalls nicht ersichtlich. Damit liegt ein Verstoß gegen Art. 107 AEU vor.

Im Ergebnis ist der Ausgangs-VA daher auch materiell rechtswidrig

2. Begünstigung

Die Gewährung des Zuschusses in Höhe von 250.000 Euro ist unzweifelhaft eine Begünstigung.

3. Vertrauensschutz

Nach § 48 II BayVwVfG könnte die Rücknahme des Zuwendungsbescheides ausgeschlossen sein.

a) Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes

Die GmbH hat auf den Bestand des VA vertraut. Dies kann schon daraus geschlossen werden, dass sie das Geld verbraucht hat.

b) Schutzwürdigkeit des Vertrauens

Eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens scheidet aus, wenn einer der Fälle des Art. 48 II 3 Nr. 1 – 3 BayVwVfG vorliegt. Hier könnte das Vertrauen aufgrund von Nr. 3 ausgeschlossen sein. Fraglich ist also, ob die GmbH die Rechtswidrigkeit des VA kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung teils darauf abgestellt, dass sich das subventionierte Unternehmen selbst vergewissern müsste, ob die europarechtlichen Vorschriften eingehalten wurden. Maßstab wäre der eines gewissenhaften Unternehmensträgers. Dies ist aber in der Literatur äußerst umstritten. Einige verneinen in diesem Fall die grobe Fahrlässigkeit und nehmen nur leichte Fahrlässigkeit an. Jedenfalls ist es wohl auch einem global tätigen Unternehmen nicht möglich, die rechtliche Lage umfassend selbst zu ermitteln. Zudem erfolgte die Mittelgewährung durch das Land bzw. den Bund, sodass mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip grundsätzlich von der Einhaltung der erforderlichen Verfahren ausgegangen werden kann. Demnach muss der Literatur gefolgt werden, wonach wenn überhaupt nur einfache Fahrlässigkeit vorliegen kann. Damit liegt kein Fall des Art. 48 II 3 Nr. 3 BayVwVfG vor und das Vertrauen der GmbH ist grundsätzlich schutzwürdig.

c) Abwägung

Bei Schutzwürdigkeit des Vertrauens hat eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme des VA mit dem privaten Interesse am Bestand des VA zu erfolgen. In den Fällen der Gewährung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen ist ein gesteigertes öffentliches Rücknahmeinteresse gegeben, da nicht nur rein fiskalische Interessen betroffen sind bzw. ein Interesse an der Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände, sondern das Interesse an der Durchführung der unionsrechtlichen Wettbewerbsordnung gefährdet ist. Ziel der EU ist die Verwirklichung des Binnenmarktes. Daraus folgt auch die Pflicht der einzelnen Mitgliedstaaten die Verträge zu erfüllen, Art. 4 III EUV. Aufgrund dieser übergeordneten unionsbezogenen Interessen muss das private Interesse an der Aufrechterhaltung des VA zurücktreten. Ein schutzwürdiges Vertrauen könnte sich allenfalls aus einem Fehlverhalten der Kommission ergeben, was aber vorliegend ausgeschlossen werden kann. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der Rücknahme.

4. Ermessen

Nach Art. 48 I 1 BayVwVfG liegt die Rücknahme des VA bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen im Ermessen der Behörde. Aufgrund des unionsrechtlich relevanten Sachverhalts gilt aber auch hier eine Besonderheit. Die rechtskräftige Feststellung der Unionswidrigkeit der Bewilligung durch die Kommission bewirkt eine Verpflichtung der Behörde die Rücknahme durchzuführen. Ihr Ermessen ist insoweit auf Null reduziert. Die Behörde ist in diesem Fall nur ausführendes Organ der Kommission.

5. Frist

Nach Art. 48 IV 1 BayVwVfG ist eine Rücknahme nur innerhalb eines Jahres nach der Subventionsgewährung zulässig. Hier wurde der Zuschuss am 1.7.2009 gewährt. Zunächst ist deshalb zu klären auf welches Ereignis zur Fristbestimmung abgestellt werden muss. In Frage käme einerseits die Bekanntgabe der Kommissionsentscheidung, die hier am 1.9.2009 erfolgte. Andererseits könnte auch auf die Bestandskraft der Entscheidung abgestellt werden. Nach Art. 263 VI AEU beginnt die Frist erst nach Ablauf der zweimonatigen Rechtsbehelfsfrist. Laut Sachverhalt hat keiner der Beteiligten rechtliche Schritte unternommen, sodass der Fristbeginn auf den 1.11.2009 fallen würde. Folgt man der ersten Meinung wäre die Einjahresfrist am 1.9.2010 abgelaufen, eine Rücknahme am 1.10.2010 damit nicht mehr möglich. Im letzten Fall wäre die Rücknahme am 1.10.2010 hingegen noch möglich, da die Frist erst am 1.11.2010 ablaufen würde. Eine Entscheidung kann aber vorliegend dahingestellt bleiben, wenn es ohnehin nicht auf die Fristenregelung ankäme.

Denn auch im Rahmen der Fristenregelung muss eine unionsrechtskonforme Lösung gefunden werden. Die unionsrechtlich vorgesehene Rückforderung von Beihilfen darf nicht durch nationale Vorschriften vereitelt werden. Aus dem Effizienzgebot folgt deshalb eine teleologische Reduktion der Fristenregelung. Dies dient nicht zuletzt auch der Vorbeugung der Gefahr, dass nationale Behörden die Frist bewusst verstreichen lassen, um so ihrem Land bzw. dem Subventionierten den Zuschuss entgegen den unionsrechtlichen Vorschriften doch zukommen zu lassen. Folglich schadet die Verfristung vorliegend nicht.

6. Verstoß gegen Treu und Glauben

Ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben kann die GmbH nicht einwenden. Wiederum steht die Effektivität des Gemeinschaftsrechts im Vordergrund, sodass der Einwand nicht gerechtfertigt werden kann.

IV. Ergebnis

Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides war daher rechtmäßig.

B. Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides vom 1.10.2010

Neben der Rücknahme des VA enthält der Bescheid des Ministeriums auch ein Rückforderungsverlangen des Geldbetrages in Höhe von 250.000 Euro.

I. Anspruchsgrundlage

Anspruchsgrundlage für die Erstattung des Geldbetrages ist Art. 49a BayVwVfG

II. Tatbestandsvoraussetzungen

Voraussetzung für eine Rückforderung ist die rechtmäßige Aufhebung eines VA. Wie oben geprüft ist die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.

III. Rechtsfolge

Rechtsfolge des Art. 49a BayVwVfG ist die Erstattung der bereits erbrachten Leistungen. Möglicherweise ist aber eine Erstattung vorliegend nicht mehr möglich, da die GmbH den gesamten Zuschuss bereits verbraucht hat. Nach Art. 49a II 1 BayVwVfG gelten für den Umfang der Erstattung die Vorschriften des BGB über die ungerechtfertigte Bereicherung. Ausnahmsweise entfällt der Einwand der Entreicherung aber gem. Art. 49a II 2 BayVwVfG, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme führten, kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Jedoch muss man auch, wie im Rahmen der Vertrauensschutzabwägung oben, zu dem Ergebnis kommen, dass eine grobe Fahrlässigkeit nicht vorliegt. Damit wäre eine Rückforderung aufgrund Entreicherung grundsätzlich ausgeschlossen.

Möglichweise sind aber auch hier wieder unionsrechtliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Der Entreicherungseinwand ist bei unionswidrig gewährten Beihilfen zur Gewährung der Effektivität des Unionsrechts ausgeschlossen. Auch hier kann nichts anderes gelten als bereits oben innerhalb der anderen Punkte erläutert.

Damit ist das Erstattungsverlangen des Ministeriums rechtmäßig.

Aufgabe 2:

Zu prüfen ist, ob dem Ministerium für die Zeit der Darlehensgewährung ein Zinsanspruch zusteht.

I. Anspruch entstanden

1. Anspruchsgrundlage

Zunächst muss geklärt werden, ob es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch oder um einen öffentlich-rechtlichen Zinsanspruch handelt. Im Rahmen des Zivilrechts wäre eine Rückforderung nach § 488 I 2 BGB denkbar. Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Zinszahlung könnte sich aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag ergeben, da eine Rückforderung über Art. 49a III 1 BayVwVfG mangels Vorliegen eines VA ausscheidet.

Im Vorfeld der Prüfung muss deshalb die Rechtsnatur des Darlehensvertrages geprüft werden. Laut Sachverhalt hat die GmbH mit dem Kultusministerium einen zivilrechtlichen Darlehensvertrag abgeschlossen. Aufgrund der eindeutigen Bezeichnung als zivilrechtlich könnte man von der Anwendbarkeit der BGB-Vorschriften ausgehen. Jedoch muss untersucht werden, ob die Schließung eines privatrechtlichen Vertrages zwischen einem Träger hoheitlicher Gewalt und einem Privatrechtssubjekt ohne weiteres möglich ist. Aus Art. 54 S.1 BayVwVfG ergibt sich die grundsätzliche Zulässigkeit von Verträgen zwischen der öffentlichen Hand und Privaten. Fraglich ist, welcher Vertragstyp in der vorliegenden Konstellation gegeben ist.

Die Tatsache, dass das öffentliche Recht spezielle Vorschriften über vertragliche Beziehung zwischen Staat und Privaten vorsieht legt den Schluss nahe, dass eine Kontrolle des staatlichen Handelns möglich sein soll, bzw. dass Private vor der übergeordneten Stellung des Staates und dessen Einflussmöglichkeiten geschützt werden sollen. Es soll nämlich gerade verhindert werden, dass der Staat sich einseitig eine günstigere Vertragsposition verschafft, indem er auf anderen Gebieten des öffentlichen Rechts rechtliche Nachteile für den Bürger begründet. In diesen Fällen würde eine Umgehung der Schutzvorschriften der Art. 54 ff. BayVwVfG drohen. Jedoch müsste eine öffentlich-rechtliche Vorschrift berührt sein, durch die sich der Staat auf Kosten des Privaten Vorteile verschafft. Der Darlehensgewährung müsste demnach eine Forderung des Staates bzw. eine Verpflichtung des Privaten zu einer bestimmten Leistung gegenüberstehen. Da es sich aber vorliegend um einen reinen Darlehensvertrag handelt und kein weiteres Gebiet des öffentlichen Rechts betroffen ist, besteht keine Gefahr der Umgehung der Art. 54 ff. BayVwVfG. Es handelt sich damit um einen zivilrechtlichen Darlehensvertrag nach §§ 488 ff. BGB.

Ein Anspruch auf Rückforderung könnte sich damit aus § 488 I 2 BGB ergeben.

II. Nichtigkeit gem. § 134 BGB

Möglicherweise ist der Vertrag aber wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig. Als Verbotsgesetze kommen vorliegend Art. 107 und 108 AEU in Betracht. Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB ist nach Art. 2 EGBGB ein „Gesetz“, womit auch Vorschriften des EU-Rechts erfasst sind. Ein gesetzliches Verbot liegt immer dann vor, wenn die Norm für bestimmte Fälle die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit Rücksicht auf seinen Inhalt, die Umstände seiner Vornahme oder auf einen rechtlich missbilligten Erfolg untersagt. Hier missbilligen die Art. 107 f. AEU gerade eine Bewilligung von staatlichen Beihilfen gleich welcher Art, damit auch die Bewilligung von Beihilfen auf Grundlage zivilrechtlicher Verträge, ohne die Einschaltung der Kommission bzw. ohne die Prüfung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt. Damit handelt es sich um Verbotsgesetze. Da eine Beteiligung der Kommission vorliegend in keinster Weise erfolgte liegt bereits ein Verstoß gegen Art. 108 III AEU vor. Zudem ist auch ein Verstoß gegen Art. 107 gegeben, da sich hier nichts anderes als bei dem gewährten Zuschuss ergeben kann.

Folglich ist der geschlossene Vertrag gem. § 134 BGB und Art. 107 f. AEU ex-tunc nichtig.

Ein Anspruch auf Zinszahlung aus dem Darlehensvertrag ist deshalb nie entstanden.

III. Zinsanspruch aus Bereicherungsrecht

Das Ministerium hat aber einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten aus § 812 I 1 Alt. 1 BGB. Fraglich ist der Umfang des Bereicherungsanspruchs. Dies richtet sich nach § 818 BGB. Zurückzuerstatten ist aber lediglich das rechtsgrundlos Erlangte. Eine Rückforderung des Kapitals ist aber vorliegend ausgeschlossen, da die GmbH bereits den gesamten Betrag zurückgezahlt hat. Ein Anspruch auf Erstattung der marktüblichen Zinsen ergibt sich nicht aus § 818 I und II BGB. Ein Anspruch auf Zahlung der Zinsen könnte sich aber nach § 818 II BGB ergeben. Die Nutzungsmöglichkeit des Geldes kann vorliegend nicht mehr herausgegeben werden. Dafür könnte Wertersatz zu leisten sein. Ein Anspruch auf Zinserstattung ergibt sich daher aus § 818 II BGB.

Entgegenstehen könnte aber § 814 BGB. Das Ministerium hat vorliegend die Gründe der Nichtigkeit des Vertrages gekannt. Zum einen wurde das obligatorische Notifizierungsverfahren nach Art. 108 III AEU nicht durchgeführt. Im Übrigen entspricht die Mittelgewährung auch nicht den Anforderungen des Art. 107 AEU. Aufgrund der Kenntnis der Nichtschuld nach § 814 BGB ist der Rückforderungsanspruch nach § 812 I 1 Alt. 1 BGB gesperrt.

IV. Ergebnis

Das Ministerium hat keinen Anspruch auf Zahlung von Zinsen gegen die GmbH.

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Klausur zu § 80 Abs.5,S.1,Alt.2 VwGO

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A. Sachverhalt

Physiker P hat sich in dem Keller seiner in der bayrischen kreisfreien Stadt S gelegenen Villa ein Labor eingerichtet. Zu diesem Zweck hat er auch einige tragende Wände entfernt. Der Umbau ist zwar ohne die nach Art. 68 I BayBO erforderliche Baugenehmigung, jedoch in technisch einwandfreier Weise erfolgt. In dem Labor arbeitet P an fast jedem Wochenende an der Entwicklung neuer Metall-Legierungen. Dabei verwendet er Galvanikflüssigkeiten, die Arsenik, Quecksilber, Blei und Zyanid enthalten. Selbst bei der Anwendung größter Sorgfalt kann er nicht verhindern, dass bei jeder Versuchsreihe mehrere Liter dieser Flüssigkeiten auf den Betonfußboden tropfen, von dort aus bis in das unter dem Gebäude befindliche Erdreich hindurchsickern und schließlich in die -undichte- Abwasserleitung gelangen. Das führt dazu, dass bei den Einwohnern von S wiederholt rötlich, grünlich bzw. bläulich gefärbtes Wasser aus den Wasserhähnen kommt. Als immer mehr Einwohner von S über Kopfschmerzen, Schwindelgefühle und Erbrechen klagen und sich die Ursache dieser Erkrankungen nicht aufklären lässt, machen die Nachbarn von P den Oberbürgermeister (OB) der Stadt S auf die Aktivitäten des P aufmerksam. Am Samstag, den 14.8.2002, erscheinen zwei Außendienstmitarbeiter des OB bei P und fordern ihn- ohne ihm zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben- mündlich auf, den Laborbetrieb einzustellen und die baulichen Veränderungen rückgängig zu machen. Sie ordnen sodann die sofortige Vollziehung dieser Maßnahmen an. In der Begründung geben sie an, dass sich die Stadt S im Sommer an dem Landeswettbewerb „Aktion sauberes Trinkwasser“ beteiligen wolle und daher der Weiterbetrieb des Labors nicht bis zum Abschluss eines möglicherweise über Jahre währenden Rechtsmittelverfahrens geduldet werden könne. Außerdem sei der Keller- was unzutreffend ist- infolge des Umbaus einsturzgefährdet. Das mache eine umgehende Wiederherstellung des ursprünglichen baulichen Zustands erforderlich. Um ihren Anordnungen Nachdruck zu verleihen, versiegeln sie schließlich die Schränke, in denen P die für seine Forschungen erforderlichen technischen Instrumente aufbewahrt. Am Dienstag, den 14.8.2002, wird dem P ein Schreiben des OB zugestellt, in dem die Maßnahmen vom 10.8.2002 bestätigt und ausführlich begründet werden. Als Ermächtigungsgrundlagen gibt der OB Vorschriften des LStVG, der Bauordnung und des bayrischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes an.

P ist über das, was ihm widerfahren ist, empört. Er reicht am 5.9.2002  Klage ein und stellt noch am selben Tag beim zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Er ist der Ansicht, die Behörde sei bereits deshalb gehindert gewesen, die Vollziehungsanordnung zu erlassen, weil kein Bedarf bestehe. Zumindest hätte man ihn vorher anhören müssen. Wird der Antrag des P auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Erfolg haben?

Bearbeitervermerk: Wasserrechtliche Vorschriften sind nicht zu prüfen.

B.Lösung

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird Erfolg haben, wenn er zulässig und begründet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs § 40 I S.1 VwGO

Es müsste sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handeln. Nach der Sonderrechtstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen dem öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Hier sind die Vorschriften des LStVG, der BayBO und des VwZVG entscheidend. Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Norm öffentlich-rechtlich, wenn sie ausschließlich Hoheitsträger berechtigt oder verpflichtet. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 II S.1 Nr. 4 VwGO ist nur durch eine Behörde möglich. Ferner ist ausschließlich die Polizei als Hoheitsträger berechtigt polizeirechtliche Maßnahme, wie das Versiegeln der Schränke vorzunehmen.  Es ist auch keine anderweitige Rechtswegzuweisung ersichtlich. Art. 23 EGGVG ist nicht von Relevanz, da die Polizei nicht repressiv, sondern präventiv tätig wird um die Bevölkerung vor weiteren Schäden zu schützen und die Gefahr zu beseitigen. Mithin ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Zulässigkeit

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes müßte zulässig sein.

1. Statthafte Antragsart

Die statthafte Antragsart richtet sich nach dem Begehr des Antragsstellers gem. § 88 VwGO analog. P möchte sich gegen die Aufforderung seinen Betrieb einzustellen, sowie gegen die Rückbauanordnung und die Versiegelung der Schränke zur Wehr setzen. Nach § 123 V VwGO ist die Anwendung der §§ 80, 80a VwGO vorrangig. Dazu sind die einschlägigen Voraussetzungen zu prüfen. Hier käme ein Antrag gem. § 80 V VwGO in Betracht. Die Anordnungen den Betrieb einzustellen und die baulichen Veränderungen rückgängig zu machen wurden gem. § 80 II S.1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt. Somit wäre gem. § 80 V 1 Alt.2 VwGO nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einschlägig. Etwas anderes ergibt sich aber bei der Versiegelung der Schränke, da durch die Versiegelung der Grund-VA bereits vollzogen wurde, sodass hier die Aufhebung der Vollziehung gem. § 80 V 3 VwGO verlangt werden kann.

2. Antragsbefugnis

Nach § 42 II VwGO analog müsste P geltend machen durch die Anordnungen der sofortigen Vollziehung in subjektiven Rechten verletzt zu sein. Dabei genügt bereits die Möglichkeit einer Rechtsverletzung. Hier könnte er in seinem Recht aus Art. 14 I GG, 12 I GG und 2 I GG verletzt sein. Auch die Beeinträchtigung der Forschungsfreiheit nach Art. 5 III GG kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Damit ist P antragsbefugt.

3. Beteiligtenfähigkeit

P ist gem. § 61 Nr. 1 Alt 1 VwGO beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Stadt S ist nach § 61 Nr.1 Alt.2 VwGO beteiligtenfähig. Für die Stadt S handelt deren Bürgermeister (OB) gem. Art. 38 I, 34 I 2 GO als Vertreter der Kommune und ist somit gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

4. Rechtsschutzbedürfnis

Fraglich ist, ob nicht das Rechtsschutzbedürfnis entfällt, weil P nicht zuerst einen Antrag bei der Behörde gem. § 80 IV VwGO gestellt hat, da dies einen einfacheren Weg darstellen würde sein Rechtsschutzziel zu erreichen. Eine vorherige Antragstellung bei der Behörde ergibt aber nur in Fällen des § 80 II Nr. 1-3 VwGO Sinn, denn nur dort wird die sofortige Vollziehung per Gesetz angeordnet und nicht durch die Behörde selbst. Deshalb hat die Behörde nur in diesen Fällen objektiv die Möglichkeit über die Aussetzung der sofortigen Vollziehung zu entscheiden. Hat die Behörde gerade durch die Anordnung des Sofortvollzugs die aufschiebende Wirkung beseitigt ist im Antragsverfahren nach § 80 IV VwGO kein anderes Ergebnis zu erwarten. Nach § 80 VI VwGO ist der Weg über § 80 IV VwGO nur in dem Fall des § 80 II S.1 Nr. 1 VwGO obligatorisch. Daraus könnte sich ein allgemeiner Rechtsgedanke für die übrigen Fälle des § 80 II VwGO ergeben. Eine Ansicht vertritt, dass wenn ein Antrag bei der Behörde rechtzeitig möglich wäre das Rechtsschutzbedürfnis bei fehlender Antragstellung entfällt. Nach h.M. ist das Antragserfordernis aber nur im Falle der Nr. 1 erforderlich. Begründet wird dies damit, dass der Antrag bei der Behörde nur aus fiskalischen Gründen nötig ist. Dies ist bei den anderen Fallkonstellationen nicht so. Aufgrund der fehlenden Verweisung auf die Nr.2-4 des § 80 II VwGO ist von einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen, wodurch eine Analogie entfällt. Im Übrigen stehen die Verfahren gem. § 80 IV und V selbständig nebeneinander. Damit würde es keinen Sinn machen eine Voraussetzung des einen Verfahrens als zwingende Voraussetzung des anderen Verfahrens zu sehen. Im Ergebnis ist eine vorherige Antragstellung nach § 80 IV VwGO entbehrlich.

III. Begründetheit

Der Anträge sind begründet, wenn sie sich gegen den richtigen Antragsgegner richten und die Vollzugsanordnungen rechtswidrig waren und eine eigene Interessenabwägung des Gerichts ergibt, dass das jeweilige Aussetzungsinteresse schwerer wiegt als das Vollziehungsinteresse und wenn die Versiegelung rechtswidrig war.

1. Richtiger Antragsgegner § 78 I Nr. 1 VwGO analog

Der Antrag ist gegen die Stadt S zu richten, da deren Oberbürgermeister die belastenden Anordnungen erlassen hat.

2. Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung gem. § 80 II 1 Nr. 4 VwGO bzgl. der Verfügung den Laborbetrieb einzustellen

a) Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist § 80 II 1 Nr. 4 VwGO.

b) Formelle Rechtmäßigkeit
aa) Zuständigkeit

Zuständig ist nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO die Behörde, die den VA erlassen hat. Hier hat der Oberbürgermeister der Stadt S die Verfügung erlassen. Folglich war auch er für die Anordnung des Sofortvollzugs zuständig.

bb) Verfahren

Fraglich ist, ob P vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung hätte angehört werden müssen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung hat keinen Regelungscharakter i.S.d. Art. 35 S.1 BayVwVfG, weshalb es sich nicht um einen VA handelt. In Betracht kommt die analoge Anwendung des Art. 28 I BayVwVfG. Aufgrund der belastenden Wirkung der sofortigen Vollziehung ist grundsätzlich eine Anhörung des Betroffenen geboten. Gegen eine analoge Anwendung spricht aber, dass die Voraussetzungen der sofortigen Vollziehung in einem Bundesgesetz geregelt sind. Hier handelt aber eine bayrische Behörde, für die das VwVfG Bayerns (BayVwVfG) gilt. Das in Art. 30 GG enthaltene Trennungsprinzip verbietet es den Ländern im Kompetenzbereich des Bundes Regelungen vorzunehmen. Eine analoge Anwendung scheidet deshalb aus. Wäre das Anhörungserfordernis zwingende Voraussetzung, so hätte der Gesetzgeber dies in § 80 VwGO entsprechend geregelt. Da dies nicht der Fall ist, ist eine vorherige Anhörung nicht erforderlich.

cc) Form

Das besondere öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung muss gemäß den Vorgaben des § 80 III VwGO ausführlich und gesondert schriftlich begründet werden. Sinn und Zweck dieses Formerfordernisses ist es der Behörde den Ausnahmecharakter der Anordnung des Sofortvollzugs vor Augen zu führen und diese Frage besonders gründlich zu prüfen und den Betroffenen und das Gericht über die Beweggründe zu informieren. Die Außendienstmitarbeiter des Bürgermeisters haben den Sofortvollzug aber lediglich mündlich ausgesprochen und begründet. Möglicherweise könnte dieser Formfehler aber gem. Art. 45 I Nr. 2 BayVwVfG analog nachgeholt werden. Eine Nichtigkeit gem. Art. 44 I, II BayVwVfG scheidet aus, da keiner der aufgezählten Regelfälle des Absatzes 2 vorliegt und die Nichtbeachtung der Form auch keinen schwerwiegenden Fehler darstellt. Eine Nachholung ist durch den Bürgermeister am 14.8.2002 mit Zustellung des Schreibens an P erfolgt. Durch die Nachreichung wird der Sinn des Formerfordernisses auch nicht unterlaufen. Das behördliche Verfahren ist weiterhin der Kontrolle zugänglich und dem Betroffenen P entstehen auch keine Nachteile, da seine Rechte und prozessualen Möglichkeiten nicht beschnitten werden. Damit wurde dem Formerfordernis durch die Heilung nach Art. 45 I Nr. 2 BayVwVfG genüge getan.

Die Anordnung des Sofortvollzugs ist damit formell rechtmäßig.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO materiell rechtswidrig, wenn das private Wiederherstellungsinteresse des P gegenüber dem öffentlichen Vollzugsinteresse überwiegt. Dies wäre auf jeden Fall dann anzunehmen, wenn die Einstellungsanordnung des Oberbürgermeisters der Stadt S bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein öffentliches Interesse bestehen. Es ist demnach zu prüfen, ob die Verfügung den Laborbetrieb des P einzustellen rechtswidrig ist.

aa) Ermächtigungsgrundlage

Als Ermächtigungsgrundlage ist Art. 7 II Nr. 3 LStVG zu prüfen.

bb) Formelle Rechtmäßigkeit
(a) Zuständigkeit

Die Gemeinden haben gem. Art. 6 LStVG als Sicherheitsbehörden die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch Gefahrenabwehrmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Die in Art. 6 LStVG genannten Behörden stehen kompetenzrechtlich gleichrangig nebeneinander. Das Handeln der Polizei ist grundsätzlich subsidiär und scheidet aus, da die Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörde rechtzeitig möglich ist, Art. 3 PAG. Der Oberbürgermeister handelt gem. Art. 38 GO als Vertreter der Stadt S. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 3 I Nr. 1 VwVfG.

(b) Verfahren

Vor Erlass des HauptVA müsste P ordnungsgemäß angehört worden sein gem. Art. 28 I VwVfG. Ihm wurde aber keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Jedoch ist eine Anhörung gem. Art. 28 II Nr. 1 BayVwVfG entbehrlich, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug notwendig erscheint. Die Bevölkerung ist durch die Chemikalien im Trinkwasser akut gefährdet. Damit bedurfte es keiner Anhörung des P.

(c) Form

Für den Erlass des VAs ist keine besondere Form erforderlich gem. Art. 37 II BayVwVfG. Er konnte somit auch mündlich erlassen werden. Allerdings ist eine Begründung gem. Art. 39 BayVwVfG erforderlich. Die Mitarbeiter haben dem P mündlich mitgeteilt, warum sie den VA erlassen. Gem. Art. 39 I BayVwVfG ist aber die Einhaltung der Schriftform nötig. Durch das Schreiben des Bürgermeisters vom 14.8. wurde die Begründung nachgeholt und der Formfehler damit gem. Art. 45 I Nr.2 BayVwVfG geheilt.

Die formelle Rechtmäßigkeit der Rückbauverpflichtung ist somit gegeben.

cc) Materielle Rechtmäßigkeit

Der Bürgermeister hätte eine Verfügung dieses Inhalts treffen können, wenn dies der Gefahrenabwehr dient. Gefahr ist eine Sachlage, die in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen wird. P hat  durch seinen Laborbetrieb bereits erhebliche Verunreinigungen des Trinkwassers verursacht, da bei jeder Versuchsreihe mehrere Liter chemischer Mittel in das Erdreich sickern. Die Einwohner klagen über Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen, sodass die Gesundheit der Bevölkerung erheblich gefährdet ist. Es kann zwar nicht mit letzter Gewissheit nachgewiesen werden, dass die Vergiftungserscheinungen der Bürger gerade durch den Betrieb des P hervorgerufen wurden. Da aber mit großer Sicherheit ein Zusammenhang besteht ist eine Einstellung des Betriebs zur Beseitigung der Gefahr geboten. Die Anordnung des Bürgermeisters den Laborbetrieb einzustellen diente damit der unmittelbaren Gefahrenabwehr.

P ist gem. Art. 9 LStVG auch unzweifelhaft Handlungsstörer, da er durch seinen Laborbetrieb die Gefahren verursacht. Eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Verursachung genügt dafür.

Die Einstellungsverfügung des Bürgermeisters müsste auch verhältnismäßig sein. Sie ist geeignet das legitime Ziel, die Trinkwasserverunreinigung zu beseitigen, zu verwirklichen. Erforderlich wäre sie, wenn sie aus mehreren zur Verfügung stehenden Mittel das relativ mildeste wäre. Vorliegend ist keine andere Vorgehensweise ersichtlich, die den P weniger beeinträchtigen würde und zur Gefahrenabwehr ebenso geeignet wäre. Auch kann die Angemessenheit der Maßnahme bejaht werden. Die Verfügung den Laborbetrieb einzustellen ist damit auch materiell rechtmäßig.

dd) Interessenabwägung

Zu fragen ist, ob das Vollziehungsinteresse der Behörde das Aussetzungsinteresse des P überwiegt. Hier überwiegt eindeutig das Vollziehungsinteresse, da die Gesundheit der Bewohner akut gefährdet ist und eine weitere Hinauszögerung der Einstellungsverfügung nicht angemessen erscheint. Es besteht dringender Handlungsbedarf, da die Folgen für das Erdreich und das Grundwasser nicht absehbar sind und die Langzeitfolgen bei Verzehr des vergifteten  Wassers nicht überschaubar sind. Die geplante Teilnahme an dem Wettbewerb „sauberes Trinkwasser“ genügt nicht um ein solches Vorgehen zu rechtfertigen. Aufgrund der erheblichen Gesundheitsgefährdung muss aber das Aussetzungsinteresse des P zurückstehen.

Im Ergebnis ist der Antrag des P auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unbegründet.

3. Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung gem. § 80 II 1 Nr.4 VwGO bzgl. der Rückbauverpflichtung

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung stützt sich wieder auf § 80 II 1 Nr. 4 VwGO. Bezüglich der formellen Rechtmäßigkeit wird auf obige Ausführungen im Punkt II verwiesen. Fraglich ist, ob die Anordnung des Sofortvollzugs auch materiell rechtmäßig ist. Dann müsste die Rückbauverpflichtung rechtmäßig sein und eine Interessenabwägung das Überwiegen des Vollzugsinteresses ergeben.

a) Ermächtigungsgrundlage

Als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt wiederum § 80 II 1 Nr. 4 VwGO in Betracht.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit ergibt sich nichts anderes als bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung bzgl. der Einstellung des Laborbetriebs. Insofern ist auf obige Ausführungen zu verweisen (Punkt 2. b))

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Schließlich müsste die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch materiell rechtmäßig erlassen worden sein. Dazu muss das öffentliche Interesse an der Vollziehung des VA mit dem privaten Interesse der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgewogen werden.

aa) Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage könnte Art. 7 II Nr. 3 LStVG sein. Die baulichen Veränderungen könnten dazu führen, dass der Keller nun einsturzgefährdet ist und damit eine Gefahr für Arbeiter und Besucher darstellt. Es ist aber laut Sachverhalt unzutreffend, dass die Gefahr eines Einsturzes des Kellers besteht. Damit scheidet auch die Anwendbarkeit des Art. 7 aus.

Richtige Ermächtigungsgrundlage ist damit Art. 76 S.1 BayBO.

bb) Formelle Rechtmäßigkeit
(a) Zuständigkeit

Gem. Art. 53 I 1, 54 I Hs. 1 BayBO i.V.m. Art. 37 I 2 LKrO und Art. 9 I GO  ist die Stadt und als dessen Vertreter der Oberbürgermeister gem. Art. 38 I, 34 I 2 GO zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 3 I Nr. 1 VwVfG.

(b) Verfahren und Form

Die fehlende Anhörung kann gem. Art. 45 I Nr. 3 BayVwVfG nachgeholt werden.  Die Mitarbeiter haben den VA mündlich an P übermittelt, dies genügt gem. Art. 37 II BayVwVfG dem Formerfordernis. Jedoch hätte der VA schriftlich begründet werden müssen nach Art. 39 I BayVwVfG, was aber vorliegend nicht geschah. Aber auch die fehlende Begründung kann gem. Art. 45 I Nr. 2 BayVwVfG  nachgeholt werden, was am 14.8. auch erfolgte.

cc) Materielle Rechtmäßigkeit

Fraglich ist, ob die Voraussetzungen des Art. 76 S.1 BayBO gegeben sind. Ist der VA nämlich rechtswidrig, kann die Anordnung der sofortigen Vollziehung nie im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegen. Dies ergibt sich aus Art. 20 III GG, wonach die Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden ist.

Die Anlage müsste im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sein. P hat den Umbau ohne die nach Art. 55 I BayBO erforderliche Baugenehmigung (Art. 68 I 1 BayBO) gebaut. Das Endergebnis des Umbaus zeigt, dass aus technischer Sicht nichts gegen den Bau einzuwenden ist. Fraglich ist ob sich nun allein aus dem Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen eine Rückbauverpflichtung ergeben kann. Würde man nun davon ausgehen, dass die formelle Baurechtswidrigkeit eine derartige Verfügung des Bürgermeisters nicht rechtfertigt, würde man dem Schwarzbau Tür und Tor öffnen. Das gesamte Baurecht basiert aber auf dem Gedanken des präventiven Bauverbots mit Erlaubnisvorbehalt, damit die bauliche Entwicklung von den zuständigen Behörden entsprechend kontrolliert und gelenkt werden kann. Dies dient nicht zuletzt sicherheitsrechtlichen Erwägungen. Dieser Grundsatz würde aber ausgehöhlt, wenn man über das Vorliegen einer Baugenehmigung hinwegsieht sobald der Bau nur technisch einwandfrei und im Übrigen mit dem materiellen Recht im Einklang steht.

Zu prüfen ist weiterhin die Verhältnismäßigkeit der Rückbauverpflichtung bzw. des damit einhergehenden teilweisen Abrisses. Die Anordnung einen materiell einwandfreien Bau, der zwar genehmigungspflichtig, aber womöglich auch genehmigungsfähig ist, abzureißen ist ein sehr drastisches Vorgehen. Eine mildere Alternative ist jedoch nicht ersichtlich, zumal ein teilweiser Abriss nicht in Frage kommt. Um aber das Grundsystem des Baurechts zu wahren und konsequent gegen den Schwarzbau vorzugehen kann auch nicht im Einzelfall ein solches Vorgehen genehmigt werden. Dies würde zu einer Ungleichbehandlung der Bauherren führen und es gäbe auch keine überschaubare Regelung wann nun Ausnahmen von der gesetzlichen Regelung zulässig sind. Dies kann nicht allein den Behörden überlassen bleiben, da es keine verlässliche Kontrollmöglichkeit anhand des Gesetzes gäbe. Die Anordnung des Rückbaus war somit auch materiell rechtmäßig.

dd) Interessenabwägung

Abzuwägen ist das Vollzugsinteresse der Stadt mit dem Aussetzungsinteresse des P. Eine besondere Eilbedürftigkeit besteht nicht, die eine Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigen könnte. Allerdings führt auch die Aussetzung nicht zu einem anderen Ergebnis, da P bei Abwarten der Hauptsacheentscheidung kein anderes Ergebnis erzielen wird. Damit ist die Anordnung des Sofortvollzugs vorrangig. Dass die Entscheidung der Behörde auf der Annahme beruht, dass der Keller einsturzgefährdet ist, ändert daran auch nichts, da es entscheidend auf das Vorliegen der Baugenehmigung ankommt, die P nicht hat.

Im Ergebnis ist der Antrag des P auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unbegründet.

4. Rechtmäßigkeit der Anordnung der Aufhebung der Vollziehung bzgl. der Versiegelung der Schränke

Prüfung von EGL und formeller Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung ist identisch mit obigen Anordnungen.

Weiterhin ist die materielle Rechtmäßigkeit der Versiegelungsmaßnahme zu prüfen. In Betracht kommt eine Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang gem. Art. 34 VwZVG.

a) Ermächtigungsgrundlage

Art. 29 I, II Nr. 4 i.V.m. Art. 34 VwZVG

b) Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen
aa) Vollstreckungstitel

Zunächst müsste ein VA vorliegen, der vollstreckt werden kann, Art. 29 I VwZVG. Das Versiegeln der Schränke selbst ist kein VA, da es sich dabei um rein tatsächliches Handeln eines Hoheitsträgers, damit um einen Realakt handelt. Mangels GrundVA stellt sich die Frage, ob ein solcher im vorliegenden Fall entbehrlich ist. Ein Verzicht auf einen vorausgehenden VA käme nur in unaufschiebbaren Fällen gem. Art. 35 VwZVG in Frage. Allerdings besteht keine Eilsituation, in der sofortiges Handeln unumgänglich wäre . Die Außendienstmitarbeiter hätten den P zunächst auffordern können, die Schränke selbst zu verschließen. Anhaltspunkte dafür, dass P dieser Anweisung nicht nachgekommen wäre sind nicht ersichtlich. Damit liegt kein unaufschiebbarer Fall vor. Es fehlt bereits am Vollstreckungstitel, weshalb ein Vorgehen durch unmittelbaren Zwang nicht zulässig war.

bb) Ergebnis

Die sofortige Vollziehung hätte somit nicht angeordnet werden dürfen. Sie ist rechtswidrig. Das Gericht wird die Aufhebung der Vollziehung nach § 80 V S.3 VwGO anordnen.

5. Gesamtergebnis

Die beiden Anträge des P gegen die Rückbauverpflichtung und das Einstellen des Laborbetriebs sind unbegründet und haben keine Aussicht auf Erfolg. Der Antrag der sich gegen die Versiegelung der Schränke richtet ist hingegen begründet und wird Erfolg haben.

C. Anmerkungen

Zur Vertiefung siehe auch die Beiträge „Antrag nach § 80 V VwGO – Aufbau in der ÖR-Klausur“ sowie „Sofortige Vollziehung eines VA nach § 80 II Nr.4 VwGO“ sowie die Klausur zu einem „Langfristigem Aufenthaltsverbot durch die Polizei“.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur zu § 80 Abs.5,S.1,Alt.2 VwGO auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Ersatzvornahme – Abschleppfall

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A. Sachverhalt

Handelsvertreter A stellt seinen neuen C-Klasse Mercedes in der Innenstadt von Straubing an einer Parkuhr ab, um sich zu einer wichtigen geschäftlichen Besprechung zu begeben. Da er in Eile ist und kein Kleingeld bei sich hat, betätigt er die Parkuhr nicht. Als er um 13.30 Uhr zurückkehrt, ist sein Wagen verschwunden. An der Parkuhr findet er eine schriftliche Notiz, nach welcher der Außendienstangestellte Z der Stadt Straubing den PKW durch den Abschleppunternehmer P der Stadt Straubing gegen 12.00 Uhr auf dessen Gelände hat transportieren lassen.

Als A bei P erscheint, verlangt dieser von A entsprechend der Weisung der Stadt Straubing Zahlung der Abschleppkosten in Höhe von 125.- Euro. Obwohl A das Abschleppen für schikanös hält, zahlt er den geforderten Betrag an P und erhält sein Fahrzeug zurück.

Als die Stadt Straubing auf ein Beschwerdeschreiben des A unter Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Abschleppanordnung eine Rückzahlung der 125.- Euro ablehnt, erhebt A vor dem zuständigen Verwaltungsgeicht Klage und bittet, die Stadt Straubing zur Rückzahlung der von ihm gezahlten Abschleppkosten zu verurteilen.

Mit Erfolg ?

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs gem. § 40 I 1 VwGO

Voraussetzung ist, dass der Weg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Hierfür müsste es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handeln. Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Norm öffentlich-rechtlich, wenn sie ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigt und/oder verpflichtet. Nach welcher Norm sich die vorliegende Streitigkeit richtet, hängt gem. § 88 VwGO von dem Klagebegehren des A ab. Das Klagebegehren des A richtet sich auf Rückzahlung der Abschleppkosten. Ein Anspruch des A aus Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB iVm. Art.34 GG scheidet aus, da dieser Anspruch gem. Art.34S.3 GG vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen ist. Ein Folgenbeseitigungsanspruch scheidet aus, da mit ihm nach herrschende Ansicht nur die Rückgängigmachung von Folgen und keine Kostenerstattung verlangt werden kann. A könnte indes einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen die Stadt Straubing haben. Allerdings war Leistungsempfänger der Abschleppunternehmer P und nicht die Stadt Straubing, da A unmittelbar an P gezahlt hat. P handelt hier weder als Beauftragter noch als Bevollmächtigter und auch nicht als Beliehener. Es ist davon auszugehen, daß die Stadt dem P nur das Recht zur Entgegennahme des Geldes eingeräumt hat. Mithin handelt P als Bote der Stadt. In der unmittelbaren Zuwendung an P ist eine Leistung des A an die Stadt zur Erfüllung einer Forderung zu sehen. Ob dieser Erstattungsanspruch nun dem öffentlichen Recht unterliegt, hängt von der Rechtsnatur des zugrundeliegenden Anspruchs ab. Die Maßnahme der Ordnungsbehörde findet ihre Grundlage im VwZVG. Zwangsmittel nach den Art. 29 ff. VwZVG ermächtigen ausschließlich die Behörden tätig zu werden in Ansehung ihrer sicherheitsrechtlichen Verpflichtungen. Damit liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Damit handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch für welchen der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Es fehlt an einer doppelten Verfassungsunmittelbarkeit. Eine anderweitige Rechtswegzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich.

II. Zulässigkeit

1. Statthafte Klageart

Die richtige Klageart richtet sich nach dem Klägerbegehren gem. § 88 VwGO. A begehrt Rückzahlung der gezahlten 125 Euro. Danach käme eine allgemeine Leistungsklage in Frage. Die Rückzahlung ist ein tatsächliches Handeln und kein VA mangels Regelungscharakter. Statthaft ist damit die allgemeine Leistungsklage, die gesetzlich nicht geregelt ist aber in zahlreichen Vorschriften vorausgesetzt wird, so z.B. in § 43 II , 111, 113 III VwGO.

2. Klagebefugnis

A müsste gem. § 42 II VwGO analog klagebefugt sein. Dies bedeutet, dass er einen Anspruch auf die Geldzahlung haben müsste. Ein solcher könnte sich aus einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergeben. Eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung aufgrund möglicher Rechtswidrigkeit der Maßnahmen ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.

3. Beteiligtenfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt.1 VwGO als natürliche Person beteiligten- und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Stadt S ist gem. § 61 Nr. 1 Alt.2 VwGO als juristische Person des öffentlichen Rechts beteiligtenfähig. Vertreten durch den Bürgermeister gem. § 38 I GO ist die Stadt nach § 62 III VwGO auch prozessfähig.

III. Begründetheit

Die Klage des A ist begründet, wenn er einen Anspruch auf Rückzahlung der 125 Euro gegen die Stadt S gem. § 812 I 1 Alt. 2 BGB analog hat. Dazu müssten die entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen gegeben sein.

1. Öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung

Es müsste eine besonders enge Beziehung zwischen Staat und Bürger vorhanden sein. Dies ist infolge der Abschleppmaßnahme der Fall. Die Stadt tritt dem Bürger als Ordnungsbehörde gegenüber und greift durch das Abschleppen in den Rechtskreis des Eigentümers des Fahrzeugs ein, da sie ihm die tatsächliche Verfügungsgewalt entzieht. Dies geschieht zur Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht auf Grundlage des LStVG. Eine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung ist daher anzunehmen.

2. Vermögensvorteil

A hat den vom Abschlepper geforderten Geldbetrag i.H.v. 125 Euro gezahlt. P handelt laut Sachverhalt nach Weisung der Stadt, weshalb von einem öffentlich-rechtlichen Tätigwerden auszugehen ist. P ist damit Erfüllungsgehilfe der Stadt. Der Geldbetrag ist dem Vermögen der Stadt zuzurechnen. Ein Vermögensvorteil liegt damit vor.

3. Vermögensverschiebung auf sonstige Weise

Dadurch, dass A den Betrag an die Stadt gezahlt hat ist sein Vermögen um 125 Euro vermindert, die Stadt wiederum kann den Betrag ihrem Konto gutschreiben.  Die Vermögensverschiebung fand durch die Abschleppmaßnahme und die so entstehenden Kosten statt. Es handelt sich um eine Maßnahme der Eingriffsverwaltung.

4. Ohne Rechtsgrund

Fraglich ist, ob ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Geldes vorliegt. Dies ist der Fall, wenn die Maßnahme der Ordnungsbehörde rechtmäßig war. Zu prüfen ist demzufolge die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids.

a) Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Kostenbescheids

Um die gesetzliche Grundlage für den Erlass des Kostenbescheids bestimmen zu können ist es notwendig die Grundlage der Vollstreckungsmaßnahme festzulegen, die zu den Kosten geführt hat. Als Vollstreckungsmaßnahme kommt gem. Art. 19 I, 29 I, II Nr. 2 i.V.m. Art. 32 BayVwZVG die Ersatzvornahme in Betracht. Abzugrenzen ist die Ersatzvornahme von einer Sicherstellung. Eine solche wäre anzunehmen, wenn das Fahrzeug im Interesse des Eigentümers auf einen Verwahrplatz verbracht wird. Darunter fallen auch Abschleppmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit. Entscheidend ist, dass die handelnde Behörde das Fahrzeug auf einen Verwahrplatz verbringen möchte. Allerdings fehlt den Sicherheitsbehörden eine Ermächtigungsgrundlage für Sicherstellungen, wie sie in Art. 25 PAG für die Vollzugspolizei vorgesehen ist. Infolgedessen kommt nur eine Ersatzvornahme oder die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Frage. Auf Art. 34 BayVwZVG ist aber nur dann zurückzugreifen, wenn die anderen Zwangsmittel nicht zum Ziel führen. Vorrangig ist von der Behörde damit die Ersatzvornahme anzuwenden.

Ermächtigungsgrundlage ist deshalb  Art. 32 S. 1 VwZVG, Art. 41 I 1 VwZVG, Art. 10 I Nr. 5 KG, Art. 6 I KG in Verbindung mit dem Kostenverzeichnis, Art. 41a VwZVG.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Der Kostenbescheid müsste unter Beachtung aller formellen Voraussetzungen erlassen worden sein.

aa) Zuständigkeit

Zuständig für den Erlass des Kostenbescheids ist gem. Art. 41 I 1, 32 S.1 BayVwZVG die Vollstreckungsbehörde, also die Stadt S. Die Tatsache, dass nicht S selbst handelte, sondern das Abschleppunternehmen P, spielt dabei keine Rolle, da P auf Weisung der S tätig wurde und somit Erfüllungsgehilfe war.

bb) Verfahren und Form

Eine Anhörung ist gem. Art. 28 I BayVwZVG grundsätzlich erforderlich. Allerdings ist eine Nachholung dieses Verfahrenserfordernisses nach Art. 45 I Nr.3 BayVwVfG möglich. Mangels entgegenstehender Angaben ist von der Einhaltung der Formvorschriften auszugehen.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Fraglich ist, ob der Kostenbescheid auch materiell rechtmäßig war. Dies hängt davon ab, ob die dem Kostenbescheid zugrundeliegende  Ersatzvornahme rechtmäßig war.

aa) Ermächtigungsgrundlage Art. 19 I, 29 I, II Nr. 2, 32 VwZVG

Richtige Ermächtigungsgrundlage für die Ersatzvornahme könnte Art. 29 I, II Nr.2, 32 VwZVG sein.

bb) Allgemeine Vollstreckungsvoraussetzungen

Es müsste ein VA vorliegen, mit dem die Herausgabe einer Sache, die Vornahme einer sonstigen Handlung, eine Duldung oder Unterlassung gefordert wird. Hier könnte die aufgestellte Parkuhr ein solcher VA sein. Diese enthält das Gebot beim Parken des Fahrzeugs eine entsprechende Gebühr zu entrichten, § 13 I StVO. Wird kein Geld in die Parkuhr geworfen, muss der Parkplatz unverzüglich verlassen werden. Diesem Wegfahrgebot ist A hier nicht nachgekommen. Die Parkuhr müsste einen VA i.S.d. Art. 35 BayVwVfG darstellen. Verkehrsschilder oder ähnliche Einrichtungen wie Parkuhren erfüllen die Voraussetzungen des Art. 35 S.2 BayVwVfG. Es handelt sich dabei um benutzungsregelnde Allgemeinverfügungen. Damit ist ein GrundVA in Form eines Wegfahrgebotes gegeben.

An der Wirksamkeit des VA gem. Art. 43 VwVfG bestehen keine Zweifel. Es erfolgte eine individuelle Bekanntgabe gem. § 41 I VwVfG, da die Parkuhr deutlich sichtbar am Straßenrand angebracht war. Nach Art. 19 BayVwZVG muss der GrundVA unanfechtbar sein, keine aufschiebende Wirkung haben oder für sofort vollziehbar erklärt sein. Bei Verkehrszeichen ist § 80 II Nr. 2 VwGO analog anwendbar. Es kann nichts anderes als bei unaufschiebbaren Anordnungen von Polizeivollzugsbeamten gelten. Folge ist, dass die aufschiebende Wirkung entfällt.

Der GrundVA müsste zudem rechtmäßig sein. Das Recht Parkuhren aufzustellen ergibt sich aus § 45 StVO, der es Straßenverkehrsbehörden erlaubt die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs zu beschränken.

cc) Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen

Zudem müsste der Tatbestand des Art. 32 VwZVG erfüllt sein. Beim Versetzen des Fahrzeugs müsste es sich um eine vertretbare Handlung handeln. Vertretbarkeit liegt vor, wenn auch ein anderer als der Pflichtige die Handlung vornehmen kann. Neben dem Fahrzeugführer kann auch die Ordnungsbehörde das Auto von seinem momentanen Standort entfernen. Das Versetzen ist damit eine vertretbare Handlung. Die Pflicht das Auto wegzufahren dürfte nicht oder nicht vollständig zur gehörigen Zeit erfüllt werden können. Da ungewiss ist, wann der Fahrzeugführer wieder zu seinem Auto zurückkehren wird, ist die Pflichterfüllung nicht rechtzeitig möglich. Damit liegen die Voraussetzungen der Ersatzvornahme nach Art. 32 BayVwZVG vor.

Das Zwangsmittel hätte gem. Art. 36 I BayVwZVG angedroht werden müssen. Eine ausdrückliche Androhung, die den A vor den Folgen einer Nichtbeachtung der Anweisung aus der Parkuhr gewarnt hätte, ist nicht ergangen. Nach Art. 35 BayVwZVG kann eine Androhung aber auch entfallen, wenn dies zur Verhütung oder Unterbindung einer mit Strafe bedrohten Handlung oder zur Abwehr einer drohenden Gefahr notwendig ist. A verstößt durch sein Verhalten gegen die StVO. Zwar liegt damit ein Verstoß gegen die Rechtsordnung vor, jedoch besteht kein Eilbedarf. Das Parken auf einer dafür vorgesehenen Parkfläche stellt trotz Zeitüberschreitung keine Gefahr dar. Hinweise für eine Verkehrsgefährdung aufgrund parkplatzsuchender Autofahrer sind nicht vorhanden. Ein dringendes Vorgehen der Ordnungsbeamten ist deshalb nicht nötig. Die notwendige Androhung ist damit unterblieben.

dd) Ergebnis

Die Vollstreckungsmaßnahme war deshalb rechtswidrig. Folglich auch der darauf beruhende Kostenbescheid. Es existiert damit kein Rechtsgrund, der die Stadt zum Behalten des Geldes berechtigen würde. Die Klage der C ist damit zulässig und begründet.

Hilfsgutachten: Unterstellt die Androhung wäre erfolgt

dd) Verhältnismäßigkeit der Ersatzvornahme

Die Ersatzvornahme müsste verhältnismäßig gewesen sein. Dazu müsste sie ein legitimes Ziel verfolgen, erforderlich, geeignet und angemessen sein

(a) Legitimes Ziel

Das Abschleppen wird vorgenommen, um die Parkfläche anderen Verkehrsteilnehmern wieder zur Verfügung stellen zu können bzw. um wieder rechtmäßige Zustände zu schaffen. Damit liegt ein legitimer Zweck vor.

(b) Geeignetheit

Geeignet ist die Maßnahme, wenn sie der Zielerreichung dient. Durch das Wegschaffen  des Fahrzeugs werden wieder gesetzmäßige Zustände geschaffen. Geeignetheit liegt demnach vor.

(c) Erforderlichkeit

Fraglich ist, ob auch die Erforderlichkeit  bejaht werden kann. Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es keine mildere gleich geeignete Alternative gäbe. Dies ist zum einen problematisch, da es sich nicht um ein Halteverbot handelt. Das Auto ist auf einer öffentlichen Verkehrsfläche abgestellt und stellt keine konkrete Gefahr im Rechtssinne dar. Andere Verkehrsteilnehmer werden durch das Parken nicht beeinträchtigt. Allerdings könnte ein Abschleppen erforderlich sein um das Bedürfnis der Öffentlichkeit an freiem Parkraum zu befriedigen. Stellt man auf dieses Interesse ab ist eine Entfernung des Fahrzeugs in jedem Fall geboten. Eine Parkuhr kann letztlich nicht anders beurteilt werden als ein Halteverbot. Nach Ablauf der Höchstparkdauer oder bei Nichteinwerfen der Gebühr entsteht ein Verbot an dieser Stelle zu parken. Möglicherweise wäre es aber weniger eingreifend für A gewesen, wenn die Stadt das Auto lediglich versetzt hätte, anstatt es sofort auf einen Verwahrplatz zu bringen. Gibt es einen freien Parkplatz in der näheren Umgebung so ist das Auto vorrangig dorthin zu verbringen. Dies widerspräche vorliegend aber dem Sinn der Abschleppmaßnahme. Die Stadt möchte den Parkplatz räumen um anderen Verkehrsteilnehmern das Parken zu ermöglichen und ein geregeltes „Kommen und Gehen“ des Verkehrs zu gewähren. Würde sie nun das Auto weiter entfernt „parken“ könnte sie es ebenso gut stehenlassen. Insofern ist hier nur das Abstellen auf dem Verwahrplatz geeignete Maßnahme.

(d) Angemessenheit

Weiterhin problematisch ist die Frage der Angemessenheit. Im Sachverhalt ist nicht angegeben wie lange A auf dem fraglichen Parkplatz parkte. Er kam um 13.30 zurück und besetzte den Parkplatz für die Dauer einer geschäftlichen Besprechung. Also kann man mit einem Zeitraum von 1-3 Stunden rechnen. Zu fragen ist, ob die Stadt in diesem Fall gleich zu einer Zwangsmaßnahme greifen darf, oder die Ordnungswidrigkeit nicht erst mit einem oder mehreren Strafzetteln ahnden müsste. Das Entfernen des Fahrzeugs beeinträchtigt den A massiv in seinem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG, da ihm jede Einfluss- und Nutzungsmöglichkeit genommen wird. Auch der Zugriff auf das Wageninnere ist nicht mehr möglich. Die Stadt handelt hingegen im öffentlichen Interesse und möchte die Verkehrssicherheit erhalten. Wie schon erläutert soll den übrigen Verkehrsteilnehmern das Parken in der Innenstadt ermöglicht werden, ferner soll der Verkehrsfluss erhalten bleiben, der durch das andauernde Suchen der Fahrer nach Parkmöglichkeiten behindert wird. Es ist weiterhin zu differenzieren wie viele Einwohner die Stadt hat und wie dicht dementsprechend das Verkehrsaufkommen ist. Danach ist zu beurteilen, wie lange das Parken erlaubt werden kann um die Verkehrssituation zu beruhigen. In einer kleineren Stadt wie Straubing ist der Zeitraum großzügiger zu bemessen als beispielsweise in München. Fraglich ist, ob auch die Tatsache, dass A überhaupt kein Geld in die Parkuhr geworfen hat von Relevanz sein kann und mit in die Beurteilung einfließen muss. Schließlich widerspricht dieses Verhalten in höherem Maße der Rechtsordnung als wenn die Bereitschaft zur Zahlung der Parkgebühr bestand und lediglich der Zeitrahmen überschritten wurde. Dieses Argument kann aber nicht in die Erwägung miteinbezogen werden, da das Nichtzahlen und das Zahlen mit Zeitüberschreitung gleichermaßen eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf das Abschleppen lässt sich daraus nicht rechtfertigen.  Auch der Einwand, dass die Abschleppgebühr ein Vielfaches der Parkgebühr beträgt und damit unverhältnismäßig ist,  ist nicht haltbar. Das Abschleppen erfolgt zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Das Erstellen eines Strafzettels hingegen soll lediglich den Ordnungsverstoß sanktionieren, ändert aber nichts an der Rechtswidrigkeit des Zustandes. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine kleinere Stadt, sodass wohl eine Überschreitung der Parkzeit um 3 Stunden noch nicht das Abschleppen rechtfertigt. Man könnte erwägen, ob an Nachmittagen oder Samstagen die Zeit weniger kulant bemessen werden sollte. Um aber eine einheitliche und überschaubare Regelung zu schaffen, ist ein bestimmter Wert festzulegen. So sind in erster Linie Strafzettel zu erstellen und nach einem Zeitraum von etwa 3 Stunden Abschleppmaßnahmen angemessen. Aufgrund mangelnder Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass die Besprechung des A nicht länger als 3 Stunden dauerte und ein Abschleppen daher unverhältnismäßig war.

Hilfsgutachten: Ergänzungen zum Kostenschuldner und zur Erstattungsfähigkeit der Kosten

ee) richtiger Kostenpflichtiger

A müsste Störer sein. Um die Verantwortlichkeit zu bestimmen werden zwei Theorien vertreten. Die Theorie der unmittelbaren Verursachung und die Theorie der Rechtswidrigkeit. Nach ersterer kann nur das Verhalten, das selbst unmittelbar die konkrete Gefahr setzt und damit die Gefahrengrenze überschreitet, als polizeirechtlich erhebliche Ursache angesehen werden. Im Rahmen der Rechtswidrigkeitstheorie ist nur der Störer, der rechtswidrig gehandelt hat. Die Theorie der unmittelbaren Verursachung muss bei Primärmaßnahmen zur Anwendung kommen, da ein unmittelbares, schnelles Vorgehen durch die Polizei erfolgen muss, eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung daher nicht möglich ist. Hingegen kann bei Sekundärmaßnahmen auf die Rechtswidrigkeitstheorie zurückgegriffen werden, da es lediglich um die Kostenerstattung geht. Eine Festlegung auf eine der Theorien ist aber vorliegend nicht nötig, weil A vorliegend rechtswidrig gehandelt und die letzte Ursache für den Verstoß gesetzt hat. Er ist deshalb Handlungsstörer und richtiger Adressat des Kostenbescheids.

ff) Erstattungsfähigkeit der Kosten

Auch von der Erstattungsfähigkeit ist auszugehen.

gg) Gesamtergebnis Hilfsgutachten (Androhung unterstellt)

Die Ersatzvornahme war nicht verhältnismäßig und daher rechtswidrig. Infolgedessen war auch der Erlass des Kostenbescheids nicht rechtmäßig. Die Stadt hätte A nicht abschleppen dürfen, ihm folglich auch die Kosten der Maßnahme nicht auferlegen dürfen.

Ein Rechtsgrund für das Behaltendürfen des Geldes besteht damit nicht. A hat gem. § 812 I 1 Alt. 2 BGB analog einen Anspruch auf Herausgabe der 125 Euro. Die Klage ist zulässig und begründet.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Ersatzvornahme – Abschleppfall auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Nebenbestimmungen gem.§ 36 VwVfG

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A. Sachverhalt

K betreibt mit seiner Ehefrau ein Mietwagenunternehmen. K ist dafür bekannt, dass er gerne während seiner Arbeitszeit alkoholische Getränke zu sich nimmt. Während einer Beförderungsfahrt wird der K von der Polizei angehalten. Der stark nach Alkohol riechende K wird zu einer Blutprobe auf das Revier mitgenommen. Er hat einen Blutalkoholwert von 1,5 Promille. In einem ordnungsgemäßen Verfahren wird K für ein Jahr der Führerschein entzogen. Als die Ehefrau des K die Genehmigung für die Betreibung eines Mietwagenunternehmens stellt, wird ihr die Genehmigung erteilt, mit der Bedingung ein Fahrtenbuch über sämtlche Fahrten im Unternehmen zu führen. Desweiteren wird ihr verboten, den K als Fahrer einzusetzen. Die Genehmigung wir der Ehefrau des K ohne Rechtsmittelbelehrung und als Durchschrift an den K zugestellt. Die Ehefrau des K verzichtet auf die Einlegung jeglicher Rechtsmittel. Nach 13 Monaten erhebt K gegen den Bescheid Klage. Er macht mehrere Grundrechtsverletzungen geltend und meint die Auflagen sind nicht verhältnismäßig.

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

I. Verwaltungsrechtsweg § 40 I 1 VwGO

Genehmigung und Auflage richten sich nach dem VwVfG sowie dem PBefG. Beide Gesetze enthalten Normen, welche ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt berechtigen und/oder verpflichten. Damit liegt nach der modifizierten Subjektstheorie eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit vor. Diese ist auch nichtverfassungsrechtlicher Art und eine andere Rechtswegzuweisung ist nicht ersichtlich. Damit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

II. Zulässigkeit

Die Klage müßte weiterhin zulässig sein.

1. Statthafte Klageart

Die Statthaftigkeit der Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehr gem. § 88 VwGO. Die Ehefrau erhält die Genehmigung für das Betreiben des Mietwagenunternehmens. Ihr wird zusätzlich vorgeschrieben den K nicht als Fahrer einzustellen. K wendet sich demnach gegen den dem VA beigefügten Zusatz, nicht als Fahrer tätig werden zu dürfen. Um dagegen vorgehen zu können bieten sich grundsätzlich sowohl die Verpflichtungsklage auf Erlass einer neuen Genehmigung ohne den Zusatz an, sowie die isolierte Anfechtungsklage gegen den Zusatz. Vereinzelt wird vertreten, dass die isolierte Anfechtungsklage stets unstatthaft ist, da Nebenbestimmungen untrennbare Bestandteile des HauptVA sind. Folglich wäre nur die Verpflichtungsklage einschlägig. Eine andere Ansicht unterscheidet nach  Art der Nebenbestimmung, d.h. zwischen selbständigen und unselbständigen Nebenbestimmungen. So sind Bedingung, Befristung, Widerrufsvorbehalt integrierte unselbständige Bestandteile des VA, Auflage und Auflagenvorbehalt hingegen eigenständige Regelungen, die isoliert anfechtbar sind. Die Auflage ist als Ge- bzw. Verbot ein selbständiger VA, der auch selbständig vollstreckbar ist. So kann sichergestellt werden, dass der VA keinen völlig anderen Inhalt als von der Behörde intendiert bekommt. Wieder andere differenzieren nach der Art des HauptVA. So wird die Anfechtungsklage bei gebundenen VAs bejaht, bei ErmessensVA hingegen abgelehnt. Dafür spricht, dass die Behörde bei gebundenen VA keinen Ermessenspielraum hat und der ordnungsgemäße Rechtszustand vom Gericht ohne Verzögerung hergestellt werden kann. Nach heute zutreffender Ansicht des BVerwG und des Schrifttums sind sämtliche Nebenbestimmungen als Bestimmungen neben der Hauptregelung isoliert anfechtbar. Der Wortlaut „soweit“ in § 113 I 1 VwGO lässt die Teilaufhebung eines VAs zu. Folgerichtig müssen auch Teilanfechtungen möglich sein. Im Gegensatz zu einer Inhaltsbestimmung eines VA geht § 36 VwVfG gerade von einer Trennbarkeit von HauptVA und Nebenbestimmung aus („Ein VA…der mit einer Nebenbestimmung…versehen werden“). Daher müssen Nebenbestimmungen prinzipiell auch isoliert anfechtbar sein. Zudem ist dem Betroffenen nicht zuzumuten mit einer erneuten Verpflichtungsklage das schon Erreichte zur Disposition zu stellen. Eine isolierte Aufhebbarkeit darf nur nicht offenkundig und von vornherein ausgeschlossen sein. Aus diesem Grund ist auch die isolierte Anfechtung einer modifizierenden Auflage ausgeschlossen, da sie als Inhaltsbestimmungen einzuordnen ist und damit nicht vom HauptVA trennbar ist. Probleme können sich aber ergeben, wenn ein RestVA verbleibt, der so von der Behörde nie gewollt war oder rechtswidrig ist.

Fraglich ist demnach wie das Verbot den K als Fahrer einzustellen einzuordnen ist. Die Ehefrau erhält die von ihr beantragte Genehmigung. Insofern handelt es sich nicht um ein aliud, womit die modifizierende Auflage ausscheidet. Es könnte sich aber um eine Inhaltsbestimmung handeln. Dazu müsste der Zusatz nur die Reichweite des HauptVA bestimmen ohne dass ihm ein eigener Regelungsgehalt zukommt. Hier könnte die Vorschrift einen bestimmten Fahrer nicht einzustellen den Umfang der Genehmigung eingrenzen. Allerdings wird die Genehmigung unbedingt erteilt. Es wird nur eine zusätzliche Regelung hinzugefügt, die die Genehmigung als solche nicht beeinträchtigt. Es könnte sich aber auch nur um einen bloßen Hinweis auf die Rechtslage handeln. Gem. § 21 I Nr. 2 StVG ist es Haltern von Kfz untersagt Personen ohne Führerschein fahren zu lassen. Auch hier wird der Ehefrau untersagt, den K, der nicht im Besitz eines Führerscheins ist als Fahrer einzustellen. Insofern wäre diese Untersagung also nur ein Verweis auf die geltende Rechtslage. Jedoch wurde dem K der Führerschein nur für 1 Jahr entzogen, das Verbot aber unbefristet erteilt. Damit hat der Zusatz einen eigenständigen Regelungsgehalt und ist nicht lediglich ein Hinweis auf die Rechtslage. Man könnte annehmen, dass die Genehmigung nur so lange besteht, wie sich die Ehefrau an das Beschäftigungsverbot hält. Ab Eintritt dieses Ereignisses würde die Genehmigung dann erlöschen. Dies würde auf eine auflösende Bedingung schließen lassen. Die Bedingung suspendiert jedoch, was dazu führen würde, dass der VA mit Eintritt des ungewissen Ereignisses unwirksam wird. Dies ist hier aber von der Behörde nicht gewollt. Die Ehefrau erfüllt die Voraussetzungen gem. § 13 PBefG für den Betrieb des Unternehmens und verliert sie nicht durch den Verstoß gegen das Beschäftigungsverbot. Natürlich muss die Behörde bei Zuwiderhandeln dagegen vorgehen, dies hat aber grundsätzlich keine Auswirkung auf die ursprünglich erteilte Genehmigung. Somit käme noch die Auflage in Frage. Dies ist gem. § 36 II Nr. 4 VwVfG eine Bestimmung, durch die dem Begünstigten ein Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird. Sie kann selbständig angefochten, erstritten und vollstreckt werden. Die Ehefrau soll es Unterlassen K als Fahrer einzustellen. Diese Vorgabe wird dem eigentlichen HauptVA, der Genehmigung hinzugefügt. Ferner ist die Auflage nur dann zu erfüllen, wenn von dem HauptVA Gebrauch gemacht wird. Der HauptVA, also die Genehmigung, ist nämlich widerrufbar, wenn die Ehefrau die Auflage nicht innerhalb einer ihr gesetzten Frist erfüllt. Trotz der Selbständigkeit der beiden Regelungen riskiert der Begünstigte damit den Verlust des begünstigenden VA. Die Auflage erscheint deshalb vorliegend am geeignetsten das von der Behörde Gewollte durchzusetzen. Demzufolge ist hier eine Auflage richtige Nebenbestimmung.

Zu prüfen ist weiterhin die Trennbarkeit von HauptVA und Nebenbestimmung. Hierzu kommt es entscheidend darauf an, ob die Nebenbestimmung in der Weise abtrennbar ist, dass der VA als solcher noch bestehen bleiben kann, wenn die Nebenbestimmung aufgehoben wird. Hier ist zu fragen, ob die Genehmigung auch ohne das zusätzliche Verbot bestehen bleiben kann. Nach Aufhebung des Verbotes hat der HauptVA jedoch noch einen selbständigen Regelungsgehalt. Die Genehmigung kann getrennt von der Auflage bestehen. Belastung und Begünstigung stehen nebeneinander und sind nicht ineinander verwoben.

Zuletzt muss geklärt werden, ob es sich um eine Ermessensentscheidung oder um einen gebundenen VA handelt. Auf die Frage des Ermessens, sowie die Rechtmäßigkeit der verbleibenden Begünstigung ist im Folgenden noch einzugehen.

Statthaft ist damit die isolierte Anfechtungsklage.

2. Klagebefugnis

K müsste gem. § 42 II VwGO klagebefugt sein. Zwar wurde die Genehmigung mit den Zusätzen an die Ehefrau des K gerichtet. Allerdings enthält sie das Verbot K als Fahrer einzustellen und eine Durchschrift des an die Ehefrau gerichteten Bescheides wird auch dem K zugestellt. Damit ist auch K Adressat der Belastung. Er müsste geltend machen in einem subjektiv öffentlichen Recht verletzt zu sein. Laut Sachverhalt macht er mehrere Grundrechtsverletzungen geltend. In Frage kämen die Grundrechte aus Art. 12 I, 14 I, 2 I GG. Eine Rechtsverletzung ist daher möglich.

3. Klagefrist

Die Klage müsste gem. § 74 I VwGO innerhalb eines Monats erhoben werden. K erhebt aber erst nach 13 Monaten Klage. Allerdings fehlt dem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung, was gem. § 57 II VwGO dazu führt, dass die Klage innerhalb eines Jahres erhoben werden kann. Aber auch dann ist K noch einen Monat zu spät dran. Folglich wurde die Klagefrist nicht gewahrt. Die Klage des K ist damit unzulässig.

– Hilfsgutachten –

III. Begründetheit

Die Klage des K ist begründet, soweit die Nebenbestimmung rechtswidrig ist und im materiellen Sinne vom VA teilbar ist, also wenn der RestVA weder rechtswidrig noch sinnlos ist.

1. Rechtmäßigkeit der Nebenbestimmung

Eine Ansicht sieht bei der Aufhebung der Nebenbestimmung bei Ermessensentscheidungen das Problem, dass durch die gerichtliche Überprüfung ein unzulässiger Eingriff in den Ermessensspielraum der Behörde erfolgt. Nach Ansicht der Rechtsprechung ist die Aufhebung dennoch möglich. Allein entscheidend ist, ob der VA ohne die Nebenbestimmung rechtmäßig und sinnvoll ist. Begründet wird dies damit, dass die Behörde den VA stets nach den §§ 48, 49 VwVfG zurücknehmen oder widerrufen kann. Die Literatur hält dem entgegen, dass der VA bei Rechtmäßigkeit nur nach § 49 VwVfG widerrufen werden kann, dessen strenge Voraussetzungen aber in der Regel wohl nicht vorliegen werden. Somit wird der Spielraum der Behörde doch wieder in unzulässigerweise Weise beschränkt. Für die Rechtsprechung spricht aber, dass das Gericht auch im Rahmen der §§ 44 IV, 47 VwVfG prüft, wie die Behörde entschieden hat, insofern also auch kein unzulässiger Eingriff in das Ermessen vorliegt.

a) Ermächtigungsgrundlage

Ein VA, auf den ein Anspruch besteht, darf gem. § 36 I VwVfG mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie die Erfüllung gesetzlicher Voraussetzungen sicherstellen soll. Fraglich ist, ob es sich bei der Genehmigung nach § 13 I PBefG um einen gebundenen VA oder um einen ErmessensVA handelt. Der Betrieb eines Taxengewerbes ist nach §§ 2, 46 PBefG an die Erteilung einer Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 13 PBefG gebunden. Es handelt sich hierbei um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. § 13 PBefG gewährt als Ausfluss des Art. 12 I GG, § 1 GewO dem Einzelnen ein subjektives Recht auf Erteilung der Genehmigung bei Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen. Entgegen dem Wortlaut „darf erteilt werden, wenn“ in § 13 I PBefG, der auf ein Ermessen schließen lässt, liegt ein gebundener VA vor. Somit käme hier die Zulassung mittels Rechtsvorschrift in Frage. Nach § 15 III PBefG kann die Genehmigung zum Betrieb eines Mietwagenunternehmens unter Bedingungen und Auflagen erteilt werden.

Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Auflage ist somit § 15 III PBefG.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Für die formelle Rechtmäßigkeit gelten die allgemeinen Vorschriften über VAs. Die Zuständigkeit der Behörde für die Erteilung einer Genehmigung und damit auch für die Erteilung von Auflagen nach dem PBefG ergibt sich aus § 11 I, II Nr. 2 PBefG. Eine Anhörung des K gem. § 28 VwVfG vor Erlass der Nebenbestimmung fand nicht statt. Da die Nebenbestimmung gleichzeitig mit dem VA erteilt wurde, ist zu fragen, ob eine Anhörung vor Erlass des VA erfolgte. K wurde mangels Angaben im Sachverhalt nicht zuvor angehört. Die Anhörung kann aber gem. § 45 I Nr. 3 VwVfG nachgeholt werden. Auch kann die erforderliche Begründung gem. § 45 I Nr. 2 nachträglich erfolgen. Vom Vorliegen der übrigen formellen Voraussetzungen ist auszugehen.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Die Genehmigung kann gem. § 15 III PBefG unter einer Auflage erteilt werden, sofern sich diese Nebenbestimmung im Rahmen des Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen hält. Fraglich ist, ob die Erteilung einer Auflage im vorliegenden Fall rechtmäßig und die Ermessensausübung verhältnismäßig war.

aa) Voraussetzungen der Genehmigungserteilung § 13 BPefG

Gem. § 13 I Nr. 1 PBefG darf die Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Betriebes gewährleistet sind. Fraglich ist, wie es sich auf den Betrieb auswirkt, dass K keine Fahrerlaubnis mehr hat. § 21 I Nr. 2 StVG untersagt es dem Halter eines Kfz zuzulassen, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Die Ehefrau ist Halterin der Fahrzeuge des Mietwagenunternehmens und als solche verpflichtet, niemanden fahren zu lassen, der keinen Führerschein besitzt. Andernfalls würde die Sicherheit des Betriebes erheblich gefährdet und zudem gegen das StVG verstoßen. Damit kann die Behörde dem VA gem. § 15 III BPefG eine Auflage hinzufügen, um die Einhaltung des § 13 I Nr. 1 PBefG sicherzustellen.

bb) Ermessen

Nach § 15 III BPefG steht es im Ermessen der Behörde der Genehmigung eine Auflage oder Bedingung hinzuzufügen. Zu fragen ist, ob das Ermessen im vorliegenden Fall fehlerfrei angewendet wurde, insbesondere ob kein Fall der Ermessensüberschreitung vorliegt. Die Auflage müsste deshalb verhältnismäßig sein.

(a) Legitimes Ziel und Geeignetheit

Mit der Auflage müsste ein legitimes Ziel verfolgt werden. Die Behörde fügt die Auflage hinzu, um die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen gem. § 13 I Nr. 1 PBefG sicherzustellen. Damit verfolgt sie einen legitimen Zweck. Ferner müsste die Auflage geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen. Dem K wird verboten als Fahrer tätig zu werden. Das Verbot ist geeignet die Sicherheit des Betriebs zu gewährleisten.

(b) Erforderlichkeit

Die Auflage müsste erforderlich sein. Aufgrund des drohenden Verstoßes gegen § 21 I Nr. 2 StVG ist eine solche Maßnahme auch notwendig.

(d) Angemessenheit

Die Auflage müsste auch angemessen sein. Dies wäre der Fall, wenn die von der Auflage zu schützenden Interessen und Rechtsgüter gegenüber den durch die Auflage beeinträchtigten Rechtsgüter von größerem Gewicht sind. Zu prüfen ist, welche Rechtsgüter des K durch die Auflage beeinträchtigt sein könnten.

(aa)  Art. 12 GG

K könnte durch die Auflage in seinem Grundrecht aus Art. 12 I GG verletzt sein, da er seinem Beruf nicht mehr in gewünschter Weise nachkommen kann. Die Fahrertätigkeit des K fällt unzweifelhaft in den Schutzbereich des Art. 12 I GG. Weiterhin ist zu fragen, ob ein Eingriff vorliegt. Voraussetzung dafür  ist, dass der ergriffenen Maßnahme eine objektive oder subjektive berufsregelnde Tendenz innewohnt. Nach der Drei-Stufen-Theorie muss zwischen den drei verschiedenen Eingriffsebenen unterschieden werden. Dies ist deshalb von Bedeutung, da das BVerfG unterschiedliche Anforderungen an die Rechtfertigung des jeweiligen Eingriffs festgelegt hat. Einen Eingriff auf erster Stufe stellt eine Regelung bezüglich der Berufsausübung dar. Diese Regelung dürfte die Tätigkeit nicht schlechthin verbieten, sondern lediglich das “ Wie“ der Ausübung regeln. Der Ehefrau des K wird jedoch unbefristet untersagt ihren Mann als Fahrer einzusetzen. Das gänzliche Fahrverbot betrifft daher nicht die Ausübung des Berufs. Die zweite Stufe nimmt auf subjektive Zulassungsvoraussetzungen Bezug. Dies sind Voraussetzungen, die für die Wahl eines Berufes oder den Verbleib im Beruf persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten des Berufsbewerbers vorschreiben. Die Behörde untersagt dem K als Fahrer tätig zu werden. Zurückzuführen ist diese Untersagung auf die fehlende Fahrerlaubnis des K. Allerdings fehlt diese Bezugnahme in der Auflage. Die Behörde hat dem K das Verbot nicht befristet erteilt, also nicht bis zu dem Zeitpunkt in dem er die Fahrerlaubnis wieder zurückerwirbt. Ein Anknüpfen an persönliche Eigenschaften ist demnach nicht ersichtlich. Deshalb kann es sich bei der Auflage nur um einen Eingriff auf dritter Stufe handeln, der objektive Zulassungsvoraussetzungen betrifft, die den Verbleib im Beruf an Voraussetzungen binden, die mit der Person des Bewerbers nichts zu tun haben. Solche Eingriffe sind jedoch nur zulässig, wenn sie dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter zu dienen bestimmt sind. Im Ergebnis kann aber dahingestellt bleiben, ob es sich um einen Eingriff auf zweiter oder dritter  Stufe handelt, da in keinem Fall der Eingriff dem Schutz wichtiger Rechtsgüter dient. Natürlich ist es geboten ein Fahrverbot zu erteilen, allerdings nur bis zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis. Eine darüberhinausgehende Beeinträchtigung ist nicht gerechtfertigt. Somit ist das unbefristete Beschäftigungsverbot in jedem Fall unverhältnismäßig. Damit ist K in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 I GG verletzt.

(bb) Art. 14 GG

K könnte zusätzlich in seinem Grundrecht aus Art. 14 I GG verletzt sein. Ihm ist es untersagt beliebig mit den in seinem Eigentum stehenden Fahrzeugen umzugehen. Auch hier ist eine Einschränkung möglich, aber wiederum unverhältnismäßig, da keine Befristung hinzugefügt wurde. Insofern kann K neben Art. 12 auch die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 14 geltend machen.

Somit ist die Auflage nicht angemessen.

2. Ergebnis

Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Auflage liegen nicht vor. Die Klage des K ist damit begründet.

Anmerkungen

siehe auch Prüfungsschema zu Art. 14 I 1 GG, „Klausur zur Berufsfreiheit

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Klausur Klage auf Erteilung Baugenehmigung

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A. Sachverhalt

Der in der kreisfreien bayrischen Stadt B lebende alleinstehende A erhielt vor vier Jahren eine Baugenehmigung für die Errichtung eines zweigeschossigen Hauses, um darin eine Pension mit insgesamt 35 Einzelzimmern zu betreiben. Da sich seit der Fertigstellung des Gebäudes im Sommer 2002 die erhofften Übernachtungen nicht einstellten, beabsichtigt er nunmehr, im Erdgeschoss des Hauses eine Tanzbar mit Striptease-Aufführungen sowie im Obergeschoss ein Spielkasino einzurichten.

Nachdem A den Antrag auf Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung bei der zuständigen städtischen Baubehörde gestellt hat, verweigert diese jedoch durch den mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 22.08.2005 die Erteilung einer Baugenehmigung unter Hinweis auf die Lage des Gebäudes: Es liege zwar im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, der die Zahl der Vollgeschosse auf zwei festsetze. Jedoch befände sich in der unmittelbaren Umgebung des Gebäudes des A in erster Linie eine Bebauung mit Mehrfamilien-Wohnhäusern, die bislang nur von mehreren überwiegend kleinen handwerklich geprägten Gewerbe- und wenigen Einzelhandelsbetrieben sowie einer Gaststätte durchsetzt sei. Obendrein sei mit einer übermäßigen Lärmbelästigung der Anwohner gerade während der Nachtzeit zu rechnen.

A, der sich bereits seit dem 20.08.2005 wegen eines Herzinfarktes im Krankenhaus befand und nach zweimonatigem Krankenhausaufenthalt wieder genesen nach Hause zurückkehrt, erhebt unter Hinweis auf seinen unverhofften Krankenhausaufenthalt (eine entprechende Bescheinigung des behandelnden Krankenhauses fügt er bei) noch am Tag seiner Rückkehr gegen den vorgefundenen Ablehnungsbescheid schriftlich Klage bei dem zuständigen Verwaltungsgericht. Er ist der Auffassung, sein Gebäude unterscheide sich äußerlich überhaupt nicht von der übrigen vorhandenen Bebauung. Auch treffe der bestehende Bebauungsplan überhaupt keine Aussagen über die Art der baulichen Nutzung, weshalb er die Genehmigungsversagung durch die Baubehörde auch nicht rechtfertigen könne. Im Übrigen seien die behördlichen Bedenken hinsichtlich der Belästigungen der Anwohnerschaft unbegründet, da er alle ihm möglichen Vorkehrungen treffe, um eine von seinem Hause ausgehende unzumutbare Lärmentwicklung zu vermeiden. Es würden insbesondere schalldichte Fenster und Türen installiert. Obendrein sei dafür gesorgt, dass auch die Lärmentwicklung an den Zugängen durch automatisch schließende Türen auf das Unvermeidbare reduziert würde. Überdies würden die das Etablissement besuchenden Gäste durch vor dem Gebäude gut sichtbar angebrachte Schilder aufgefordert, namentlich in der Nachtzeit Rücksicht auf die Nachbarschaft zu nehmen. Ferner sei der zu dem Haus gehörige Parkplatz von ausreichender Größe, um die Fahrzeuge selbst bei hohem Gästeaufkommen aufnehmen zu können. Noch dazu liege dieser auf der den nahen Wohngebäuden abgewandten Seite und würde durch eine zwei Meter hohe massive Mauer eingerahmt. Demgegenüber schlüge die zugegebenermaßen nicht vollständig vermeidbare Geräuschentwicklung auf der unmittelbar an den Wohngebäuden vorbeiführenden öffentlichen Zufahrtstraße durch das An- und Abfahren von Kraftfahrzeugen der Besucher doch kaum mehr nennenswert zu Buche.

Wie wird das Verwaltungsgericht über die Ende Oktober 2005 eingelegte Klage entscheiden ?

B. Lösung

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.

A. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Nach § 40 I 1 VwGO müsste der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sein. Nach der Sonderrechtstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Eine Norm ist öffentlich-rechtlich, wenn sie ausschließlich einen Hoheitsträger besonders berechtigt und/oder verpflichtet. Man spricht insofern auch von der modifizierten Subjektstheorie. Gestritten wird um die Erteilung einer Baugenehmigung. Demnach stehen die BayBO und das BauGB im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Es fehlt an der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit und eine anderweitige Rechtswegzuweisung ist auch nicht ersichtlich. Mithin ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.

B. Zulässigkeit

Die Klage müßte zulässig sein.

I. Statthafte Klageart

Die Statthaftigkeit richtet sich nach dem klägerischen Begehr gem. § 88 VwGO. A beantragt eine Baugenehmigung bei der Stadt B. Die Baugenehmigung (vgl. Art. 68 I 1 BayBO) ist ein VA i.S.d. Art. 35 S.1 BayVwVfG mit Legalisierungs- und Gestattungswirkung, der im Rahmen einer Verpflichtungsklage geltend gemacht werden kann. Damit ist die Verpflichtungsklage gem. § 42 I Alt.2 VwGO in Form der Versagungsgegenklage statthaft.

II. Klagebefugnis

A müsste gem. § 42 II VwGO klagebefugt sein. Dann müsste er geltend machen in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt zu sein. Ihm könnte gem. Art. 68 I 1 BayBO i.V.m. Art. 14 GG ein Anspruch auf die Baugenehmigung zustehen. Durch die Verweigerung der Erteilung ist eine Rechtsverletzung möglich. Er ist somit klagebefugt.

III. Vorverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO

Ein Vorverfahren ist entbehrlich, da kein Fall des Art. 15 I, II BayAGVwGO gegeben ist.

IV. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt 1 VwGO Beteiligten-, und gem. § 62 I Nr. 1 VwGO Prozessfähig. Die Beteiligtenfähigkeit der Stadt B ergibt sich aus § 61 Nr. 1 Alt. 2. VwGO. Sie wird gem. Art. 38 I, 34 I 2 BayGO von ihrem Oberbürgermeister vertreten und ist damit gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

V. Frist

Die Klage muss gem. § 74 I 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des VA erhoben werden. Die Bekanntgabe richtet sich nach Art. 41 BayVwVfG. Nach Art. 41 II BayVwVfG gilt ein durch die Post übermittelter VA als am dritten Tag bekanntgegeben. Hierbei handelt es sich um eine Bekanntgabefiktion. Dies wäre folglich der 25.8.05. A erhebt aber erst am 20.10.05 seine Klage zum Verwaltungsgericht. Damit ist die Frist abgelaufen und A kann nicht mehr klagen. Etwas anderes könnte sich aber daraus ergeben, dass A zwei Monate im Krankenhaus verbringen musste und außerstande war seine Verwaltungsangelegenheiten zu regeln. Nach § 60 VwGO könnte A bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Dann müsste er ohne Verschulden verhindert gewesen sein die gesetzliche Frist des § 74 I 2 VwGO einzuhalten. A lag infolge eines Herzinfarkts im Krankenhaus, womit ihm kein Verschulden zur Last fällt. Auch ist nicht davon auszugehen, dass A schon eher hätte auf den Bescheid reagieren können, da es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt. Dies kann er zudem mit einem ärztlichen Attest belegen.  Gem. § 60 II 1 VwGO müsste der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Laut Sachverhalt erhebt A am Tag seiner Rückkehr aber lediglich Klage gegen den Ablehnungsbescheid. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellt A jedoch nicht, was dazu führen könnte, dass er endgültig nicht mehr gegen den Bescheid vorgehen kann. Nach § 60 II 2 und 3 VwGO kann aber innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung, hier die Klageerhebung, nachgeholt werden ohne dass es eines zusätzlichen Antrags auf Wiedereinsetzung bedarf. Damit wird A Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

C. Begründetheit

Die Klage des A wäre begründet, wenn der Bescheid rechtswidrig ist und er durch die Ablehnung der Baugenehmigung in subjektiv öffentlichen Rechten verletzt wurde, § 113 V 1 VwGO. Zudem müsste die Klage gegen den richtigen Klagegegner gerichtet sein.

I. Passivlegitimation

Nach § 78 I Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen die Stadt zu richten, da Städte und somit Gemeinden ihre eigenen Rechtsträger sind.

II. Rechtmäßigkeit der Ablehnungsbescheides

1. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Ablehnungsbescheid müßte formell rechtmäßig ergangen sein.

a) Zuständigkeit

Die Stadt B ist gem. Art. 53 I 1, 54 I BayBO i.V.m. Art. 37 I 2 BayLKrO und Art. 9 I BayGO als untere Bauaufsichtsbehörde zuständig für die Erteilung der Baugenehmigung.

b) Verfahren

A müsste vor Erlass des VA gem. Art. 28 I BayVwVfG angehört worden sein. Dies ist vorliegend nicht geschehen. Allerdings kann die fehlende Anhörung gem. Art. 45 I Nr. 3 BayVwVfG noch bis zum Schluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden.

2. Materielle Rechtmäßigkeit

Der Ablehnungsbescheid müßte weiterhin auch materiell rechtmäßig ergangen sein. Dies wäre nicht der Fall, wenn der A einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung hätte.

a) Rechtsgrundlage

Grundlage für den Anspruch des A ist Art. 68 I 1 BayBO i.V.m. Art. 14 I GG.

b) Genehmigungspflichtigkeit

Nach Art. 55 I BayBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen der Baugenehmigung. Anlagen sind mit dem Erdboden verbundene, aus Bauprodukten hergestellte Anlagen, Art. 2 I 1 BayBO . A hat eine Baugenehmigung für eine Pension erhalten und möchte nun statt dieser eine Tanzbar, sowie ein Spielkasino einrichten. Dabei handelt es sich um eine relevante bzw. wesentliche Änderung der Nutzung der Räumlichkeiten, sodass A dafür eine Baugenehmigung braucht. Andere Gestattungsverfahren nach Art. 56 BayBO sind nicht einschlägig. Ebenso liegt kein Fall der Art. 57, 58 BayBO vor.

c) Genehmigungsfähigkeit

Der Anlage dürften gem. Art. 68 I 1 BayBO keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind. Dieser Prüfungsmaßstab wird im vorliegenden Fall, da kein Sonderbau i.S.d. Art. 2 IV BayBO vorliegt, durch Art. 59 BayBO eingeschränkt. Dabei handelt es sich um das einfache Genehmigungsverfahren. Dann müsste die bauliche Anlage mit den bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB übereinstimmen.

Es müsste sich um eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 I BauGB handeln. Der Begriff der baulichen Anlage deckt sich weitestgehend mit dem des Landesrechts in Art. 2 I BayBO. Hinzukommen muss aber eine städtebauliche Relevanz. Dies wiederum bemisst sich nach § 1 V, VI BauGB. Erforderlich ist das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung. Die Nutzungsänderung einer Pension in eine Tanzbar, sowie ein Spielkasino erfordert eine städtebauliche Überprüfung, da es sich nicht lediglich um eine Bagatellanlage handelt. Folglich liegt eine Anlage i.S.d. § 29 I BauGB vor.

Das Gebäude liegt gem. § 30 I BauGB im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Fraglich ist, ob es sich dabei um einen qualifizierten oder einen einfachen Bebauungsplan handelt. Um einen qualifizierten handelt es sich, wenn mindestens zu den Bereichen Art und Maß der baulichen Nutzung, überbaubare Grundstücksflächen, örtliche Verkehrsflächen  Festsetzungen getroffen wurden. A führt in seiner Klagebegründung an, dass der Plan keine Aussagen über die Art der baulichen Nutzung enthält. Das Fehlen einer Festsetzung über die Art der baulichen Nutzung bedeutet, dass die Klassifizierung des Gebietes nach der BauNVO in Wohngebiet, Gewerbegebiet oder ähnliches fehlt. Deshalb erfüllt der Bebauungsplan die Vorgaben des § 30 I BauGB nicht und ist deshalb als einfacher Bebauungsplan nach § 30 III BauGB einzustufen. Die Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich sodann nach den §§ 34 und 35 BauGB. Hier käme die Zulässigkeit nach § 34 BauGB in Betracht. Dazu müsste das Vorhaben zunächst innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegen. Darunter ist jede Bebauung zu verstehen, die trotz vorhandener Baulücken den Eindruck von Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit erweckt, nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht hat und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Maßstab ist die bereits vorhandene Bebauung. In dem fraglichen Bereich befinden sich hauptsächlich Mehrfamilienwohnhäuser, daneben bestehen mehrere kleine handwerkliche geprägte Gewerbebetriebe. Ferner gibt es vereinzelt Einzelhandelsbetriebe, sowie eine Gaststätte. Es handelt sich also um eine Vielzahl von Bauten, die dicht nebeneinander angesiedelt sind und Geschlossenheit, sowie Zusammengehörigkeit vermitteln. Auch wenn unter den Wohnhäusern Gewerbebetriebe zu finden sind ändert dies nichts an der siedlungsähnlichen Struktur. Damit liegt das Gebäude des A im Innenbereich gem. § 34 BauGB.

Weitere Voraussetzung ist, dass sich das Bauvorhaben hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entspricht aber die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der BauNVO beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach Art. 34 II BauGB. Fraglich ist also wie das fragliche Gebiet zu klassifizieren ist. Ein reines Wohngebiet gem. § 3 BauNVO scheidet aus, da neben den Wohnhäusern Gewerbe- und Einzelhandelsbetriebe existieren. Eventuell kommt ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO in Betracht. Zulässig wären hier u.a. Wohngebäude, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe. Damit wären die Mehrfamilienwohnhäuser, die Gaststätte erfasst und die handwerklich geprägten Gewerbebetriebe erfasst. Die wenigen Einzelhandelsbetriebe könnten unter die Ausnahmevorschriften des § 4 III BauNVO fallen, schließen ein allgemeines Wohngebiet damit nicht aus. In Frage käme aber auch die Einordnung unter § 6 BauNVO als Mischgebiet. Diese dienen sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Auch hier wären Wohngebäude, Einzelhandelsbetriebe, Schank-und Speisewirtschaft, sowie sonstige Gewerbebetriebe grundsätzlich zulässig. Damit wären ohne Ausnahme alle vorkommenden Bauten erfasst. Damit ist das Vorhaben des A unter die Kategorie Mischgebiet einzuordnen, da beim allgemeinen Wohngebiet die Wohnbebauung dominieren müsste, was aber hier nicht eindeutig festgestellt werden kann. Das Gewerbe ist vorliegend zwar nicht über die Maßen ausgeprägt, dennoch wird die Einordnung als Mischgebiet dem Gebietscharakter am ehesten gerecht.

Fraglich ist demzufolge, ob die Tanzbar und das Spielkasino in einem Mischgebiet zulässig wären. Dabei könnte es sich um Vergnügungsstätten i.S.d. § 6 II Nr. 8 BauNVO handeln. Das Vorhaben erfüllt jedenfalls die Voraussetzungen des § 4a III Nr. 2 BauNVO. Jedoch sind Vergnügungsstätten nur in Teilen des Gebiets zulässig, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen Wohn- und Gewerbegebiet ist hier nicht möglich, da die Wohnbebauung von Einzelhandelsbetrieben und Gewerbebetrieben durchsetzt ist. Aber auch wenn man von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Vergnügungsstätte ausgeht könnte sich eine Unzulässigkeit aus § 15 I S.1 BauNVO im Einzelfall ergeben. Die Anlage dürfte nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Geprägt wird das Mischgebiet in erster Linie durch die Bebauung mit Mehrfamilienwohnhäusern. Das Gebäude des A fügt sich in die es umgebenden Bauten rein optisch ein. Die Geschosszahl ist auf zwei festgelegt, was auch auf die bauliche Anlage des A zutrifft. Mit der Nutzungsänderung wird keine dominierende Stellung erzielt, sodass der Umfang der Nutzungsänderung aus diesem Gesichtspunkt zulässig ist. Ein Unterschied ergibt sich aber daraus, dass nur Einzelhandelsgewerbe und Handwerksbetriebe vorhanden sind. So könnte die Nutzungsänderung in eine Bar und ein Kasino zu einer Strukturveränderung führen. Durch die Zulassung der Vergnügungsstätte könnte es zur Verdrängung anderer Nutzungen kommen, was zum Schutz des vorhandenen Gewerbes unterbunden werden müsste. Allerdings kann die Zulassung einer einzigen Vergnügungsstätte nicht solche Folgen haben. Eine Unzulässigkeit ergibt sich in dieser Hinsicht nicht.

Insbesondere ist weiterhin § 15 I 2 BauNVO zu berücksichtigen. Unzulässig ist die Nutzungsänderung des A, wenn Belästigungen oder Störungen von ihr ausgehen, die nach der Eigenart des Baugebietes im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Mögliche Belästigungen bzw. Störungen können sich gerade aus dem durch den Betrieb der Vergnügungsstätte entstehenden Lärm ergeben. Es ist zu erwarten, dass sich Besucher der Bar oder des Kasinos zeitweilig vor dem Eingang im Außenbereich des Gebäudes aufhalten. Gerade Raucher werden von Zeit zu Zeit nach draußen gehen um dort ihrem Bedürfnis nachgehen zu können. So kann aber auch das Kommen und Gehen der Gäste Störungen verursachen. Es ist in jedem Fall mit erhöhtem Lärm besonders in der Nachtzeit zu rechnen. Um dem zu entgegnen hat A Schilder an gut sichtbaren Stellen angebracht, die die Gäste auffordern Rücksicht auf die Nachbarschaft zu nehmen. Die Wirksamkeit dieser Schilder ist jedoch fraglich. Gerade betrunkene Gäste werden die Schilder nicht ernst nehmen oder ihnen Folge leisten. Viele Gäste werden den Schildern schon erst gar keine Beachtung schenken. A könnte um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen zusätzlich Ordnungsleute zur Verfügung stellen. Aber auch dadurch kann es wiederum zu lautstarken Diskussionen und Unruhe kommen, sollten bspw. alkoholisierte Gäste Widerstand leisten. Die Lärmentwicklung, die vom Gebäude ausgehen kann hat A weitestgehend eingedämmt, da er automatisch schließende Türen, sowie schalldichte Fenster und Türen installiert hat. Damit kann sichergestellt werden, dass keine unzumutbaren Beeinträchtigungen auftreten. Problematisch ist aber der Parkplatz in unmittelbarer Nähe zum Kasino. A führt an, dass der Parkplatz ausreichend groß ist um auch eine große Anzahl von Gästen aufnehmen zu können. Dadurch wird sicherlich dafür gesorgt, dass kein unnötiger Lärm durch herumfahrende, nach Parkplätzen suchende Autofahrer entsteht. Die Nähe zu den Wohngebäuden ist dennoch nicht unproblematisch. Der Parkplatz liegt auf der den Wohngebäuden abgewandten Seite und wird durch eine hohe massive Mauer eingerahmt. Aufgrund dessen ist eine unzumutbare Lärmentwicklung eher nicht anzunehmen. Die Zufahrtsstraße führt allerdings unmittelbar an den Wohngebäuden vorbei, sodass es zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen gerade in der Nacht kommen kann. Dieser An- und Abfahrtsverkehr findet zwar auf einer öffentlichen Straße statt, dennoch steigt die Zahl der vorbeifahrenden Autos was sich gerade zur Nachtzeit besonders deutlich bemerkbar macht. Zu berücksichtigen ist auch, dass diese Art von Etablissement oftmals ein bestimmtes Klientel anzieht, was dazu führen kann, dass sich Bewohner durch deren Anwesenheit eingeschüchtert fühlen. Im Ergebnis überwiegen die Beeinträchtigungen die A durch das Kasino und die Bar verursacht. Die Nutzungsänderung ist demnach unzulässig.

Die Nutzungsänderung ist daher nach § 15 I 2 BauVNO unzulässig. Damit ist das Vorhaben bauplanungsrechtlich genehmigungsunfähig. A hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung. Der Ablehnungsbescheid der Stadt B war rechtmäßig. Die Verpflichtungsklage des A ist unbegründet.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Klage auf Erteilung Baugenehmigung auf unserer Website Jura Individuell.

Klausur Langfristiges Aufenthaltsverbot

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A. Sachverhalt

In der kreisfreien Stadt S etablierte sich Anfang der 90er Jahre in der Umgebung des Hauptbahnhofes eine offene Drogenszene mit mehreren hundert Personen. Nachdem sich die Verantwortlichen der Stadtverwaltung zunächst dafür entschieden hatten, dieses Phänomen zu tolerieren, vollzogen sie im Herbst 2000 eine Kehrtwende hin zu einer repressiven Drogenpolitik. Ursache hierfür war, dass in den letzten Jahren zuvor die Zahl der Drogentoten, der Laden- und Einbruchdiebstähle, sowie der Übergriffe auf Passanten stark zugenommen hatte. Auch kam es des Öfteren zu Verletzungen von Kindern durch benutzte Spritzen, die von den Drogenabhängigen weggeworfen worden waren, zu agressiver Bettelei und Straßenprostitution. Die Szene in S hatte sich außerdem zu einem Anziehungspunkt für Abhängige aus der gesamten Region entwickelt. Der Polizeipräsident der Stadt S verabschiedete deshalb ein neues Konzept, das die Zerschlagung der offenen Drogenszene, insbesondere durch den verstärkten Ausspruch von Platzverweisen sowie langfristigen Aufenthaltsverboten gegenüber Szenemitgliedern vorsieht. Am 10. Januar 2002 traf eine Streife der Polizei auf den in S wohnhaften, arbeitslosen A, der sich zusammen mit mehreren Drogenabhängigen in einer Grünanlage am Hauptbahnhof aufhielt. A verbringt seit Jahren täglich mehrere Stunden zusammen mit Freunden in der Szene. Er ist selber nicht drogenabhängig, jedoch bereits zweimal wegen gewerbsmäßigen Handels mit Betäubungsnitteln zu längeren Haftstrafen verurteilt worden. Bei seiner letzten Festnahme war eine geringfügige Menge Heroin bei ihm gefunden worden; das diesbezügliche Ermittlungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. In den Monaten zuvor waren bereits wiederholt Platzverweise gegen ihn verhängt worden. A wurde mitgeteilt, es sei beabsichtigt, gegen ihn ein befristetes Aufenthaltsverbot für das Bahnhofsviertel auszusprechen. Diese Verfügung werde man auch für sofort vollziehbar erklären. A reagierte auf die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme nicht. Am 30.01.2002 stellte deshalb der Polizeipräsident von S dem A eine Verfügung zu, in der er ihm gegenüber ein ganztägiges, bis zum 31.07.2002 befristetes Verbot aussprach, sich im Bahnhofsviertel von S aufzuhalten. Die Grenzen der von dem Aufenthaltsverbot erfassten Bereiche wurden in einem beigefügtem Stadtplan markiert. Die Verfügung, die eine ordnungsgemäß begründete Anordnung der sofortigen Vollziehung beinhaltete, enthielt keinen Vorbehalt oder Hinweis, daß Ausnahmen vom Aufenthaltsverbot im Einzelfall gestattet werden könnten. Der Polizeipräsident begründete seine Verfügung im wesentlichen damit, dass A als Dealer zur Verfestigung der Drogenszene beitrage, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, und daß weiter Straftaten von seiner Seite verhindert werden müßten. Am 15.02.2002 legte A hiergegen durch seinen Anwalt Klage ein und läßt beim zuständigen Verwaltungsgericht den Antrag stellen, die aufschiebende Wirkung seiner Klage hinsichtlich des Aufenthaltsverbotes wiederherzustellen. Zur Begründung führt der Anwalt an, das Aufenthaltsverbot entbehre jeder Rechtsgrundlage, da für Eingrffe in das Recht auf Freizügigkeit nur der Bund zuständig sei. Im übrigen fehle es an der hier erforderlichen spezialgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zudem sei die Verfügung unverhältnismäßig. Sein Mandant brauche die Geborgenheit seines Freundeskreises; diese Freunde seien nun einmal allesamt drogenabhängig und gehörten der Szene in S an. Die Verfügung sei außerdem zu unbestimmt, da unklar sei, was genau mit dem Begriff des „Aufenthalts“ gemeint sei. Der Polizeipräsident beantragt, den Antrag abzulehnen. Art.11 GG sei vorliegend überhaupt nicht einschlägig; im übrigen seien landesrechtliche Eingriffe in dieses Grundrecht zum Zwecke der Gefahrenabwehr seit jeher anerkannt. Die Verfügung sei hinreichend bestimmt, da sie dem A ersichtlich jede Form des Betretens des Sperrbezirkes verbiete. Auch sei sie verhältnismäßig: sollte A gegenüber dem Polizeipräsidenten, was bislang nicht geschehen war, einen zwingenden Grund glaubhaft machen, warum er sich in dem Gebiet aufhalten müsse, werde er auf Antrag im Einzelfall eine entsprechende Ausnahmegenehmigung erhalten. Auf den Zugang zum Hauptbahnhof sei A nicht angewiesen, da -was zutrifft- viele Züge auch im Bahnhof seines Stadtteils halten würden. Seine Freunde könne er auch außerhalb des Verbotsbezirkes treffen.

Die Begründetheit des zulässigen Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist umfassend -ggf. hilfsgutachtlich- zu prüfen.

B. Lösung

I. Begründetheit des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes

Der Antrag nach § 80 V S.1 Alt. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig war.

1. Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde ist § 80 II Nr. 4 VwGO.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung müßte formell rechtmäßig ergangen sein.

a) Zuständigkeit

Zuständig für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist die Behörde, die den VA erlassen hat. Die Zuständigkeit richtet sich demzufolge nach der Zuständigkeit zum Erlass des zugrundeliegenden VA. Den Grund-VA hat hier der Polizeipräsident der Stadt S erlassen. Folgerichtig wäre dann auch er für die Anordnung des sofortigen Vollziehung zuständig.

aa) Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach Art. 3 I BayVwVfG. Hier ist Art. 3 I Nr. 3 a) BayVwVfG einschlägig. Die Vorschrift erklärt die Behörde in Angelegenheiten die eine natürliche Person, A, betreffen in dem Bezirk, in dem diese Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat für örtlich zuständig. Dies ist vorliegend die Stadt S. Damit ist die Polizei, bzw. der Polizeipräsident der Stadt S örtlich zuständig.

bb) Sachliche Zuständigkeit

Fraglich ist aber, ob die Polizei auch sachlich zuständig war. Polizei sind gem. Art. 1 PAG alle im Vollzugsdienst tätigen Dienstkräfte. Damit auch der Polizeipräsident. Art. 3 PAG regelt das Verhältnis der Polizei zu anderen Behörden. Hier gilt der Subsidiaritätsgrundsatz. Die Polizei darf ausschließlich im Eilfall tätig werden, demnach wenn die Gefahrenabwehr nicht schon durch eine andere Behörde sichergestellt ist. Die Zuständigkeit ergibt sich ferner, wenn Sicherheitsbehörden der Polizei Weisungen zum Eingreifen erteilen oder wenn aufgrund fehlender technischer Mittel oder Sachkunde einer Behörde das Eingreifen selbst nicht möglich ist. Hier handelt es sich um ein Problem, das sich im Laufe vieler Jahre entwickelt hat und gegen das ohne unmittelbaren Anlass  vorgegangen werden soll. Damit wäre in jedem Fall die Sicherheitsbehörde vorrangig zuständig gewesen. Zuständigkeitsfehler sind weder nach Art. 45 BayVwVfG heilbar, noch nach Art. 46 BayVwVfG, der lediglich auf die örtliche Zuständigkeit Bezug nimmt, unbeachtlich. Damit war der Polizeipräsident sachlich unzuständig, was zur formellen Rechtswidrigkeit führt.

Hilfsgutachten

b) Verfahren

Fraglich könnte sein, ob eine Anhörung i.S.d. Art. 28 I BayVwVfG notwendig ist. Da der Grund-VA eine Belastung für den Adressaten darstellt ist grundsätzlich eine Anhörung geboten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung enthält keine Regelung, weshalb sie kein VA i.S.d. § 35 BayVwVfG ist. Damit wäre Art. 28 I BayVwVfG nur analog anwendbar. Die sofortige Vollziehung ist jedoch in einem Bundesrecht, in § 80 VwGO geregelt. Hier erlässt jedoch eine Landesbehörde den VA. Diese müssen die Verfahrensvorschriften des jeweiligen Bundeslandes einhalten. Art. 30 GG regelt ausdrücklich die Trennung von Landes- und Bundesgesetzen. Das Landesrecht ist demnach ungeeignet Bundesrecht zu ergänzen. Hätte der Gesetzgeber eine solch formelle Regelung gewollt, hätte er sie in § 80 VwGO mitaufnehmen müssen. Eine Analogie scheidet folglich aus.

c) Form

Nach § 80 III VwGO bedarf die Anordnung einer schriftlichen Begründung der sofortigen Vollziehung. Laut Sachverhalt liegt eine ordnungsgemäße Begründung vor.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist materiell rechtmäßig, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Aussetzungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Bei einem rechtswidrigen VA besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit, da die Behörde aufgrund Art. 20 III GG keine rechtswidrigen Maßnahmen ergreifen darf. Demnach ist in erster Linie die Rechtmäßigkeit des der sofortigen Vollziehung zugrundeliegenden Aufenthaltverbotes zu prüfen.

a) Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes

Das Aufenthaltsverbot müßte rechtmäßig ergangen sein.

aa.) Ermächtigungsgrundlage

Ermächtigungsgrundlage für das Aufenthaltsverbot könnte vorliegend Art. 11 I, II Nr.1 PAG sein. Fraglich ist, ob die Ermächtigungsgrundlage verfassungsgemäß ist. Folglich muss zuerst geklärt werden, ob ein Rückgriff auf die Generalklausel möglich ist. Dies ist zum einen aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes problematisch. Ein Zurückgreifen auf die Generalklausel ist demzufolge gesperrt, wenn Standardmaßnahmen als Spezialregelungen einschlägig sind. Sollte der Platzverweis die Aufenthaltsbefugnis abschließend regeln, ist Art. 16 die speziellere Norm, die den Rückgriff auf Art. 11 PAG ausschließt. Das Aufenthaltsverbot ist in jedem Fall ein schwerwiegenderer Eingriff als der Platzverweis, da das Betreten eines Ortes über einen wesentlich längeren Zeitraum nicht gestattet ist. So stellt sich das Aufenthaltsverbot aber als ein Mehr im Verhältnis zum Platzverweis dar, was bedeuten würde, dass die Generalklausel höhere Voraussetzungen für die Befugnis beinhalten müsste als die Standardmaßnahme. Aus Sicht des Gesetzgebers würde diese Folgerung aber zu einem Wertungswiderspruch führen, da der weniger einschneidende Platzverweis ausdrücklich in einer Standardmaßnahme geregelt wurde, für das etwas weiterführende Aufenthaltsverbot dann aber keine Standardmaßnahme oder Spezialregelung vorgesehen wurde. Nach dieser Ansicht ist auch die Generalklausel keine taugliche Ermächtigungsgrundlage.

Die Generalklausel ist geschaffen worden um atypische Vorgehensweisen zu erfassen und ein polizeiliches Vorgehen zu ermöglichen. Etwas anderes ergibt sich aber wenn atypische Maßnahmen über einen längeren Zeitraum gleichermaßen vorgenommen werden und so zu typischen Maßnahmen werden. Dann ist ein Rückgriff auf die Generalklausel nur in der Übergangszeit, bis der Gesetzgeber zu der Problematik Stellung genommen hat, zulässig. Denn hier besteht für den Gesetzgeber die Pflicht eine rechtsstaatlich einwandfreie Spezialermächtigung zu schaffen. Die Problematik sozialer Brennpunkte, die durch Herumlungern spezieller Gruppierungen zur erhöhten Kriminalität führt, ist jedoch schon über Jahrzehnte bekannt. Der Gesetzgeber hätte also genügend Zeit gehabt auf diese Entwicklung zu reagieren. Er hat jedoch keine Spezialermächtigung geschaffen, wodurch der Rückgriff auf die Generalklausel nicht mehr gerechtfertigt ist.

Andererseits wurde die Generalklausel zur Regelung atypischer Maßnahmen geschaffen, die nicht von den Standardmaßnahmen erfasst werden. Findet sich keine Standardmaßnahme der die Handlungsbefugnis entnommen werden kann ist zu prüfen ob sich eine Befugnis aus Art. 11 ergibt. Gerade im Bereich der Gefahrenabwehr ist den Behörden ein möglichst weites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dies widerspricht auch nicht grundsätzlich dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, da auch weiter gefasste Generalklauseln überprüfbar, für den Bürger vorhersehbar und bestimmt sein können. Dies kann durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall sichergestellt werden.

Ferner spricht für die Anwendung der Generalklausel, dass die Standardmaßnahmen einen Teilbereich des Ordnungsrechts regeln und nur für diese spezielle Problematik abschließend sind. Der Platzverweis zielt auf eine möglichst schnelle, effektive Gefahrenabwehr, wohingegen ein Aufenthaltsverbot eine länger währende Situation, die zur Gefahrentstehung beiträgt entschärfen soll. Dadurch unterscheiden sich die beiden Regelungen in ihrem Anwendungsbereich bereits grundlegend. Deshalb ist ein Zurückgreifen auf die Generalklausel durchaus möglich.

Im Ergebnis ist gerade im Hinblick auf den letztgenannten Punkt ein Rückgriff auf die Generalklausel zweckmäßig und zulässig. Damit stellen sich aber einige Folgeprobleme.

(a) Eingriff in die Freizügigkeit nach Art. 11 GG

Streitig ist, ob Aufenthaltsverbote in die Freizügigkeit nach Art. 11 GG eingreifen. Freizügigkeit bedeutet die Freiheit an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Von Aufenthalt wird in der Regel nur gesprochen, wenn er von einer gewissen Dauer und nicht nur flüchtig ist. Einige fordern darüberhinaus auch eine Übernachtung oder sogar eine für den Aufenthalt besondere persönliche Relevanz. A hält sich mehrere Stunden täglich in den Grünanlagen des Bahnhofs auf. Die Szene bildet seinen Lebenskreis, da er nur dort unter Seinesgleichen ist und Geborgenheit unter seinen Freunden findet. Da A den Bahnhof nicht nur aufsucht um sich Drogen zu beschaffen oder dem Drogenhandel nachzugehen, ist das Verweilen nicht nur kurzfristig. Ob eine Übernachtung stattfindet kann nicht entscheidendes Kriterium sein. Hält sich jemand nahezu ganztägig an einem Ort auf, kann es nicht darauf ankommen ob er sich zum Schlafen einen anderen Platz sucht. Die hervorgehobene persönliche Bedeutung für A ist maßgebendes Kriterium. Der Schutzbereich des Art. 11 ist damit eröffnet.

Durch das mehrmonatige Aufenthaltsverbot müsste in den Schutzbereich eingegriffen worden sein. Eingriffe in die Freizügigkeit sind Behinderungen oder Beeinträchtigungen des freien Ziehens. Dies ist bei einem halbjährigen Verbot in jedem Fall zu bejahen.

(b) Gesetzgebungskompetenz

Hier stellt sich die Frage ob die Länder überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für Eingriffe in die Freizügigkeit haben. Grundsätzlich liegt die Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 70 GG bei den Ländern. Etwas anderes ergibt sich aber, wenn der Bund ausschließlich zur Gesetzgebung befugt ist. So ist in Art. 73 I Nr. 3 GG die Freizügigkeit als Gegenstand der ausschließlichen Gesetzgebung genannt. Demnach könnte es dem Land untersagt sein durch Landesgesetze die Aufenthaltsbefugnis zu beschränken. Nach h. M. ist Regelungsgegenstand dieser Vorschrift jedoch nur die interterritoriale Freizügigkeit, sodass Bewegungen innerhalb des Bundesgebietes durch die Länder geregelt werden dürfen. Art. 73 I Nr. 3GG ist demnach enger auszulegen als Art. 11 GG. Vor allem liegt das Recht der Gefahrenabwehr bei den Ländern. Würde man davon ausgehen, dass die Regelung der Freizügigkeit allein dem Bund obliegt, würde man auch die Gefahrenabwehr dem Bund auferlegen. Das Ergreifen präventiver Gefahrenabwehrmaßnahmen nach allgemeinem Polizeirecht ist aber ausschließlich, schon aus  Praktikabilitätsgründen, Sache der Länder. Der Kriminalvorbehalt in Art. 11 Abs. 2 GG, worunter die Verhinderung strafbarer Handlungen fällt,  unterstützt diese Auffassung. Würde man eine ausschließliche Bundeskompetenz annehmen, so liefe der Gesetzesvorbehalt nach Art. 11 Abs. 2 GG weitgehend leer. Der Landesgesetzgeber ist somit befugt, gefahrenabwehrrechtliche Regelungen zu treffen, wenn diese in Art. 11 GG eingreifen.

(c) Wahrung des Zitiergebots

Für Eingriffe in Art. 11 GG gilt das Zitiergebot des Art. 19 I 2 GG. Das förmliche Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt muss Art. 19 I 2 GG ausdrücklich darauf hinweisen, dass das betreffende Grundrecht eingeschränkt wird. Andernfalls führt dies zur Nichtigkeit des einschränkenden Gesetzes.  Dem Wortlaut des Art. 11 PAG ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Freizügigkeit eingeschränkt werden kann. Sinn und Zweck des Gebots ist, dass die Eingriffe überschaubar bleiben und dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers entsprechen. Das Zitiergebot ist aber restriktiv auszulegen, da es nur sicherstellen soll, dass keine neuen, dem Recht fremde Eingriffsmöglichkeiten geschaffen werden.  Wird nur eine herkömmliche Einschränkung wiederholt ist es nicht erforderlich das eingeschränkte Grundrecht zu nennen. Damit ist die Generalklausel nicht verfassungswidrig.

(d) Notwendigkeit einer spezialgesetzlichen Ermächtigung

Nach der Wesentlichkeitstheorie müssen im Bereich der untergesetzlichen Normsetzung wesentliche Entscheidungen durch das Parlament selbst getroffen werden. Dies soll dem Zweck dienen einen Ausgleich zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip zu schaffen. Nach dem Demokratieprinzip müssen aufgrund des Totalvorbehalts alle Entscheidungen durch das Parlament, das vom Volk legitimiert wurde, getroffen werden. Der Grundsatz der Gewaltenteilung geht hingegen davon aus, dass laufende Entscheidungen von der Exekutive getroffen werden. Ein Ausgleich ist demnach, dass zumindest wesentliche Handlungen einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Wesentlich sind immer Eingriffe in Grundrechte. Bei einem mehrmonatigen Aufenthaltsverbot handelt es sich um einen nicht unerheblichen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 11 GG. Eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist aber nur dann erforderlich wenn es sich um eine einheitliche Problematik handelt und damit eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich ist. Das Aufenthaltsverbot ist aber eine typische Problematik des Gefahrenabwehrrechts. Die Generalklausel ist für die vielen, unüberschaubaren Einzelfälle die effektivste Lösung. Auch wird immer nur im Einzelfall entschieden, sodass eine pauschale Regelung schon nicht als geeignet erscheint. Damit genügt die Generalklausel für derartige Eingriffe.

bb) Formelle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes

Der Polizeipräsident war wie bereits oben erläutert, gem. § 3 BayVwVfG örtlich zuständig. Allerdings fehlt es auch für den Erlass des GrundVA an der sachlichen Zuständigkeit, da die Behörden vorrangig tätig werden müssen, so Art. 3 PAG. Das Aufenthaltsverbot ist damit formell rechtswidrig.

– Hilfsgutachten-

Da A die ihm eingeräumte Möglichkeit zur Stellungnahme  nicht wahrnahm, wurde das Anhörungserfordernis des Art. 28 BayVwVfG insoweit erfüllt. Vom Vorliegen der übrigen Verfahrensvoraussetzungen ist auszugehen.

cc) Materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthaltsverbotes

Hierzu müssten die Voraussetzungen des Art. 11 PAG vorliegen. A müsste richtiger Adressat der Maßnahme sein und die Verfügung müsste verhältnismäßig sein.

Nach Art. 11 II Nr. 3 PAG kann die Polizei Maßnahmen treffen um Gefahren abzuwehren oder Zustände zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person bedrohen oder verletzen. Die Verfügung müsste ferner im öffentlichen Interesse liegen.

(a) Gefahr

Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage vorliegt, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden eintreten wird. Die grundlegende Problematik ist die, dass durch die sich ausbreitende Drogenszene immer mehr Konfliktquellen entstehen. Es kommt vermehrt zu Übergriffen auf Passanten, Kinder werden durch herumliegende Spritzen verletzt, die Zahl der Diebstähle hat zugenommen und nicht zuletzt stiegen die aggressive Bettelei und Straßenprostitution. Man kann damit von einer permanenten Gefahrenlage für Passanten sprechen. Die Szene an sich ist durch den aktiven Drogenhandel bereits eine Gefahr. Es ist jederzeit zu befürchten, dass erneut gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen wird, sei es durch Konsum oder Verkauf der Drogen. Schließlich sind Passanten gefährdet, die den Bahnhof nutzen wollen. Passanten laufen ständig Gefahr durch herumlungernde Drogenabhängige und Bettler belästigt zu werden und im schlimmsten Fall sogar Überfallen zu werden. Herumliegende Spritzen gefährden die Gesundheit der Kinder, die sich mit Krankheiten infizieren können. Ortsansässige Unternehmen müssen mit Vermögenseinbußen rechnen, da Bürger den Bahnhofsbereich aufgrund der Gefahren meiden. Nicht zuletzt kommt es immer wieder zu Überfällen auf Geschäfte. Es handelt sich jedenfalls um eine Gefahr i.S.d. Art. 11 II Nr. 3 PAG.

(b) Verantwortlichkeit

A müsste Verantwortlicher i.S.d. Art. 7, 8 oder 10 PAG sein. In Frage käme eine Verhaltensverantwortlichkeit nach Art. 7. Nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung ist Verhaltensstörer, wer die unmittelbar letzte Ursache für die Schadensentstehung gesetzt hat. A verbringt mehrere Stunden am Bahnhofsgelände und ist bereits zweimal wegen Drogenhandel verurteilt worden. Es wurden wiederholt Platzverweise erteilt, die ihn aber nicht zur Änderung seines Verhaltens veranlassten. Gerade da er wegen gewerbsmäßigem Drogenhandel verurteilt wurde, bei seiner letzten Festnahme Heroin bei sich hatte und sich keine Verhaltensänderung durch die Platzverweise einstellt, ist er eine potentielle Gefahr für die Rechtsordnung.  Es ist davon auszugehen, dass A wieder straffällig werden wird. Allein danach wäre ein Eingriff in Art. 11 II GG schon gerechtfertigt. Natürlich trägt A auch zur Verschärfung der Situation insgesamt bei. Damit ist er Verhaltensstörer i.S.d. Art. 7 PAG.

(c) Bestimmtheit

Fraglich ist, ob das Aufenthaltsverbot hinreichend bestimmt ist i.S.d. § 37 I BayVwVfG. Es wäre auf jeden Fall zu allgemein ein Verbot aufzuerlegen sich im Bahnhofsbereich nicht mehr aufhalten zu dürfen. Denn es ist für den Adressaten nicht ausreichend deutlich, wohin er nun darf und welche Orte er meiden muss. Der Polizeipräsident hat der Verfügung jedoch einen Stadtplan beigefügt, der die genauen Grenzen markiert. Daraus ist eindeutig ersichtlich, welche Bereiche A nicht betreten darf. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob A diese Gebiete nicht eventuell kurzzeitig durchqueren darf. Es ist im Zweifel davon auszugehen, dass die Bereiche gänzlich gemieden werden müssen, zumal keine Ausnahmen oder andere Regelungen dem Schreiben beigefügt waren. Daher genügt die Verfügung dem Bestimmtheitsgebot.

(d) Verhältnismäßigkeit

Das Aufenthaltsverbot müsste dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 4 PAG entsprechen. Dann müsste die Maßnahme ein legitimes Ziel verfolgen, geeignet, erforderlich und angemessen sein. Das Verbot die betroffenen Bereiche zu betreten verfolgt das Ziel die potentielle Gefahr die A darstellt zu unterbinden. Damit liegt ein legitimes Ziel vor. Geeignet ist die Maßnahme, wenn sie tauglich ist, den verfolgten Zweck zu erreichen. Natürlich ist nicht sicher, ob das Verbot hilft, die Gefahr endgültig zu beseitigen. Aber es trägt zur vorübergehenden Entschärfung des Problems bei. Der Zugang zu Drogen und Handel mit Drogen wird in jedem Fall erschwert. Von der Geeignetheit ist damit auszugehen. Das Aufenthaltsverbot müsste ferner erforderlich sein. Unter mehreren gleich geeigneten müsste es das relativ mildeste Mittel zur Zweckerreichung sein. Mildere Mittel wären vorliegend Personenkontrollen oder kurzfristige Platzverweise. Jedoch hat die Vergangenheit gezeigt, dass durch kurzfristige Platzverweise nichts bewirkt werden konnte. Reine Personenkontrollen können am Verhalten des A nichts ändern. Insbesondere ist das Übermaßverbot zu berücksichtigen. Das sechsmonatige Aufenthaltsverbot könnte zeitlich zu lange bemessen sein. Wie schon versucht sind Platzverweise keine geeignete Methode gegen den Aufenthalt im Park vorzugehen. Um die Drogenszene nachhaltig in den Griff zu kriegen, ist ein etwas längeres Aufenthaltsverbot von 6 Monaten sicherlich noch vertretbar.

Schließlich müsste die Maßnahme auch angemessen sein. Dann dürfte sie zum angestrebten Ziel nicht außer Verhältnis stehen. Es scheint notwendig aktiv gegen die offene Drogenszene vorzugehen, da andernfalls die Situation zu eskalieren droht. Gerade im Bereich des Bahnhofs kann es zu einer weiteren Verfestigung und Ausweitung der Drogenszene kommen. Es können durch die offenen, unproblematisch zugänglichen Gegenden immer mehr Menschen in den Drogensumpf geraten. Das Bild des Bahnhofs wird sich nachhaltig ändern, da normale Passanten diese Gegend aufgrund der Kriminalität und der sittlichen Verwerflichkeit des dortigen Handels meiden werden. Deswegen ist es unbedingt nötig, die gewohnten Plätze der Dealer aufzulösen und den Konsumenten die Drogenbeschaffung zu erschweren.

In dem Aufenthaltsverbot sind jedoch keinerlei Befreiungen vorgesehen in der Form, dass A unter bestimmten Umständen die Bereiche betreten darf. Der Polizeipräsident räumt aber ausdrücklich die Möglichkeit ein bei Glaubhaftmachung eines bestimmten Grundes eine entsprechende Ausnahmegenehmigung zu erteilen. Dies müsste eventuell noch schriftlich in die Maßnahme mitaufgenommen werden. Auch das Argument, dass A nur am Bahnhof in seinem Freundeskreis Geborgenheit finden kann ist nicht zu berücksichtigen. A kann seine Freunde in der gesamten Stadt treffen, nur eben nicht am Bahnhof. Der Zugang zum Bahnhof ist A nicht mehr möglich, was eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung darstellen kann. A kann aber von seinem Stadtteil aus die Zugverbindungen nutzen, sodass er auch in dieser Hinsicht nicht benachteiligt wird. Im Ergebnis ist das Aufenthaltsverbot auch angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig.

 

b) Interessenabwägung

Da das Aufenthaltsverbot rechtmäßig war muß eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Das öffentliche Interesse oder das Interesse eines Dritten an der Anordnung des sofortigen Vollzugs muß hinter dem privaten Aussetzungsinteresse des Einzelnen, hier A, zurückstehen. Hier überwiegt das Vollzugsinteresse, da es für den A keine unzumutbare Beeinträchtigung darstellt für einige Zeit vom Bahnhof fernbleiben zu müssen. Das Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände, insbesondere die Eindämmung der Drogenszene und der steigenden Kriminalität ist höher zu bewerten als das Interesse des A sich am Bahnhof aufhalten zu können. Gerade das schnelle und gezielte Eingreifen der Beamten darf nicht unnötig erschwert werden. Damit überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug auch das Aussetzungsinteresse des A.

4. Ergebnis

Somit ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung unbegründet.

Vielen Dank, dass Sie diesen Beitrag gelesen haben. Wir hoffen, dass er Ihnen weiterhelfen oder zumindest Ihr Interesse wecken konnte. Hier finden Sie den Beitrag Klausur Langfristiges Aufenthaltsverbot auf unserer Website Jura Individuell.

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